E2 312105-1/2008/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. HUBER-HUBER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. FAHRNER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2007, Zl. 05 20.768-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.03.2011 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 7 AsylG BGBl I. Nr. I. 101/2003 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 idF BGBl I. Nr. I 101/2003 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Entscheidungsgründe:
I. VERFAHRENSGANG:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: "BF"), ein iranischer Staatsangehöriger, reiste zunächst am 25.07.2005 über den Flughafen Wien mit einem gefälschten, auf einen türkischen Staatsangehörigen ausgestellten Reisepass nach Finnland und wurde am 28.11.2005 gemäß der Dublin II - Verordnung nach Österreich rücküberstellt. Er stellte anlässlich der Rücküberstellung am 28.11.2005 den gegenständlichen Asylantrag.
Zur Begründung seines Antrages gab der BF an, er sei im Iran verhaftet und für 2 Tage beim "Etelaat" (Geheimdienst) in Untersuchungshaft gewesen. Er wisse zwar nicht, ob gegen ihn ein Haftbefehl ausgestellt worden sei, jedoch werde er vom "Etelaat" gesucht. Grund für die Verhaftung sei seine Tätigkeit für die Partei "Hezb e Komola" in XXXX gewesen. Er habe bereits 2002 in XXXX/Irak erste Kontakte zu dieser Partei gehabt und in XXXX habe er dann für diese Partei Flugblätter verteilt und Hauswände mit Parteiparolen beschmiert. Parteimitglied sei er jedoch nicht gewesen. Am 13.07.2005 habe er an einer Demonstration wegen der Ermordung des Ghaderi Shenwaneh in XXXX teilgenommen. 2 Tage danach sei er festgenommen worden. Am zweiten Tag seiner Anhaltung sei er gefoltert worden. Dabei seien ihm die Hände in einer unangenehmen Haltung (eine Hand über der Schulter, die andere unterhalb der Schulter) mit Handschellen auf dem Rücken geschlossen worden. Die Beamten hätten von ihm Zusammenarbeit und Spitzeldienste durch Beschaffung von Informationen über die Organisatoren von Demonstrationen verlangt. Aufgrund der Misshandlung habe er auch eingewilligt, worauf er gegen Kaution - der Vater habe Besitzurkunden von seinem Wagen und einem Grundstück hinterlegen müssen - freigelassen worden sei. Sein Vater habe ihm dringend davon abgeraten, sein Volk zu verraten und ihm dann geholfen, das Land zu verlassen. Im Falle der Rückkehr sei sein Leben in Gefahr. Er würde entweder zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt werden.
Mit Eingabe vom 25.04.2005 legte der BF einen iranischen Personalausweis und ein Bestätigungsschreiben der Komala-Partei vor. Der BF führte auch an, dass er inzwischen von der Verhaftung seines Vaters, welche eine Woche nach der Flucht erfolgt war, erfahren habe. Dieser sei immer noch (am 25.04.2005) inhaftiert.
Bei der zweiten asylbehördlichen Vernehmung am 03.08.2006 wiederholte der BF im Wesentlichen sein Asylvorbringen und beantwortete Detailfragen. So gab er an, dass er über seinen Onkel mütterlicherseits, der in Finnland als Flüchtling anerkannt wurde, in Kontakt mit der Komala-Partei gekommen sei. Sein Onkel sei im Sommer 2002 in den Irak gereist, um dort zu heiraten. Sein Onkel sei selbst Mitglied dieser Partei und dieser habe ihn mit einem seiner Freunde bekanntgemacht, welcher dem BF wiederum angeboten hätte, für die Partei zu arbeiten. Ein anderer Onkel mütterlicherseits sei im Jahr 1367 wegen der kurdischen Sache hingerichtet worden. Der BF sei aber lediglich Sympathisant geblieben und nicht Parteimitglied geworden. Weiters ergänzte der BF, dass auch sein Vater zur Zeit der Revolution als "Kashmerga" für die kurdische Sache gekämmpft habe und 4 Monate in Haft gewesen sei, sich nach seiner Haftentlassung aber nicht mehr politisch betätigte.
Bei einer dritten asylbehördlichen Vernehmung am 27.04.2007 wurde der BF noch näher zur Partei "Komala" und seiner Beziehung zu ihr befragt.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2007, FZ: 05 20.768-BAW wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I 1997/76 (AsylG) idF BGBl I Nr. 101/2003, abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997, idF BGBl I Nr. 101/2003 zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde der BF gem. § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran ausgewiesen.
In der Begründung stellte das Bundesasylamt fest, dass der BF im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland keiner Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt ist. Es hätten auch keine Abschiebungshindernisse festgestellt werden können und es seien keine Umstände hervorgekommen, die einer Ausweisung des Bf entgegenstünden. Schließlich wurden Länderfeststellungen zum Herkunftsland des BF getroffen und in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass die Angaben des BF zu seiner Person glaubhaft seien. Die weiteren Angaben zum Ausreisegrund seien jedoch nicht stimmig und plausibel nachvollziehbar. Der BF hätte aufgrund der politischen Tätigkeit seines Vaters und seines Onkels bzw. bei dem politischen Hintergrund, über den die Familie angeblich verfügt, in der Lage sein müssen, sein politisches Verständnis näher darzulegen. Aus weiteren, im Bescheid näher dargelegten Gründen, sei es nicht glaubhaft, dass der BF auf die von ihm geschilderte Art und Weise für die "Hezb e Komala" tätig und deshalb Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Jedenfalls hätte er nicht eine derart exponierte oder vorrangige Stellung in der Partei inne gehabt bzw. sei er nicht für die Partei in einer solchen Weise tätig gewesen, dass daraus im Hinblick auf die Länderfeststellungen eine asylrelevante Verfolgung seitens der iranischen Behörden abzuleiten wäre.
Mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens könne dieses nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt werden und sei es daher zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen.
Aus der allgemeinen Lage im Herkunftsland und aus der persönlichen Situation des BF würden sich keine Anhaltspunkte für die Annahme eines Abschiebungshindernisses ergeben.
Ein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich liege nicht vor, der Aufenthalt des BF sei nur ein vorübergehender, die Ausweisung stelle daher keinen Eingriff in Art. 8 ERMK dar. Weitere private Umstände seien nicht ersichtlich, die für eine gegenteilige Entscheidung zu Gunsten des BF sprechen würden. Die Auweisung sei dringend geboten, um den rechtswidrigen Aufenthalt des BF, wobei es sich um eine Übertretung (des Gesetzes) mit nicht geringer Bedeutung handle, zu beenden.
Der Bescheid wurde dem BF am 07.05.2007 zu eigenen Handen zugestellt.
3. Gegen diesen Bescheid wurde am 15.05.2007 rechtszeitig das Rechtsmittel der Berufung (nunmehr: Beschwerde) eingebracht. Der Bescheid werde in seinem gesamten Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Mit der Beschwerdeschrift wird der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes im Einzelnen entgegengetreten und ausgeführt, die belangte Behörde verkenne, dass es sich bei der drohenden Verfolgung um eine dem Staat zurechenbare Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention handle. Wenn er in das Herkunftsland abgeschoben werden würde, müsste er mit der Festnahme rechnen und es drohe ihm die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder gar der Todesstrafe. Er könne auch Opfer eine extralegalen Tötung werden.
