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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des B K in S, geboren am 4. Mai 1973, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Februar 2000, Zl. 210.864/0-V/13/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien, reiste am 3. Februar 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag wegen ihm drohender Verfolgung seitens der serbischen Behörden die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 23. Juni 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab; zugleich sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die Bundesrepublik" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. In der Folge erstattete er mit Schriftsatz vom 26. August 1999 eine Berufungsergänzung und gab über Vorhalt des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) "über die derzeitige Lage im Kosovo" mit Schriftsatz vom 22. Dezember 1999 eine (kurze) Stellungnahme ab.
Am 16. Februar 2000 führte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durch. Eingangs derselben legte der Beschwerdeführer eine von seinem Rechtsvertreter verfasste weitere Stellungnahme vom 15. Februar 2000 samt Beilagen vor.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2000 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die unter internationaler Verwaltung stehende, vormalig autonome Provinz Kosovo (Bundesrepublik Jugoslawien) zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Einleitend sei zunächst auf das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359, verwiesen, demzufolge die vom Beschwerdeführer in erster Instanz geltend gemachte Verfolgung seitens serbischer Behörden wegen Änderung der Verhältnisse im Kosovo seit dem 20. Juni 1999 als nachhaltig unwahrscheinlich anzusehen ist. Das schließt es freilich nicht aus, dass dem Beschwerdeführer aus anderen, auf die nunmehrige Ordnungsmacht bezogenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Im Zuge des Berufungsverfahrens hat der Beschwerdeführer seine Flüchtlingseigenschaft u.a. damit begründet, dass er "zur Gruppe der Wehrdienstverweigerer" zähle, weshalb er ungeachtet der Veränderungen im Kosovo im Fall einer Rückkehr mit Gefährdungen rechnen müsse. Näherhin führte er in der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2000 vorgelegten Stellungnahme unter Verweis auf ein beigelegtes Gutachten des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte vom 30. Dezember 1999 aus, dass insbesondere in ländlichen Gebieten Männer im wehrfähigen Alter, die sich geweigert hätten, an den militärischen Aktivitäten der ehemaligen UCK teilzunehmen, mit Verfolgungsmaßnahmen von Seiten der UCK rechnen müssten; er habe sich während des Krieges in Österreich aufgehalten und sich dem militärischen Kampf der UCK nicht angeschlossen. (Im erwähnten Gutachten werden verschiedene Gruppen von Kosovo-Albanern angeführt, für die eine Gefährdungssituation vorliegen kann. Neben anderen wird die Gruppe der "Wehrdienstverweigerer" genannt, wozu es (Seite 26 des Gutachtens) heißt:
"UNHCR nennt als eine weitere Gruppe von Kosovo-Albanern, die nun möglicherweise Verfolgung aus den in der GFK angeführten Gründen befürchten muss, Männer im wehrfähigen Alter, die sich geweigert haben an den militärischen Aktivitäten der ehemaligen UCK teilzunehmen, insbesondere wenn sie aus ländlichen Gebieten stammen. OSZE hat den Fall eines 16jährigen und eines 24jährigen Kosovo-Albaners dokumentiert, die Anfang Oktober 1999 von maskierten Männern entführt und misshandelt worden sind. Sie waren während des Konfliktes in Deutschland aufhältig gewesen und wurden von ihren Entführern beschuldigt, während des Krieges von der UCK desertiert zu sein.")
Zum Themenkomplex "Wehrdienstverweigerung" befragt gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, er und sein Bruder hätten im Juni 1998 von der UCK eine Ladung bekommen; es habe im Dorf eine Versammlung stattgefunden, bei der gesagt worden sei, dass die jungen Männer der UCK beitreten sollten; dabei seien mehrere Namen erwähnt worden, darunter auch der Name des Beschwerdeführers; er selbst sei bei dieser Versammlung nicht zugegen gewesen.
Auf die Frage des Verhandlungsleiters, warum der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt nicht angegeben habe, von Seiten der UCK "einberufen" worden zu sein, gab dieser an, er habe Angst gehabt, von den österreichischen Behörden zurückgeschickt zu werden, um zu kämpfen. Über Vorhalt, dass diese Verantwortung unglaubwürdig sei, setzte der Beschwerdeführer fort, dass er nicht gewusst habe, dass der Kosovo befreit werde und er keine Probleme mehr mit den Serben haben würde; er wäre "diesfalls" von der UCK nicht effektiv unter Druck gesetzt worden. Von dem Aufruf der UCK, ihr zum Kampf beizutreten, seien alle jungen Männer im Dorf erfasst worden.
