TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/9 2000/02/0116

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Veröffentlicht am 09.03.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AVG §17 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde des S in B, vertreten durch Dr. Branko Perc, Rechtsanwalt in 9150 Bleiburg, 10.-Oktober-Platz 13, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 11. November 1999, Zl. LGS/Abt. 4/1218/1999, betreffend Versagung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 1. Juli 1999 sprach das Arbeitsmarktservice Völkermarkt aus, der Beschwerdeführer habe den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 - AlVG für den Zeitraum 21. Juni 1999 bis 1. August 1999 verloren. Die Begründung lautet im Wesentlichen:

"Sie haben eine mögliche Arbeitsaufnahme bei der Fa. F vereitelt. Berücksichtigungswürdige Umstände wurden nicht geltend gemacht."

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei bei der zugewiesenen Arbeitsstelle unverzüglich vorstellig geworden. Beim Vorstellungsgespräch habe er nach Befragen über seinen Gesundheitszustand die Wahrheit gesagt. Diesbezüglich berief er sich auf ein am 12. Juli 1999, ca. 10.45 Uhr, geführtes Gespräch mit Herrn L und führte als Zeugen Herrn S an. Als Beweis wies er auf eine "Tonbandaufnahme" hin. Er habe die mögliche Arbeitsaufnahme nicht vereitelt.

Ohne weitere eigene Ermittlungen erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem sie der Berufung keine Folge gab.

Die belangte Behörde stellte als Sachverhalt fest, es sei dem Beschwerdeführer am 18. Juni 1999 von der regionalen Geschäftsstelle Völkermarkt eine Beschäftigung als Maschinenarbeiter beim Dienstgeber Fa. F, mit Arbeitsantritt 21. Juni 1999 und einem Anfangsstundenlohn von S 97,-- brutto plus Zulagen zugewiesen worden. Diese Beschäftigung hätte allen Zumutbarkeitskriterien des § 9 AlVG entsprochen. Anlässlich des Vorstellungsgespräches am 18. Juni 1999 habe der Beschwerdeführer Herrn B und Herrn L (Fa. F) gegenüber erklärt, dass er Fleischhauer und an einer Fabriksarbeit nicht interessiert sei. Herr L habe daraufhin erklärt, der Beschwerdeführer werde für diese Tätigkeit angelernt und benötige keine Vorkenntnisse. Daraufhin habe der Beschwerdeführer angegeben, er habe Kreuzprobleme und könne daher keine schweren Arbeiten verrichten. Er habe vorher S 20.000,-- netto verdient. Das vereinbarte Beschäftigungsverhältnis sei deshalb nicht zustande gekommen. Am 24. Juni 1999 sei darüber eine Niederschrift bei der Behörde erster Instanz aufgenommen worden. In dieser habe der Beschwerdeführer angegeben,

"1.

ich habe die Beschäftigung nicht angenommen

2.

Gründe: Ich habe den Bewerbungsbogen am 18.6. bei der Fa. F ausgefüllt, daraufhin habe ich ein Gespräch mit dem Herrn B geführt, wobei er mich nach meinem Beruf gefragt hat und zusätzlich was ich dort bei dieser Arbeit verdient habe. Daraufhin meinte ich bei 20.00,-- netto. Herr B meinte, soviel werde ich bei dieser Firma nicht verdienen. Das war mir aber sowieso klar. Ich wäre gewillt dort zu arbeiten".

Diese Feststellungen beruhten auf dem Inhalt des Verfahrensaktes der Behörde erster Instanz, insbesondere der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom 24. Juni 1999 und des Inhaltes der Berufung. Die Feststellungen hinsichtlich des Ablaufes des Vorstellungsgespräches beruhten auf dem Inhalt eines Telefonates der Fa. F (Herr B und Herr L) mit dem Arbeitsmarktservice Völkermarkt vom 18. Juni 1999.

Der Beschwerdeführer habe durch seine Äußerungen beim Vorstellungsgespräch eine mögliche Einstellung bei der Fa. F unterlaufen.

Zu den Berufungseinwendungen führte die belangte Behörde aus, die Aussage des Beschwerdeführers, dass er auf Grund seiner Kreuzprobleme keinerlei schwere Arbeiten verrichten könne, entspreche nicht den Tatsachen, weil laut ärztlichem Gutachten lediglich das Tragen extrem schwerer Lasten zu vermeiden sei. Berücksichtigungswürdige Gründe, die eine gänzliche oder teilweise Nachsicht vom Ausschluss des Bezuges des Arbeitslosengeldes rechtfertigen würden, seien nicht vorgebracht worden und könnten auch auf Grund des Inhaltes des Verfahrensaktes nicht festgestellt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde. Der Beschwerdeführer rügt darin im Wesentlichen Mängel des Ermittlungsverfahrens. Die belangte Behörde sei durch Unterlassung von Ermittlungen zu den widerstreitenden Angaben über den Inhalt des Vorstellungsgespräches zu einer unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gelangt. Zudem sei ihm zum Inhalt des am 18. Juni 1999 mit der Fa. F, geführten Telefonat nicht Parteiengehör gewährt worden.

Zu den vom Beschwerdeführer selbst angegebenen Angaben beim Vorstellungsgespräch, er habe "Kreuzprobleme" und im Beruf des Fleischhauers zuletzt S 20.000,-- netto verdient, führte er deren sachliche Richtigkeit ins Treffen, wobei er sich auf beigelegte Beweismittel bezieht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im gegenständlichen Verfahren ist die Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde nicht schlüssig und beruht auf keinem ordnungsgemäßen Verfahren. Denn laut Akteninhalt wurde das Telefonat der Fa. F mit dem Arbeitsmarktservice vom 18. Juni 1999 nicht, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, mit Herrn B und Herrn L geführt, sondern die darin enthaltenen Angaben über den Inhalt des Vorstellungsgespräches stammten nur von Herrn L.

