TE AsylGH Erkenntnis 2011/04/01 D6 402153-1/2008

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Veröffentlicht am 01.04.2011
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Spruch

D6 402153-1/2008/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.10.2008, Zl. 08 06.467-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 und 8 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Der in Österreich geborene minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, ist der Sohn des Beschwerdeführers zu D10 255516-1/2009 und der Beschwerdeführerin zu D10 255521-1/2009. Seine Mutter stellte als gesetzliche Vertreterin für den minderjährigen Beschwerdeführer am 24.7.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

 

1. In ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.8.2008 gab die Mutter als gesetzliche Vertreterin an, der minderjährige Beschwerdeführer habe "keine eigenen Fluchtgründe".

 

2. In ihrer Einvernahme durch das Bundesasylamt am 18.9.2008 brachte die Mutter als gesetzliche Vertreterin vor, der minderjährige Beschwerdeführer sei gesund, und es würden für ihn "die gleichen Gründe gelten", die sie selbst angegeben habe. Die gesetzliche Vertreterin brachte die Geburtsurkunde des minderjährigen Beschwerdeführers in Vorlage.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3.10.2008 wies das Bundesasylamt den Antrag des minderjährigen Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG 2005), ab (Spruchpunkt I.); gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wies das Bundesasylamt den Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab (Spruchpunkt II.) und wies den minderjährigen Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). In seiner Begründung traf das Bundesasylamt Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in der Russischen Föderation und stellte die Identität, die russische Staatsangehörigkeit sowie die Familienzugehörigkeit des Beschwerdeführers fest. Weiters stellte es fest, dass der Beschwerdeführer gesund sei und keiner dauerhaften ärztlichen Behandlung bedürfe. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation Verfolgung drohe.

 

Beweiswürdigend wies das Bundesasylamt darauf hin, dass dem Vorbringen des Vaters des Beschwerdeführers keine glaubhafte Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu entnehmen gewesen sei.

 

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwies das Bundesasylamt darauf, dass der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung des minderjährigen Beschwerdeführers in keiner Weise glaubhaft gemacht habe. Da auch sonst nichts auf eine Verfolgungsgefahr im gegenständlichen Fall hindeute, sei der Antrag des Beschwerdeführers aufgrund des Fehlens der Flüchtlingseigenschaft abzuweisen. Zumal auch keinem anderen Familienmitglied der Status des Asylberechtigen zuerkannt worden sei, komme für den minderjährigen Beschwerdeführer eine Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht. Überdies bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der minderjährige Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr laufe, in der Russischen Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Da auch keinem Familienangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, komme eine Schutzgewährung aus Gründen des Familienverfahrens nicht in Betracht. Die Ausweisung des minderjährigen Beschwerdeführers stelle keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

4. Dagegen richtet sich die vorliegende, fristgerecht erhobene und zulässige (als Berufung bezeichnete) Beschwerde.

 

5. In den Verfahren der Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers führte der Asylgerichtshof am 14.9.2010 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Eltern des Beschwerdeführers, deren rechtsfreundliche Vertreterin sowie drei Zeugen teilnahmen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer ist der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers zu D10 255516-1/2009 und der Beschwerdeführerin zu D10 255521-1/2009. Der Vater des Beschwerdeführers stellte am 28.4.2004 einen Antrag auf Gewährung von Asyl, den er im Wesentlichen mit seiner Verfolgung aufgrund der Teilnahme an Kampfhandlungen während des ersten Tschetschenienkrieges begründete. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 17.11.2004 gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76 idF BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG 1997), - ohne Zielstaatsbezogenheit der Ausweisung - ab. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 6.12.2007 gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1997 mit der Maßgabe ab, dass der Vater des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.8.2009, Zlen. 2008/19/0116 bis 0118-7, statt und behob den bekämpften Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Beschwerde des Vaters des Beschwerdeführers wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 31.3.2011 zu D10 255516-1/2009 hinsichtlich Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG 1997 als unbegründet ab und behob Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos. Wie den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist, hat der Asylgerichtshof die behauptete Verfolgung des Vaters des minderjährigen Beschwerdeführers als nicht glaubwürdig erachtet. Es konnte - zusammengefasst - keine aktuelle Gefährdung bzw. Verfolgung des Vaters des minderjährigen Beschwerdeführers in seiner Heimat festgestellt werden.