Mit Eingabe vom 24.05.2007 (OZ 2) legte der BF neuerlich ein Schreiben der "Komala-Partei (abroad)" vor, womit bestätigt werden soll, dass das bei der Erstinstanz vorgelegte Schreiben tatsächlich von dieser Partei stammt.
Mit weiterer Eingabe vom 22.09.2008 (OZ 10) legte der BF einen Arztbrief von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vor, aus dem sich beim BF die Diagnose: Depression und Psychosomatose (cephalen) ergibt.
Am 09.10.2009 wurde für den BF schriftlich Stellung genommen (OZ 11) und ausgeführt, dass er nunmehr christlich getauft werden wird. Er besuche regelmäßig seit etwa einem Jahr die XXXX. Seine Familie würde dies nicht gut heißen. Vor etwa 10 Tagen sei er von seinem Vater angerufen worden und dieser habe ihn als "kafer" bezeichnet und zum Vorwurf gemacht, dass er große Schande über seine Familie gebracht hätte. Sein Vater habe über Landsleute von der Hinwendung des BF zum Christentum erfahren. Der BF wäre nun auch der realen Gefahr einer Verfolgung aus religiösen Gründen ausgesetzt. Mit Eingabe vom 23. 11. 2009 (OZ 12) wurde die Taufbescheinigung vorgelegt, wonach der BF am XXXX bei der XXXX getauft worden sei. Mit einer weiteren Eingabe vom 19.01.2010 (OZ 13) wurde zur Kenntnis gebracht, dass der BF nun auch von seinem Onkel mit dem Vorwurf konfrontiert worden wäre, Schande über seine Familie gebracht zu haben. Der Onkel habe auch angekündigt, dass der BF im Falle der Rückkehr sicherlich getötet werden würde. Der BF habe daraufhin die Telefonnummer gewechselt. Eine weitere Beweismittelvorlage zur Taufe erfolgte mit Eingabe vom 29.06.2010 (OZ 15), womit ein Datenträger (DVD) mit Lichtbildern, einem Video und einer Audiodatei, sämtliche aufgenommen bei der Taufe des BF, dem Asylgerichtshof übermittelt wurde.
Schließlich wurde mit Eingabe vom 27.07.2010 (OZ 16) ein psychiatrischer Befund vorgelegt. Daraus ergibt sich die Diagnose:
ausgeprägte Anpassungsstörung, Spannungskopfschmerz
5. Der Asylgerichtshof hat für den 08.02.2011 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumt und dazu den BF, dessen Vertreter, einen Vertreter des Bundesasylamtes und einen Dolmetscher für die Sprache Farsi geladen. Da der Dolmetscher (kurzfristig entschuldigt) nicht erschienen war, musste die Verhandlung auf den 29.03.2011 vertagt werden. Die Verhandlung wurde schließlich in Anwesenheit des BF, seines bevollmächtigten Vertreters und des Dolmetschers durchgeführt. Ein Vertreter des Bundesasylamtes hat entschuldigt an den Verhandlungen nicht teilgenommen.
II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:
1. Beweis wurde erhoben durch:
Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt, Einvernahme des BF in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen, Einsichtnahme in die vom BF vorgelegten Stellungnahmen und Unterlagen.
2. Festgestellt wird nachstehender Sachverhalt:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:
Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und ist XXXX geboren. Er ist iranischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an, war bis ca. Herbst 2008 sunnitischer Moslem und bekennt sich nunmehr zum christlichen Glauben.
Er reiste zunächst unter türkischen Namen und Nationalität per Flugzeug über Wien nach Helsinki und verwendete dabei einen gefälschten türkischen Reisepass, den er nach der Ankunft in Helsinki vernichtete.
Der BF wurde am XXXX in der XXXX vom Gemeindeleiter getauft und ist damit formell einer christlichen Glaubensgemeischaft beigetreten. Ende 2008/Anfang 2009 wurde erstmals von einem iranischen Bekannten, der sich aufgrund eines Auswanderungsprogrammes der HIAS vorübergehend in Österreich aufhielt, in die XXXX mitgenommen. Er wurde dort vom Pastor V. angesprochen und gefragt, ob er sich näher für das Christentum interessiere. Daraufhin schenkte ihm der Pastor ein persisch-sprachiges Neues Testament der Bibel. In der Folge ging der BF regelmäßig zur XXXX und absolvierte dort auch einen sogenannten Alpha-Kurs, der von der XXXX angeboten wird, um neue Interessenten mit Wissen über den christlichen Glauben und dessen Grundsätzen vertraut zu machen. Am XXXX erfolgte schließlich die Taufe. Der Bf nimmt am Gemeindeleben teil und besuchte auch nach der Taufe regelmäßig die XXXX. Der Pastor bestätigt dem BF, dass er es mit dem Glaubenswechsel ernst nimmt. Zuletzt war der BF am Sonntag vor der Verhandlung - somit am 27.03.2011 - im Gottesdienst.
Demnach ist der BF seit mehr als 2 Jahren in die XXXX integriert. Er weist gute Kenntnisse der Bibel auf und kann über christliche Glaubensgrundsätze reden.
Im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland kann - ausgehend von den in das Verfahren eingeführten Länderdokumentationsquellen - nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF Verfolgung aus politisch-religiösen Motiven seitens staatlicher Organe droht. Der Asylgerichtshof geht daher vom Vorliegen eines Nachfluchtgrundes aus.
Bei der XXXX handelt es sich um eine kleine, protestantisch ausgerichtete Gemeinde in W., die nur 25 eingetragene Mitglieder hat. Die Gottesdienste werden meist von 60 bis 70 Personen besucht. Sie strebt die Aufnahme in die FCGÖ (Freie Christen Gemeinde Österreich) an, bei der es sich um eine eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft handelt. Der als Zeuge einvernommene Pastor rechnet mit der Aufnahme in die FCGÖ im September 2011.
2.2. Zum Herkunftsland:
Zur Feststellung der für den vorliegenden Fall relevanten Lage im Heimatland des BF wurde v. a. der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amtes Deutschland vom 27.02.2011 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage, COIR von Home Office vom 15.03.2011, Pkt. 3.12, Accord Anfragebeantwortung vom 23.05.2007, Jungle World Nr. 24 15.06.2005, "Rote Fahnen Schwarze Berge" und Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Komalah abgefragt am 28.03.2011, herangezogen und daraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen, die mit dem BF erörtert wurden:
Aktuelle Lage
Innenpolitisch beherrschend war in der zweiten Jahreshälfte 2010 die Subventionsreform von Grundnahrungsmitteln, Benzin, Gas, Wasser und Strom. Im Haushalt für das iranische Jahr 1389 (2010/2011) sind Einsparungen durch Subventionskürzungen i.H.v. ca. 20 Mrd. US-Dollar vorgesehen.
