Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
StVO 1960 §26a Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Erdbergstraße 202, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Mai 1999 (mündliche Verkündung), und vom 6. März 2000 (schriftliche Ausfertigung), Zl. UVS- 03/P/48/02535/98, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Behörde erster Instanz vom 15. Juni 1998 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 1. März 1998 um 18.40 Uhr in Wien 5 an einem näher bezeichneten Ort als Lenker eines nach dem Kennzeichen näher bezeichneten Linienbusses (der Linie 14A) beim Abfahren aus der Haltestelle andere Straßenbenützer gefährdet, indem er einen auf gleicher Höhe fahrenden Fahrzeuglenker zu einem Ausweichmanöver nach links gezwungen und ein in der Gegenrichtung fahrendes Fahrzeug zum Abbremsen genötigt habe. Auf Grund seiner Fahrweise habe er sich besonders rücksichtslos anderen Straßenbenützern gegenüber verhalten. Er habe eine Übertretung des § 26a Abs. 2 iVm § 99 Abs. 2 lit. c Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO - zu verantworten. Es wurde - unter Berufung auf § 99 Abs. 3 lit. a StVO - eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden) verhängt.
Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung führte die belangte Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher sie den Aufforderer (Ing. Z.) und dessen mitfahrende Gattin als Zeugen einvernahm. In der Folge unternahm die belangte Behörde den Versuch, die Tachographenscheibe im Hinblick darauf, "inwieweit eine Aussage durch die Tachographenscheibe für die gegenständliche Anlastung im Straferkenntnis" getroffen werden könne, technisch auswerten zu lassen. Eine "Stellungnahme bzw. eine gutachterliche Äußerung" zu diesem Thema konnte von der Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge aus verschiedenen, näher angeführten Gründen nicht abgegeben werden, jedoch konnte für den fraglichen Tatzeitbereich insoferne eine Auswertung erfolgen, als der Linienbus im Zeitraum 18 Uhr 39 Minuten 45 Sekunden bis 18 Uhr 40 Minuten 35 Sekunden zwei Mal beschleunigt worden sei, wobei die kleinere Beschleunigung 1,2 m/s2, die größere Beschleunigung 1,8 m/s2 betragen habe. In der Folge legte der Beschwerdeführer ergänzend technische Unterlagen vor und erstattete Äußerungen.
Nach Ende der am 18. Mai 1999 fortgesetzten mündlichen Verhandlung verkündete die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie erachtete die vom Beschwerdeführer "vorgebrachten Beweismittel" als "nicht dazu geeignet, die Übertretung in ihrer objektiven und subjektiven Verwirklichung auszuschließen".
Die belangte Behörde gab der Berufung keine Folge und bestätigte das Straferkenntnis vom 15. Juni 1998 mit der Maßgabe, dass die Strafnorm § 99 Abs. 2 lit. c StVO zu lauten habe. Sie stützte sich als entscheidungswesentlich auf die in den Verhandlungen unmittelbar gehörten Zeugen- und Beschuldigtenaussagen. Beweiswürdigend hielt die belangte Behörde fest, dass sich der Beschwerdeführer überwiegend auf allgemeine Verhaltensausführungen beschränkt habe, während die Belastungszeugen konkrete Angaben zum Verhalten des Buslenkers gemacht hätten. Die Ausführungen in den ergänzenden Schriftsätzen zur "Chronologie des Ablaufes" mögen zwar relativ stimmen, trügen jedoch zum Erkennen nichts bei, weil jener Punkt, der das zeitliche Verhältnis zwischen Hinderer und Behindertem für die Folge bestimme, durch die Aussage des Beschwerdeführers gerade nicht absteckbar gewesen sei.
Als Sachverhalt stellte die belangte Behörde fest, "dass ein Anfahr- bzw. Ausschwenkmanöver des Linienbusses
wenige Meter vor Erreichen des hinteren Endes desselben durch das Kraftfahrzeug des Zeugen Ing. Z. erkennbar war, jedoch erst in dem Moment, als ein Abbremsen des herannahenden Kraftfahrzeuges ohne verreißendes Auslenken nicht mehr möglich war. Der genaue Bereich in dem der Bus schnell beschleunigend die Fahrbahn erreichte, die Blinker gesetzt wurden und sich der Personenkraftwagen dann im hinteren Bereich des Linienbusses befand, war nicht mehr festzustellen; jedenfalls muss sich der Personenkraftwagen im hinteren oder mittleren Teil des Busses befunden haben, wo es auch nötig war den Personenkraftwagen stark und ruckartig in Richtung Mitte, über die Sperrlinie hinaus zu verreißen, um einen Unfall zu verhindern".
Der festgestellte Sachverhalt reiche hin, um das im Spruch des Straferkenntnisses angelastete Tatbild zu verwirklichen. Nach Erwägungen zur Strafbemessung begründete die belangte Behörde, worin sie die besondere Rücksichtslosigkeit im Verhalten des Beschwerdeführers erblicke.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde habe die Frist des § 51 Abs. 7 VStG nicht eingehalten. Er übersieht, dass der angefochtene Bescheid bereits am 18. Mai 1999, sohin innerhalb von 15 Monaten ab Einlangen der Berufung bei der Behörde erster Instanz (26. Juni 1998), verkündet und sohin erlassen wurde (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1995, Zl. 95/03/0007).
