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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §66 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des K in Wien, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 9. Oktober 2000, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2000-4788, betreffend Aufhebung eines Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in einer Angelegenheit nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Mitglied des Zusatzchores der Volksoper Wien GmbH, steht seit längerer Zeit im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Im Antrag auf Notstandshilfe vom 17. Jänner 2000 bejahte er die Frage 5. (Ich stehe derzeit in Beschäftigung) und fügte ergänzend an "fallweise tagew. DV.".
Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice stellte mit den unter Blatt 203 bis 208 im Verwaltungsakt einliegenden Bescheiden vom 29. August 2000 die dem Beschwerdeführer zuerkannte Notstandshilfe gemäß § 33 i.V.m. den §§ 12, 24, 7 und 38 AlVG mangels Arbeitslosigkeit ab dem nachstehend angeführten Tag ein, und zwar
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zu Blatt 203: 1.1.2000; begründend wurde hiezu ausgeführt, das Bruttoeinkommen aus der Selbstständigkeit im Jänner 2000 habe
S 5.494,-- betragen. Da dieser Betrag die gesetzlich festgesetzte Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei im Jänner 2000 kein Anspruch gegeben.
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zu Blatt 204: 1.4.2000; begründend wurde ausgeführt, das durchschnittliche Bruttoeinkommen aus der Selbstständigkeit in der Zeit von Jänner bis April 2000 habe S 4.198,-- betragen. Da dieser Betrag die gesetzlich festgesetzte Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei im April kein Anspruch gegeben.
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zu Blatt 205: 1.5.2000; begründend wurde ausgeführt, das durchschnittliche Bruttoeinkommen aus der Selbstständigkeit in der Zeit von Jänner bis Mai 2000 habe S 5.532,-- betragen, weil dieser Betrag die gesetzlich festgesetzte Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei im Mai 2000 kein Anspruch gegeben.
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zu Blatt 206: 1.6.2000; begründend wurde ausgeführt, das durchschnittliche Bruttoeinkommen aus der Selbstständigkeit in der Zeit von Jänner bis Juni 2000 habe S 6.035,-- betragen. Da dieser Betrag die gesetzlich festgesetzte Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei im Juni 2000 kein Anspruch gegeben.
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zu Blatt 207: 1.7.2000; begründend wurde hiezu ausgeführt, das durchschnittliche Bruttoeinkommen aus der Selbstständigkeit in der Zeit von Jänner bis Juli 2000 habe S 5.173,-- betragen. Da dieser Betrag die gesetzlich festgesetzte Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei im Juli 2000 kein Anspruch gegeben.
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zu Blatt 208: 1.8.2000; begründend wurde ausgeführt, das durchschnittliche Bruttoeinkommen aus der Selbstständigkeit in der Zeit von Jänner bis August 2000 habe S 4.526,-- betragen. Da dieser Betrag die gesetzlich festgesetzte Geringfügigkeitsgrenze übersteige, sei im August 2000 kein Anspruch gegeben.
Der Beschwerdeführer erhob gegen sämtliche Bescheide Berufung. Darin führte er aus, bei der gegenständlichen Tätigkeit handle es sich nicht um eine regelmäßige Erwerbstätigkeit, sondern um eine vorübergehende unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 21a AlVG. Es hätte daher zu einer Anrechnung seines Einkommens im Sinne dieser Bestimmung kommen müssen, jedoch nicht zu einer Einstellung der Leistung. Dies sei auch bisher so vom AMS gehandhabt worden. Für den Fall, dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine regelmäßige selbstständige Erwerbstätigkeit handeln sollte, wäre von dem angegebenen Einkommen ein Betriebsausgabenpauschale in Höhe von 12 % gemäß § 17 Einkommensteuergesetz in Abzug zu bringen. Das durchschnittliche Einkommen für den Zeitraum Jänner bis April 2000 liege sohin unter der Geringfügigkeitsgrenze. Es liege daher jedenfalls für April 2000 Arbeitslosigkeit im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vor.