 

Die Mutter des Beschwerdeführers stellte am 28.4.2004 einen (auf den Asylantrag ihres Ehemannes bezogenen) Asylerstreckungsantrag, welchen das Bundesasylamt mit Bescheid vom 17.11.2004 gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997 abwies. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 7.12.2007 gemäß §§ 10, 11 AsylG 1997 ab. Der hiergegen erhobenen Beschwerde gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.8.2009, Zlen. 2008/19/0116 bis 0118-7, statt und behob den bekämpften Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Beschwerde der Mutter des Beschwerdeführers wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 31.3.2011 zu D10 255521-1/2009 gemäß § 10 iVm § 11 AsylG 1997 als unbegründet ab.

 

Vor dem Hintergrund des vorliegenden Beschwerdefalles schließt sich der Asylgerichtshof auch den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes an.

 

Der minderjährige Beschwerdeführer des vorliegenden Verfahrens ist keiner - wie immer gearteten - Verfolgung oder Gefährdung im Herkunftsstaat ausgesetzt.

 

2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.1 Das Bundesasylamt hat mit der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers eine Einvernahme durchgeführt. Der aufgrund dieser Befragung (unter Berücksichtigung des weiteren Akteninhaltes) festgestellte Sachverhalt, die Beweiswürdigung und Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in der Russischen Föderation finden ihren Niederschlag in einer nicht zu beanstandenden Weise im angefochtenen Bescheid.

 

Auch das Ermittlungsverfahren ist aus der Sicht des erkennenden Senates nicht zu beanstanden. Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers machte für diesen keine eigenen Fluchtgründe geltend. Auch aus der Beschwerde gehen keine neuen Aspekte hinsichtlich der Fluchtgründe des minderjährigen Beschwerdeführers hervor.

 

Vor dem Hintergrund des vorliegenden Beschwerdefalles sind auch die von der belangten Behörde getroffenen (und auf Berichte unterschiedlicher Quellen beruhenden) Länderfeststellungen nicht zu beanstanden und - bezogen auf die Person des minderjährigen Beschwerdeführers - gemäß dem Amtswissen des Asylgerichtshofes auch als nach wie vor aktuell zu werten.

 

2.2 In Anbetracht des vorliegenden Ermittlungsverfahrens (und vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens) vermochte der erkennende Senat die im angefochtenen Bescheid getroffenen individuellen Feststellungen hinsichtlich der vorgebrachten Fluchtgründe nicht zu beanstanden und schloss sich den Feststellungen - wie oben ersichtlich - aus folgenden Gründen an:

 

2.2.1 Wie bereits erwähnt, hat der Asylgerichtshof die Fluchtgründe des Vaters des Beschwerdeführers als unglaubwürdig erachtet: So konnte der Asylgerichtshof dem Fluchtvorbringen nicht die erforderliche Glaubwürdigkeit zuerkennen, da im Vorbringen des Vaters des Beschwerdeführers, wonach er aufgrund seiner Teilnahme am ersten Tschetschenienkrieg einer Verfolgung ausgesetzt sei, zahlreiche Widersprüche und Unstimmigkeiten zutage getreten sind und die Angaben darüber hinaus in wesentlichen Punkten vage und unbestimmt blieben. Zudem gestaltete sich auch das Aussageverhalten der Eltern des Beschwerdeführers widersprüchlich. Insbesondere konnten auch die vom Vater des Beschwerdeführers namhaft gemachten Zeugen eine Verfolgung des Vaters des Beschwerdeführers nicht bestätigen.

 

2.2.2 Im vorliegenden Verfahren gab die Mutter des Beschwerdeführers an, für den minderjährigen Beschwerdeführer bestünden keine eigenen Fluchtgründe (AS 27 und 73). Wenn jedoch der Antrag des Vaters des Beschwerdeführers - mangels Glaubhaftmachung einer Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention - abgewiesen werden musste, sind dessen Fluchtgründe auch nicht geeignet, eine Verfolgung für den Beschwerdeführer abzuleiten. Wenn der Vater des Beschwerdeführers keiner aktuellen Gefährdung bzw. Verfolgung in seiner Heimat ausgesetzt ist, kann - mangels weiterer Fluchtgründe - auch nicht von einer Verfolgung des Beschwerdeführers ausgegangen werden (die Mutter des Beschwerdeführers hatte lediglich einen Asylerstreckungsantrag gestellt). Auch von Amts wegen sind keine Anhaltspunkte für (eigene) Fluchtgründe des minderjährigen Beschwerdeführers bzw. für dessen Verfolgung in der Russischen Föderation hervorgekommen.

