Index
L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Keine Stattgabe der Anfechtung der Wahl des Bürgermeisters, desVizebürgermeisters und des Gemeindevorstandes der MarktgemeindeNiederhollabrunn; Zurückweisung der Wahlanfechtung hinsichtlich derWahl der Ausschussvorsitzenden und der StellvertreterSpruch
I. Die Wahlanfechtung wird hinsichtlich der Wahl der Ausschussvorsitzenden und der Stellvertreter zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Wahlanfechtung nicht stattgegeben.
III. Der Antrag auf Abtretung der Wahlanfechtung an den Verwaltungsgerichtshof wird zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren
1.1. Bei der am 14. März 2010 stattgefundenen Wahl zum Gemeinderat der Marktgemeinde Niederhollabrunn entfielen von den insgesamt 1.188 abgegebenen gültigen Stimmen auf die
Österreichische Volkspartei (ÖVP):
681 Stimmen (11 Mandate), Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ):
205 Stimmen (3 Mandate),
Liste Schachel Parteilos (LSP):
302 Stimmen (5 Mandate).
1.2. Im Rahmen der am 13. April 2010 stattgefundenen (konstituierenden) Sitzung des Gemeinderates der Marktgemeinde Niederhollabrunn kam es zur Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Gemeinderatsausschüsse. Für die Wahl des Bürgermeisters lagen ein Wahlvorschlag der ÖVP und einer der LSP vor, wobei auf den Kandidaten der ÖVP 11 der 18 gültigen Stimmen entfielen. Für die Wahl des Vizebürgermeisters lagen Wahlvorschläge der ÖVP und der SPÖ vor, wobei auf den Kandidaten der ÖVP 11 der 19 gültigen Stimmen entfielen. Für die Wahl der 6 Mitglieder des Gemeindevorstandes lagen ein Wahlvorschlag der ÖVP für 4 Mitglieder, ein Wahlvorschlag der SPÖ für ein Mitglied und ein Wahlvorschlag der LSP für ein Mitglied vor. Alle Kandidaten der jeweiligen Listen wurden gewählt und nahmen die Wahl an. Für die 6 Gemeinderatsausschüsse wurden die Vorsitzenden, die Stellvertretung und die Mitglieder nach den entsprechenden Vorschlägen gewählt.
1.3. Mit Eingaben an die Bezirkswahlbehörde Korneuburg fochten insgesamt 5 der Wählergruppe "Liste Schachel Parteilos (LSP)" angehörende Gemeinderäte die Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Gemeinderatsausschüsse gemäß §109 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 (im Folgenden: NÖ GO 1973), LGBl. 1000-16, an. Mit Bescheiden der Bezirkswahlbehörde Korneuburg vom 18. Mai 2010 wurden die Wahlanfechtungen zurückgewiesen.
1.4. Gegen diese Bescheide erhoben zwei der Anfechtungswerber Berufung gemäß §109 NÖ GO 1973 an die Landes-Hauptwahlbehörde und begründeten dies mit der Verletzung des Rechts auf geheime Wahl. Mit zwei Bescheiden der Landes-Hauptwahlbehörde jeweils vom 28. Juni 2010 wurden diese Berufungen inhaltsgleich abgewiesen. Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass Vorkehrungen zum Schutz des geheimen Wahlrechts durch die Möglichkeit der Stimmabgabe in einem Nachbarraum getroffen worden seien.
2. Dieselben zwei Mitglieder des Gemeinderates, welche auch die administrative Wahlanfechtung eingebracht hatten, fechten nunmehr mit ihrer auf Art141 B-VG gestützten Anfechtungsschrift die Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Gemeinderatsausschüsse vom 13. April 2010 an und beantragen, der Verfassungsgerichtshof wolle diese Wahlen für nichtig erklären und als rechtswidrig aufheben. Begründend wird in der Anfechtungsschrift im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
"Der Bescheid der Landes-[Hauptw]ahlbehörde vom 28.6.2010 enthält keine Rechtsmittelbelehrung bzw. keine Erklärung, dass keine Rechtsmittel zulässig sind. Ein Hinweis auf die Zulässigkeit einer Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ist im Bescheid auch nicht ersichtlich.
... Bei den Bescheiden der Landes-Hauptwahlbehörde vom
28.6.2010 wurde der Sachverhalt falsch beurteilt, und eine unrichtige bzw. unvollständige rechtliche Beurteilung getroffen. Somit sind die Bescheide der Landes-Hauptwahlbehörde vom 28.6.2010 aus folgenden Gründen rechtswidrig:
Nach §98 NÖ Gemeindeordnung 1973 müssen die Wahlen mit Stimmzetteln und geheim durchgeführt werden. Das geheime Wahlrecht setzt voraus, dass niemand erkennen kann, wen der Wähler gewählt hat (vgl VfSlg 10.412/1985). Für den Wähler muss auch eine Gewissheit bestehen, dass Dritten unbekannt bleibt, wie von ihm gewählt wurde (vgl VfSlg 10.217/1984).
Bei den Wahlen in Niederhollabrunn wurden keine Kuverts und keine Wahlzellen verwendet. Die Mitglieder des Gemeinderates konnten einander bei der Abgabe der Stimmen beobachten. Der Ansicht der Landeshauptwahlbehörde, dass die Wahl selbst dann nicht ungültig ist, wenn der Wahlberechtigte kein Geheimnis daraus macht, wie er den Stimmzettel ausfüllt, die anderen Wahlberechtigten daher wissen wen er wählt, ist im gegenständlichen Fall nicht zu folgen.