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die bekämpften Bescheide gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die jeweilige Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen. In der Begründung wurde nach Wiedergabe von den in Betracht kommenden Gesetzesstellen und einer kurzen Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, der Sachverhalt erscheine der Berufungsbehörde insofern als mangelhaft, als nicht festgestellt worden sei, welche Art von Beschäftigung - ob selbstständig oder unselbstständig - der Beschwerdeführer ausgeübt habe. Die Feststellung der Art der ausgeübten Beschäftigung sei aber ausschlaggebend dafür, welche Bestimmungen des AlVG zur Beurteilung des Vorliegens von Arbeitslosigkeit anzuwenden seien. Werde seitens der Gebietskrankenkasse rechtskräftig festgestellt, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zusatzchorsänger eine unselbstständige Beschäftigung im Sinne des ASVG darstelle, so sei unter der Annahme einer durchgehenden Beschäftigung laut den in der Versicherungsdatei des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger aufgenommenen Versicherungsdaten festzustellen, ob diese Beschäftigung ein geringfügig entlohntes oder ein vollversicherungspflichtiges und damit Arbeitslosigkeit ausschließendes Dienstverhältnis sei. Sollte die Tätigkeit des Beschwerdeführers als selbstständige eingestuft werden, wäre vorerst festzustellen, ob er steuerlich veranlagt werde und in der Folge die Beurteilung, ob Arbeitslosigkeit in seinem Fall gegeben sei, erst anhand des für das Kalenderjahr 2000 ergangenen Einkommensteuerbescheides und des darin ausgewiesenen Jahreseinkommens vorzunehmen. Insofern sei der erstinstanzlich angenommene Sachverhalt mangelhaft, weshalb die bekämpften Bescheide zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Behandlung an die Erstinstanz zurückzuweisen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der angefochtene Bescheid stützt sich auf § 66 Abs. 2 AVG. Ein auf dieser Bestimmung gegründeter letztinstanzlicher Bescheid ist ein verfahrensrechtlicher Bescheid, der durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof angefochten werden kann. Eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers durch einen solchen aufhebenden Bescheid kann unter anderem darin gelegen sein, dass die Berufungsbehörde von dieser Regelung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung i.S.d. § 66 Abs. 4 AVG erlassen hat. Dem angefochtenen Bescheid haftet eine solche - vom Beschwerdeführer nicht ausdrücklich geltend gemachte, aber vom Verwaltungsgerichtshof aus Eigenem aufzugreifende - Rechtswidrigkeit an; dies aus folgenden Gründen:
Gemäß § 66 Abs. 1 AVG hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch die Behörde erster Instanz durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.
Die Absätze 2 und 3 des § 66 AVG lauten:
"(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
(3) Die Berufungsbehörde kann jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall immer in der Sache selbst zu entscheiden, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist.
Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des hier vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I,
2. Auflage, zu § 66 AVG wiedergegebene Rechtsprechung, insbesondere E 357ff).
Nach der Judikatur (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, 94/08/0294, m.w.N.) genügt es für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG nicht, wenn die von der Behörde "in rechtlicher Gebundenheit" vorgenommene Beurteilung, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bzw. Vernehmung unvermeidlich ist, zutrifft; es ist vielmehr darüber hinaus erforderlich, dass auch die Ermessenentscheidung, die als notwendig erachteten Verfahrensschritte nicht selbst oder durch ersuchte Behörden durchzuführen, sondern die Sache zu diesem Zweck an die Erstbehörde zurückzuverweisen, - insbesondere unter Bedachtnahme des § 66 Abs. 3 AVG - nicht im Sinne des Art. 130 Abs. 2 B-VG rechtswidrig ist. Einem zurückverweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nur darauf hingewiesen, zu welchen Themenbereichen die Behörde erster Instanz Feststellungen zu treffen haben werde, sie hat aber nicht ausgeführt, warum diese Feststellungen nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz getroffen werden können. Bei der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG bedarf es aber einer Begründung, warum die als erforderlich erachtete Ergänzung des Verfahrens nicht durch die Berufungsbehörde, sondern nur im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz vorgenommen werden kann.
Aus diesen Erwägungen belastete die belangte Behörde ihre Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb der angefochtene Bescheid bereits aus diesem Grunde ohne Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Stellung von Mitgliedern des Zusatzchores der Wiener Staatsoper wird für das fortzusetzende Verfahren auf das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1990, VwSlg. N.F. Nr. 13.223/A verwiesen).
Die Kostenentscheidung beruht - im Rahmen des gestellten Antrages - auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. März 2001
Schlagworte
ErmessenInhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000080200.X00Im RIS seit
29.01.2002Zuletzt aktualisiert am
11.01.2011