TE Vfgh Erkenntnis 2010/12/15 U474/10 ua

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Veröffentlicht am 15.12.2010
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
AsylG 2005 §66
AsylGHG §23
AVG §66
Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.05 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft Art15

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richterdurch die Zurückweisung eines Antrags auf Beigebung einesFlüchtlingsberaters; Verpflichtung des Asylgerichtshofs zurEntscheidung über den Antrag auf Rechtsbeistand durchverfahrensrechtlichen Bescheid in der Sache selbst; sofortigeBekämpfbarkeit dieses Bescheides im Rechtsschutzinteresse desAsylwerbers

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die bekämpften Entscheidungen des Asylgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.760,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin,

Staatsangehörige der Russischen Föderation, reisten im Februar 2008 illegal über Polen in das Österreichische Bundesgebiet ein und stellten einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.1. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 15. März 2008 gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005, (im Folgenden: AsylG 2005) zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer nach Polen ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat wurde mit Bescheiden vom 22. April 2008 abgewiesen. Am 7. Mai 2008 wurden die Beschwerdeführer nach Polen überstellt.

2.2. Die Beschwerdeführer reisten erneut illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 9. August 2008 Anträge auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 22. Oktober 2008 wurden die Anträge der Beschwerdeführer neuerlich gemäß §5 Abs1 AsylG zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer nach Polen ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes vom 14. November 2008 abgewiesen. In weiterer Folge war der Aufenthalt der Beschwerdeführer unbekannt, sodass sie nicht nach Polen überstellt werden konnten.

2.3.1. Am 19. November 2009 stellten die Beschwerdeführer einen dritten - hier maßgeblichen - Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 9. Dezember 2009 wurden diese Anträge gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

2.3.2. Die gegen diese Bescheide des Bundesasylamtes vom 9. Dezember 2009 erhobene Berufung wurde mit Entscheidungen des Asylgerichtshofes vom 14. Jänner 2010 gemäß §68 Abs1 AVG, §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 abgewiesen und der unter einem gestellte Antrag auf Beigabe eines Flüchtlingsberaters zurückgewiesen. Dies wurde mit der mangelnden Rechtsgrundlage in §66 AsylG 2005 begründet.

3. In den gegen diese Entscheidungen gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerden wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren, auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

Was die Zurückweisung des Antrags auf Beigabe eines Flüchtlingsberaters betrifft, entsprechen die vorliegenden Beschwerden sowohl im entscheidungswesentlichen Sachverhalt als auch in der maßgeblichen Rechtsfrage der zu U3078,3079/09 protokollierten Beschwerde, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof darauf beschränken kann, auf die Entscheidungsgründe seines in dieser Beschwerdesache ergangenen Erkenntnisses hinzuweisen (vgl. VfGH 2.10.2010, U3078,3079/09).

Da die Behörde von vornherein eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert hat, ist es unerheblich, ob die Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Asylgerichtshof rechtsfreundlich vertreten waren.

Die angefochtenen Entscheidungen waren daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 300,-- und Umsatzsteuer in der Höhe von € 460,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Asylgerichtshof, Bescheid verfahrensrechtlicher,Rechtsschutz, EU-Recht Richtlinie, Auslegunggemeinschaftsrechtskonforme, Bescheid Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2010:U474.2010

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2011
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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