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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung von Weiterbildungsgeldim Rahmen der Bildungskarenz einer freien DienstnehmerinSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.
1. Die Beschwerdeführerin war als freie Dienstnehmerin bei der Firma Sch. beschäftigt und schloss mit ihrem Dienstgeber eine - der Bestimmung des §11 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (im Folgenden: AVRAG) entsprechende - Vereinbarung der Karenzierung ihres freien Dienstvertrages für die Dauer von einem Jahr, um ihre Dissertation fertig stellen zu können. Die Beschwerdeführerin trat mit 1. Oktober 2009 die vereinbarte Bildungskarenz an.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien wurde die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Weiterbildungsgeld gemäß §26 Abs1 in Verbindung mit den §§14 Abs1 und Abs2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (im Folgenden: AlVG) bestätigt:
Weiterbildungsgeld sei gemäß §26 AlVG - bei Erfüllung der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen - Personen zu gewähren, die eine Bildungskarenz gemäß §11 (oder §12) AVRAG oder nach gleichartigen bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen vereinbart haben. Das AVRAG gelte nach dessen §1 Abs1 für Arbeitsverhältnisse, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen, und sei auf freie Dienstverträge nicht anwendbar. Die zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Dienstgeber geschlossene Vereinbarung unterliege daher weder §11 AVRAG noch einer bundes- oder landesgesetzlichen Norm.
3. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich §26 AlVG behauptet.
3.1. Der belangten Behörde sei Willkür bzw. eine denkunmögliche Gesetzesanwendung vorzuwerfen, da sie im angefochtenen Bescheid nicht auf die in §1 Abs8 AlVG festgeschriebene rechtliche Gleichstellung freier Dienstnehmer mit regulären Arbeitnehmern eingehe.
3.2. Sollte der im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsansicht der belangten Behörde zu folgen sein, verstoße §26 AlVG gegen den Gleichheitssatz, weil er in Abweichung von der in §1 Abs8 AlVG normierten rechtlichen Gleichstellung der freien Dienstnehmer mit regulären Dienstnehmern im Bereich der Arbeitslosenversicherung freie Dienstnehmer von einer Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung (Weiterbildungsgeld) auf Grund eines Verweises auf gesetzliche Bestimmungen, die für freie Dienstnehmer nicht gelten würden, ausnehme. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt.
3.3. Da der angefochtene Bescheid sich somit auf ein verfassungswidriges Gesetz stütze, verstoße er auch gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.
4. Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. 609/1977 (Wv) idF BGBl. I 104/2007, lauten:
"Artikel I
Umfang der Versicherung
§1. (1) Für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) sind
a) Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind,
b) - j) …,
soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert sind oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben und nicht nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen versicherungsfrei sind.
(2) - (7) …
(8) Freie Dienstnehmer im Sinne des §4 Abs4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, sind Dienstnehmern gleich gestellt.
…
Abschnitt 2
Leistungen zur Beschäftigungsförderung
Weiterbildungsgeld
§26. (1) Personen, die eine Bildungskarenz gemäß §11 oder eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß §12 des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG), BGBl. Nr. 459/1993, in Anspruch nehmen und die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen, gebührt für die vereinbarte Dauer ein Weiterbildungsgeld in der Höhe des Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch in der Höhe des Kinderbetreuungsgeldes gemäß §3 Abs1 KBGG, bei Erfüllung der nachstehenden Voraussetzungen:
1. Bei einer Bildungskarenz gemäß §11 AVRAG muss die Teilnahme an einer im Wesentlichen der Dauer der Bildungskarenz entsprechenden Weiterbildungsmaßnahme nachgewiesen werden. Das Ausmaß der Weiterbildungsmaßnahme muss mindestens 20 Wochenstunden, bei Personen mit Betreuungsverpflichtungen für Kinder bis zum vollendeten siebenten Lebensjahr, für die keine längere Betreuungsmöglichkeit besteht, mindestens 16 Wochenstunden betragen. Umfasst die Weiterbildungsmaßnahme nur eine geringere Wochenstundenanzahl, so ist nachzuweisen, dass zur Erreichung des Ausbildungszieles zusätzliche Lern- und Übungszeiten in einem Ausmaß erforderlich sind, dass insgesamt eine vergleichbare zeitliche Belastung besteht. Eine praktische Ausbildung darf nicht beim karenzierenden Arbeitgeber stattfinden, es sei denn, dass die Ausbildung nur dort möglich ist. Innerhalb einer Rahmenfrist von vier Jahren kann insgesamt längstens ein Jahr Weiterbildungsgeld bezogen werden. Wenn die Weiterbildungsmaßnahme in Teilen stattfindet, kann das Weiterbildungsgeld innerhalb einer Rahmenfrist von vier Jahren fortbezogen werden.
