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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs6Leitsatz
Keine verfassungswidrige Anwendung von unter Setzung einer Frist aufgehobenen Bestimmungen des 3. Abgabenänderungsgesetzes 1987 betreffend Aufhebung des Energieförderungsgesetzes 1979 auf vor Inkrafttreten der Aufhebung verwirklichte Tatbestände; keine Wirkung der Nichtanwendung der aufgehobenen Bestimmungen auf früher verwirklichte Tatbestände durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes über das Wiederwirksamwerden des EnergieförderungsG 1979 mit Inkrafttreten der AufhebungSpruch
Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch die angefochtenen Bescheide weder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Nach dem Energieförderungsgesetz 1979, BGBl. 567, konnten Elektrizitätsversorgungsunternehmen, bei deren Gewinnermittlung im selben Jahr keine Investitionsrücklage gebildet wurde, zu Lasten der Gewinne der in den Kalenderjahren 1980 bis 1989 endenden Wirtschaftsjahre steuerfrei Rücklagen im Ausmaß bis zu 50 v.H. des Gewinnes bilden (§1). Die Rücklagen waren zu näher bestimmten Zwecken zu verwenden (§2) und, soweit sie nicht zum Ablauf des der Bildung der Rücklage folgenden fünften Wirtschaftsjahres bestimmungsgemäß verwendet wurden, im fünften Jahr nach Bildung der Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen (§3).
Das 3. Abgabenänderungsgesetz 1987, BGBl. 606, kundgemacht am 22. Dezember 1987, bestimmte im Abschnitt IV ("Energieförderungsgesetz 1979"):
"Artikel I
Das Energieförderungsgesetz 1979, BGBl. Nr. 567, in der Fassung der Bundesgesetze BGBl. Nr. 353/1982 und 252/1985 wird aufgehoben.
Artikel II
1. Artikel I ist erstmalig bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1988, hinsichtlich des fünften und sechsten Abschnittes des Energieförderungsgesetzes 1979 ab 1. Jänner 1988 anzuwenden. Wird über Anträge auf Bescheinigung der energiewirtschaftlichen Zweckmäßigkeit bis zum 31. Dezember 1987 nicht entschieden, so gilt die Bescheinigung als erteilt.
2. Rücklagen im Sinne des §1, §10 und 16 des Energieförderungsgesetzes 1979, die bis zum Wirtschaftsjahr 1987 nicht bestimmungsgemäß verwendet wurden, gelten ab dem Wirtschaftsjahr 1988 bis zum Ablauf der fünfjährigen Verwendungsfrist als Investitionsrücklagen gemäß §9 EStG 1972 in der jeweils geltenden Fassung. §9 Abs2 dritter und vierter Satz Einkommensteuergesetz 1972, BGBl. Nr. 440/1972, in der jeweils geltenden Fassung ist nicht anzuwenden."
Mit Erkenntnis VfSlg. 13655/1993 hob der Verfassungsgerichtshof Abschnitt IV des 3. Abgabenänderungsgesetzes 1987 als verfassungswidrig auf, setzte für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis zum Ablauf des 31. Juli 1994 und sprach aus, daß im Zeitpunkt des Außerkrafttretens das Ernergieförderungsgesetz 1979 wieder in Wirksamkeit trete. Nach den Entscheidungsgründen soll die Frist es dem Gesetzgeber erlauben, den Übergang verfassungskonform zu gestalten, bevor die Möglichkeit, bis zum Jahre 1989 allenfalls gebildete Rücklagen nach diesem Gesetz noch bestimmungsgemäß zu verwenden, wieder eintritt.
1. Die vorliegenden Beschwerden richten sich gegen Berufungsentscheidungen der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (zu B1455/97: betreffend Körperschaftsteuer und einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag für 1988 und 1989, zu B2741/97: betreffend Gewerbesteuer 1984 bis 1988, Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1985, 1988 und 1989 sowie Vermögensteuer und Erbschaftsteueräquivalent zum 1. Jänner 1988 und 1989), worin die Bildung von Energieförderungsrücklagen für die Zeit nach 1987 und die bestimmungsgemäße Verwendung bis 1987 nicht verwendeter Energieförderungsrücklagen versagt wird. Es handle sich nicht um Anlaßfälle des genannten Erkenntnisses. Auf die vor Inkrafttreten der Aufhebung verwirklichten Tatbestände sei daher das aufgehobene Gesetz weiter anzuwenden. Die maßgeblichen Tatbestände seien schon 1988 und 1989 verwirklicht worden (Hinweis auf VwGH vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/14/0017).
Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden rügen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums "infolge denkunmöglicher Gesetzesanwendung" und führen in weitgehend wörtlicher Wiedergabe von Rill, Die zeitliche Wirkung der Gesetzesaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 13655/1993, ZfV 1997, 468 ff., aus, der Gerichtshof habe die in Art140 Abs7 B-VG aufgestellte Regel über die Behandlung der vor der Aufhebung eines Gesetzes verwirklichten Tatbestände dadurch beschränkt, daß er eine Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung bestimmt und das Wirksamwerden des Energieförderungsgesetzes verfügt habe; damit sei das Energieförderungsgesetz mit den darin enthaltenen Abgrenzungen des zeitlichen Geltungsbereiches seiner Tatbestände, also auch für "alte" Tatbestandsverwirklichungen (wieder) in Kraft gesetzt worden.
2. Die belangte Behörde bestreitet, daß ihr eine in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit unterlaufen sei.
