Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Erlagssache des Antragstellers Dr. C***** P*****, Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1) DI G***** K*****, vertreten durch Bollmann & Bollmann, Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, und 2) L*****-Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Schauberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erlag von 23.942,05 EUR, über den „außerordentlichen Revisionsrekurs“ des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Dezember 2010, GZ 42 R 263/10b-46, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Der Antragsteller (Erleger) wurde vom Erstantragsgegner mit der Errichtung und Abwicklung eines Kaufvertrags über eine Wohnung in Wien beauftragt. Im Zuge der Kaufabwicklung wurde der vereinbarte Kaufpreis auf das „Treuhand-Anderkonto“ des Erlegers überwiesen. Der Ersterlagsgegner forderte Rückzahlung, weil der Kaufvertrag nicht unterfertigt und nicht wirksam zustande gekommen sei. Für den Fall der Nichtunterfertigung des Kaufvertrags habe sich der Antragsteller zur Rücküberweisung verpflichtet.
Das Erlagsverfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang wurde zunächst der Betrag von 500.077,49 EUR gemäß § 1425 ABGB als Erlag zu Gericht angenommen. In der Folge wurde über gemeinsamen Antrag der Antragsgegner der Betrag von 476.135,44 EUR an den Erstantragsgegner ausgefolgt. Hinsichtlich des Restbetrags von 23.942,05 EUR wurde die Entscheidung über die Annahme des Erlags vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 19. 11. 2009, 8 Ob 71/09p-30, aufgehoben. Der Antragsteller habe zum Hinterlegungsantrag kein schlüssiges Vorbringen erstattet. Insbesondere habe er nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Rechtslage für ihn unklar sei und in zumutbarer Weise auch ein Anspruch der Zweiterlagsgegnerin auf den Erlagsbetrag als denkbar erachtet werden könne.
Im zweiten Rechtsgang nahm das Erstgericht den Erlag von 23.942,05 EUR erneut an. Nach dem ergänzenden Vorbringen des Erlegers sei nach Ansicht der Zweitantragsgegnerin ein gültiger Kaufvertrag zustande gekommen, weshalb sie Anspruch auf den Kaufpreis habe. Da eine Einigung über die Hauptpunkte nicht ausgeschlossen werden könne, sei von einer unklaren Rechtslage auszugehen.
Das Rekursgericht wies über Rekurs des Erstantragsgegners den Hinterlegungsantrag ab. Gleichzeitig sprach es aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Antragsteller habe auch im fortgesetzten Verfahren kein schlüssiges Vorbringen erstattet. Insbesondere habe er nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Rechtslage für ihn unklar sei, zumal er (nach den Behauptungen des Ersterlagsgegners) für den Fall der Nichtunterfertigung des Kaufvertrags die Rücküberweisung des gesamten Kaufpreises zugesagt habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der „außerordentliche Revisionsrekurs“ des Antragstellers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss in der Weise abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Hilfsweise stellt er einen Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs gemäß § 63 Abs 1 AußStrG.
Rechtliche Beurteilung
Dazu ergibt sich Folgendes:
1. Gemäß § 62 Abs 3 AußStrG idF des BudgetbegleitG 2009, BGBl I 2009/52, ist der Revisionsrekurs - außer im Fall des § 63 Abs 3 leg cit - im Fall eines vermögensrechtlichen Streitgegenstands jedenfalls unzulässig, wenn der rekursgerichtliche Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht für zulässig erklärt hat.
Für die Qualifikation des Vorliegens eines Entscheidungsgegenstands rein vermögensrechtlicher Natur ist der im Verfahren zu beurteilende Hauptgegenstand maßgebend. Liegt ein vermögensrechtlicher Gegenstand, aber kein Geldanspruch vor, so hat das Rechtsmittelgericht einen Bewertungsausspruch zu treffen (§ 59 AußStrG: bei der in Abs 2 unterbliebenen Erhöhung auf 30.000 EUR handelt es sich um ein Redaktionsversehen, RIS-Justiz RS0125732; EvBl-LS 2011/1).
Im Erlagsverfahren nach § 1425 ABGB ist von einem in einem Geldbetrag bestehenden Streitgegenstand auszugehen (6 Ob 9/03x; RIS-Justiz RS0033575 für das Ausfolgungsverfahren; vgl auch RIS-Justiz RS0007215). Warum beim Erlag einer treuhändig übernommenen Kaufpreiszahlung von keiner rein vermögensrechtlichen Angelegenheit auszugehen sein soll, vermag der Antragsteller nicht zu begründen. Die Bewertung ergibt sich ohne jeden Zweifel aus dem noch strittigen Erlagsbetrag, weshalb das Rekursgericht zu Recht von einem Bewertungsausspruch abgesehen hat. Der Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Rekursgericht entschieden hat, übersteigt 30.000 EUR nicht.
2. Wie schon dargelegt, wurde mit dem Budgetbegleitgesetz 2009 die Wertgrenze (für die Zulässigkeit des außerordentlichen Revisionsrekurses) in § 62 Abs 3 und 5 AußStrG von 20.000 EUR auf 30.000 EUR angehoben. Gemäß Art 5 Z 1 und 2 iVm Art 16 Abs 1 und 4 des Budgetbegleitgesetzes 2009 ist die Wertgrenzenerhöhung mit 1. 7. 2009 in Kraft getreten und anzuwenden, wenn das Datum der Entscheidung der zweiten Instanz nach dem 30. 6. 2009 gelegen ist.
Nach dem eindeutigen Wortlaut ist für die Heranziehung der erhöhten Wertgrenzen auf das Datum der jeweils angefochtenen zweitinstanzlichen Entscheidung und nicht auf jenes einer allfälligen Vorentscheidung im ersten Rechtsgang bzw „auf die erste im Verfahren ergangene Entscheidung zweiter Instanz“ abzustellen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist ein Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Garantien der Fairness und der Waffengleichheit iSd Art 6 Abs 1 EMRK nicht ersichtlich, zumal die Anfechtungsmöglichkeiten der Parteien zum jeweils relevanten Verfahrenszeitpunkt vollkommen identisch sind.
Da die hier angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts nach dem 30. 6. 2009 ergangen ist und der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteigt, kommt ein außerordentlicher Revisionsrekurs nicht in Betracht. Die Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs ist daher nicht gegeben.
3. In einem solchen Fall kann die betroffene Partei aber gemäß § 63 Abs 1 AußStrG einen Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses dahin abzuändern, dass das ordentliche Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde. Dieser Antrag ist gemäß § 63 Abs 2 AußStrG beim Gericht erster Instanz einzubringen und vom Rekursgericht zu behandeln. Diese Vorgangsweise ist auch dann einzuhalten, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet wird. Der Oberste Gerichtshof wäre erst dann zur Entscheidung berufen, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 63 Abs 3 AußStrG aussprechen sollte, dass das ordentliche Rechtsmittel doch zulässig sei. Dies gilt selbst in Fällen, in denen der Rechtsmittelwerber keinen förmlichen Antrag nach § 63 Abs 1 AußStrG auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs durch das Gericht zweiter Instanz gestellt hat, weil es sich dabei um einen verbesserungsfähigen Mangel handelt (RIS-Justiz RS0109623; vgl auch RS0109501). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller ohnedies auch einen (subsidiären) Antrag nach § 63 Abs 1 gestellt.
Schlagworte
ZivilverfahrensrechtTextnummer
E96774European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0080OB00031.11H.0322.000Im RIS seit
12.04.2011Zuletzt aktualisiert am
16.02.2012