Im bekämpften Bescheid ging die belangte Behörde davon aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise seitens der UCK einen "Einberufungsbefehl" erhalten hätte. Beweiswürdigend begründete sie das damit, dass der Beschwerdeführer seine Angaben betreffend einen angeblich an ihn ergangenen Aufruf zur Militärdienstleistung im Rahmen der Befreiungsarmee UCK erstmals in seiner Stellungnahme auf Vorhalt betreffend die Allgemeinsituation im Kosovo lapidar gemacht bzw. dazu erstmals im Rahmen der Verhandlung detailliert vorgebracht habe; dieser Darstellung könne daher kein Glauben geschenkt werden, weil dies grundsätzlich nur bei gleich bleibenden bzw. homogen ausgeführten Angaben möglich sei. Die nunmehr erstmals - sehr spät - im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung, von Seiten der UCK zur Teilnahme am Krieg aufgerufen worden zu sein, sei als gesteigertes Vorbringen zu qualifizieren, welchem im Einklang mit der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jegliche Glaubwürdigkeit zu versagen sei. Insbesondere erscheine es nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer diesen Sachverhalt nicht bereits bei der Ersteinvernahme oder zumindest im Berufungsschriftsatz releviert habe. Die von ihm auf diesbezüglichen Vorhalt abgegebene Erklärung stelle eine Schutzbehauptung dar; der Beschwerdeführer könne keine nachvollziehbaren Argumente dafür ins Treffen führen, dass er sich erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung getraut habe, dieses Vorbringen zu erstatten.
Die vorliegende Beschwerde bekämpft diese Beweiswürdigung. Tatsächlich vermag sie der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfung auf ihre Schlüssigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht standzuhalten. Die Argumentation der belangten Behörde bezüglich "gesteigerten Vorbringens" ist nämlich nur dann stichhaltig, wenn die Verhältnisse im Herkunftsstaat des Asylwerbers während des Verfahrens im Wesentlichen unverändert bleiben. Gerade das ist hier jedoch vorliegend evident nicht der Fall, wie schon der Vorhalt der belangten Behörde über die Änderung der Verhältnisse im Kosovo zeigt. Dies macht der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beweisrüge zutreffend geltend, wenn er darauf hinweist, dass sich auf Grund der wesentlichen Veränderung der politischen Situation in seiner Heimat seine asylrechtlich relevante Verfolgungssituation geändert habe. Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch serbische Behörden bestand für den Beschwerdeführer nämlich keine Veranlassung, einen allfälligen Aufruf, sich der UCK anzuschließen, schon im erstinstanzlichen Asylverfahren zu erwähnen. Der bekämpfte Bescheid argumentiert jedenfalls nicht damit, dass bereits damals aus der Nichtbefolgung eines solchen Aufrufs eine Bedrohungssituation ableitbar gewesen wäre. Erst die (nachhaltige) Änderung der Verhältnisse (siehe dazu eingangs) seit dem 20. Juni 1999 konnte daher die Nichtbefolgung einer Aufforderung zur Teilnahme am Kampf der UCK in den Blickpunkt rücken. (Nur in diesem Sinn kann auch die Erklärung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung verstanden werden, er wäre "diesfalls" - ohne Änderung der politischen Situation - von der UCK nicht effektiv unter Druck gesetzt worden.) Was die Nichterwähnung des fraglichen Umstands im Berufungsschriftsatz anlangt, so liegt dieser angesichts seines Datums (Postaufgabe 6. Juli 1999) zu knapp am "Änderungszeitpunkt", als dass daraus Schlüsse im Sinn der Überlegungen der belangten Behörde gezogen werden könnten. Das gilt wohl auch für den Ergänzungsschriftsatz vom 26. August 1999, zumal die belangte Behörde auch insoweit keine Feststellungen getroffen hat, dass bereits vor dem 26. August 1999 (aus Berichten) allgemein bekannt gewesen sei, dass "Wehrdienstverweigerer" Verfolgung seitens der UCK zu befürchten hätten. Dazu kommt, dass nach dem Inhalt des genannten Ergänzungsschriftsatzes der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt seit zwei Monaten keinen Kontakt zu seinen Eltern hatte, sodass er über konkret wegen seines Fernbleibens von der UCK geäußerte Bedrohungen nicht Bescheid wissen konnte. Demgegenüber hat sich der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2000 im gegebenen Zusammenhang auf ein mit seinem Vater erst vor zwei Wochen geführtes Telefonat bezogen, in dem er im Zusammenhang mit seiner "Wehrdienstverweigerung" über das Kommen "maskierter Personen" zu seinem Elternhaus informiert worden sei. Auch von da her fehlt der behördlichen Argumentation, es erscheine nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer "diesen Sachverhalt" (Nichtbefolgung der Aufforderung, der UCK beizutreten) nicht bereits früher releviert habe, eine tragfähige Grundlage.