Laut der oben wiedergegebenen Aussage des Beschwerdeführers habe er ein Gespräch mit Herrn B anderen Inhaltes geführt. Nach dem Inhalt eines Zusatzes zur Niederschrift vom 24. Juni 1999 wurde in Anwesenheit des Beschwerdeführers Rücksprache mit Herrn B und Herrn L "per Lautsprecher" gehalten. Danach habe der Beschwerdeführer bei dem Vorstellungsgespräch angegeben, dass er vorher S 20.000,-- netto verdient habe und Kreuzprobleme hätte. Aus diesem Grund sei er nicht eingestellt worden.

Sohin besteht nicht nur ein Widerspruch zwischen den Angaben des Beschwerdeführers und den im Akt festgehaltenen Angaben der Bediensteten der Fa. F, sondern nach den knapp gehaltenen Vermerken der Behörde erster Instanz nicht einmal Klarheit über die Gesprächspartner des Beschwerdeführers beim Vorstellungsgespräch und über dessen Inhalt (insbesondere findet sich in der Rücksprache anlässlich der Aufnahme der Niederschrift vom 24. Juni 1999 weder das Vorbringen, den Beschwerdeführer würde Fabrikarbeit nicht interessieren, noch er könne keine schweren Arbeiten verrichten). Die belangte Behörde durfte ohne nähere Ermittlungen hiezu (insbesondere niederschriftliche Einvernahme der/s tatsächlichen Gesprächspartner/s beim Vorstellungsgespräch über dessen tatsächlichen Verlauf) nicht den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Sachverhalt feststellen.

Nach den bisher vorliegenden Beweisergebnissen über den Inhalt des Vorstellungsgespräches hätte die belangte Behörde schlüssig einerseits lediglich feststellen dürfen, dass der Beschwerdeführer bei diesem Gespräch "Kreuzprobleme" vorgebracht hat, wobei aber schon die nähere Umschreibung dieser Probleme nicht ersichtlich ist. Dass aber "Kreuzprobleme" gegeben sind, hat die belangte Behörde durch Hinweis auf den Inhalt eines ärztlichen Gutachtens selbst eingeräumt. Die Nennung eines tatsächlich bestehenden Gesundheitsproblems anlässlich eines Vorstellungsgespräches kann aber dann, wenn der nähere Inhalt des Gespräches unbekannt ist, nicht objektiv als Vereitelung der Arbeitsaufnahme gewertet werden.

Andererseits bleibt nur der Hinweis des Beschwerdeführers auf das früher bezogene höhere Einkommen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Hinweis objektiv zutraf (der Beschwerdeführer ging offenbar von der Berechnung seines Letztbezuges inklusive anteiliger Sonderzahlungen aus, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zu erkennen gibt), da alleine daraus mangels Bindung eines zukünftigen Arbeitgebers an frühere Bezüge bei anderen Arbeitgebern weder ein Schluss dahingehend, aus diesem Grunde werde auch bei geringerer Entlohnung keine Einstellung angeboten, noch dahingehend zulässig ist, der Arbeitnehmer werde eine bei geringeren Bezügen angebotene Stellung nicht annehmen (der Beschwerdeführer behauptete anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 24. Juni 1999, er wäre auch bei niedrigerem Bezug gewillt gewesen, bei der Fa. F zu arbeiten).

Angemerkt sei, dass der Einwand der belangten Behörde in der Gegenschrift, der Beschwerdeführer hätte den Inhalt des Vermerkes über das Vorstellungsgespräch vom 18. Juni 1999 durch Akteneinsicht bei Berufungserhebung erfahren können, nicht zielführend ist, weil eine solche Vorgangsweise nicht den Anforderungen an ein (amtswegig) einzuräumendes Parteiengehör genügt.

Zum weiteren in der Beschwerde vorgebrachten Argument, die angebotene Arbeit sei deshalb nicht zumutbar, weil die Fa. F Holzplatten in den verschiedensten Dimensionen produziere und die Beschäftigung an den Maschinen "zwangsläufig das Tragen und Heben schwerer, über 25 kg liegender, Lasten" bedinge, was dem Beschwerdeführer aus medizinischen Gründen auf Dauer unzuträglich sei, weist der Verwaltungsgerichtshof zwar darauf hin, dass die körperlichen Anforderungen einer sich bietenden Arbeitsmöglichkeit im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG bereits von Amts wegen zu erheben und mit den Fähigkeiten des Arbeitslosen zu vergleichen sind. Solche Erhebungen wurden im konkreten Fall nicht durchgeführt. Der Beschwerdeführer zeigt aber mit seinem vagen, durch keine konkrete Beweisanbote untermauerten Beschwerdevorbringen nicht die Relevanz dieses - weiteren - Verfahrensmangels auf, weil sich aus der Produktion von Holzplatten als Unternehmensziel, ohne jedoch die Anforderungen des den in Rede stehenden Arbeitsplatzes zu kennen, nicht "zwangsläufig" die vom Beschwerdeführer gezogene Schlussfolgerung ziehen lässt.

Da bei der Ermittlung des festzustellenden Sachverhaltes Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer nicht zusteht.

Wien, am 9. März 2001

Schlagworte

Akteneinsicht Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000020116.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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