Eine unabhängige Aufarbeitung der Ereignisse nach der Präsidentenwahl hat aber nicht stattgefunden. Lediglich gegen einige Wärter des berüchtigten Kahrizak Gefängnisses (vgl. III. 4.) und gegen 33 Personen, die an dem Angriff auf ein Teheraner Studentenwohnheim am 16. Juni 2009 beteiligt waren, und bei dem mehrere Studenten getötet wurden, wurden Gerichtsverfahren eingeleitet.
Die in Oppositionskreisen diskutierte Möglichkeit einer "nationalen Versöhnung" scheint derzeit ausgeschlossen. Revolutionsführer Chamenei hat von seiner am 19.06.2009 gehaltenen Freitagspredigt, in der er den sogenannten "Unruhestiftern" mit dem Äußersten drohte, nichts zurückgenommen. Systematisch wurden elementare Rechtsgrundsätze der Verfassung, nationale Gesetze und die von Iran eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt. Das Vorgehen des Justiz- und Sicherheitsapparates war großteils von reiner Willkür geprägt. Zunehmende Parallelstrukturen, insbesondere in der iranischen Judikative und Exekutive, führen zu einer immer stärkeren Intransparenz, die Nachforschungen zu der Verletzung von Menschenrechten in Einzelfällen oder Ermittlungen von Gefangenen- und Hinrichtungszahlen stark erschwert oder unmöglich macht.
Demonstrationen der Opposition wie im Vorjahr, etwa zum Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft (04.11.2010), blieben aus. Der offene Widerstand der Oppositionsbewegung ist zum Erliegen gekommen. Es gibt jedoch Anzeichen, dass die Aktivitäten aus dem Verborgenen fortgeführt werden und anlassbezogen zu einem späteren Zeitpunkt wieder offen ausgetragen werden könnten. Revolutionsgarden, Polizei und Geheimdienste gehen äußerst systematisch vor, werten weiterhin Video- und Fotoaufnahmen von den Demonstrationen 2009/10, sowie die im Zuge der Unruhen von Verhafteten kopierten E-Mail-, Facebook, Twitter- und SMS-Inhalten aus. Sie konfiszieren bei neuen Verhaftungen weiterhin Mobiltelefone, Kameras und PC-Festplatten und nehmen anhand dieser Daten wiederum Verhaftungen vor. Dem engmaschigen Überwachungsnetz bleibt hierbei kaum ein Detail verborgen. In Gerichtsverfahren gegen politische Häftlinge wurde diesen mitunter ihr "belastender" E-Mailverkehr der vergangenen zweieinhalb Jahre vorgelegt.
Künstlerische, intellektuelle und zivilgesellschaftliche Freiräume bleiben unverändert stark eingeschränkt und werden überwacht. Die Meinungsfreiheit sowie einige Kunstformen sind stark eingeschränkt (insbesondere Tanz, weiblicher Gesang). Nur wenn Künstler und Intellektuelle sich an die vorgeschriebenen Regeln halten und sich z. B. ausdrücklich von den Unruhen nach den Wahlen 2009 distanzieren, zumindest aber unpolitisch verhalten, können sie ihrer Arbeit ohne größere Einschränkungen nachgehen. Sämtliche Publikationen, Theatervorstellungen, Musikveranstaltungen und Kunstausstellungen werden kontrolliert. Alle Kulturprogramme bedürfen der vorherigen Genehmigung durch das Ministerium für Kultur und islamische Führung (Erschad).
Organisation und Unabhängigkeit der Justiz
In der Normenhierarchie der Rechtsordnung des Iran steht die Scharia in der Form der Rechtsschule der Schia und in der Interpretation durch das Buch "Tahrir Al Wasileh" von Ayatollah Chomeini an oberster Stelle. Unterhalb der Scharia stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung zwar gehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden, aber im Zweifelsfall genießt die Scharia Vorrang. Das gesamte kodifizierte Recht wurde auf seine Vereinbarkeit mit der Scharia überprüft.
Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch erheblichen Einschränkungen. Wenn z. B. in einem Fall ein bestimmter Sachverhalt rechtlich nicht geregelt ist, muss ein Urteil aus islamischer Rechtsliteratur oder entsprechenden "fatwas" (islamische Rechtsgutachten) abgeleitet werden. Der Justizchef kann Richtlinien erlassen, nach denen die Gerichte urteilen müssen. Auch die Vorgehensweise zahlreicher Gerichte bei politischen Verfahren lässt darauf schließen, dass die Justiz in der Praxis nicht unabhängig ist, weder gegenüber der Exekutive noch gegenüber dem Revolutionsführer. Auch kommt es zu Korruption im Justizwesen; nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. Der Justizverwaltung kommt eine Schlüsselrolle als Mittler zu, sie nimmt u.a. die Gelder entgegen.
Grundsätzlich finden Verfahren mit politischem Bezug vor dem Revolutionsgericht statt, da die Anklage regelmäßig auf "Handlungen gegen die Sicherheit des Landes" lautet. Die Revolutionsgerichte sind mit besonders linientreuen Richtern besetzt; ihre juristische Kompetenz ist häufig unzureichend. Sie verfügen selten über eine juristische Ausbildung und müssen lediglich Seminare zum islamischen Recht besucht haben. Die Verfahren vor Revolutionsgerichten sind häufig kurz und summarisch, eine umfassende Überprüfung des Sachverhalts findet kaum statt, die Verteidigung hat oft kaum oder keine Zeit zur Vorbereitung und zur angemessenen Verteidigung des Mandanten. In vielen Fällen findet trotz gegenteiliger Anweisung des Chefs der Judikative keine oder nur eine mangelhafte Verteidigung durch einen Anwalt statt, so z.B. in den Schauprozessen gegen Oppositionelle und "Unruhestifter" im August 2009 und im Prozess gegen sieben Führungsmitglieder der Baha'i von Januar bis September 2010.
Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen
In Iran sind mehrere Tausend NROs tätig. Für die Regierung stellen diese Organisationen typisch westliche Institutionen dar, deren Arbeits- und Denkweise sich nicht auf eine islamisch geprägte Gesellschaft übertragen lassen. Nach Erkenntnissen der Botschaft Teheran kommt es in diesem Zusammenhang immer häufiger zu staatlichen Unterwanderungen von NROs durch gezieltes Einschleusen linientreuer Mitglieder oder zur Gründung von staatlich gesteuerten NROs. Ausländische Menschenrechtsorganisationen sind derzeit innerhalb Irans nicht tätig, sie beobachten die Situation aber von außen.Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen In Iran sind mehrere Tausend NROs tätig. Für die Regierung stellen diese Organisationen typisch westliche Institutionen dar, deren Arbeits- und Denkweise sich nicht auf eine islamisch geprägte Gesellschaft übertragen lassen. Nach Erkenntnissen der Botschaft Teheran kommt es in diesem Zusammenhang immer häufiger zu staatlichen Unterwanderungen von NROs durch gezieltes Einschleusen linientreuer Mitglieder oder zur Gründung von staatlich gesteuerten NROs. Ausländische Menschenrechtsorganisationen sind derzeit innerhalb Irans nicht tätig, sie beobachten die Situation aber von außen. Seit Einführung der Genehmigungspflicht durch das Nebengesetz über die "Gründung und Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen" 2006 operieren grundsätzlich alle verbliebenen, iranischen, Menschenrechtsorganisationen mit einer staatlichen Genehmigung. Die übrigen NROs sehen sich permanentem Druck ausgesetzt, sich nicht in Bereichen zu engagieren, die den staatlichen Standpunkten zuwiderlaufen. Fast vollständig zerschlagen wurde die iranische Menschenrechtsorganisation "Committee of Human Rights Reporters". Seit November 2009 wurden die wichtigsten Mitglieder der Gruppe, Shiva Nazar Ahari, Saeed Kalanaki, Saeed Jalalifar, Koohyar Goodarzi und Saeed Haeri, wiederholt verhaftet und vor Gericht vorgeladen. Nach Angaben der NRO wurde Mitgliedern mit "harter Behandlung" und Hinrichtung gedroht, falls man die Homepage der Gruppe nicht abschalte. Die Homepage wurde inzwischen abgeschaltet, gegen mehrere Mitglieder der Gruppe wurden mehrjährige Haftstrafen verhängt.