Es ging nicht darum, dass bloß ein Wahlberechtigter kein Geheimnis von seiner Stimme machte, vielmehr haben die Gemeinderatsmitglieder ihre Stimmen zum größten Teil so abgegeben, dass sie dabei voneinander beobachtet wurden. So haben die Mitglieder der einzelnen Fraktionen sicherlich im Sinne des Fraktionszwangs gestimmt. Wäre die Wahl so gestaltet gewesen, dass niemand die Stimme des anderen erkennen kann, wäre es zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Da keine Kuverts verwendet wurden und viele Stimmzettel eingesammelt wurden, kann man sicherlich über keine geheime Wahl sprechen, weil die Person, die die Stimmzettel eingesammelt hat, die Stimmen den einzelnen Personen zuordnen konnte.
Weiters ist davon auszugehen, dass andere Gemeinderäte in ihrer Entscheidung durch die Fraktionen beeinflusst worden sind und ihre Stimmen unter Druck der Fraktion nicht für den Kandidat abgegeben haben, für welchen sie tatsächlich stimmen wollten.
Durch die oben geschilderte Vorgehensweise wurde die Wahl nicht geheim durchgeführt und damit wurde die Freiheit der Meinungsäußerung der Wähler in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Die Gemeinderatsabgeordneten mussten daher bei einer von der Fraktionslinie abweichende[n] Stimmabgabe mit Vorwürfen oder sogar mit Nachteilen rechnen.
'Der VfGH nahm bereits in seinem zur (NÖ) Gemeindewahl ergangenen Erk Slg 3843/1960, bezogen auf das Wahlrecht im allgemeinen, den Standpunkt ein, von einer 'freien' und 'geheimen' Wahl könne nur gesprochen werden, wenn der Wähler die unbedingte Sicherheit empfinde, dass eine Feststellung (Beobachtung), welche Partei er wähle (oder ob er einen leeren Stimmzettel abgebe), unmöglich sei; nur der unbeobachtete Wähler vermöge sein Wahlrecht frei und ohne Hemmung auszuüben. Des [W]eiteren führte der VfGH erst jüngst in seinem Erk v 10.10.1984 WI-7/83 aus, das Prinzip des geheimen Wahlrechts müsse dem Wähler Gewissheit geben, dass Dritten unbekannt bleibe, wie gewählt worden sei. Die geheime Wahl soll den Wähler also nicht bloß vor unerwünschter Einflussnahme auf seine Willensbildung im Zug des Wahlvorgangs bewahren, sie soll ihm auch die Sorge und Furcht nehmen, dass er wegen seiner Stimmabgabe in bestimmter Richtung Vorwürfen und Nachteilen welcher Art immer ausgesetzt sei (Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, 1963, 570).' (VfGH 16.3.1985, G18/85., ÖJZ 1985/44 (VfGH))[.]
Die Landes-Hauptwahlbehörde hat diesen Punkt in deren Entscheidung überhaupt nicht geprüft.
Aus diesen Gründen kann man bei der Bürgermeisterwahl, bei der Wahl des Gemeindevorstandes, bei der Wahl des Vizebürgermeisters und bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden und Stellvertreter in der Marktgemeinde Niederhollabrunn über keine geheime Wahl sprechen.
Betreffend die Wahl des Gemeindevorstandes hat die Landes-Hauptwahlbehörde ausgeführt, dass die Verwendung unterschiedlicher Stimmzettel keine Auswirkung auf das Wahlergebnis
gehabt habe. Dabei ist ... auszuführen, dass bei der Wahl des
LSP-Kandidaten 10 aus 19 Stimmen als ungültig erklärt worden sind. Auch wenn die LSP erst unmittelbar vor dem Sitzungsbeginn den Wahlvorschlag bekannt gegeben hat, hätten in der heutigen Zeit identische Stimmzettel gedruckt werden können. Bei der heutigen Technik wäre es leicht gewesen, in wenigen Sekunden identische Stimmzettel zu drucken.
Die Anfechtung der Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter hat die Bezirkswahlbehörde mit der Begründung:
zurückgewiesen, dass zur Wahlanfechtung nach §108 Abs2 NÖ GO nur die Mitglieder des jeweiligen Ausschusses und die im Ausschuss vertretenen Parteien berechtigt seien. Weiters sei auf einen bestimmten Ausschuss nicht Bezug genommen worden.
Der Erstanfechtungswerber ist im Ausschuss für Umwelt und Natur, der Zweitanfechtungswerber im Ausschuss Bau, Land- und Forstwirtschaft vertreten. Die Wahlbehörden hätten daher betreffend die Anfechtungswerber einzeln prüfen müssen, ob die Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter recht...mäßig erfolgt ist.
Bei dem Ausschuss für Umwelt und Natur hat die Wahl im Nachbarraum stattgefunden. Die Argumentation, dass der Gemeinderat Herr U. angegeben habe, dass die Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter des Bauausschusses im Sitzungssaal vorgenommen wurden, ist betreffend den Ausschuss für Umwelt und Natur nicht relevant. Die Wahlbehörden hätten daher hierbei auch die Voraussetzungen des geheimen Wahlrechts prüfen müssen.
Der Argumentation, die subjektive Beschwerde sei nicht gegeben, da der Erstanfechtungswerber zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt worden sei, ist auch nicht zu folgen, da der Erstanfechtungswerber berechtigt ist, auch die Wahl des Stellvertreters anzufechten.
Aus all diesen Gründen hatten die oben geschilderten gesetzwidrigen Vorgehensweisen bzw. die Nichteinhaltung der geheimen Wahl Einfluss auf das Wahlergebnis bei der Wahl des Bürgermeisters, bei der Wahl des Vizebürgermeisters, bei der Wahl des Gemeindevorstandes, bei der Wahl der Vorsitzenden und deren Stellvertreter der Gemeinderatsausschüsse in der Marktgemeinde Niederhollabrunn.