2. Bei einer Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß §12 AVRAG muss die Einstellung einer nicht nur geringfügig beschäftigten Ersatzarbeitskraft, die zuvor Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen hat, nachgewiesen werden.
(2) - (4) …
(5) Eine Bildungskarenz nach gleichartigen bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen ist wie eine Bildungskarenz gemäß §11 AVRAG zu behandeln. Eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes nach gleichartigen bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen ist wie eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß §12 AVRAG zu behandeln. Die Zahlung eines Zuschusses zu den Weiterbildungskosten durch den Arbeitgeber steht der Gewährung von Weiterbildungsgeld nicht entgegen.
(6) - (8) …"
2. §4 Abs4 des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG), BGBl. 189/1955 idF BGBl. I 62/2010, lautet:
"(4) Den Dienstnehmern stehen im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten, und zwar für
1. einen Dienstgeber im Rahmen seines Geschäftsbetriebes, seiner Gewerbeberechtigung, seiner berufsrechtlichen Befugnis (Unternehmen, Betrieb usw.) oder seines statutenmäßigen Wirkungsbereiches (Vereinsziel usw.), mit Ausnahme der bäuerlichen Nachbarschaftshilfe,
2. einer Gebietskörperschaft oder eine sonstige juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. die von ihnen verwalteten Betriebe, Anstalten, Stiftungen oder Fonds (im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit),
wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen; es sei denn,
a) dass sie auf Grund dieser Tätigkeit bereits nach §2 Abs1 Z1 bis 3 GSVG oder §2 Abs1 BSVG oder nach §2 Abs1 und 2 FSVG versichert sind oder
b) dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine (Neben-)Tätigkeit nach §19 Abs1 Z1 litf B-KUVG handelt oder
c) dass eine selbständige Tätigkeit, die die Zugehörigkeit zu einer der Kammern der freien Berufe begründet, ausgeübt wird oder
d) dass es sich um eine Tätigkeit als Kunstschaffender, insbesondere als Künstler im Sinne des §2 Abs1 des Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes, handelt."
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes, BGBl. 459/1993 idF BGBl. I 90/2009, lauten:
"Artikel I
Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz - AVRAG
Geltungsbereich
§1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für Arbeitsverhältnisse, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen.
(2) Ausgenommen sind Arbeitsverhältnisse
1. zu Ländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden;
2. der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter im Sinne des Landarbeitsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 287;
3. zum Bund, auf die dienstrechtliche Vorschriften anzuwenden sind, welche den Inhalt der Arbeitsverhältnisse zwingend regeln;
4. zu Stiftungen, Anstalten oder Fonds, auf die das Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG), BGBl. Nr. 86, gemäß §1 Abs2 VBG sinngemäß anzuwenden ist.
(3) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für Beschäftigungsverhältnisse, auf die das Heimarbeitsgesetz 1960, BGBl. Nr. 105/1961, anzuwenden ist.
(4) Auf Arbeitsverhältnisse, für die das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz (HGHAG), BGBl. Nr. 235/1962, gilt, finden die §§2, 2c, 2d, 11 bis 15, für Hausgehilfen und Hausangestellte von physischen Personen finden auch die §§3 bis 6 keine Anwendung.
…
Bildungskarenz
§11. (1) Arbeitnehmer und Arbeitgeber können eine Bildungskarenz gegen Entfall des Arbeitsentgeltes für die Dauer von mindestens zwei Monaten bis zu einem Jahr vereinbaren, sofern das Arbeitsverhältnis ununterbrochen sechs Monate gedauert hat. Eine neuerliche Bildungskarenz kann frühestens nach dem Ablauf von vier Jahren ab dem Antritt der letzten Bildungskarenz (Rahmenfrist) vereinbart werden. Die Bildungskarenz kann auch in Teilen vereinbart werden, wobei die Dauer eines Teils mindestens zwei Monate zu betragen hat und die Gesamtdauer der einzelnen Teile innerhalb der Rahmenfrist, die mit Antritt des ersten Teils der Bildungskarenz zu laufen beginnt, ein Jahr nicht überschreiten darf. Bei der Vereinbarung über die Bildungskarenz ist auf die Interessen des Arbeitnehmers und auf die Erfordernisse des Betriebes Rücksicht zu nehmen. In Betrieben, in denen ein für den Arbeitnehmer zuständiger Betriebsrat errichtet ist, ist dieser auf Verlangen des Arbeitnehmers den Verhandlungen beizuziehen.