Die Tätigkeit von Menschenrechtsaktivisten kam seit Sommer 2010 durch Einschüchterung, zahlreiche Verhaftungen und die Verhängung mehrjähriger Haftstrafen fast zum Erliegen. Jede Äußerung, die in den Augen des Regimes zu weit geht, führt zu Repressalien oder zu Verhaftung. Im ersten Halbjahr 2010 waren zunächst Menschenrechtsverteidiger Ziel dieser systematischen Maßnahmen - im Anschluss insbesondere auch Anwälte und Juristen, die versucht hatten, Menschenrechtsverteidiger im Rahmen der geltenden iranischen Gesetze zu unterstützen und zu verteidigen.
Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden
Seit 1991 sind die islamischen Revolutionskomitees, die Polizei und die Gendarmerie zu einer einzigen Sicherheitsbehörde mit einheitlichem Befehlsstrang und einheitlicher Verwaltung verschmolzen.
Bei Straßenprotesten nach den Präsidentschaftswahlen 2009 ist es beim Einsatz von Sicherheitskräften zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit tödlichem Ausgang und einer Vielzahl von Verhaftungen gekommen. Seit 2005 gibt es eine klare Aufgabenverteilung und Zuständigkeitsregelung zwischen den einzelnen Polizeikräften (Kriminalpolizei, Sittenpolizei und Verkehrspolizei).
Das Sepah-Pasdaran-Corps ("Revolutionswächter") war unmittelbar nach der Revolution von 1979 zunächst als kleine Elitetruppe gegründet worden, um die Revolution gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen. Im Laufe des Krieges gegen den Irak entwickelte sich das Pasdaran- Corps neben dem regulären Militär zu einer zweiten Streitmacht, die heute in ihrer Bedeutung mindestens ebenso hoch wie das reguläre Militär einzuschätzen und moderner als dieses ausgerüstet ist.
Die sog. Bassij-Bewegung wurde 1980 von Chomeini mit dem Ziel gegründet, neben Militär und Sepah-Pasdaran eine bei Bedarf schnell mobilisierbare Volksmiliz zur Verfügung zu haben. Sie ist ein paramilitärischer Freiwilligenverband, der organisatorisch den Sepah-Pasdaran unterstellt und meist Moscheen angegliedert ist. Die Bassij-Organisation ist zweigeteilt. Die militärisch ausgebildeten und bewaffneten Einheiten der Bassij haben 2009 ihre Unabhängigkeit eingebüßt und sind in den Landstreitkräften der Pasdaran aufgegangen. Sie nehmen polizeiähnliche Aufgaben zum Schutz dieser Organisationen und Einrichtungen sowie zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit wahr. Die Angehörigen der Bassij-Milizorganisation hingegen sind ehrenamtlich tätig. Mitglieder ohne militärische Ausbildung erhalten von den Sepah-Pasdaran eine militärische Grundausbildung. Zu diesem Zweck werden sie in so genannten Aschura-Bataillonen zusammengefasst. Diese Bataillone kommen auch bei inneren Unruhen zum Einsatz.
Der Geheimdienst "Vezarat-e Etela'at" (Ministerium für Information) ist mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung illegaler politischer Gruppen beauftragt. Das Ministerium für Information ist aufgeteilt in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Der Inlandsgeheimdienst hat die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition. Er stellt eine engmaschige Überwachung der Bürger sicher, die potentiell für das Regime gefährlich werden könnten. Seine Mitglieder sitzen in den Ministerien und öffentlichen Behörden, in staatlichen und privaten Betrieben sowie in den Universitäten. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz. Ladungen zu Anhörungen beim Geheimdienst ergehen grundsätzlichnur mündlich. Vom Geheimdienst veranlasste Verhaftungen und Durchsuchungen erfolgen nach außen in der Regel aufgrund von Haftbefehlen, Durchsuchungsbeschlüssen u. ä. der Revolutionsgerichte oder schriftlicher Anordnungen der Sicherheitskräfte, niemals aber als solche des Geheimdienstes. Der Trakt 209 des Evin-Gefängnisses in Teheran untersteht der Kontrolle des Geheimdienstes.
Asylrelevante Tatsachen
1. Staatliche Repressionen
Große Teile der iranischen Bevölkerung sind von starken Repressionen betroffen, die zahlreiche Lebensbereiche betreffen und aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, politischer, künstlerischer oder intellektueller Betätigung oder aufgrund der sexuellen Orientierung erfolgen können.
Starke und umfassende Repressionen betreffen die nach der Präsidentenwahl entstandene politische Oppositionsbewegung, deren Anhänger sich mit systematischer Überwachung, Verhaftungen, und zum Teil monatelangem Freiheitsentzug konfrontiert sehen. Seit Sommer 2010 richteten sich systematische Repressionen in immer stärkeren Maße gegen Menschenrechtsverteidiger und - aktivisten (vgl. Abschnitt I. 4.). Mitglieder der Oppositionsbewegung wurden für ihre Betätigung zum Tode verurteilt. Hinweise auf Misshandlungen, Folterungen und Vergewaltigungen von inhaftierten Oppositionellen, die in den Monaten nach der Wahl zahlreich vorgekommen sind, ebbten spätestens nach dem Revolutionstag am 11. Februar 2010 ab und beschränkten sich danach auf Einzelfälle. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass dies auch Folge der vielfachen Einschüchterungsmaßnahmen des Regimes ist, durch die jeder, der solche Vorwürfe öffentlich erhebt, mit Repressalien und Verhaftung für sich und seine Angehörigen rechnen muss. Eine Aufarbeitung der massiven Vorwürfe fand nicht statt und ist auf absehbare Zeit auch nicht zu erwarten.