…
Zu der Niederschrift der Wahl ist auszuführen, dass diese fehlerhaft ist und nicht dem tatsächlichen Wahlvorgang entspricht.
Folgende Punkte werden bemängelt:
1. Seite 1 unter dem Punkt 'Angelobung': der Satz 'die Mitglieder des Gemeinderates legen über Namensaufruf durch den Altersvorsitzenden, nachdem dieser zunächst das Gelöbnis vor dem neugewählten Gemeinderat abgelegt hat, mit den Worten 'Ich gelobe' das Gelöbnis ab.'
2. Unter Punkt 2 bei 'Wahl des Bürgermeisters' - die ungültigen Stimmzettel (leere Kuverts) werden fortlaufend nummeriert. Bei der Wahl wurden keine Stimmzettel mit Kuverts verwendet.
3. Unter Punkt 3 bei 'Wahl der geschäftsführenden Gemeinderäte' wird angeführt, dass es beim Wahlvorschlag der ÖVP 19 abgegebene Stimmen g[e]be, davon 5 ungültige Stimmen, 14 gültige Stimmen.
Es wurde vielmehr wie folgt vorgegangen: Die Mitglieder des Gemeinderates sagten nacheinander - so wie sie saßen - die
Gelöbnisformel... auf.
Die Ungültigkeit ist wie folgt zu begründen: Stimmzettel Nr. 1 - 5, alle durchgestrichen; Stimmzettel 6-7, 1 bzw. 3 Kandidaten durchgestrichen.
Von den gültigen Stimmzetteln lauten alle bei den ÖVP-Kandidaten auf 13 Stimmzettel. - Was mit dem 14. gültigen Stimmzettel passierte, ist nicht ersichtlich. Anhand des Protokolls ist auch nicht ersichtlich, wie das Ergebnis zustande kommt."
3. Die Landes-Hauptwahlbehörde legte dem Verfassungsgerichtshof die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Wahlanfechtung, soweit sie die Wahlen zu Mitgliedern, Vorsitzenden und Stellvertretern von Gemeinderatsausschüssen betrifft, als unzulässig zurückzuweisen und im Übrigen als unbegründet abzuweisen. Begründend führt sie darin im Wesentlichen Folgendes aus:
"In der nunmehrige[n] Beschwerde wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und vorgebracht, dass durch die vermeintlich nicht geheime Wahl und den - nicht näher erläuterten - vorhandenen Fraktionszwang die freie Meinungsäußerung der Wähler beeinträchtigt gewesen sei. Die Beschwerdeführer übersehen aber, dass der Verfassungsgerichtshof bei der Wahl der Gemeindefunktionäre aus deren Mitte keinen ganz so strengen Maßstab anwendet wie er es bei einer Wahlhandlung durch den Wähler tut. Auch wird außer Acht gelassen, dass es den Beschwerdeführern möglich war und zugemutet werden konnte, zum Zwecke der Stimmabgabe den dafür vorgesehenen Raum aufzusuchen, da die für diese Wahlhandlung notwendige Infrastruktur vorhanden war.
Auch verkennen die Beschwerdeführer im Bereich der Gemeindevorstandsmitglieder die Besonderheiten der 'gebundenen' Wahl, zumal dies auch keine Auswirkungen auf die Ergebnisse der Wahlhandlung gehabt hat (vgl. VfSlg. 12.946).
...
Was die Wahl der Mitglieder, Vorsitzenden und Stellvertreter der Gemeinderatsausschüsse betrifft, darf angemerkt werden, dass ein Gemeinderatsausschuss kein allgemeiner Vertretungskörper ist, sodass die Wahl in diesen nicht nach Art141 Abs1 lita B-VG angefochten werden kann. Dies deshalb, da ein Ausschuss des Gemeinderates ausschließlich die Stellung eines Hilfsorganes des Gemeinderates hat und daher nicht unter den Begriff 'mit der Vollziehung betrautes Organ der Gemeinde' fällt. (vgl. VfSlg[.] 16.854, VfSlg. 17.389 und VfSlg. 18.288)."
II. Rechtslage
Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der NÖ GO 1973 lauten wie folgt:
"§22
Rechte der Mitglieder des Gemeinderates
(1) Jedes Mitglied des Gemeinderates hat insbesonders das Recht, bei den Sitzungen des Gemeinderates zu den Verhandlungsgegenständen das Wort zu ergreifen, Anfragen und Anträge zu stellen sowie das Stimmrecht auszuüben. Die Anfragen sind vom Bürgermeister spätestens in der nächsten Gemeinderatssitzung zu beantworten. Eine Nichtbeantwortung ist zu begründen. Jedes Mitglied des Gemeinderates hat überdies das Recht, jene Akten einzusehen, auf die sich Verhandlungsgegenständen einer anberaumten Gemeinderatssitzung beziehen. Die Ergebnisse der Vorberatung in den Ausschüssen und im Gemeindevorstand einschließlich der Anträge an den Gemeinderat sind diesen Akten beizuschließen. Nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten müssen auch Kopien der Akten auf Kosten des Mitgliedes des Gemeinderates hergestellt werden.
(2) - (4) …
…
§49
Sitzungspolizei
(1) Der Vorsitzende eröffnet und schließt die Sitzungen des Gemeinderates, leitet die Verhandlungen, erteilt das Wort, lässt über Anträge abstimmen und stellt das Ergebnis der Abstimmung fest. Er ist jederzeit, insbesondere im Falle einer Störung berechtigt, die Sitzung zu unterbrechen oder gänzlich aufzuheben. Im Fall der Sitzungsunterbrechung hat der Bürgermeister den Termin für die Fortsetzung der Sitzung entweder sofort bekanntzugeben oder alle Mitglieder des Gemeinderates, mit Ausnahme der Mitglieder, die ihre Verhinderung mitgeteilt haben oder von der Teilnahmepflicht befreit wurden, nachweislich und schriftlich spätestens am fünften Tag vor dem Tag der Wiederaufnahme der Sitzung neuerlich einzuladen. §45 Abs3 gilt dabei sinngemäß. Die Befassung des Gemeindevorstandes (Stadtrates) ist dazu nicht erforderlich.