(1a) Arbeitnehmer und Arbeitgeber können eine Bildungskarenz für die Dauer von mindestens zwei Monaten bis zu einem Jahr auch in einem befristeten Arbeitsverhältnis in einem Saisonbetrieb (§53 Abs6 ArbVG) vereinbaren, sofern das befristete Arbeitsverhältnis ununterbrochen drei Monate gedauert hat und jeweils vor dem Antritt einer Bildungskarenz oder einer neuerlichen Bildungskarenz eine Beschäftigung zum selben Arbeitgeber im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorliegt. Zeiten von befristeten Arbeitsverhältnissen zum selben Arbeitgeber, die innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren vor Antritt der jeweiligen Bildungskarenz und gegebenenfalls nach Rückkehr aus der mit diesem Arbeitgeber zuletzt vereinbarten Bildungskarenz liegen, sind hinsichtlich des Erfordernisses der Mindestbeschäftigungsdauer zusammenzurechnen. Abs1 vorletzter und letzter Satz sind anzuwenden.
(2) Für den Anspruch auf sonstige, insbesondere einmalige Bezüge (§67 Abs1 des Einkommensteuergesetzes - EStG 1988) und für Rechtsansprüche des Arbeitnehmers, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, gilt §15f Abs1 des Mutterschutzgesetzes (MSchG), BGBl. Nr. 221/1979, mit Ausnahme des letzten Satzes, für den Urlaubsanspruch gilt §15f Abs2 MSchG mit der Maßgabe, daß anstelle des Begriffes 'Karenz' der Begriff 'Bildungskarenz' tritt.
(3) Für die Dauer eines in eine Bildungskarenz fallenden Beschäftigungsverbotes nach den §§3 oder 5 MSchG, einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften, eines Präsenzdienstes gemäß §19 des Wehrgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 146/2001, oder eines Zivildienstes gemäß §6a des Zivildienstgesetzes, BGBl. Nr. 679/1986, ist die Vereinbarung über die Bildungskarenz unwirksam.
(4) Wird das Arbeitsverhältnis während einer Bildungskarenz beendet, ist bei der Berechnung einer Abfertigung nach dem Angestelltengesetz (AngG), BGBl. Nr. 292/1921, dem Arbeiter-Abfertigungsgesetz (ArbAbfG), BGBl. Nr. 107/1979, und dem Gutsangestelltengesetz (GAngG), BGBl. Nr. 538/1923, oder der Ersatzleistung gemäß §10 des Urlaubsgesetzes (UrlG), BGBl. Nr. 390/1976, das für den letzten Monat vor Antritt der Bildungskarenz gebührende Entgelt zugrunde zu legen; bei der Berechnung einer Abfertigung nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG), BGBl. Nr. 414/1972, ist für die Berechnung der Monatsentgelte §13d Abs2 BUAG mit der Maßgabe anzuwenden, daß das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf des letzten Monats vor Antritt der Bildungskarenz als beendet gilt."
III.
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Gemäß §1 Abs1 lita AlVG unterliegen Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind, der Arbeitslosenversicherungspflicht. Freie Dienstnehmer im Sinne des §4 Abs4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (im Folgenden: ASVG), dh. jene, die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen, sind Dienstnehmern gleichgestellt (§1 Abs8 AlVG).
§6 Abs1 Z4 AlVG nennt als eine der Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung das Weiterbildungsgeld. Nach §26 Abs1 leg. cit. gebührt Personen, die eine Bildungskarenz gemäß §11 AVRAG oder eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß §12 AVRAG in Anspruch nehmen und die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen, bei Erfüllung der in den §26 Abs1 Z1 und 2 AlVG genannten Voraussetzungen für die vereinbarte Dauer ein Weiterbildungsgeld in der Höhe des Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch in der Höhe des Kinderbetreuungsgeldes gemäß §3 Abs1 Kinderbetreuungsgeldgesetz. Nach §26 Abs5 AlVG ist eine Bildungskarenz nach gleichartigen bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen wie eine Bildungskarenz gemäß §11 AVRAG zu behandeln.