Die Anzahl der für politische Betätigung verhängten Todesstrafen sowie die Anzahl der insgesamt vollstreckten Todesstrafen sind weiterhin hoch (vgl. Abschnitt III.3.). Die Todesstrafe wird von dem Regime in Zeiten politischer Unruhe gezielt als Mittel genutzt, die Opposition und Andersdenkende einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Erstmals wurden Ende Januar 2010 zwei Oppositionelle, die in den Schauprozessen im August 2009 auf der Anklagebank saßen, hingerichtet (Arash Rahmani-Pour und Mohammad-Reza Ali Zamani). Der Tatvorwurf lautete auf "Mohareb" ("Feindschaft gegen Gott"). Gegen mehrere weitere der Angeklagten wurden Todesurteile verhängt, aber bisher nicht vollstreckt.
Politische Opposition
Jede aktive politische Betätigung, die erkennbar den Sturz des Regimes oder des islamischen Systems zum Ziel hat, wird strikt verfolgt. Als Grundlage dienen hierfür die Artikel 183 bis 196 des iranischen Strafgesetzbuchs (iStGB) über die Bestrafung wegen "Mohareb" und "Korruption auf Erden" ("Mofzed bil Arz"). Unter beide Tatbestände werden von der durch die Exekutive beeinflussten Justiz beliebige Sachverhalte gefasst.
Auch einige zu den "Staatsschutzdelikten" zählende Straftatbestände (insbesondere Art. 498 bis 515 iStGB) sehen z.T. harte Strafen für gegen das Regime gerichtete Aktivitäten vor, die bei Vorliegen der genannten Erschwerungsgründe ("Mofzed bil Arz" oder "Mohareb") bis zur Todesstrafe reichen. Hervorzuheben sind dabei Art. 513 und 514 iStGB, die die Beleidigung des Islam, des Propheten bzw. der Revolutionsführer unter Haftstrafe und - falls der Tatbestand der Blasphemie ("Sab-on-Nabi") vorliegt - unter Todesstrafe stellen. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches - insbesondere das Prinzip der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" - richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können wegen Spionage belangt werden.
Oppositionelle und politische Aktivisten sind nach wie vor starker Verfolgung ausgesetzt. Hiervon betroffen sind Angehörige vieler Gesellschaftsgruppen, darunter Journalisten, Studenten, Akademiker, Juristen und Künstler, soweit sie in Fällen mit politischen Dimensionen aktiv werden. Das Regime geht gezielt gegen Personen oder Gruppen vor, die in irgendeiner Weise Informationen zu Menschenrechtsverletzungen in Umlauf bringen, oder sich für die Opfer einsetzen, z.B. als Verteidiger in Gerichtsverfahren. Zahlreiche prominente Aktivisten wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen führen. Zu diesen verbotenen Organisationen zählen vor allem links orientierte Organisationen - z. B. Mudjahedin-e-Khalq (MEK oder MKO, Volksmudschaheddin), frühere Tudeh-Partei, Fedayin-e-Khalq - und Kurdenparteien (z.B. DPIK, Komalah) und -organisationen (PJAK).
Insbesondere gegen Mitglieder der Volksmudschaheddin wurden Strafen auch wegen der bloßen Mitgliedschaft in der Organisation verhängt.
2009/10 erhöhte sich im Zuge der "Zweiten Kulturrevolution" der Druck auf die Hochschulen. Akademiker, die sich kritisch über das Regime äußerten, waren Repressalien ausgesetzt oder wurden verhaftet oder frühpensioniert.
Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Obwohl die Presse- und Redefreiheit in der Verfassung verankert sind, werden sie durch die Kriminalisierung öffentlicher Äußerungen und öffentlichen Handelns für die Oppositionsbewegung bis in den Kernbereich eingeschränkt. Durch Vorgabe sogenannter "roter Linien" für die Berichterstattung erfolgt Zensur vor der Publikation bzw. nachträglich durch Verwarnungen und ggf. Schließung von Medien. Regierungskritische Zeitungen müssen durch den eingeschränkten Zugang zu Papiersubventionen und zum Anzeigengeschäft zudem massive Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen.
Die härtere Vorgehensweise des Kulturministeriums gegen regimekritische Medien hält weiterhin an. In immer kürzeren Abständen werden iranische Medien verwarnt, die von der vorgegeben Linie abweichen. Hintergrund dürfte neben entsprechenden personellen Veränderungen innerhalb des Ministeriums auch die zunehmende informelle Einflussnahme anderer Stellen, z.B. des Geheimdienstes, sein. Die wenigen offiziell noch zugelassenen regierungskritischen Medien sind unmittelbar von der Schließung bedroht und sind zunehmend verunsichert, welche Beiträge noch erlaubt sind und welche nicht. Die Folge sind in vielen Fällen Selbstzensur und eine erhöhte Zurückhaltung bei Kommentaren und Leitartikeln.
An sensiblen Daten wie z.B. dem Tag der Studenten am 07. Dezember 2009 und zum Ashura-Fest am 27. Dezember wurden zahlreiche iranische Journalisten verhaftet.
Auch Blogger können nicht frei arbeiten und werden systematisch verfolgt. Wiederholt hatten führende Politiker betont, sie sähen sich mit einem "Kulturkrieg" des Westens gegen Iran konfrontiert, den es insbesondere im Internet auszufechten gelte.
Auch Regisseure und Filmemacher hatten mit Repressalien zu kämpfen, wenn ihre Tätigkeit von den Vorgaben des Regimes abwich.
Der Empfang von ausländischen Satellitenprogrammen ohne spezielle Genehmigung war bereits vor der Wahl illegal. Der Besitz von Satellitenschüsseln ist dennoch vor allem in den Städten weit verbreitet und wird durch die Behörden zumeist geduldet. Seit den Präsidentschaftswahlen 2009 werden diese Programme jedoch unter Einsatz von Störsendern immer wieder blockiert. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien konzentriert sich zunehmend auch auf das Internet. Jeder, der regimekritische Äußerungen im Internet hinterlässt, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyber-Krieg" gegen das Land führen zu wollen. Seit dem Erlass eines Gesetzes gegen Cyberkriminalität im Juli 2009 ist u. a. "jede Verbreitung von Propaganda gegen die Staatsordnung" strafbar. Zudem wurde die Vorratsdatenspeicherung eingeführt.
Die Überwachung persönlicher Daten ist zwar ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten, wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, kann hiervon aber abgesehen werden. Am 13.11.2009 gab der Leiter der Abteilung für Verbrechensbekämpfung im Internet bekannt, dass eine Sondereinheit zur Überwachung des Internets gegründet werde. Bei der Einheit handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine neu gegründete Einheit der Pasdaran (vgl. I 5.). Diese Einheit solle künftig Bereiche wie Betrug, Beleidigung, illegale Werbung und falsche Behauptungen im Netz genau überwachen. Im Fadenkreuz stehen sämtliche oppositionellen Seiten und Blogs. Nach den Ashura-Unruhen wies der Teheraner Polizeichef die Opposition darauf hin, sie "sollte sich darüber im Klaren sein, wohin sie ihre E-Mails und SMS versendet, da diese Systeme überwacht werden." Mitte März 2010 wurde der Sondereinheit ein erster Erfolg attestiert, als ein Schlag gegen einen vermeintlichen im Internet agierenden Verschwörerring bekannt gegeben wurde, bei dem 30 Personen verhaftet wurden. Bisher wurden nur wenige Informationen zum Verbleib oder zu Entlassungen dieser Personen bekannt gegeben.