Die belangte Behörde hat ergänzend, ungeachtet ihrer Beweiswürdigung, das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend "Wehrdienstverweigerung" im Hinblick darauf als unerheblich qualifiziert, dass - dies sei dem Beschwerdeführer im Rahmen der Verhandlung vorgehalten worden - nunmehr die internationale Völkergemeinschaft bzw. die vor Ort befindlichen bewaffneten Kräfte ein besonderes Augenmerk auf die allgemeine Sicherheitslage legten. Dem Beschwerdeführer stünde daher gegebenenfalls bei einer drohenden Verfolgung seitens Privater - als solche wäre eine Verfolgung von Seiten der UCK zu qualifizieren - die Möglichkeit offen, sich an die interimistischen Sicherheitsbehörden zu wenden; er habe keinen nachvollziehbaren Hinweis darauf geben können, dass ihm eine diesbezügliche Schutzgewährung seitens der nunmehrigen Sicherheitsbehörden verweigert würde. Dass die nunmehr aktiven, eine staatliche Autorität repräsentierenden Sicherheitskräfte gänzlich schutzunfähig wären, habe weder dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch den allgemeinen Quellen entnommen werden können.
Diesen Ausführungen ist zunächst insoweit beizupflichten, als sie inzidenter zum Ausdruck bringen, dass auch eine nicht staatliche Verfolgung unter gewissen Voraussetzungen asylrelevant sein kann, nämlich dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Mit der Frage der Schutzfähigkeit hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, beschäftigt. Er hat dort ausgesprochen, dass es im Ergebnis letztlich darauf ankommt, ob für einen von dritter Seite aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Wenn die belangte Behörde demgegenüber auf "gänzliche Schutzunfähigkeit" abgestellt hat, so verkannte sie die Rechtslage. Aus dem Blickwinkel des dargestellten Kalküls der "maßgeblichen Wahrscheinlichkeit" ist einerseits auf die behördliche Feststellung zu verweisen, dass die Sicherheitslage für die nicht albanischen Minderheiten "zum Teil dramatisch" sei, weil das auch Rückschlüsse auf die Sicherheitslage gefährdeter Gruppen von Kosovo-Albanern erlaubt; andererseits ist aber auch zu betonen, dass das schon erwähnte Gutachten des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte - auf welches sich die belangte Behörde in ihrem Bescheid selbst bezieht - davon spricht, dass derzeit weder die KFOR noch die CIVPOL in der Lage seien, einen wirksamen und ausreichenden Schutz vor Verfolgungshandlungen sowohl durch Einzelpersonen als auch organisierte Gruppen zu bieten. Ohne beweiswürdigende Auseinandersetzung mit diesen Aussagen lässt sich nicht argumentieren, eine allenfalls drohende Verfolgung seitens der UCK stelle infolge ihres privaten Charakters kein asylrelevantes Kriterium dar.
Mit Ausnahme des Aspekts "Schutzgewährung seitens der nunmehrigen Sicherheitsbehörden" hat sich die belangte Behörde - am Boden der von ihr getroffenen Beweiswürdigung folgerichtig - nicht näher mit dem Bedrohungsszenario für "Wehrdienstverweigerer" (in den Augen der UCK) beschäftigt. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden müsste.
Der Vollständigkeit halber sei allerdings ergänzt, dass die gemischt-ethnische Herkunft des Beschwerdeführers - die belangte Behörde stellte die Behauptung des Beschwerdeführers, seine Mutter stamme aus Bosnien, nicht in Abrede, erachtete eine aus diesem Umstand für den Beschwerdeführer resultierende Gefährdung jedoch als nicht ausreichend konkret dargetan - seine potenzielle Gefährdung als Angehöriger der Gruppe der "Wehrdienstverweigerer" möglicherweise unter einem spezifischen Blickwinkel erscheinen lässt. Eine isolierte Betrachtungsweise unter Abstellen auf je bloß eine "Gruppenzugehörigkeit" (gemischt-ethnische Herkunft einerseits und "Wehrdienstverweigerer" andererseits) wird der Situation des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde seiner Darstellung über den Aufruf zur Teilnahme am Kampf der UCK nicht aus anderen, bislang nicht dargelegten Erwägungen die Glaubwürdigkeit versagen sollte - nicht gerecht.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. März 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000010056.X00Im RIS seit
25.05.2001