TE OGH 2011/3/29 10ObS13/11a

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Veröffentlicht am 29.03.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Mag. Christine Schneider, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 46 Cgs 71/05w des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 15. Dezember 2010, GZ 25 Rs 89/10i-12, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß

§ 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts bestätigt, mit dem die Wiederaufnahmsklage der Klägerin betreffend das Verfahren 46 Cgs 71/05w des Landesgerichts Innsbruck in Arbeits- und Sozialrechtssachen zurückgewiesen wurde.

Im Hauptverfahren wurde ua festgestellt, dass die Klägerin als Arbeiterin bei Hilde K***** beschäftigt war, in deren Fremdenpension sie Aufräum- und Putztätigkeiten durchführte. Nicht festgestellt werden konnte, wann und wodurch das 2004 bei der Klägerin festgestellte Handekzem verursacht wurde. In der Beweiswürdigung dieser Entscheidung wird zusammengefasst ausgeführt, dass das Beweisverfahren keine Objektivierung des behaupteten Arbeitsunfalls einer Säureverletzung der Hände erbracht habe, den die Klägerin im Zuge von Reinigungsarbeiten im September 2003 erlitten haben soll. Die einvernommenen Zeugen hätten dazu keine eigenen Wahrnehmungen gemacht, sondern ihre Angaben nur auf Erzählungen der Klägerin begründet.

Nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens suchte die Klägerin im Mai und Juni 2009 die Universitätsklinik für Gefäßchirurgie in Innsbruck auf. Am 3. 8. 2008 ging ihr ein Attest dieser Klinik zu, in dem über ambulante Untersuchungen vom 15. 5. 2009 und 16. 6. 2009 berichtet wird. Unter dem Punkt „Anamnese“ wird in dem Attest festgehalten, dass die Klägerin „seit einer anamnestischen Säureverletzung durch Putzen vor 6 Jahren“ an rezidivierenden Hyperkeratosen und Rhagaden an den Fingern und an Parästhesien beidseits sowie an Bluthochdruck leide.

In ihrer Wiederaufnahmsklage bringt die Klägerin - soweit für das Revisionsrekursverfahren noch relevant – vor, dass dieses Attest ein neues Beweismittel darstelle, dessen Benützung im Hauptverfahren eine für sie günstigere Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung herbeigeführt hätte. Es ergebe sich daraus, dass sie sich während ihrer Arbeitstätigkeit für Hilde K***** eine Säureverletzung an beiden Händen zugezogen habe und andere Ursachen für ihr Handekzem auszuschließen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Ansicht des Rekursgerichts, das Attest erweise sich schon im Rahmen der abstrakten Vorprüfung der Wiederaufnahmsklage als nicht geeignet, eine für die Klägerin günstige Entscheidung herbeizuführen, weicht von den zum Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO von der Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen nicht ab.

1. Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO). Es soll der materiellen Wahrheit in jenen Fällen zum Durchbruch verholfen werden, in denen die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen unrichtig oder unvollständig waren (Fasching, Lehrbuch2 Rz 2061).

2. Die Wiederaufnahmsklage ist aber bereits im Vorprüfungsverfahren nach § 538 Abs 1 ZPO zurückzuweisen, wenn sich ergibt, dass sie unschlüssig ist. Waren etwa die in der Wiederaufnahmsklage angegebenen Tatsachen nach den eigenen Behauptungen der klagenden Partei schon im Hauptverfahren bekannt, handelt es sich um keine neuen Tatsachen iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO und ist die Klage als unzulässig zurückzuweisen (Jelinek in Fasching/Konecny2, IV/1 § 538 Rz 21).

Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich aus dem Attest nicht ableiten, dass im September 2003 ein Arbeitsunfall tatsächlich stattgefunden hat. Aus der Urkunde geht lediglich hervor, die Klägerin habe im Jahr 2008 gegenüber einem untersuchenden Arzt im Rahmen der Befunderhebung (Anamnese) angegeben, „eine Säureverletzung durch Putzarbeiten vor 6 Jahren“ erlitten zu haben. Dass sie eine 2003 bei Putzarbeiten geschehene Säureverletzung behauptet hat, war aber bereits im Hauptverfahren bekannt. Dennoch folgte dort der Erstrichter der gleichlautenden Aussage der Klägerin als Partei nicht, sondern erachtete den Vorfall als nicht objektivierbar. Dessen ungeachtet hielt die Klägerin auch nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens an diesen Angaben fest und wiederholte sie gegenüber einem untersuchenden Arzt. Stützt sie die Wiederaufnahmsklage dann allein darauf, dass dieser Arzt ihre Angaben in einem Befund (im Rahmen der Anamneseerhebung) wiedergegeben hat, macht sie keine neuen Tatsachen iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend. Nur auf neue Tatsachen (oder Beweismittel) kann eine Wiederaufnahmsklage aber erfolgreich gestützt werden. Die Beurteilung der Vorinstanzen, das Attest sei zur Begründung der Wiederaufnahmsklage abstrakt ungeeignet, stellt somit jedenfalls keine Fehlbeurteilung dar.

3. Soweit die Revisionswerberin vermeint, es bestehe eine Bindungswirkung der Ergebnisse des Verfahrens 2 C 1372/06k des Bezirksgerichts Landeck für das gegenständliche Hauptverfahren, steht dem - wie schon im Parallelverfahren 10 ObS 14/11y ausgeführt - entgegen, dass die Klägerin zuerst die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt im Hauptverfahren und erst später ihre ehemalige Arbeitgeberin im Verfahren vor dem Bezirksgericht Landeck geklagt hat. Aber selbst wenn sie zuerst ihre ehemalige Arbeitgeberin geklagt hätte, wäre das Ergebnis dieses Verfahrens für den Folgeprozess der Klägerin gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt schon deshalb nicht bindend, weil die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in diesem Fall am ersten Prozess nicht beteiligt wäre. Dass in einem anderen Verfahren die Beweise anders gewürdigt wurden, verwirklicht keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO (10 ObS 14/11y mwN).

Wurde die Schlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage im Sinne der ständigen Rechtsprechung verneint und konnte die Rechtsmittelwerberin auch im außerordentlichen Revisionsrekurs keinen Verstoß gegen die Denkgesetze aufzeigen, liegt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO vor (2 Ob 8/06z).

Schlagworte

Sozialrecht

Textnummer

E96851

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00013.11A.0329.000

Im RIS seit

19.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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