Praktisch alle oppositionellen Webseiten werden durch die Behörden "gefiltert", sodass alle gelisteten
Seiten mit Schlüsselwörtern wie z.B. "free" oder "sex" nicht mehr zugänglich sind. Politische Seiten, z.B. die der unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Karrubi und Mussawi, werden gezielt gesperrt.
Die in der Verfassung garantierte Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wird nur sehr eingeschränkt verwirklicht. Ohne Genehmigung ist eine öffentliche Versammlung illegal. Da Demonstrationen der Opposition seit den Wahlen nicht mehr genehmigt wurden, gehen Polizei und Sicherheitskräfte unter Einsatz von Gewalt dagegen vor. Bei Demonstrationen der Regierungsunterstützer werden hingegen Anreize gesetzt und Druck ausgeübt, um eine hohe Teilnehmerzahl zu gewährleisten. Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung und Schüler werden mitunter zur Teilnahme gezwungen. Zudem kündigte der Teheraner Polizeichef im Nachgang zu den Wahlen an, öffentliche Plätze mit Überwachungskameras auszustatten, um so illegale Demonstrationen verfolgen und auflösen zu können. Noch mehrere Monate nach einzelnen Demonstrationen der Opposition wurden Fotos von Teilnehmern in Zeitungen veröffentlicht mit dem Aufruf an die Bevölkerung, der Polizei Informationen über diese Personen weiterzugeben. Es ist davon auszugehen, dass viele dieser Fotos von Festplatten oder Mobiltelefonen stammen, die von der Polizei von verhafteten Demonstranten beschlagnahmt wurden.
Gewerkschaften können gemäß Verfassung gegründet werden, müssen jedoch vom Haus der Arbeiter, einer staatlich finanzierten Organisation ohne Eigenständigkeit, und dem Innenministerium genehmigt werden. Es besteht daher kein unabhängiges Gewerkschaftssystem in Iran. Es gibt ein Streikrecht.
Diskriminierung von Minderheiten
Angehörige von Minderheiten machen insgesamt knapp die Hälfte der iranischen Bevölkerung aus. Der Anteil der vorwiegend im Nordwesten Irans lebenden türkischsprechenden Aseris an der Bevölkerung beträgt ca. 22 %. Kurden, Gilaki und Mazandarani, Araber, Turkomanen, Luren, Belutschen, Zaza sowie Armenier, Assyrer, Georgier und Juden bilden weitere ca. 27 % der Bevölkerung (vgl. Anlage 2).
Für staatliche Repressionen gegenüber den vorwiegend an der Grenze zum Irak und zur Türkei lebenden Kurden (ca. 7 % der Bevölkerung) allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit gibt es keine Anzeichen. Kurden werden in größerer Zahl in hohe Ämter der Provinzverwaltungen berufen. Gleichzeitig bleiben aber Regierungsversprechen, etwa Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen und Universitäten einzurichten, unerfüllt. Es gibt zunehmend Hinweise auf Diskriminierung von in Iran lebenden Kurden hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, in den Fällen, in denen die Zentralregierung separatistische Tendenzen vermutet. Dies wird in den letzten Jahren zunehmend umfassender ausgelegt. In diesem Zusammenhang wurden kurdischsprachige Publikationen verboten (u.a. Payam-e Kurdistan, Karaftoo, Rougehelat, Havar) und politisch aktive Studenten in Kurdistan aufgrund ihrer Tätigkeit exmatrikuliert.
Der bekannte kurdische Autor und Dichter Behzad Kordestani wurde am 25. August 2010 verhaftet und befindet sich seitdem in Einzelhaft. Nach einer zuverlässigen, wenn auch nicht abschließenden, Zählung der niederländischen Botschaft von Anfang Juni 2010 waren unter 49 in Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl 2009 ausgesprochenen Todesurteilen 24 kurdischer Zugehörigkeit. Ihnen wird zumeist "Mohareb", Kampf gegen Gott, oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (PJAK, "Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê" - Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans, einem direkten iranischen Ableger der türkischen PKK) vorgeworfen. Am 09.05.2010 wurden in Teheran fünf Kurden, darunter der Gewerkschafter und Kurdischlehrer Farzad Kamangar, wegen Mitgliedschaft in der PJAK hingerichtet. Den Hinrichtungen folgten heftige Proteste in den von Kurden bewohnten Landesteilen. Iran hat mit der Türkei eine Sicherheitskooperation beschlossen zur Bekämpfung der aufständischen türkischen PKK und PJAK. Die PJAK liefert sich seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden und führt gezielte Anschläge auf die Pasdaran - mit zahlreichen Toten - durch. So gab es zuletzt am 22. September 2010 einen Anschlag auf eine Militärparade nahe der hauptsächlich von Kurden bewohnten Stadt XXXX, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Es gibt regelmäßige glaubwürdige Berichte über Schießereien und Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und Sicherheitskräften in der Provinz Kurdistan. Bei einem bewaffneten Überfall auf einen Polizeikonvoi wurden in der Provinzhauptstadt Sanandaj am 7. Oktober 2010 vier Polizisten und ein Zivilist getötet. Am 12. August 2010 waren bei der Ortschaft Orumiyeh in der Provinz West Azerbaijan drei Soldaten getötet worden. Einer der Führer der PJAK ist der in Deutschland lebende Haji Ahmadi. Anfang Juni 2010 drangen iranische Truppen auf der Jagd nach PJAK-Kämpfern mehrmals ca. drei Kilometer in irakisches Territorium ein.
Einzelne kurdische Gruppierungen, denen die Regierung separatistische Tendenzen unterstellt, stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte. Hierzu zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK). Diese wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die vom Irak aus das Regime bekämpft. Festnahmen und Verurteilungen zu hohen Gefängnisstrafen (einschließlich der Todesstrafe) gegen mutmaßlich radikale Mitglieder kommen weiterhin vor. Prominentestes Beispiel ist der am 11. November 2009 gehängte Ehsan Fattahian. Erstinstanzlich zu zehn Jahren Haft verurteilt, verhängte das Berufungsgericht gegen ihn die Todesstrafe wegen Handlungen gegen die nationale Sicherheit. In einem Brief, den er zwei Tage vor seiner Hinrichtung geschrieben hatte, gab er an, dass seine Strafe erhöht wurde, weil er sich geweigert habe, vor laufender Kamera Verbrechen einzugestehen, die er nicht verübt hatte. Im September 2009 waren mehrere regierungstreue Vertreter in der Provinz Kurdistan Opfer von Anschlägen geworden, z.B. der Vertreter Kurdistans im Expertenrat, Mamossta-Mohammad Sheikh-Ul-Islam.
Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis
Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Es ist kodifiziert im "Gesetz über die islamischen Strafen" vom 30. Juli 1991. Dieses Gesetz ist in fünf Bücher unterteilt, nämlich:
1. Allgemeines
(Artikel 1 bis 62), 2. Hudud-Strafen - im Koran geregelte Straftaten - (Artikel 63 bis 203), 3. Qisas-Strafen - Vergeltungsstrafen - (Artikel 204 bis 293), 4. Diyeh: Blutgeld (Artikel 294 bis 497) und
5. Taazirat-Vorschriften, d.h. nicht auf religiöse Quellen zurückgehende Strafnormen (Artikel 498 bis 728). Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen.
