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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch gänzlichen Widerruf des Bezugsund Rückforderung von Altersteilzeitgeld wegen Ausscheidens derErsatzarbeitskraft; keine Unsachlichkeit des Erfordernisses derEinstellung einer Ersatzarbeitskraft bzw der Ausbildung einesLehrlings in bestimmten Fällen; kein Verstoß gegen dasEigentumsrecht; verfassungskonforme Auslegung der Regelung über dieRückzahlungsverpflichtung gebotenSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Die beschwerdeführende Partei traf mit einer Dienstnehmerin eine Altersteilzeitvereinbarung, aufgrund der diese Dienstnehmerin ab 1. Juli 2007 in Altersteilzeit arbeiten sollte. Vereinbart wurde eine geblockte Altersteilzeitvariante, bei der auf eine Vollzeitarbeitsphase eine Freizeitphase im Zeitraum vom 16. Oktober 2008 bis zum 31. Jänner 2010 folgen sollte. Mit Antrag vom 27. Juli 2007 begehrte die beschwerdeführende Partei die Zuerkennung des Altersteilzeitgeldes nach den §§27 und 28 AlVG. Das Arbeitsmarktservice gab diesem Antrag statt. Am 29. September 2008 nahm die beschwerdeführende Partei eine zuvor arbeitslose Dienstnehmerin als Ersatzkraft auf, die allerdings ihr Dienstverhältnis durch - nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei: unberechtigten - vorzeitigen Austritt am 28. Oktober 2008 löste. Eine neue Ersatzkraft wurde nicht angestellt. Die beschwerdeführende Partei stellte allerdings am 14. Mai 2009 und am 14. Juni 2009 die zuvor freigesetzte Dienstnehmerin (wieder) ein.
Mit Bescheid des AMS (regionale Geschäftsstelle Gleisdorf) vom 2. Februar 2010 wurde der Bezug des Altersteilzeitgeldes für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Jänner 2010 "widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und die beschwerdeführende Partei zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Altersteilzeitgeldes in Höhe von € 16.425,71 verpflichtet. Begründend wurde ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei die Leistung aus der Altersteilzeit in diesem Zeitraum "zur Gänze zu Unrecht" bezogen habe, da die Ersatzkraft während der Freizeitphase aus dem Betrieb ausgeschieden und keine neue Ersatzkraft eingestellt worden sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei am 17. Februar 2010 Berufung. Sie brachte darin im Wesentlichen vor, dass ihr die Einstellung einer neuen Ersatzkraft nicht möglich bzw. unzumutbar gewesen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid weist die belangte Behörde die Berufung der beschwerdeführenden Partei ab. In der Begründung führt die belangte Behörde insbesondere aus:
"Bei nichtvorhandener Ersatzarbeitskraft während der Freizeitphase ist jedoch eine der wesentlichsten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersteilzeitgeld nicht gegeben.
Da sich somit die Zuerkennung des Altersteilzeitgeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellte, war die Zuerkennung zu widerrufen und Sie zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte und die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung des verfassungswidrigen §27 Abs5 Z3 AlVG (aF) behauptende Beschwerde.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Zur Rückforderung wird begründend insbesondere vorgebracht:
"Das gesamte bisher ausbezahlte Altersteilzeitgeld ist dann zurückzuzahlen, falls während der Freizeitphase das Beschäftigungsverhältnis mit der Ersatzkraft gelöst und binnen 3 Monaten keine neue Ersatzkraft/Lehrling eingestellt wird."
II. Zur Rechtslage:
§27 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. 609/1977 idF BGBl. I 142/2004, lautete in der hier maßgebenden Fassung wie folgt:
"Altersteilzeitgeld
§27. (1) Ein Arbeitgeber, der ältere ArbeitnehmerInnen beschäftigt, die ihre Arbeitszeit verringern, und diesen einen Lohnausgleich gewährt, hat Anspruch auf Altersteilzeitgeld.