2. Dass Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht nach unsachlichen Kriterien gewährt oder versagt werden können, bedarf keiner näheren Darlegung. §26 Abs1 AlVG knüpft für das Weiterbildungsgeld in seiner Stammfassung an das AVRAG an. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.207/2001 ausgesprochen hat, lässt §26 Abs1 AlVG nach Wortlaut und Zweck ohne weiteres die Auslegung zu, dass die Regelung die Gewährung von Weiterbildungsgeld in allen Fällen vorsieht, in denen eine Bildungskarenz vereinbart wurde, welche die Tatbestandsmerkmale des §11 AVRAG erfüllt. Es fehlt nämlich jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber das Weiterbildungsgeld unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nur für jene Karenzierungsvereinbarungen zu Weiterbildungszwecken gewähren wollte, die unter förmlicher Berufung auf §11 AVRAG oder bloß im Geltungsbereich dieses Gesetzes getroffen werden. Der Hinweis auf §11 AVRAG kann - und muss daher - in verfassungskonformer Auslegung als "Umschreibung jenes Typus von Vereinbarungen gelesen werden, den §26 Abs1 AlVG (bei Erfüllung der weiteren dort bestimmten Voraussetzungen) als Bildungskarenz vor Augen hat"
(VfSlg. 16.207/2001).
3. Freie Dienstnehmer sind zwar weder vom Anwendungsbereich des AVRAG erfasst, weshalb sie keine Karenzierungsvereinbarung im Sinne des §26 Abs1 AlVG abschließen können, noch bestehen gleichartige bundes- oder landesgesetzliche Regelungen im Sinne des §26 Abs5 leg. cit., auf die sich freie Dienstnehmer in ihrer Karenzierungsvereinbarung unmittelbar beziehen könnten. Nach der mit 1. Jänner 2008 erfolgten Gleichstellung freier Dienstnehmer, die für sie zu einer Gleichstellung auch hinsichtlich der Beitragspflicht führt, mit den übrigen Dienstnehmern (BGBl. I 104/2007) und mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 16.207/2001) ist jedoch davon auszugehen, dass auch freie Dienstnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Weiterbildungsgeld haben.
4. Freie Dienstnehmer haben die Möglichkeit, eine Karenzierung zu Bildungszwecken im Rahmen des allgemeinen Zivilrechts zu vereinbaren. §26 Abs5 AlVG ist - auch im Hinblick darauf, dass in §11 AVRAG systematisch verfehlt sozialversicherungsrechtliche Regelungsinhalte aufgenommen wurden - verfassungskonform so zu verstehen, dass auch solche vertragliche Karenzierungsvereinbarungen "gleichartigen bundes- oder landesgesetzlichen Regelungen" gleichzusetzen sind. Dieses Ergebnis wird durch den Umstand bestätigt, dass die Gleichstellung von freien Dienstnehmern im Sinne des §4 Abs4 ASVG erst nach der Einfügung des Abs5 in §26 AlVG vorgenommen wurde, die in Reaktion auf das Erkenntnis VfSlg. 16.207/2001 erfolgte.
5. Im Hinblick auf die Ausführungen unter Pkt. 2. sowie vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles sieht der Verfassungsgerichtshof keinen Anlass, §26 Abs1 AlVG in Prüfung zu ziehen.
6. Die belangte Behörde legt dem angefochtenen Bescheid nicht die unter Pkt. 2. und 3. dargestellte Rechtsansicht zugrunde, sondern verweist lediglich auf die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen von freien Dienstnehmern und regulären Dienstnehmern und führt schließlich aus, dass mit Blick auf die seit 1. Jänner 2009 bestehende Möglichkeit für selbständig Erwerbstätige, der Arbeitslosenversicherung bei gleichem Beitragssatz wie für unselbständig Erwerbstätige beizutreten, keine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung in dem Umstand, dass auch freie Dienstnehmer der Arbeitslosenversicherung unterliegen, erblickt werden könne.
7. Indem im Bescheid davon ausgegangen wird, dass freien Dienstnehmern kein Weiterbildungsgeld gebührt, da diese Dienstverhältnisse weder in den Anwendungsbereich des AVRAG noch unter sonstige bundes- oder landesgesetzliche Vorschriften fallen, wird die Beschwerdeführerin durch diesen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
8. Der Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
IV.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Arbeitslosenversicherung, Arbeitsrecht, Arbeitsvertrag,Sozialversicherung, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2011:B340.2010Zuletzt aktualisiert am
21.05.2012