(2) - (3) …
…
1. Abschnitt
Konstituierung des Gemeinderates
§96
Erste Sitzung
(1) Die erste Sitzung des Gemeinderates muß spätestens vier Wochen nach dem ungenützten Ablauf der Frist zur Anfechtung der Wahl stattfinden. Wurde die Wahl angefochten, muß die erste Sitzung binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung der Landes-Hauptwahlbehörde stattfinden, sofern nicht die Gemeinderatswahl zur Gänze oder teilweise wiederholt werden muß.
(2) Zur ersten Sitzung werden die gewählten Bewerber vom bisherigen Bürgermeister (seinem Stellvertreter) eingeladen. Wenn das nicht möglich ist, erfolgt die Einladung durch das an Jahren älteste Mitglied des neugewählten Gemeinderates (Altersvorsitzender). Im Falle einer Säumnis erfolgt die Einladung durch die Aufsichtsbehörde.
(3) Wurde die Neuwahl des Gemeinderates wegen einer Gebietsänderung durchgeführt, muß der Bürgermeister jener Gemeinde, deren Gemeindewahlbehörde die Neuwahl durchgeführt hat, den Gemeinderat einberufen.
(4) Den Vorsitz in der ersten Sitzung des Gemeinderates führt bis zur Annahme der Wahl durch den neugewählten Bürgermeister der Altersvorsitzende.
(5) In der konstituierenden Gemeinderatssitzung können nur Wahlen, Bestellungen, sowie Entsendungen durchgeführt und die hiefür notwendigen Beschlüsse gefaßt werden.
§97
Gelöbnis
(1) Vor der Wahl des Bürgermeisters muß jeder gewählte Bewerber vor dem Altersvorsitzenden ein Gelöbnis ablegen. Wenn in der ersten Sitzung des Gemeinderates weniger als zwei Drittel aller Mitglieder des Gemeinderates anwesend sind, ist die Angelobung zu Beginn der neuerlichen Sitzung (§98 Abs1) vorzunehmen.
(2) Das Gelöbnis lautet: 'Ich gelobe, die Bundes- und Landesverfassung und alle übrigen Gesetze der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich gewissenhaft zu beachten, meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu
wahren und das Wohl der Gemeinde ....... nach bestem Wissen und
Gewissen zu fördern.'
(3) Der Altersvorsitzende muß das Gelöbnis als erster vor dem neugewählten Gemeinderat ablegen. Später eintretende Ersatzmitglieder leisten das Gelöbnis dem Bürgermeister.
(4) Ein Gelöbnis unter Bedingungen oder mit Zusätzen gilt als verweigert. Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig. Die Verweigerung des Gelöbnisses muß im Sitzungsprotokoll vermerkt werden. Wird das Gelöbnis verweigert, darf der Betreffende der Sitzung als Teilnehmer nicht mehr beiwohnen.
2. Abschnitt
Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Ausschüsse
§98
Allgemeines
(1) Zum Bürgermeister oder Mitglied des Gemeindevorstandes (Stadtrates) dürfen nur österreichische Staatsbürger gewählt werden. Zur Gültigkeit der Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes (Stadtrates), der(s) Vizebürgermeister(s) und der Mitglieder des Prüfungsausschusses ist die Anwesenheit von mindestens zwei Drittel aller Mitglieder des Gemeinderates erforderlich. Wenn diese Anwesenheit nicht erreicht wird, muß der Gemeinderat binnen zwei Wochen neuerlich zu den Wahlen einberufen werden, die spätestens vier Wochen nach der ersten Sitzung stattzufinden hat. Bei der neuerlichen Sitzung dürfen die Beschlüsse über die Anzahl der zu wählenden Vizebürgermeister und geschäftsführenden Gemeinderäte (Stadträte) und die Wahlen ohne Rücksicht auf die Anzahl der anwesenden Gemeinderatsmitglieder durchgeführt werden. §96 Abs2 dritter Satz gilt sinngemäß.
(2) Die Wahlen müssen mit Stimmzetteln und geheim durchgeführt werden. Über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Stimmzettel bei der Wahl des Bürgermeisters entscheidet der Altersvorsitzende unter Beiziehung von zwei Mitgliedern des Gemeinderates, die er unter Berücksichtigung der Parteienverhältnisse auswählt.
(3) Bei der Wahl des Gemeindevorstandes (Stadtrates) und der Ausschüsse entscheidet über die Gültigkeit der Bürgermeister gleichfalls unter Beiziehung von zwei Mitgliedern des Gemeinderates, die er unter Berücksichtigung der Parteienverhältnisse auswählt.
§99
Wahl des Bürgermeisters
(1) Die Wahl des Bürgermeisters findet vor allen anderen Wahlen statt. Wählbar zum Bürgermeister sind nur Mitglieder des Gemeinderates. Von der Wählbarkeit sind Personen ausgeschlossen, die nach den landesgesetzlichen Bestimmungen oder gemäß §13 des Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 123/1967, ihr Amt als Bürgermeister oder Mitglied des Gemeindevorstandes verloren haben, bis zur nächsten Neuwahl des Gemeinderates ab Rechtskraft des Bescheides, mit dem der Amtsverlust ausgesprochen wurde.