(2) Altersteilzeitgeld gebührt längstens fünf Jahre für Personen, die nach spätestens fünf Jahren das Regelpensionsalter vollenden und die
1. in den letzten 25 Jahren vor der Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) 780 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt waren, wobei auf die Anwartschaft anzurechnende Zeiten gemäß §14 Abs4 und 5 berücksichtigt und die Rahmenfrist um arbeitslosenversicherungsfreie Zeiten der Betreuung von Kindern bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres erstreckt werden,
2. auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung ihre Normalarbeitszeit, die im letzten Jahr der gesetzlichen oder kollektivvertraglich geregelten Normalarbeitszeit entsprochen oder diese höchstens um 20 vH unterschritten hat, auf 40 bis 60 vH verringert haben,
3. auf Grund eines Kollektivvertrages, einer Betriebsvereinbarung oder einer vertraglichen Vereinbarung
a) bis zur Höchstbeitragsgrundlage gemäß §45 ASVG einen Lohnausgleich in der Höhe von mindestens 50 vH des Unterschiedsbetrages zwischen dem im letzten Jahr (bei kürzerer Beschäftigungszeit in einem neuen Betrieb während dieser kürzeren, mindestens drei Monate betragenden Zeit) vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit durchschnittlich gebührenden Entgelt und dem der verringerten Arbeitszeit entsprechenden Entgelt erhalten und
b) für die der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge entsprechend der Beitragsgrundlage vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit entrichtet und
4. auf Grund eines Kollektivvertrages, einer Betriebsvereinbarung oder einer vertraglichen Vereinbarung Anspruch auf Berechnung einer zustehenden Abfertigung auf der Grundlage der Arbeitszeit vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit haben; für die Berechnung einer Abfertigung nach dem BUAG gilt §13d Abs3 BUAG.
(3) Für Personen, die eine Leistung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung aus einem Versicherungsfall des Alters, ein Sonderruhegeld nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz, BGBl. Nr. 354/1981, oder einen Ruhegenuss aus einem Dienstverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft beziehen oder die Anspruchsvoraussetzungen für eine dieser Leistungen erfüllen, gebührt kein Altersteilzeitgeld.
(4) Das Altersteilzeitgeld hat dem Arbeitgeber einen Anteil des zusätzlichen Aufwandes, der durch einen Lohnausgleich bis zur Höchstbeitragsgrundlage in der Höhe von 50 vH des Unterschiedsbetrages zwischen dem im gemäß Abs2 Z3 lita maßgeblichen Zeitraum vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit gebührenden Entgelt und dem der verringerten Arbeitszeit entsprechenden Entgelt sowie durch die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge entsprechend der Beitragsgrundlage vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den entsprechend der Beitragsgrundlage vor der Herabsetzung der Normalarbeitszeit entrichteten Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (Pensions-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung einschließlich IESG-Zuschlag) und den dem Entgelt (einschließlich Lohnausgleich) entsprechenden Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung entsteht, abzugelten. (...)
(5) Sieht die Vereinbarung über die Altersteilzeitarbeit unterschiedliche wöchentliche Normalarbeitszeiten oder eine unterschiedliche Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit vor, so ist die Voraussetzung nach Abs2 Z2 auch dann erfüllt, wenn
1. die wöchentliche Normalarbeitszeit in einem Durchrechnungszeitraum im Durchschnitt die vereinbarte verringerte Arbeitszeit nicht überschreitet,
2. das Entgelt für die Altersteilzeitarbeit fortlaufend gezahlt wird und
3. zusätzlich zumindest während der Freizeitphase (abgesehen von unvermeidlichen kurzen Unterbrechungen) eine zuvor arbeitslose Person über der Geringfügigkeitsgrenze versicherungspflichtig beschäftigt oder zusätzlich ein Lehrling ausgebildet und im Zusammenhang mit dieser Maßnahme vom Dienstgeber kein Dienstverhältnis aufgelöst wird.
(6) Der Arbeitgeber hat jede für das Bestehen oder für das Ausmaß des Anspruches auf Altersteilzeitgeld maßgebliche Änderung unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anzuzeigen.
(7) Das Altersteilzeitgeld stellt kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG 1994), BGBl. Nr. 663, dar.