 

2.3 Der Ausgang des Verfahrens der Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers ergibt sich aus den Asylakten zu dessen Verfahren.

 

3. Rechtlich ergibt sich daraus:

 

3.1 Gemäß § 23 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008; im Folgenden: AsylGHG) sind - soweit sich aus dem AsylG 2005 nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 idF BGBl. I 29/2009 ist das AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die - wie im vorliegenden Fall - am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

3.2 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Da der Beschwerdeführer (durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin) keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht hat und auch sonst keine Verfolgung des Beschwerdeführers (etwa aufgrund der Verfolgung seiner Eltern) festgestellt werden konnte, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl, eine wohlbegründete Furcht vor einer aktuellen Verfolgung aus Gründen der GFK, nicht vor.

 

3.3 Wird ein Antrag auf internationalen Schutz "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden (Abs. 2 leg. cit.).

 

§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300).

 

Nach der (zur Auslegung der Bestimmungen zum subsidiären Schutz anwendbaren) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG 1997 iVm § 57 FremdenG 1997 ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8.6.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, eine positive Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 8.6.2000, 99/20/0586; 21.9.2000, 99/20/0373; 25.1.2001, 2000/20/0367; 16.4.2002, 2000/20/0131). Diese in der Rechtsprechung zum AsylG 1997 erwähnten Fälle sind nun zT durch andere in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FremdenG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.6.2002, 2002/18/0028).

 

Im vorliegenden Fall gibt es weder einen Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr (gemeinsam mit seinen Eltern) in die Russische Föderation den in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 umschriebenen Gefahren ausgesetzt wäre, noch einen Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", die eine Rückkehr des Beschwerdeführers (gemeinsam mit seinen Eltern) unzulässig machen könnten: In der Russischen Föderation besteht nicht eine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer hat (durch seine Mutter) auch keinen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" glaubhaft machen können, der ein Abschiebungshindernis bilden könnte. Es ist angesichts der offenkundigen Unterstützungsmöglichkeiten durch seine Eltern nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat in eine Existenz bedrohende Lage geraten könnte; laut Angaben seiner Mutter (AS 71) ist der Beschwerdeführer gesund (die Eltern des Beschwerdeführers haben auch in der Beschwerdeverhandlung in ihrem eigenen Verfahren nicht vorgebracht, dass der minderjährige Beschwerdeführer an einer Krankheit leide oder gar lebensbedrohlich erkrankt wäre; zur Judikatur des EGMR zu Art. 3 EMRK insbesondere bei Abschiebungen Fremder in Fällen gesundheitlicher Beeinträchtigungen vgl. VfGH 6.3.2008, B 2400/07).

 

Die Entscheidung des Bundesasylamtes in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist daher nicht zu beanstanden.

 

3.4 Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I 135/2009 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutet dies auch, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (vgl. VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402).

 

Der Vater des Beschwerdeführers ist dessen Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit.; das betreffende Verfahren stellt sich daher gemäß § 34 AsylG 2005 als Familienverfahren gegenüber dem vorliegenden Verfahren dar. Da jedoch die Beschwerde des Vaters des minderjährigen Beschwerdeführers mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.3.2011 zu D10 255516-1/2009 abgewiesen wurde, vermag dem minderjährigen Beschwerdeführer auch im Wege des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 kein internationaler oder subsidiärer Schutz zuerkannt zu werden.

 

3.5 Hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides (Ausweisung) war Folgendes zu erwägen:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm § 75 Abs. 8 AsylG 2005 idF BGBl. I 122/2009 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen und dem Fremden weder Asyl noch subsidiärer Schutz gewährt wird. Bei der Ausweisungsentscheidung sind gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I 29/2009 die in Art. 8 EMRK normierten Garantien zu berücksichtigen.