(2) Als gewählt gilt derjenige, auf den mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen lauten. Stimmzettel, die auf nicht wählbare Personen lauten, die Namen mehrerer wählbarer Personen enthalten und Stimmzettel, die aus einem sonstigen Grund die Absicht des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen lassen, sowie leere Stimmzettel (Kuverts) sind ungültig. Stimmzettel, die zwar mehrere Namen, jedoch nur einen wählbaren Bewerber enthalten, sind für diesen gültig.
(3) Kommt die erforderliche Mehrheit nicht zustande, muß eine engere Wahl durchgeführt werden. Bei der engeren Wahl können nur mehr die zwei Personen gewählt werden, die bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los, wer an der engeren Wahl teilnehmen darf. Jede Stimme, die bei der engeren Wahl für eine andere Person abgegeben wird, ist ungültig. Ergibt sich auch bei der engeren Wahl Stimmengleichheit, dann entscheidet das Los.
§100
Annahme der Wahl
Der zum Bürgermeister Gewählte muß vom Altersvorsitzenden befragt werden, ob er die Wahl annimmt. Verweigert der Gewählte die Annahme der Wahl, muß binnen zwei Wochen eine neuerliche Wahl durchgeführt werden.
§101
Wahl der geschäftsführenden Gemeinderäte (Stadträte)
(1) Nach der Wahl des Bürgermeisters findet die Wahl der geschäftsführenden Gemeinderäte (Stadträte) statt. Dazu übernimmt der Bürgermeister den Vorsitz.
(2) Nach dem Beschluß (§24 Abs1) über die Anzahl der zu wählenden Vizebürgermeister und die Anzahl der geschäftsführenden Gemeinderäte (Stadträte) wird die Anzahl der geschäftsführenden Gemeinderäte einschließlich der Vizebürgermeister auf die im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien nach dem Verhältnis der Parteisummen aufgeteilt. Die Zahl der Vizebürgermeister und der geschäftsführenden Gemeinderäte darf bis zum Ende der Funktionsperiode nicht geändert werden.
§102
Wahlvorschläge
(1) Jede Wahlpartei, die Anspruch auf die Besetzung eines geschäftsführenden Gemeinderates (Stadtrates) hat, muß für die Wahl einen Wahlvorschlag erstatten. Diese Wahlvorschläge müssen so viele Kandidaten enthalten, als der Wahlpartei Gemeindevorstandstellen (Stadtratstellen) zukommen und müssen von mehr als der Hälfte der Gemeinderäte der betreffenden Wahlpartei unterschrieben sein. Es dürfen nur Mitglieder des Gemeinderates vorgeschlagen werden, wobei die Vorgeschlagenen nicht auf dem Gemeinderatswahlvorschlag der anspruchsberechtigten Wahlpartei aufscheinen müssen.
(2) Von der Wählbarkeit sind Personen ausgeschlossen, die nach den landesgesetzlichen Bestimmungen oder gemäß §13 des Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetzes, BGBl. Nr. 123/1967, ihr Amt als Bürgermeister oder Mitglied des Gemeindevorstandes verloren haben, bis zur nächsten Neuwahl des Gemeinderates ab Rechtskraft des Bescheides, mit dem der Amtsverlust ausgesprochen wurde.
(3) Nach dem Beschluß über die Anzahl der geschäftsführenden Gemeinderäte müssen die Wahlvorschläge dem Bürgermeister zur Überprüfung, ob
a) die Wahlvorschläge von mehr als der Hälfte der Gemeinderäte der anspruchsberechtigten Wahlpartei unterschrieben sind, und
b) die Vorgeschlagenen in den Gemeindevorstand gewählt werden dürfen, übergeben werden.
(4) Müssen nach dieser Überprüfung ein oder mehrere Bewerber mangels Wählbarkeit gestrichen werden, muß die anspruchsberechtigte Wahlpartei einen Ergänzungswahlvorschlag erstatten, der ebenfalls von mehr als der Hälfte der Gemeinderäte dieser Wahlpartei unterschrieben sein muß.
(5) Fehlen Unterschriften, so können diese bis zu Beginn der Wahl nachgebracht werden. Unterbleibt das, darf der Wahlvorschlag nicht berücksichtigt werden.
§103
Wahlvorgang, Bewertung der Stimmzettel
(1) In den Gemeindevorstand (Stadtrat) können nur Vorgeschlagene gewählt werden. Die von den Wahlparteien Vorgeschlagenen können gemeinsam in einem einzigen Wahlgang gewählt werden. Jeder Stimmzettel, der auf eine andere Person lautet, ist ungültig. Leere Stimmzettel (Kuverts) sind gleichfalls ungültig. Stimmzettel, auf denen neben den Vorgeschlagenen auch andere Personen aufgeführt sind, sind für die Vorgeschlagenen gültig.
(2) Gewählt sind jene Vorgeschlagenen, auf die gültige Stimmen entfallen.
§104
Unterbleiben des Wahlvorschlages
(1) Wird von einer Wahlpartei kein Wahlvorschlag oder ein Wahlvorschlag mit zu wenig Kandidaten erstattet, so müssen die dieser Wahlpartei zustehenden Gemeindevorstandstellen (Stadtratstellen) durch Wahl aus dem Kreis der Gemeinderäte dieser Wahlpartei besetzt werden. Dabei gilt §99 Abs2 und 3 sinngemäß. Gleiches gilt, wenn zwar ein Wahlvorschlag erstattet wurde, aber einer oder mehrere Vorgeschlagene nicht gewählt wurden oder ein Wahlvorschlag nicht die notwendige Anzahl von Unterschriften aufgewiesen hat.
(2) Können nach Abs1 Gemeindevorstandstellen (Stadtratstellen) durch Verweigerung der Wahlannahme nicht besetzt werden, werden die Gemeindevorstandstellen offengehalten.