II. Die Beschwerden sind nicht begründet.
Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden (Art140 Abs7 Satz 1 B-VG). Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (Art140 Abs7 Satz 2 B-VG). Wird das aufgehobene Gesetz zu Unrecht auf einen Tatbestand angewendet, auf den es nach diesen Vorschriften nicht angewendet werden darf, liegt darin eine Verletzung in jenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, die das aufgehobene Gesetz verletzt hat (vgl. VfSlg. 6043/1969) und zugleich eine Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes. Der Verfassungsgerichtshof hat daher jedenfalls zu prüfen, ob die Anwendung des aufgehobenen Gesetzes zu Recht erfolgte.
Diese Frage ist indessen zu bejahen:
Die Anwendung des zweiten Satzes des Art140 Abs7 B-VG wird nur durchbrochen, indem der Verfassungsgerichtshof in seinem (aufhebenden) Erkenntnis anderes ausspricht. Der Ausspruch, zu dem der Verfassungsgerichtshof in dieser Verfassungsbestimmung ermächtigt wird, muß also offenbar die Nichtanwendung des (aufgehobenen) Gesetzes auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände zum Gegenstand haben. Einen solchen Ausspruch hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 13655/1993 unterlassen.
Eine ganz andere Frage ist, ob mit dem Inkrafttreten der Aufhebung die gesetzlichen Bestimmungen wieder in Wirksamkeit treten, die durch das vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren. Art140 Abs6 B-VG ordnet das Wiederwirksamwerden an, falls das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nichts anderes ausspricht. Die durch das verfassungswidrige Gesetz aufgehobene gesetzliche Bestimmung wird also mit Aufhebung des Gesetzes ex constitutione wieder wirksam; nur wenn der Verfassungsgerichtshof ausspricht, daß es nicht wieder wirksam wird, tritt diese Rechtsfolge nicht ein. Daraus folgt, daß ein Ausspruch des Verfassungsgerichtshofs, die aufgehobene Bestimmung trete wieder in Wirksamkeit, lediglich klarstellende Bedeutung hat. Der Verfassungsgerichtshof wäre nicht ermächtigt, gesetzliche Bestimmungen, die nicht aufgrund des Art140 Abs6 B-VG in Wirksamkeit treten, wieder in Kraft zu setzen.
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob der auf Art140 Abs6 B-VG gestützte Ausspruch des Verfassungsgerichtshofs (im aufhebenden Erkenntnis VfSlg. 13655/1993), mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Aufhebung des Abschnitts IV des 3. Abgabenänderungsgesetzes 1987 trete das Energieförderungsgesetz 1979 (in der zuletzt geltenden Fassung) wieder in Wirksamkeit, die Wirkung eines Ausspruchs über die Nichtanwendung des Abschnitts IV des 3. Abgabenänderungsgesetzes auf die vor seiner Aufhebung verwirklichten Tatbestände hat. Dies ist schon nach dem Wortlaut nicht der Fall: Der Verfassungsgerichtshof spricht hier - seiner ständigen Praxis folgend - nur aus, was aufgrund des Art140 Abs6 B-VG ohnehin rechtens ist. Das bloße, durch Art140 Abs6 verfügte Wiederwirksamwerden des früheren Gesetzes ist aber auch nicht etwa seiner Wiedererlassung durch den Gesetzgeber gleichzuhalten (die bei einem in der Vergangenheit liegenden Geltungszeitraum als rückwirkende Veränderung der Rechtslage anzusehen wäre). Vielmehr tritt nur jene Wirkung (wieder) ein, die das Gesetz nach dem Inkrafttreten der Aufhebung (noch) entfalten kann. Auf Tatbestände, die sich in der Zeit zwischen Inkrafttreten des die frühere Rechtslage verändernden Gesetzes und dem Inkrafttreten der Aufhebung dieses Gesetzes ereignet haben, bleibt gleichwohl - nach Art140 Abs7 Satz 2 B-VG - das aufgehobene Gesetz weiter anzuwenden.
Die Gründe, die den Verfassungsgerichtshof bewogen haben, für das Inkrafttreten der Aufhebung aufgrund des Art140 Abs5 B-VG eine Frist zu bestimmen, können das Fehlen eines Ausspruchs nach Art140 Abs7 B-VG in der Tat nicht ersetzen. Wie die Formulierung ("... bis zum Jahre 1989 allenfalls gebildete ...") zeigt, stand dem Gerichtshof die möglicherweise eintretende Folge vor Augen, daß entgegen der aufgehobenen Rechtslage gebildete Rücklagen wieder bestimmungsgemäß verwendet werden könnten. Dabei wurde nicht bedacht, daß solche Rücklagen schon seit 1988 bis zum Ablauf der fünfjährigen Verwendungsfrist als Investitionsrücklagen gemäß §9 EStG zu behandeln waren und diese Frist bereits 1992 verstrichen war. Die Fristsetzung mag daher insoweit wirkungslos geblieben sein. Auch wenn aber die Fristsetzung unterblieben wäre, hätte der Ausspruch über das Wiederwirksamwerden des Energieförderungsgesetzes nicht anders lauten können. Hätte der Gerichtshof tatsächlich die Nichtanwendung des aufgehobenen Gesetzes auch auf die vor Inkrafttreten der Aufhebung verwirklichten Tatbestände gewollt, hätte er die Aussprüche über die Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung und das Wiederwirksamwerden des Energieförderungsgesetzes gleichermaßen treffen können und bloß um den Ausspruch über die Nichtanwendung auf früher verwirklichte Tatbestände ergänzen müssen. Das ist aber gerade nicht geschehen.
Die Anwendung des aufgehobenen Gesetzes durch die belangte Behörde war daher nicht verfassungswidrig.
Eine andere Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wurde nicht behauptet und ist auch nicht hervorgekommen, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 VerfGG).
Schlagworte
VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung, Einkommensteuer, Investitionsrücklage, Energierecht, ElektrizitätswesenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B1455.1997Dokumentnummer
JFT_10019381_97B01455_00