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erk. vom 12.12.2007, Zl. 2007/19/1054-7, ausgeführt hat, wollte der Gesetzgeber mit Einführung des Familienverfahrens durch die AsylG-Novelle BGBl. I 101/2003 die Familieneinheit im Vergleich zur früheren Rechtslage (nach der etwa nur Asyl, nicht aber Refoulementschutz "erstreckt" werden konnte) in der Weise stärken, dass allen Angehörigen einer "Kernfamilie" iSd § 1 Z 6 AsylG 1997 (das sind Elternteile eines minderjährigen Kindes, Ehegatten oder zum Zeitpunkt der Asylantragstellung unverheiratete minderjährige Kinder eines Asylwerbers oder Asylberechtigten) im Asylverfahren die gleiche Rechtsstellung zukommt. Damit sollte verhindert werden, dass es durch verschiedene rechtliche Behandlung einzelner Familienmitglieder - entgegen dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK festgelegten Gebot der Achtung des Familienverbandes - zur Trennung von Familien kommen kann. Im Sinne der Wahrung der Familieneinheit wurde durch § 44 Abs. 3 AsylG 1997 sichergestellt, dass das Bundesasylamt nach dem 30.4.2004 in Fällen, in denen Asylanträge von Mitgliedern einer Familie zum Teil vor und zum Teil nach dem Inkrafttreten der AsylG-Novelle BGBl. I 101/2003 gestellt wurden, auch im Hinblick auf die Ausweisung einheitlich entscheiden konnte. Wenn das Bundesasylamt jedoch für einzelne Familienmitglieder (mangels Zuständigkeit der Rechtslage vor der Asylgesetznovelle 2003) keine Ausweisung verfügt hat, so ist es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes dem Unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, für diese Angehörigen Ausweisungen "nachzutragen", um die Rechtsposition der Familie zu vereinheitlichen. In derartigen Fällen hätten über die Ausweisung die Fremdenbehörden zu entscheiden.

 

Für Fälle, in denen einzelne Mitglieder einer Kernfamilie nach der dargestellten Rechtslage von den Asylbehörden, andere aber von den Fremdenbehörden auszuweisen wären, hat der Gesetzgeber weder Vorkehrungen für ein koordiniertes Vorgehen noch für eine einheitliche Ausweisungsentscheidung getroffen. Auch § 38 AVG bietet dafür keine Lösung. Ein Ergebnis, wonach etwa ein minderjähriger Beschwerdeführer auf Grund der asylrechtlichen Ausweisung das Bundesgebiet ohne seine Eltern zu verlassen hat, weil diese keine asylrechtliche Ausweisung erhalten haben, das also zu seiner Trennung von der Kernfamilie führen würde, würde den oben dargestellten Intentionen des Gesetzgebers bei Einführung des Familienverfahrens widersprechen und wäre ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben, für den - auch unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen - keine Rechtfertigung zu erkennen ist.

 

Um das vom Gesetzgeber intendierte und verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis zu erzielen, ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in einem Fall, in dem ein minderjähriger Asylwerber eine erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung erhalten hat, nicht aber seine Eltern (auf Grund der früheren Rechtslage vor der Asylgesetznovelle 2003), die erstinstanzliche Ausweisung in Bezug auf den Minderjährigen ersatzlos zu beheben (vgl. idS auch VwGH 9.4.2008, 2008/19/0205; 16.4.2008, 2007/19/0037).

 

Dementsprechend ist auch im vorliegenden Fall eine Ausweisung des minderjährigen Beschwerdeführers unzulässig, da eine Ausweisung seiner Mutter, deren Asylerstreckungsantrag abgewiesen wurde, nicht verfügt worden ist. Wie der referierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entnommen werden kann, ist es dem Asylgerichtshof verwehrt, eine (unterbliebene) Ausweisung einzelner Familienangehöriger mit Blick auf die Ausweisung der anderen Familienangehörigen "nachzutragen". Da aber die Durchführung der Ausweisung des minderjährigen Beschwerdeführers - mangels Ausweisung seiner Eltern - zu einer mit Art. 8 EMRK in Widerspruch geratenden Trennung der Familie führen könnte, war der Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides schon aus diesem Grund ersatzlos zu beheben.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 iVm § 67d AVG konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof unterbleiben, da der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war und sich insbesondere in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben hat, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer zu erörtern (im Verfahren der Eltern des Beschwerdeführers wurde eine Verhandlung durchgeführt).

Schlagworte
Familienverfahren, Glaubwürdigkeit, non refoulement, Spruchpunktbehebung-Ausweisung
Zuletzt aktualisiert am
20.04.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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