(8) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Altersteilzeitgeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Altersteilzeitgeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Altersteilzeitgeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen. Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Altersteilzeitgeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten. Die Verpflichtung zum Rückersatz besteht auch hinsichtlich jener Leistungen, die wegen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels weiter gewährt wurden, wenn das Verfahren mit der Entscheidung geendet hat, dass die Leistungen nicht oder nicht in diesem Umfang gebührten."
Der seitens der beschwerdeführenden Partei als verfassungswidrig erachtete Abs5 Z3 dieser Vorschrift wurde durch Art83 Z18 des Budgetbegleitgesetzes 2003, BGBl. I 71/2003, in das AlVG eingefügt. In der Zwischenzeit wurde §27 Abs5 Z3 AlVG durch Art1 Z7 des Bundesgesetzes BGBl. I 90/2009 (Arbeitsmarktpaket 2009) neu gefasst und lautet:
"3. die Freizeitphase im Rahmen einer Blockzeitvereinbarung nicht mehr als zweieinhalb Jahre beträgt."
Dazu bestimmt §79 Abs103 AlVG idF BGBl. I 90/2009:
"§27 Abs2, 4 und 5 sowie §82 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 90/2009 treten mit 1. September 2009 in Kraft und gelten für Ansprüche auf Altersteilzeitgeld auf Grund von Vereinbarungen, deren Laufzeit nach dem 31. August 2009 beginnt. Für Ansprüche auf Altersteilzeitgeld, die auf Grund von Vereinbarungen, deren Laufzeit vor dem 1. September 2009 begonnen hat, vor dem Ablauf des 31. August 2009 geltend gemacht wurden, gilt §27 mit Ausnahme des Abs3 in der bisher anzuwendenden Fassung weiter, hinsichtlich der Zahlungsweise und der Anpassung an Lohnerhöhungen jedoch mit der Maßgabe, dass diese ab 1. Jänner 2010 entsprechend den im §27 Abs4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 90/2009 vorgesehenen Regelungen zu erfolgen hat."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Nach Ansicht der beschwerdeführenden Partei sei §27 Abs5 Z3 AlVG aF verfassungswidrig gewesen, weil bei einem Blockzeitmodell der gesamte Anspruch des Dienstgebers (und nicht bloß die Höhe des Anspruchs) auf Altersteilzeitgeld von der Beschäftigung einer zuvor arbeitslosen Person als Ersatzkraft (oder der Ausbildung eines zusätzlichen Lehrlings) während der gesamten Freizeitphase abhängig gemacht werde. Darin liege eine unsachliche Differenzierung zwischen einem Bandbreitenmodell einerseits und einem Blockzeitmodell andererseits.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2010, B859/10, dargelegt, dass die Vorschrift des §27 Abs5 Z3 AlVG aF mit der Verfassung in Einklang stand. Die Beschwerde zeigt keine Aspekte auf, die den Verfassungsgerichtshof zu einem Abgehen von dieser Rechtsprechung veranlassen könnten.
Die beschwerdeführende Partei wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in der vorzitierten Entscheidung ebenfalls ausgesprochen, dass der die verschuldensunabhängige Rückforderung unberechtigt bezogenen Altersteilzeitgeldes regelnde §27 Abs8 AlVG bei verfassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen ist, dass der gänzliche Widerruf nur dann zu erfolgen hat, "wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Altersteilzeitgeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt" (Satz 2 leg. cit.), wenn sich also herausstellt, dass Altersteilzeitgeld bereits ursprünglich, das heißt im Zeitpunkt der Antragstellung, nicht gebührte.
2.2. Die belangte Behörde legt ihrer Entscheidung indes die Rechtsansicht zugrunde, dass auch bei einem nachträglichen Wegfall einer Voraussetzung für den Bezug von Altersteilzeitgeld dieses zur Gänze zurückzufordern sei. Durch diese Auslegung unterstellt die belangte Behörde dem §27 Abs8 AlVG - wie sich mit Blick auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Dezember 2010, B859/10, zeigt - einen gleichheitswidrigen Inhalt.
Die beschwerdeführende Partei ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
IV. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Arbeitslosenversicherung, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2010:B556.2010Zuletzt aktualisiert am
25.02.2011