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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 2007, Zl. 148.605/2-III/4/07, betreffend Rückstufung des Niederlassungsrechts, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit dem 11. September 1979, somit seit seinem achten Lebensjahr, in Österreich. Er verfügte zuletzt über einen im August 1989 ausgestellten unbefristeten Sichtvermerk nach § 24 Paßgesetz 1969. Am 7. Juli 2006 stellte er beim Landeshauptmann von Wien einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck "Daueraufenthalt-EG".
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG fest, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des Beschwerdeführers beendet sei.
Der Beschwerdeführer sei mit Urteil vom 18. November 2004 vom Landesgericht für Strafsachen Wien "wegen strafbarer Handlungen gegen die Sittlichkeit/Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB" zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Nach einem Jahr und drei Monaten sei der Beschwerdeführer aus der Strafanstalt bedingt entlassen worden. Auf Grund dieser Verurteilung sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG verwirklicht. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer aufenthaltsverfestigt sei, könnten gemäß § 66 FPG keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verhängt werden. Zu den Einwänden des Beschwerdeführers in der Berufung werde bemerkt, dass sich aus § 28 Abs. 1 NAG eindeutig die gesetzliche Verpflichtung ergebe, in Fällen, in denen der Tatbestand des § 60 FPG vorliege, eine Rückstufung und Entziehung des unbefristeten Niederlassungsrechts vorzunehmen. Der Landeshauptmann von Wien habe dem Beschwerdeführer nunmehr von Amts wegen eine befristete "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" auszustellen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
§ 28 Abs. 1 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) lautet:
"Rückstufung und Entziehung eines unbefristeten Niederlassungsrechts
§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt - EG' (§ 45) oder 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (§ 48) die Voraussetzungen des § 54 FPG für die Erlassung einer Ausweisung oder die Voraussetzungen des § 60 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots vor, können diese Maßnahmen aber im Hinblick auf § 66 FPG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen eine befristete 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' (§ 8 Abs. 2 Z 3) auszustellen (Rückstufung)."
Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass die belangte Behörde bloß auf die Tatsache der Verurteilung abgestellt habe, ohne die Art und die Schwere der zugrundeliegenden Straftat und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers zu beurteilen. In diesem Zusammenhang verweist die Beschwerde insbesondere darauf, dass das der bisher einzigen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegende Tatgeschehen, trotz aller Unangebrachtheit irgendwelcher Verharmlosungen, eine geradezu atypisch geringe Tatschuld ergeben habe. Es liege entgegen der offenbaren Meinung der belangten Behörde trotz der grundsätzlichen Schwere des Deliktstypus keineswegs auf der Hand, dass alleine auf Grund dieser Verurteilung des Beschwerdeführers die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit oder auch eines Zuwiderlaufens des Aufenthaltes gegen andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Interessen im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG überhaupt noch als gerechtfertigt angesehen werden könne - dies umso mehr, als die Tat bei Erlassung des bekämpften Bescheides bereits drei Jahre zurückgelegen sei und der Beschwerdeführer wieder 20 Monate in Freiheit gelebt habe, ohne neuerlich in irgendeiner Form auffällig geworden zu sein. Der Beschwerdeführer verweist außerdem auf seine sich aus Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB) ergebende Rechtsstellung; er habe in Österreich eine Lehre abgeschlossen und gehöre seit 1988 durchgehend dem österreichischen Arbeitsmarkt an.
Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer einen relevanten Begründungsmangel auf:
Vorauszuschicken ist, dass nach der Übergangsvorschrift des § 81 Abs. 2 erster Satz NAG vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer und ihres Gültigkeitszwecks insoweit weitergelten, als sie nach dem Zweck des Aufenthaltes den Bestimmungen des NAG entsprechen. Die auf Grund der Ermächtigung in § 81 Abs. 2 letzter Satz NAG erlassene Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV ordnet in § 11 Abs. 2 lit. D an, dass Sichtvermerke gemäß § 24 Paßgesetz 1969 als "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" weitergelten; wurde ein solcher Sichtvermerk unbefristet erteilt, so gilt er gemäß § 11 Abs. 3 Z. 1 NAG-DV als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter. Der unbefristete Sichtvermerk des Beschwerdeführers galt somit als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter und berechtigte ihn weiterhin zur unbefristeten Niederlassung in Österreich.
Die belangte Behörde hat die Rückstufung gemäß § 28 Abs. 1 NAG im angefochtenen Bescheid nur mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes begründet.
Nach der zuletzt genannten Bestimmung kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn der Fremde von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Für diese Beurteilung ist demnach nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich. Dabei ist also - anders als bei der Frage, ob der erwähnte Tatbestand des § 60 Abs. 2 FPG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 26. September 2006, Zl. 2004/21/0097, mwN).
Der Verweis in § 28 Abs. 1 NAG auf die "Voraussetzungen des § 60 FPG" bedeutet, dass alle Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - mit Ausnahme der Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privat- und Familienlebens im Sinne des § 66 FPG (iVm § 60 Abs. 6 FPG) - gegeben sein müssen. Auch das Vorliegen eines Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestandes (§ 61 FPG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 56 leg. cit.) ist demnach zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, Zl. 2008/22/0491). Könnte gegen den Fremden ein Aufenthaltsverbot nur unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG erlassen werden, sind diese auch im Verfahren zur Rückstufung gemäß § 28 Abs. 1 NAG maßgeblich.
Demzufolge reichen die wiedergegebenen Feststellungen der belangten Behörde zur Verurteilung des Beschwerdeführers, denen weder die ihm im Schuldspruch konkret angelasteten Straftaten noch deren - nach dem Vorbringen allenfalls fallbezogen relevante - Begleitumstände zu entnehmen sind, nicht für eine nachvollziehbare Darstellung einer Gefährdungsannahme im Sinne des auf den Beschwerdeführer, dem nach dem Beschwerdevorbringen und der Aktenlage eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB zukommt, anwendbaren § 86 FPG (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 2007, Zl. 2007/18/0545). Das Vorliegen einer solchen Gefährdungsannahme - bei der diesbezüglichen Beurteilung ist auch auf ein Wohlverhalten seit Begehung der zugrundeliegenden Straftat Bedacht zu nehmen - wäre aber gesetzliche Voraussetzung für eine Rückstufung nach § 28 Abs. 1 NAG.
Der angefochtene Bescheid war daher angesichts der aufgezeigten sekundären Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 3. März 2011
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2011:2008220306.X00Im RIS seit
29.03.2011Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011