TE OGH 2011/3/22 3Ob30/11z

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Veröffentlicht am 22.03.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, Landwirt, *****, vertreten durch Dr. Janko Tischler jun Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei O*****, Arbeitnehmer, *****, vertreten durch Mag. Dr. Josef Kartusch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung, Wiederherstellung, Unterlassung und 350 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 3. November 2010, GZ 4 R 351/10z-58, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei und des Kostenrekurses der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 25. Mai 2010, GZ 42 C 753/09d-51, und „das in Folge der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21. Jänner 2009, ON 35, durchgeführte Verfahren als nichtig“ aufgehoben wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts vom 3. November 2010 wird ersatzlos aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit seiner am 22. Februar 2008 eingebrachten, als Eigentumsfreiheits- und Schadenersatzklage bezeichneten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Beklagte durch das Entfernen von Grenzsteinen und das Einschlagen von Metallstangen das Eigentum des Klägers an einem Grundstück Nr 318 gestört hat. Weiters wird ein Wiederherstellungs- und Unterlassungsbegehren sowie ein Schadenersatzbegehren über 350 EUR (wegen des Fällens einer Lärche und einer Fichte) gestellt.

Nach Einholung eines - mehrfach ergänzten - Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Vermessungswesen wurden in der Streitverhandlung vom 20. Jänner 2009 (ON 35) Vergleichsgespräche geführt. Im Verhandlungsprotokoll ist festgehalten:

„Die Parteien einigen sich darauf, dass die strittige Grenze zwischen den Grundstücken 318 einerseits und 319 bzw 20 andererseits, je KG …, als direkte Gerade vom Vermessungspunkt D1 bis zum Vermessungspunkt S20 laut Lageplan des SV … verläuft. - Für die Neuvermessung wird Herr … herangezogen werden, dessen Kosten der Beklagte übernimmt.

Die Verfahrenskosten sollen wechselseitig aufgehoben werden, zumal insbesondere das Feststellungsbegehren (Zweifelsstreitwert € 4.000,--) abzuweisen gewesen wäre. An Schadenersatz für die gefällten Bäume wird der Beklagte € 350,-- an den Kläger überweisen.

Die Parteienvertreter kommen darin überein, die dargelegte Regelung außergerichtlich auszuformulieren und vereinbaren im Hinblick darauf im gegenständlichen Verfahren

'einfaches Ruhen'.“

Nach Fortsetzung des Verfahrens aufgrund von Anträgen des Klägers vom 22. April 2009 (ON 40) und vom 1. September 2009 (ON 42) wurde in der Streitverhandlung vom 14. Jänner 2010 (ON 44) festgestellt,

„dass die Parteien Einigkeit im Hinblick auf den seinerzeitigen 'geschlossenen Vergleich' erzielt haben betreffend der Grundstücksgrenze, wie von dem Sachverständigen dargelegt worden ist und wechselseitig Kostenaufhebung strittig ist. Die Honorarnote der Vermessungskanzlei DI … vom 11.6.2008 über einen Betrag von € 6.327,22, zu welcher der Beklagtenvertreter vorbringt, dass diese Honorarnote aufgrund von vorprozessualen Leistungen erstellt worden sei und die beklagte Partei deshalb sich nicht verpflichtet sieht, diese anteilig mitzutragen.

Klagsvertreter entgegnet dem gegenüber, dass die Leistungen, wie sie in der Honorarnote der Vermessungskanzlei des DI … vom 11.6.2008 angeführt sind, keine vorprozessualen Leistungen betreffen, sondern ausschließlich die Streitigkeit zwischen den beiden Parteien und die beklagte Partei bei den jeweiligen Leistungsaufnahmen an Ort und Stelle durch den Vermesser DI … anwesend gewesen ist.

Vereinbart wird mit den Parteien, dass diese von sich aus mit DI … im Hinblick auf die strittigen Punkte der Honorarnote vom 11.6.2008 Verbindung aufnehmen werden, um eine Klärung darüber herbeizuführen, ob es sich um vorprozessuale Kosten handelt bzw. ob die Kosten laut dieser Honorarnote ihre Grundlage in dem gegenständlichen Streitverhältnis haben und die beklagte Partei bei den jeweiligen Erhebungen an Ort und Stelle des DI … auch anwesend war.

Beiden Parteienvertretern wird aufgetragen, binnen 4 Wochen … bekanntzugeben, ob außergerichtlich eine Einigung erzielt werden konnte oder ob eine mündliche Streitverhandlung unter Ladung des DI … zur Klärung der zuvor aufgeworfenen Fragen entsprechend der Honorarnote vom 11.6.2008 ausgeschrieben werden soll.“

Der Kläger gab am 11. Februar 2010 bekannt, dass eine Einigung nicht zustande gekommen sei (ON 45). In seinem am 4. März 2010 eingebrachten Schriftsatz ON 47 brachte er vor, dass bereits eine ausreichende Entscheidungsgrundlage im Sinne seines Klagebegehrens gegeben sei. Ausdrücklich hielt er auch sein Begehren auf Ersatz von vorprozessualen Vermessungskosten in Höhe von 6.327,22 EUR aufrecht. Der Beklagte stellte sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass ausschließlich noch die vorprozessualen Kosten des DI … in Höhe von 6.327,22 EUR einen Streitpunkt bilden (ON 48).