(3) Wird später von der anspruchsberechtigten Wahlpartei ein Wahlvorschlag (Ergänzungswahlvorschlag) erstattet, so muß binnen zwei Wochen nach Einlangen des Wahlvorschlages am Gemeindeamt (Stadtamt) eine Ergänzungswahl in den Gemeindevorstand (Stadtrat) durchgeführt werden.
§105
Wahl der (des) Vizebürgermeister(s)
(1) Nach Beendigung der Wahl des Gemeindevorstandes werden aus der Mitte des Gemeindevorstandes (Stadtrates) der bzw. die Vizebürgermeister getrennt gewählt. Dabei wird §99 Abs2 und 3 sinngemäß angewendet.
(2) Werden mehrere Vizebürgermeister gewählt und gehört der Bürgermeister der stimmenstärksten Wahlpartei an, muß der zweite Vizebürgermeister aus den Reihen der stimmenzweitstärksten Wahlpartei gewählt werden, soferne diese nicht den ersten Vizebürgermeister stellt. Gehört der Bürgermeister nicht der stimmenstärksten Wahlpartei an, so muß der zweite Vizebürgermeister aus deren Reihen gewählt werden, wenn diese Wahlpartei nicht den ersten Vizebürgermeister stellt.
(3) Wenn ein zum Vizebürgermeister Gewählter auf Befragen des Bürgermeisters die Wahl nicht annimmt, muß sofort die Wahl eines anderen Vizebürgermeisters durchgeführt werden. Kann die Stelle durch Verweigerung der Wahlannahme nicht besetzt werden, wird sie offengehalten.
(4) Wird später von einer anspruchsberechtigten Wahlpartei erklärt, daß mit der Wahlannahme zu rechnen ist, so muß binnen zwei Wochen nach Einlangen der Erklärung am Gemeindeamt (Stadtamt) eine Wahl durchgeführt werden.
§106
Niederschrift, Kundmachung des Wahlergebnisses
(1) Über die Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes (Stadtrates) und der (des) Vizebürgermeister(s) muß eine Niederschrift aufgenommen werden, die von allen anwesenden Mitgliedern des Gemeinderates unterschrieben werden muß. Verweigert ein Mitglied die Unterschrift, ist der Grund dafür anzugeben.
(2) Das Ergebnis der Wahlen des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes (Stadtrates) und der (des) Vizebürgermeister(s) muß vom Bürgermeister durch Anschlag an der Amtstafel kundgemacht werden.
§107
Wahl der Gemeinderatsausschüsse und deren Vorsitzenden
(1) Die im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien haben während der gesamten Funktionsperiode entsprechend dem Verhältniswahlrecht nach den bei der letzten Gemeinderatswahl erzielten Parteisummen das Vorschlagsrecht zur Besetzung
a) der Ausschußmitglieder und
b) der Vorsitzendenstellen (nach Maßgabe des Abs2) und der Vorsitzendenstellvertreterstellen, sofern sie im Ausschuß vertreten sind.
Welcher Wahlpartei das Vorschlagsrecht für die Besetzung einer Vorsitzendenstelle und/oder Vorsitzendenstellvertreterstelle eines Ausschusses - mit Ausnahme des Prüfungsausschusses - zukommt, wird durch Gemeinderatsbeschluß bestimmt.
(2) Bei der Aufteilung der Vorsitzenden- und Vorsitzendenstellvertreterstellen auf die Wahlparteien bleibt die Stelle des Vorsitzenden und des Vorsitzendenstellvertreters des Prüfungsausschusses unberücksichtigt. Von der Wahl zum Vorsitzenden des Prüfungsausschusses ist ausgeschlossen, wer der Wahlpartei des Bürgermeisters angehört, sofern eine andere Wahlpartei als die des Bürgermeisters im Prüfungsausschuß vertreten ist.
(3) Voraussetzung für die Wahl und die Mitgliedschaft ist die Mitgliedschaft zum Gemeinderat. Von der Wahl zum Mitglied des Prüfungsausschusses sind der Bürgermeister, die Mitglieder des Gemeindevorstandes (Stadtrates), der Kassenverwalter und der erforderlichenfalls bestellte Vertreter des Kassenverwalters sowie deren Ehegatten, Verwandte oder Verschwägerte in der Seiten oder auf- und absteigenden Linie bis einschließlich zum zweiten Grad ausgeschlossen. Die Wahl der Prüfungsausschußmitglieder hat in der konstituierenden (neuerlichen) Sitzung des Gemeinderates zu erfolgen.
(4) Wird ein Mitglied des Prüfungsausschusses zum Bürgermeister, zum Mitglied des Gemeindevorstandes (Stadtrates) gewählt, zum Kassenverwalter oder zu dessen Stellvertreter bestellt, scheidet es aus dem Prüfungsausschuß aus. Das gleiche gilt für ein verwandtes (verschwägertes) Mitglied derselben Wahlpartei der von der Wahl zum Mitglied des Prüfungsausschusses ausgeschlossenen Personen und deren Ehegatten.
(5) Für die Wahl der Mitglieder sowie der Vorsitzenden und Vorsitzendenstellvertreter der Ausschüsse sind die Bestimmungen der §§102 Abs1, 3 und 4, 103 und 104 sinngemäß anzuwenden. Die von den Wahlparteien für die Ausschüsse Vorgeschlagenen können gemeinsam in einem Wahlvorgang gewählt werden. Zur Gültigkeit der Wahl der Ausschußmitglieder ist die Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Gemeinderates erforderlich. Wenn diese Anwesenheit nicht erreicht wird, kann die Wahl durchgeführt werden, wenn bei der neuerlichen Gemeinderatssitzung mehr als die Hälfte der Mitglieder des Gemeinderates anwesend sind, wobei bei der zweiten Einberufung auf diese Bestimmung ausdrücklich hinzuweisen ist. Zur gleichzeitigen Wahl des Vorsitzenden und des Vorsitzendenstellvertreters muß der Ausschuß vom Bürgermeister einberufen werden, der bis zur Beendigung der Wahl des Vorsitzenden den Vorsitz führt.