§ 26a Abs. 2 StVO in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 518/1994 lautet:
"Den Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs ist im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen, sobald der Lenker eines solchen Fahrzeuges mit dem Fahrtrichtungsanzeiger die Absicht anzeigt, von der Haltestelle abzufahren. Zu diesem Zweck haben die Lenker nachkommender Fahrzeuge die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern und, falls erforderlich, anzuhalten. Der Lenker des Kraftfahrlinienfahrzeuges darf die Absicht zum Abfahren erst anzeigen, wenn das Fahrzeug tatsächlich abfahrbereit ist und er darf beim Abfahren andere Straßenbenützer nicht gefährden."
Der Großteil der Ausführungen des Beschwerdeführers widmet sich der Rüge, die belangte Behörde habe den Sachverhalt insoferne nicht ausreichend ermittelt, als sie die Tachographenscheibe nicht auswerten lassen und keinen technischen Sachverständigen beigezogen habe. Die Aufnahme der geforderten Beweise hätte ergeben, dass sich das Geschehen nicht in der von den Zeugen geschilderten Weise zugetragen haben könne. In der Beschwerde werden keine näheren Ausführungen als in der Stellungnahme vom 24. März 1999 erstattet.
Der Beschwerdeführer übersieht dabei aber, dass er in dieser Stellungnahme teilweise von willkürlich angenommenen Prämissen zur Fahrgeschwindigkeit des Pkws ausgegangen ist, diese in konträren Varianten zu Positionen des Pkws, welche sich aus den Zeugenaussagen ergeben könnten, in Bezug gesetzt hat und hinsichtlich der behaupteten maximalen Beschleunigung einen Wert verwendet, der deutlich unter den Werten liegt, welche in der hiezu erfolgten Teilauswertung der Tachographenscheine für den Tatzeitpunkt ersichtlich sind. Dass die belangte Behörde angesichts der (teils schon vom Beschwerdeführer selbst aufgezeigten) vielfach möglichen Varianten der einem Gutachten zu Grunde zu legenden Voraussetzungen die Aufnahme der vom Beschwerdeführer geforderten Beweismittel als nicht relevant angesehen hat, ist im Beschwerdefall nicht als rechtswidrig zu erkennen, zumal der Beschwerdeführer nicht konkret aufzeigt, dass bei Einhaltung aller möglichen (und erlaubten) Fahrgeschwindigkeiten des Pkws in Beziehung zu allen Ausgangspositionen des Pkws und des Busses zueinander sowie allen möglichen mit der Tachographenscheibe in Einklang zu bringenden Beschleunigungswerte des Linienbusses der auf Grund der Zeugenaussagen festgestellte Sachverhalt nicht möglich wäre.
Die belangte Behörde handelte sohin nicht rechtswidrig, wenn sie das im Spruch des Straferkenntnisses beschriebene Verhalten des Beschwerdeführers als erwiesen annahm und die Übertretung des § 26a Abs. 2 dritter Satz letzter Halbsatz StVO als verwirklicht ansah.
Der angefochtene Bescheid ist jedoch aus folgendem Grund mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet: Wie der Beschwerdeführer richtig ausführt, liegt der Tatbestand des § 26a Abs. 2 dritter Satz letzter Halbsatz StVO in der Gefährdung anderer Straßenbenützer durch den Lenker eines Omnibusses des Kraftfahrlinienverkehrs beim Abfahren aus einer gekennzeichneten Haltestelle.
Nach § 99 Abs. 2 lit. c StVO müssen zu dem an sich strafbaren Verhalten des Täters noch zusätzliche Sachverhaltselemente hinzukommen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Tat unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit begangen wurde.
Die besondere Rücksichtslosigkeit iS des § 99 Abs. 2 lit. c StVO ist ein strafsatzändernder Umstand; sie ist im Verhalten des Täters gegenüber den anderen Straßenbenützern begründet und liegt dann vor, wenn zu einem Tatbestand der StVO, der eine mangelnde Rücksichtnahme gegenüber anderen Straßenbenützern beinhaltet, ein besonderes Übermaß mangelnder Rücksichtnahme hinzutritt. Es bedarf also des Vorliegens zusätzlicher Sachverhaltselemente.
Da die besondere Rücksichtslosigkeit ein strafsatzändernder Umstand des § 99 Abs. 2 lit. c StVO ist, muss dieser Umstand nicht nur sachverhaltsmäßig feststehen, sondern auch bei der Umschreibung der Tat iS des § 44a lit. a (jetzt: Z. 1) VStG seinen Ausdruck finden (vgl. zum Ganzen z.B. das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1984, Zl. 82/03/0100). Der strafsatzändernde Umstand muss somit bereits im Spruch konkretisiert erfasst sein. In dem von der belangten Behörde unverändert übernommenen Spruch des Straferkenntnisses erster Instanz wurde jedoch nur die Gefährdung anderer Straßenbenützer in der in § 26a Abs. 2 StVO enthaltenen Weise beschrieben, es fehlt jedoch die für die Anwendung des § 99 Abs. 2 lit. c StVO notwendige Anführung zusätzlicher Sachverhaltselemente. Dieses Fehlen ist durch die sich darauf beziehende Begründung der belangten Behörde nicht ersetzbar. Der Spruch des angefochtenen Bescheides erweist sich sohin in diesem Umfang als inhaltlich rechtswidrig. Da der vorliegende Schuldspruch unteilbar ist, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 9. März 2001
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000020128.X00Im RIS seit
12.06.2001