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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §37 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des D B, (geboren am 8. Mai 1979), vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Dezember 1997, Zl. SD 1283/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 11. Dezember 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugoslawischen Föderation" (Bundesrepublik Jugoslawien), in diesem Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde im Wesentlichen begründend aus, dass die erstinstanzliche Behörde (die Bundespolizeidirektion Wien) zu Recht auf die Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung am 30. Oktober 1997 hingewiesen habe, wonach Zweck seiner Einreise gewesen wäre, im Bundesgebiet Arbeit zu suchen. Er habe ausdrücklich deponiert, zu Hause im Fernsehen gehört zu haben, dass man in Österreich als "Asylant" leichter Arbeit fände. Da er in Österreich arbeiten wollte, hätte er einen Asylantrag gestellt.
Auch im Asylverfahren seien seine Ausführungen durch mehrere Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet gewesen. Zunächst habe er angegeben, nach der Teilnahme an einer Demonstration festgenommen und in ein Gefängnis gebracht worden zu sein, habe jedoch wenig später auf konkrete Befragung eingeräumt, nicht festgenommen worden zu sein. Vielmehr wäre er von Polizisten festgehalten und von einem Beamten mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden. Auch wäre die Polizei zweimal bei ihm zu Hause gewesen, hätte ihn gesucht und Ladungen für ihn hinterlegt. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer jedoch lediglich vage zeitliche Angaben machen können und habe er sich auf das Vorbringen beschränkt, dass diese Vorfälle "nach den Demonstrationen" stattgefunden hätten. In beiden Fällen wäre es ihm gelungen, noch vor Eintreffen der Polizei aus dem Fenster zu springen. Dazu widersprüchlich habe er ursprünglich vorgebracht, die Polizei hätte dreimal seine Wohnung aufgesucht, er wäre jedoch nicht zu Hause gewesen. Hinsichtlich seiner Teilnahme an einer Demonstration in Pristina am 9. Juli 1997 habe er seine Ausführungen ebenfalls sehr oberflächlich und allgemein gehalten und lediglich mitgeteilt, dass er an einer Studentendemonstration teilgenommen hätte. Seine Ausführungen seien daher auf Grund der Widersprüchlichkeit als wenig glaubwürdig zu bezeichnen. Jedenfalls erschienen sie nicht geeignet, eine Bedrohungs- oder Gefährdungssituation im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zu untermauern.
Auch die vom Beschwerdeführer nunmehr vorgelegte Ladung des Kreisgerichtes in Pec, wonach er am 6. Oktober 1997 um 8.00 Uhr bei diesem Gericht wegen der Straftat nach Art. 114 des jugoslawischen Strafgesetzbuches hätte erscheinen sollen, könne daran nichts ändern. Die Vorladung zu einem Gericht, um sich bezüglich strafgerichtlicher Verdachtsmomente zu verantworten, stelle weder eine unmenschliche Behandlung dar, noch ergäben sich Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur kosovo-albanischen Minderheit eine andere Strafdrohung (Art. 114 - Angriff auf die verfassungsrechtliche Ordnung Jugoslawiens - sei mit Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren bedroht) als andere Staatsangehörige seines Heimatlandes zu erwarten hätte.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufter Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 96/21/0783.)
2. Die Beschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde in Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgelegte gerichtliche Ladung getroffenen Ausführungen (vgl. I.1.) und bringt vor, dass Art. 114 des jugoslawischen Strafgesetzbuches in krass diskriminierender Weise gegen Angehörige der kosovoalbanischen Volksgruppe angewendet werde, um die ihnen unterstellte politische Gesinnung zu treffen, was eine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle. Angesichts der amtsbekannten Nachrichtenlage hätte die belangte Behörde dazu Nachforschungen anstellen müssen.
3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Der Beschwerdeführer hat mit seiner Berufung vom 1. Dezember 1997 eine Kopie der besagten Ladung des Kreisgerichtes Pec vom 2. Oktober 1997 vorgelegt, der zufolge er als Angeklagter wegen des Vorwurfs der Straftat nach Art. 114 des (jugoslawischen) Strafgesetzbuchs am 6. Oktober 1997 zur Hauptverhandlung vor diesem Gericht zu erscheinen gehabt hätte, und vorgebracht, dass ein derartiger Strafvorwurf von den serbischen Behörden üblicherweise gegen Angehörige der albanischen Volksgruppe im Kosovo erhoben werde, die sich gegen ihre Diskriminierung wehre, wobei die Verfahren erfahrungsgemäß nicht nach dem Grundsatz eines "fair trial" geführt würden und außergewöhnlich hohe Haftstrafen zur Folge hätten. Die belangte Behörde zog weder die Echtheit (bzw. Übereinstimmung mit dem Original) und Richtigkeit der vorgelegten Kopie in Zweifel noch setzte sie sich mit dem obzitierten Vorbringen zur Situation der albanischen Volksgruppe auseinander. Die Argumentation der belangten Behörde, die Vorladung zu einem Gericht stelle (für sich allein) keine unmenschliche Behandlung dar, noch bestünden Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur kosovoalbanischen Minderheit eine andere Strafdrohung (Art. 114 - Angriff auf die verfassungsrechtliche Ordnung Jugoslawiens - sei mit Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren bedroht) als andere Staatsangehörige seines Heimatlandes zu erwarten hätte, ohne sich mit der behaupteten Strafverfolgungspraxis der jugoslawischen Behörden gegenüber Angehörigen der albanischen Volksgruppe auseinander zu setzen, stellt - insbesondere vor dem Hintergrund der (im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) allgemein bekannten Benachteiligungen der albanischstämmigen Zivilbevölkerung im Kosovo durch serbisch-dominierte Behörden (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 23. März 1999, Zl. 97/21/0487) - angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers keine ausreichende Begründung des angefochtenen Bescheids dar.
4. Demzufolge war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. März 20001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998180101.X00Im RIS seit
26.06.2001Zuletzt aktualisiert am
13.03.2009