Das iranische Strafgesetzbuch (iStGB) wird derzeit erneuert. Ein Entwurf des neuen Strafgesetzbuches befindet sich seit Anfang 2010 im Gesetzgebungsverfahren. Der Entwurf des Gesetzes wurde am 19. Januar 2010 vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen und an den Wächterrat weitergeleitet, der dem Gesetz zustimmen oder Änderungsvorschläge unterbreiten muss. Den ersten Teil des Gesetzesentwurfes hat der Wächterrat mit Änderungsvorschlägen an das Parlament zurückgesandt, die Prüfung des zweiten Teils dauert noch an. Ein Vertreter des Justizministeriums teilte mit, dass mit der Bearbeitung der Änderungsvorschläge des Wächterrates nach dem Ende der Sommerpause am 15.08.2010 begonnen worden sei. Obwohl der Entwurf bisher nicht veröffentlicht wurde, scheinen sich nach zuverlässigen Informationen einige wichtige Änderungen herauszukristallisieren. Demnach ist davon auszugehen, dass der Wegfall der Strafbarkeit des Ehebruchs, der bis dato die Todesstrafe durch Steinigung nach sich zieht, und ein neuer Straftatbestand des politisch ideologisierten Kampfes gegen den Staat, der mit der Todesstrafe bestraft würde, zu den wichtigsten Neuerungen gehören. Keine Änderungen sind bei den Straftatbeständen Korruption auf Erden ("Mofzed bil Arz"), Kampf gegen Gott ("Mohareb") undVerleugnung / Beleidigung des Propheten zu erwarten. Für diese Straftatbestände ist weiterhin die Todesstrafe vorgesehen.
Ein in früheren Entwürfen aufgenommener Straftatbestand der Apostasie scheint jetzt aus dem Entwurf gestrichen worden zu sein. Ob diese Änderungen tatsächlich Einzug in das neue iStGB finden werden, bleibt abzuwarten. Ein Ende des Gesetzgebungsverfahrens ist noch nicht absehbar.
Die Strafverfolgungspraxis ist insbesondere in Bezug auf politische Überzeugungen diskriminierend. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die teils auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge dürfen beim Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten werden. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, teils weil ihnen das Recht verwehrt wird, teils weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten, z. B. Spionage für das Ausland, Sexualdelikte, Korruption. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat oft unverhältnismäßig hoch.
Daneben kommt es zu zahlreichen weiteren Verstößen gegen Verfahrensrechte. In mehreren dem Auswärtigen Amt bekannt gewordenen Fällen - insbesondere mit politischem Hintergrund - wurde den Angeklagten der Zugang zu Anwälten über längere Zeit erschwert bzw. unmöglich gemacht.
Auch Familienangehörige von Oppositionellen werden häufig Opfer von staatlichen Maßnahmen wie Schikanierungen und Drohungen, kurzzeitige Festnahmen, Mißhandlungen und Haftstrafen. Damit scheint die Regierung zu bezwecken, einerseits die Familienangehörigen so einzuschüchtern, dass sie das Schicksal ihrer Verwandten nicht öffentlich machen, andererseits aber auch die politischen Aktivisten dazu zu bewegen, sich den Behörden zu stellen bzw. zu kooperieren. Insgesamt haben Übergriffe auf Familienangehörige von Oppositionellen seit der Präsidentschaftswahl 2009 deutlich zugenommen.
Zur Menschrechtsituation:
Schutz der Menschenrechte in der Verfassung
Die iranische Verfassung vom 15.11.1979 sieht in den Schranken der islamischen Glaubensund Rechtsordnung die Gewährung umfangreicher Menschenrechte und den Schutz von Grundfreiheiten vor. Der menschenrechtlich relativ hohe Normenbestand des geltenden iranischen Rechts, einschließlich des Katalogs der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wirkt in gewissem Maß auf die Rechtsanwendung ein. Allerdings müssen alle Gesetze, auch die Verfassung, im Einklang mit islamischen Prinzipien stehen und sind daran zu messen (Art. 4, Art. 91 der iranischen Verfassung). Dies bedeutet u.a., dass nach iranischer Rechtsauffassung die Verhängung und Vollstreckung von Körperstrafen und der Todesstrafe im Einklang mit schiitischem Recht steht und die rechtlich unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau im Prozess-, Straf-, Familien- und Erbrecht kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellt. Die Menschenrechtssituation wird wesentlich von der klerikal beherrschten und reformfeindlichen Justiz und nachrichtendienstlichen Strukturen bestimmt. In der Praxis bleibt sie unverändert unbefriedigend und verschlechtert sich tendenziell weiter. Anfang 2006 hat sich mit Unterstützung von Religionsführer Khamenei ein neuer Rat für Menschenrechte ("National Council on Human Rights") unter Leitung Shahroudis und Mohammed Javad Larijanis formiert, in dem die wichtigsten Ressorts (Außen, Innen, Justiz, nformation, Sicherheit) sowie andere relevante Organisationen (z.B. oberster Polizeichef) vertreten sind. Der Rat übt nach eigenen Angaben die Koordinierung wichtiger Angelegenheiten in Menschenrechtsfragen aus, kooperiert aber nicht mit NROs. Die Spielräume für in der Menschenrechtsarbeit tätige Nichtregierungsorganisationen haben sich weiter verengt, nachdem ein Ausführungsgesetz vom 01.08.2005 zu dem dritten Fünf-Jahres-Entwicklungsplan, der die Bildung und Unterstützung von NROs einführte, die Finanzierung solcher NROs vom Geheimdienst durchleuchten lässt. Der Kontakt zu ausländischen Beobachtern wurde darüber hinaus in vielen Fällen kriminalisiert. Iran hat folgende VN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
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Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,
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Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
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Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung,
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Übereinkommen über die Rechte des Kindes,
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Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.
Zu der VN-Kinderrechtskonvention hat Iran erklärt, dass es sich vorbehält, Rechte aus dieser
Konvention nicht anzuwenden, wenn sie mit islamischen Rechtsvorschriften oder dem geltenden iranischen Recht nicht in Einklang stehen (sog. "Schariah-Vorbehalt"). Einige Staaten (darunter auch Deutschland) haben wegen der Unbestimmtheit des Vorbehaltes, der mit den Zielen der Konvention nicht vereinbar sei, Einspruch eingelegt.
Folter
Jede Art von Folter oder unmenschlicher Behandlung ist explizit in der Verfassung (Art. 38) und einfachgesetzlich verboten. Zur Anwendung von Folter oder unmenschlicher Behandlung kommt es jedoch insbesondere mit dem Ziel der Erzwingung von Geständnissen im Vorfeld des eigentlichen strafrechtlichen Verfahrens. Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran umfassen in diesen Fällen seelische Folterung (Augenverbinden, Herbeiführung einer einschüchternden Atmosphäre, Dunkelzelle, Kontaktsperre, Schlafentzug, sensorische Deprivation) und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung (Schläge, Schläge mit
Kabeln auf Rücken und Fußsohlen, Vergewaltigung, Verbrennungen mit Zigaretten, Verharrenlassen in unnatürlichen Haltungen, Zusammenpferchen auf kleinem Raum, Geräuschterror, Todesdrohungen, Beleidigungen sowie Fehlen von notwendiger Hygiene und
mangelhafte Ernährung).