3. Abschnitt
Anfechtung der Wahlen des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes (Stadtrates), der Ausschüsse, der Ausschußvorsitzenden und der Ausschußvorsitzendenstellvertreter
§108
Anfechtungsberechtigung, Anfechtungsfrist, Anfechtungsgründe
(1) Die Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes (Stadtrates) und der Ausschüsse können von jedem Mitglied des Gemeinderates und von jeder im Gemeinderat vertretenen Wahlpartei schriftlich innerhalb einer Woche ab dem Tag der Wahlen angefochten werden.
(2) Die Wahl des Ausschußvorsitzenden und dessen Stellvertreters können von jedem Mitglied des Ausschusses und von den im Ausschuß vertretenen Wahlparteien schriftlich innerhalb einer Woche nach dem Tag der Wahl angefochten werden.
(3) Die Anfechtung, die begründet werden muß, kann sowohl auf die angebliche Unrichtigkeit der Ermittlung des Ergebnisses als auch auf angeblich gesetzwidrige Vorgänge im Wahlverfahren, die auf das Ergebnis der Wahl von Einfluß waren, gestützt werden.
§109
Anfechtungsverfahren
(1) Die Anfechtungen müssen beim Gemeindeamt (Stadtamt) eingebracht werden. Sie haben keine aufschiebende Wirkung. Über die Anfechtung entscheidet zunächst die Bezirkswahlbehörde. Gegen deren Entscheidung kann innerhalb einer Woche ab Zustellung der Entscheidung Berufung an die Landes-Hauptwahlbehörde eingebracht werden. Die Berufung muß bei der Bezirkswahlbehörde eingebracht werden.
(2) Wenn eine Anfechtung verspätet oder von einer dazu nicht berechtigten Person eingebracht wird oder die Begründung fehlt, muß die Anfechtung zurückgewiesen werden. Einer Anfechtung muß Folge gegeben werden, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis Einfluß hatte.
(3) Wird einer Anfechtung ganz oder teilweise stattgegeben, muß gegebenenfalls festgestellt werden, inwieweit die Wahl oder die Wahl einzelner Personen für ungültig erklärt wird.
(4) Rechtskräftige Entscheidungen über Wahlanfechtungen müssen vom Bürgermeister an der Amtstafel kundgemacht werden."
III. Erwägungen
1. Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof u.a. über Anfechtungen von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde. Wahlen im Sinne dieser Bestimmung sind - schon auf Grund der ausdrücklichen Erwähnung im §67 Abs1 VfGG - Wahlen in den Gemeindevorstand - und somit auch die Wahl einzelner Mitglieder des Gemeindevorstandes (zB VfSlg. 12.946/1981, 13.643/1993) - sowie auch die Wahl des vom Gemeinderat zu wählenden Bürgermeisters (zB VfSlg. 10.801/1986, 10.786/1986, 10.908/1986). Die Anfechtung von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde bedarf gemäß §67 Abs2 erster Satz VfGG eines Antrages von einem Zehntel der Mitglieder der Gemeindevertretung, mindestens aber zweier Mitglieder.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass Wahlen in einen Ausschuss des Gemeinderates, der ausschließlich die Stellung eines Hilfsorganes des Gemeinderates hat (vgl. §43 NÖ GO 1973), nicht unter den Begriff "mit der Vollziehung betrautes Organ der Gemeinde" fallen; sie sind daher nicht nach Art141 Abs1 litb B-VG bekämpfbar. Da ein Gemeinderatsausschuss auch keinen "allgemeinen Vertretungskörper" darstellt, kann die Wahl in einen solchen auch nicht nach Art141 Abs1 lita B-VG angefochten werden (vgl. zB VfSlg. 7678/1975, 16.854/2003, 18.288/2007).
Die Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters der Ausschüsse stellt daher keine Wahl in ein "mit der Vollziehung
betraute(s) Organ... einer Gemeinde" dar. Andere Bestimmungen als die
in Punkt 1.1. genannten, die in Betracht kämen, um eine Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Anfechtung der Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter zu begründen, gibt es nicht; die - ausdrücklich auf Art141 B-VG gestützte - Wahlanfechtung erweist sich daher, soweit sie die Aufhebung der "Wahl der Ausschussvorsitzenden und Stellvertreter" begehrt, als unzulässig.
1.3. Nach §68 Abs1 VfGG muss die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.
1.4. Wie sich aus den Ausführungen zu Punkt I.1.4. ergibt, wurde die von den beiden Anfechtungswerbern gemäß §108 NÖ GO 1973 erhobene Wahlanfechtung mit Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde vom 28. Juni 2010 als unbegründet abgewiesen. Dieser Bescheid wurde den beiden Anfechtungswerbern am 30. Juni 2010 zugestellt. Die am 15. Juli 2010 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde somit rechtzeitig eingebracht. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen zutreffen, ist die auf Art141 B-VG gestützte Wahlanfechtung, soweit darin die Aufhebung der Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes und des Vizebürgermeisters beantragt wird, zulässig.
2. In der Sache
2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof ein Wahlverfahren nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung gezogenen Grenzen zu überprüfen hat (VfSlg. 8852/1980, 12.289/1990).
