TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/6 2000/01/0218

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Veröffentlicht am 06.03.2001
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §35 Abs1;
SMG 1997 §35 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StVO 1960;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des AA in G, vertreten durch Mag. Johannes Häusle, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Riedgasse 20/3, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 1. März 2000, Zl. Ia 370-682/1999, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 1. März 2000 wies die Vorarlberger Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311/1985, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 124/1998" ab.

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, welcher seit seiner Geburt am 19. Mai 1977 in Feldkirch ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich habe, sei derzeit als Verkäufer angestellt. Er habe nach der Volks- und Hauptschule zwei Jahre eine HTL besucht und anschließend drei Jahre die Berufsschule als Kellner absolviert. Danach sei er bei verschiedenen Arbeitgebern im Gastgewerbe tätig gewesen.

Am 23. Juni 1999 sei der Beschwerdeführer vom Gendarmerieposten Götzis zur Anzeige gebracht worden, weil er geständig gewesen sei, im Zeitraum von Ende 1996 bis Jänner 1999 geringe Mengen Cannabis-Harz und Cannabis-Kraut hauptsächlich in Feldkirch erworben und konsumiert zu haben. Am 2. Jänner 1999 sei er durch Zollwachebeamte im Bereich der Volksschule Tosters kontrolliert worden, wobei man bei ihm 1 Gramm Cannabis-Kraut gefunden und sichergestellt habe. Die Anzeige sei vom Bezirksgericht Feldkirch gemäß § 90 StPO aus dem Grund des § 35 Abs. 1 Suchtmittelgesetz mit Auflagen eingestellt worden.

Des Weiteren sei der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch wie folgt bestraft worden:

1. mit Bescheid vom 14. Juli 1995 wegen einer Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 1.000,--;

2. mit selbigem Bescheid wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 5 lit. b KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 100,--;

3. mit selbigem Bescheid wegen einer Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 1.000,--;

4. mit selbigem Bescheid wegen einer Übertretung nach § 36 lit. e KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 400,--;

5. mit Bescheid vom 6. August 1997 wegen Übertretungen nach den §§ 38 Abs. 5 und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 700,--;

6. mit Bescheid vom 9. Februar 1999 wegen Übertretungen nach den §§ 23 Abs. 1 und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 700,--;

7. mit Bescheid vom 7. April 1999 wegen einer Übertretung nach § 7 Abs. 1 lit. a Parkabgabegesetz mit einer Geldstrafe von

S 300,--;

8. mit Bescheid vom 4. Mai 1999 wegen einer Übertretung nach den §§ 31 Abs. 1 iVm 99 Abs. 2 lit. e StVO mit einer Geldstrafe von S 2.500,--;

Dieser Sachverhalt sei unbestritten.

Nach Zitierung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG  führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer sich den hiesigen Lebensverhältnissen (zwar) weitgehend angepasst habe, dass er jedoch über einen Zeitraum von drei Jahren Cannabis-Kraut und Cannabis-Harz erworben und konsumiert habe. Dies stehe ungeachtet des Umstandes fest, dass das Strafverfahren unter den Bedingungen des § 35 Suchtmittelgesetzes mit Auflagen eingestellt worden sei. Die Übertretungen nach dem Suchtmittelgesetz müssten im Hinblick auf das zukünftige Verhalten als schwer wiegend gewertet werden, da die Tathandlungen über einen Zeitraum von drei Jahren begangen worden seien und Verstöße gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes aus generalpräventiven Überlegungen als besonders verwerflich einzustufen seien. In der Zeit von 1995 bis 1999 sei der Beschwerdeführer überdies wegen acht Verwaltungsübertretungen bestraft worden, wobei das Fahren ohne entsprechende Lenkerberechtigung sowie der Tatbestand des § 31 Abs. 1 StVO (Fahrerflucht) als gravierend gewertet werden müssten. Dieses Verhalten lasse den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten werde, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen worden seien. Da der Beschwerdeführer somit die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG 1985 nicht erfülle (und nicht staatenlos sei; § 14 StbG), sei der Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass die belangte Behörde das ihr in § 11 StbG eingeräumte freie Ermessen unrichtig geübt habe. Damit verkennt er freilich den Inhalt des bekämpften Bescheides, weil darin die Abweisung des Verleihungsantrages schon mit dem Fehlen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet worden ist. Hiebei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0255).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darf einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung dieser Verleihungsvoraussetzung vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich (auch) durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 99/01/0331).