In der Streitverhandlung vom 18. März 2010 (ON 49) wurde DI … als Zeuge zu den von ihm erbrachten Leistungen vernommen. Anschließend bot der Zeuge an, zu einer allfälligen vergleichsweisen Einigung beitragen zu wollen, indem er die Vermessung laut dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen kostenlos umsetzen würde; der Beklagte gab dazu aber kein Einverständnis. Daraufhin wies das Erstgericht alle unerledigt gebliebenen Sach- und Beweisanträge zurück und schloss die Verhandlung. Eine Einschränkung des Klagebegehrens auf Kosten ist den Verhandlungsprotokollen nicht zu entnehmen.

In seinem Urteil vom 25. Mai 2010 sprach das Erstgericht aus, dass die Prozesskosten gegeneinander aufgehoben werden und die beklagte Partei schuldig sei, der klagenden Partei Barauslagen im Betrag von 3.467,11 EUR (= Hälfte von 6.327,22 EUR) zu ersetzen. Seiner rechtlichen Beurteilung legte es folgende wesentliche Passage zugrunde: „Infolge dessen die Streitparteien in der Hauptsache eine Einigung erzielt haben, ist von einem gleichteiligen Obsiegen auszugehen. Die Vertretungskosten waren somit gegeneinander aufzuheben. Beiden Parteien gebühren jeweils 50 % ihrer Barauslagen. Die von der klagenden Partei als solche verzeichneten Kosten des DI … im Betrag von 6.327,22 EUR resultieren aus der Vermessung des streitgegenständlichen Grenzverlaufs zwischen den Parteien und liegen jedenfalls im beiderseitigen Interesse. Die vorprozessualen Kosten sind demnach ebenfalls gleichteilig von den Parteien zu tragen.“

In seiner Berufung wies der Kläger in umfangreicher Weise darauf hin, dass es nicht den Tatsachen entspreche, dass die Streitparteien in der Hauptsache eine Einigung erzielt hätten. Zu Unrecht habe das Erstgericht nicht über das Klagebegehren entschieden.

Aus Anlass der Berufung des Klägers und des Kostenrekurses des Beklagten hob das Berufungsgericht das Ersturteil sowie „das in Folge der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21. 1. 2009, ON 35, durchgeführte Verfahren als nichtig“ auf (richtiges Datum: 20. Jänner 2009) und wies die Anträge des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens vom 22. April 2009 und vom 1. September 2009 zurück.

Bei der in der Tagsatzung vom 20. Jänner 2009 festgehaltenen Einigung habe es sich um einen Vergleich gehandelt, der die Streitpunkte insgesamt erledigt habe, weswegen sich eine prozessuale Erledigung des Feststellungs-, Wiederherstellungs- und Unterlassungsbegehrens erübrigt habe. Das unter Missachtung der prozessbeendenden Wirkung des Vergleichs fortgesetzte Verfahren sei daher mit einer Nichtigkeit behaftet. Da das Erstgericht die Frage des Kostenersatzes nicht vorbehalten habe, sei darüber auch nicht mittels Kostenurteils zu entscheiden gewesen. Die Kosten des nichtigen Verfahrens seien gegeneinander aufzuheben, weil keine der Parteien auf die verfahrensbeendende Wirkung des Vergleichs hingewiesen habe. Der Beschluss des Berufungsgerichts sei in analoger Anwendung zu § 519 Abs 1 Z 1 ZPO anfechtbar.

Mit seinem aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Rekurs strebt der Kläger eine Abänderung dahin an, dass seiner Berufung in der Sache stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Das Rekursvorbringen des Klägers lässt sich dahin zusammenfassen, dass kein wirksamer Vergleich zustande gekommen sei. Wenn überhaupt könne nur von einem unter aufschiebender Bedingung stehenden Vergleich die Rede sein, wobei aber die Suspensivbedingung nie eingetreten sei. In keiner Phase des erstinstanzlichen Verfahrens habe der Kläger sein Begehren eingeschränkt.

Rechtliche Beurteilung

Diese Ausführungen sind berechtigt.

1. Wird vom Berufungsgericht - unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens und Urteils - die Zurückweisung der Klage ausgesprochen, ist dieser Beschluss stets anfechtbar (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO). Lehre und Rechtsprechung anerkennen die analoge Anwendung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO auf berufungsgerichtliche Aufhebungsbeschlüsse, mit denen - ohne Zurückweisung der Klage aus formellen Gründen - dem Verfahren ein Ende gesetzt wird, sodass sie ihrem Wesen nach einer Klagezurückweisung gleichkommen (8 Ob 503/76 [8 Ob 502/76] = SZ 49/25; RIS-Justiz RS0043891; Kodek in Rechberger3 § 519 ZPO Rz 9), etwa wenn das Berufungsgericht einen Fortsetzungsantrag wegen „ewigen Ruhens“ zurückweist (9 ObA 181/88 = SZ 61/97; RIS-Justiz RS0043829). Ein solcher Fall liegt auch hier vor, weshalb der Rekurs der klagenden Partei jedenfalls zulässig ist.

2. Die den Entscheidungen der Vorinstanzen zugrundeliegende Rechtsansicht, das Klagebegehren habe sich durch einen Vergleich oder eine Einigung sonstiger Qualität erledigt, lässt sich den erstgerichtlichen Feststellungen (aber auch den Verhandlungsprotokollen) nicht entnehmen. Der Kläger war nur unter der Bedingung zu einem Vergleichsabschluss bereit, dass der Beklagte die vorprozessualen Vermessungskosten mitträgt. Eine Einschränkung des Verfahrens auf Kosten durch den Kläger ist nicht erfolgt.

Da die der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrundeliegende Prämisse unrichtig ist, ist der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts vom 3. November 2010 ersatzlos aufzuheben; das Berufungsgericht hat über die Berufung der klagenden Partei zu entscheiden.

3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E96772

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00030.11Z.0322.000

Im RIS seit

12.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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