2.2. In der Anfechtung wird die Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens im Wesentlichen damit begründet, dass die Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes und des Vizebürgermeisters nicht den Anforderungen des in §98 Abs2 NÖ GO 1973 festgelegten "geheimen" Wahlrechts entspreche. Es seien keine Kuverts für die Stimmzettel und keine Wahlzelle verwendet worden, sodass sich die Mitglieder einander bei der Stimmabgabe hätten beobachten können. Die Landes-Hauptwahlbehörde führte demgegenüber aus, dass ein anderes Zimmer zur Ausfüllung des Stimmzettels zur Verfügung gestanden habe und Stimmzettel verteilt worden seien, ansonsten wurde dem Vorbringen in der Anfechtungsschrift nicht widersprochen.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat anlässlich einer vom Gemeinderat durchgeführten Wahl eines Mitgliedes des Gemeindevorstandes ausgesprochen, dass es Sache der an einer Gemeinderatssitzung Teilnehmenden ist, schon in dieser Sitzung - rechtzeitig - den Vorsitzenden der Wahl und die übrigen Mitglieder des Gemeinderates auf die behaupteten Unzulänglichkeiten der Wahlhandlung hinzuweisen oder auch entsprechende Anträge zu stellen, damit potenzielle Rechtswidrigkeiten einer Wahl überhaupt vermieden oder noch während des Wahlvorganges abgewendet werden könnten (VfSlg. 16.626/2002).
Im vorliegenden Fall hätten die Anfechtungswerber die Möglichkeit gehabt, die von ihr behaupteten Unzulänglichkeiten der Vorkehrungen zum Schutz des geheimen Wahlrechts aufzuzeigen bzw. entsprechende Anträge zu stellen (vgl. §22 Abs1 und §49 Abs1 NÖ GO 1973) und die Vorsitzenden auf die ihrer Ansicht nach vorliegende Mangelhaftigkeit des Wahlverfahrens hinzuweisen. Weder ergibt sich aus der Niederschrift über die Wahlen gemäß §106 NÖ GO 1973 noch wird in der Wahlanfechtung behauptet, dass die Anfechtungswerber entsprechende Anträge gestellt bzw. die Mangelhaftigkeit des Wahlverfahrens aufgezeigt hätten. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens wegen Verletzung des geheimen Wahlrechts liegt daher nicht vor.
2.4. Wenn die Anfechtungswerber weiters vorbringen, dass bei der Wahl des Gemeindevorstandes einerseits bei einem Wahlvorschlag vorgedruckte Stimmzettel und andererseits beim - erst unmittelbar vor Sitzungsbeginn eingebrachten - Wahlvorschlag der Anfechtungswerber nur leere Stimmzettel verwendet worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 in keiner Bestimmung vorgedruckte Stimmzettel vorschreibt. Gemäß §103 NÖ GO 1973 sind leere Stimmzettel als ungültig zu werten, womit das Gesetz von einer Möglichkeit der Verwendung leerer Stimmzettel ausgeht. Eine rechtswidrige Vorgangsweise kann somit nicht erblickt werden.
2.5. Soweit die Anfechtungswerber außerdem rügen, dass einzelne Feststellungen in der Niederschrift betreffend die Durchführung der Angelobung der Mitglieder des Gemeinderates, der Verwendung von Stimmkuverts und der Feststellung des Ergebnisses der Wahl der - auf Grund eines Wahlvorschlages der ÖVP - "geschäftsführenden Gemeinderäte" fehlerhaft seien, ist auf die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach einer Wahlanfechtung nicht schon dann stattzugeben ist, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde; sie muss darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen sein (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG, §70 Abs1 VfGG): Dazu sprach der Verfassungsgerichtshof wiederholt aus, dass diese (zweite) Voraussetzung bereits erfüllt ist, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte (vgl. VfSlg. 11.738/1988 sowie 17.146/2004).
Der Mangel der fehlerhaften Niederschrift - läge er tatsächlich vor - bliebe jedoch auf die Wahlergebnisse tatsächlich ohne jeden Einfluss. Selbst wenn man - trotz der in diesem Punkt unklaren Formulierung in der Anfechtungsschrift - von einer behauptetet Rechtswidrigkeit iS eines falsch gewerteten Stimmzettels ausginge, würde dies ebenfalls keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, da bei der Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes gemäß §103 NÖ GO 1973 nur Vorgeschlagene gewählt werden können und jene Vorgeschlagenen gewählt sind, auf die gültige Stimmen entfallen, und somit eine gültige Stimme reicht, um gewählt zu sein. Die Frage der richtigen Wertung eines Stimmzettels ist daher angesichts von jedenfalls zwölf unbestrittenen gültigen Stimmen nicht von Einfluss auf das Wahlergebnis. Im Übrigen wird in der Anfechtungsschrift nicht behauptet, dass die Gemeinderäte tatsächlich nicht angelobt wurden.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1.1. Soweit die Anfechtung gegen die Wahl der Ausschussvorsitzenden und der Stellvertreter gerichtet ist, war sie aus den unter III.1.2. genannten Gründen als unzulässig zurückzuweisen.
1.2. Im Übrigen war der Wahlanfechtung der Anfechtungswerber aus den unter III.2. genannten Gründen nicht stattzugeben.
1.3. Der Antrag auf Abtretung der "Beschwerde" an den Verwaltungsgerichtshof für den Fall der Zurückweisung musste zurückgewiesen werden, weil Art144 Abs3 B-VG (vgl. auch §87 Abs3 VfGG) nur die Abtretung einer Beschwerde, nicht aber einer Wahlanfechtung vorsieht (und die Abtretung einer Bescheidbeschwerde darüber hinaus auch nur für den Fall der Ablehnung oder Abweisung derselben; vgl. VfSlg. 13.624/1993).
1.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Wahlen, Gemeinderecht Organe, Gemeindevollziehungsorgane,Bürgermeister, Gemeindevorstand, Gemeinderat, Wahlrecht geheimes,VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2011:WI7.2010Zuletzt aktualisiert am
21.05.2012