Der vorliegende Bescheid enthält zur Beurteilung dieser Kriterien keine ausreichenden Feststellungen. Die belangte Behörde hat lediglich den Erwerb und den Konsum geringer Mengen von Cannabis-Harz und Cannabis-Kraut von Ende 1996 bis Jänner 1999 - also über etwas mehr als zwei Jahre (und nicht, wie die belangte Behörde ausführt, drei Jahre) -, die diesbezügliche "Verfahrenseinstellung" nach § 35 Abs. 1 Suchtmittelgesetz (diese Bestimmung hat keine Verfahrenseinstellung, sondern die vorläufige Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft für eine Probezeit von zwei Jahren zum Gegenstand) sowie eine Reihe von Verwaltungsübertretungen festgestellt.

Was das unbestrittene Suchtgiftvergehen (§ 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz) anlangt, so ist der belangten Behörde zwar zuzugestehen, dass es sich bei Suchtgiftkriminalität regelmäßig um ein die in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG genannten öffentlichen Interessen besonders gefährdendes Fehlverhalten handelt (vgl. hiezu das schon genannte hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2000). Ohne Bezugnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalles kann jedoch nicht schlichtweg stets der Schluss gezogen werden, die Begehung eines Suchtgiftdeliktes schließe die hier in Rede stehende Verleihungsvoraussetzung aus. Vorliegend darf jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschwerdeführer lediglich geringe Mengen von Cannabis-Harz und Cannabis-Kraut - zum eigenen Gebrauch (andernfalls hätte es nicht gemäß § 35 Abs. 1 Suchtmittelgesetz zu einer vorläufigen Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft kommen dürfen) - erworben und konsumiert und keinerlei Beschaffungskriminalität zu verantworten hat. Soweit die belangte Behörde damit argumentiert, dass Verstöße gegen die Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes aus generalpräventiven Überlegungen als besonders verwerflich einzustufen seien, ist ihr zu erwidern, dass es hier auf derartige generalpräventive Überlegungen nicht ankommt. Maßgeblich ist vielmehr die individuelle Prognose, wobei im gegebenen Zusammenhang etwa eine bestehende Suchtgiftabhängigkeit und eine darauf gegründete Rückfallneigung von Beachtung wären. Derartiges kann hier freilich - entgegen der generalisierenden Annahme in der Gegenschrift - im Hinblick auf den Konsum von Cannabis-Harz und Cannabis-Kraut nicht ohne weiteres unterstellt werden (vgl. Foregger/Litzka/Matzka, SMG (1998), Erl. II zu § 27). Die belangte Behörde hätte sich daher etwa auch mit den der vorläufigen Zurücklegung der Anzeige vorangehenden Auskünften und Stellungnahmen (siehe § 35 Abs. 3 Suchtmittelgesetz) sowie mit dem Inhalt der erteilten Auflagen auseinander setzen müssen, um eine tragfähige Auskunft über das Gesamtbild des Beschwerdeführers zu erhalten.

Was die von der belangten Behörde ergänzend ins Treffen geführten acht Verwaltungsübertretungen betrifft, so handelt es sich dabei um Verkehrsverstöße, welche vom Beschwerdeführer zu fünf verschiedenen Zeitpunkten gesetzt wurden und die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid lediglich dem Bescheiddatum nach und unter Angabe der Paragraphen, gegen die der Beschwerdeführer verstoßen hat, zitiert wurden. Eine nähere Darstellung der Umstände, aus welchen allenfalls eine negative Zukunftsprognose abgeleitet werden könnte, fehlt zur Gänze.

Die belangte Behörde hat schon das Fahren ohne entsprechende Lenkerberechtigung sowie "den Tatbestand des § 31 Abs. 1 StVO (Fahrerflucht)" an sich als gravierend gewertet. Ersteres liegt jedoch - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides - nahezu fünf Jahre zurück, letzteres bezieht sich - geht man von den zitierten Gesetzesstellen aus (§ 31 Abs. 1 i. V.m. § 99 Abs. 2 lit. e StVO) - richtig auf u.a. Beschädigungen von Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs. Ohne nähere Feststellungen, warum diesen Verstößen besonderes Gewicht zukommen soll, lässt sich daher auch in diesem Zusammenhang eine Beurteilung des Gesamtverhaltens nicht vornehmen und die auf dieser Grundlage zu treffende Prognose über das künftige Verhalten des Beschwerdeführers nicht erstellen.

Dass jeglicher Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung - unabhängig von der Schwere der Übertretung - für die Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG wesentlich sei, trifft entgegen der in der Gegenschrift vertretenen Ansicht nicht zu. Eine derartige Aussage findet sich auch nicht in dem in diesem Zusammenhang erwähnten hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1998, Zl. 96/01/0985 (vgl. im Übrigen abermals das hg. Erkenntnis vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0255).

Der dargestellte Verfahrensmangel hindert den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, der Beschwerdeführer biete auf Grund seines bisherigen Verhaltens keine Gewähr, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darzustellen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. März 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000010218.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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