Todesstrafe
Die Todesstrafe kann nach iranischem Recht für eine große Zahl von Delikten verhängt werden:
Mord, Rauschgiftschmuggel, terroristische Aktivitäten, Staatsschutzdelikte - darunter auch bewaffneter Raub, Straßenraub, Teilnahme an einem Umsturzversuch, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islam oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und andere Sexualstraftaten, u.a. weibliche und männliche Homosexualität, Ehebruch, Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin. Nach offiziellen Angaben wird die Todesstrafe überwiegend für Drogendelikte verhängt. Mitte des Jahres 2007 hat das iranische Parlament beschlossen, in das iranische Strafgesetz einen Tatbestand aufzunehmen, der für die Mitarbeit an oder Produktion von pornographischen Filmen die Todesstrafe vorschreibt. Seit Juli 2008 widmet sich das Parlament verstärkt einer Gesetzesvorlage, die die Ausdehnung der Todesstrafe auf Delikte wie Apostasie, Straßenraub, bewaffneten Raub, Vergewaltigung, Gründung einer Vereinigung zur Verbreitung unsittlichen Verhaltens, Unruhestiftung, Entführung und die Gründung von unsittlichen Weblogs vorsieht.
Die Todesstrafe wird nicht immer vollstreckt. An religiösen Feiertagen oder zum iranischen Neujahrsfest werden auch zu langen Freiheitsstrafen Verurteilte begnadigt.
In absoluten Zahlen weniger auffällig, aber höchst alarmierend sind die Hinrichtungen wegen "Mohareb" (vgl. Abschnitt II.1.1.). Insbesondere vor dem Hintergrund der Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen und der Schauprozesse mit zahlreichen Anklagen und Verurteilungen wegen "Mohareb" ist diese Entwicklung höchst bedenklich. Der Tatbestand ist rechtlich betrachtet sehr offen formuliert und eignet sich in besonderem Maße für einen Missbrauch in politischen Schauprozessen. Berichten von Exiliranern und unabhängigen Menschenrechtsbeobachtern zu Folge soll es sich bei zahlreichen wegen Delikten wie Drogenhandel hingerichteten Personen tatsächlich um politische Aktivisten gehandelt haben. Angesichts der latenten Intransparenz des iranischen Gerichtswesens erscheinen solche Berichte durchaus glaubwürdig.
Seit Januar 2008 ist die öffentliche Vollstreckung von Hinrichtungen aufgrund eines Erlasses des damaligen Chefs der Justiz Ayatollah Sharoudi grundsätzlich untersagt. Dennoch gab es weiterhin öffentliche Hinrichtungen: im Jahr 2010 wurden bis Dezember sieben bekannt (im Jahr 2009: 14). Eine weitere fand am 05.01.2011 in Teheran statt. Die Entscheidung über die Art der Vollziehung der Todesstrafe obliegt dem erkennenden Richter. Von offizieller iranischer Seite war seit 2002 wiederholt bekanntgegeben worden, der Vollzug der Todesstrafe durch Steinigung sei qua Moratorium ausgesetzt. Laut Informationen von Amnesty International verkündete im Januar 2009 Justiz-Sprecher Jamshidi, das Moratorium entfalte keine rechtliche Bindung und könne ignoriert werden. Ein offizielles Moratorium liegt auch nach Angaben des Außenministeriums nicht vor. In den Jahren 2008 und 2009 fanden Steinigungen statt, wie Jamshidi bestätigte, ohne hierzu jedoch Namen zu nennen.
Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen, Haftbedingungen
Es sind Fälle von Bestrafung durch Verstümmelung bekannt geworden, die für Vergeltungsdelikte ("Qisas, s.o. II 1.5."), Diebstahl und für "Mohareb" angeordnet werden können. Da der dem Täter zugefügte Schaden in "Qisas"-Fällen auf keinen Fall größer sein darf als der vom Opfer erlittene, sehen Richter in diesen Fällen oft von der Vollstreckung der Amputation ab und versuchen die Fälle anders beizulegen (z.B. durch Zahlung von Blutgeld). Das iStGB sieht in Art. 201 bei erstmaliger Verurteilung die Abtrennung von vier Fingern der rechten Hand vor, bei erneuter Verurteilung Amputation des linken Fußes. Offizielle Zahlen zu vollstreckten Strafen liegen nicht vor.
Peitschenhiebe werden häufig und regelmäßig als Strafe verhängt. Insbesondere der Konsum von Alkohol wird - in ländlichen Gegenden - mit Auspeitschung bestraft. Vor allem bei weniger schwerwiegenden Fällen soll es zuverlässigen Berichten zufolge möglich sein, die Peitschenhiebe durch Zahlung einer Ersatzgeldstrafe zu vermeiden. Die Entscheidung darüber fällt in das Ermessen des zuständigen Richters. Ersatzgeldstrafen gibt es nicht für Wiederholungstäter.
Es gibt weiterhin willkürliche Festnahmen und lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil.
Die Haftbedingungen für politische und normal-kriminelle Häftlinge weichen voneinander ab.
Politische Gefangene, insbesondere aus Kreisen der Opposition, haben größtenteils unter absolut menschenunwürdigen Haftbedingungen zu leiden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat bestätigt, dass es im Südteheraner Gefängnis Kahrizak zu Folter, Vergewaltigungen und mehreren Todesfällen gekommen ist.
Situation für Rückkehrer
1.1. Grundversorgung
Die iranische Wirtschaft setzt sich aus den Sektoren Industrie und Bergbau (17,4 %), Öl (27,0 %) Dienstleistungen (ca. 48,5 %) und Landwirtschaft (ca. 10,2 %) zusammen. Das Bevölkerungswachstum beträgt nach Angaben des Internationalen Währungsfonds derzeit ca. 2,5 % Die Analphabetenrate lag im November 2009 bei 23 %; aktuellere Angaben sind nicht verfügbar. DasBruttoinlandsprodukt betrug 2009/10 Schätzungen zufolge umgerechnet 367 Mrd. USD (entspricht ca. 11.478 USD je Einwohner). Die Inflationsrate betrug in den letzten zwölf Monaten bis zum 22. August 2010 9,6 %.
Die Situation am Arbeitsmarkt bleibt schwierig. Die Arbeitslosenquote lag nach Angaben des Arbeitsministeriums im August 2010 bei 14,6 %. Einige größere Unternehmen sind mit den Lohnzahlungen teilweise mehrere Monate im Rückstand. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch. Insbesondere jungen Akademikern bietet der Arbeitsmarkt oftmals keine berufliche Perspektive. Eine Arbeitslosenversicherung besteht nur in einigen Regionen und Berufsfeldern.