TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/14 95/08/0148

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Veröffentlicht am 14.03.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §16 Abs1;
ASVG §31 Abs5 Z9;
ASVG §76 Abs2;
ASVG §76 Abs3;
ASVG §76 Abs6 idF 1989/642;
B-VG Art18 Abs2;
EStG 1988 §2 Abs4;
EStG 1988 §4 Abs1;
Richtlinien Herabsetzung Beitragsgrundlage Selbstversicherung 1990 §3 Abs2;
Richtlinien Herabsetzung Beitragsgrundlage Selbstversicherung 1990 §3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des Mag. G in Wien, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 49, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 31. März 1995, Zl. MA 15-II-G- 24/94, betreffend Herabsetzung der Beitragsgrundlage (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 20. April 1994 beantragte der Beschwerdeführer bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, die Beitragsgrundlage für seine Selbstversicherung in der Krankenversicherung ab 1. Jänner 1993 rückwirkend herabzusetzen. Als Nachweis für seine Angaben legte er die Bilanz 1993 sowie eine Ausfertigung eines aus Anlass der Scheidung seiner Ehe geschlossenen Vergleiches und eine Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft zu einem (dritten) unehelichen Kind vor.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1994 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung ab 1. Jänner 1993 unter Berufung auf § 16 ASVG als "verspätet und unbegründet zurückgewiesen" (Spruchpunkt 1.).

Unter Spruchpunkt 2. wurde folgende Feststellung getroffen:

"Gemäß § 410 Abs. 1 Z. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes wird festgestellt, dass als Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 ASVG für Herrn (Beschwerdeführer) gemäß § 76 Abs. 1 Z. 2 ASVG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 Z. 1 ASVG in der Zeit vom 1.1.1993 bis 31.12.1993 ein Betrag von kalendertäglich S 1.300,-- (Tageswert der Lohnstufe 65) und ab 1.1.1994 ein Betrag von S 1.400,-- (Tageswert der Lohnstufe 70) in Betracht kommt. Der Beitrag für diese Selbstversicherung in der Krankenversicherung beträgt daher vom 1.1.1993 bis 30.6.1993 S 2.340,--; vom 1.7.1993 bis 31.12.1993 S 2.652,-- und ab 1.1.1994 S 2.856,-- monatlich."

Nach der Begründung sei der Beschwerdeführer ab 1. August 1990 in der Krankenversicherung selbst versichert. Aus der von ihm vorgelegten Bilanz zum 31. Dezember 1993 seien eindeutig Privatentnahmen in der Höhe von S 459.040,39 ersichtlich. Diese Entnahmen auf Grund der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Steuerberater seien als Einkommen aus dieser selbstständigen Erwerbstätigkeit zu werten. Unter Berücksichtigung des § 76 ASVG und der vom Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger erlassenen Richtlinien zur Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung (in der Folge: Richtlinien) sei daher eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht möglich.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er brachte im Wesentlichen vor, in den von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse genannten Richtlinien fehle jeglicher Hinweis dafür, dass Privatentnahmen als Einkommen zu werten seien. Seine Privateinnahmen seien nur zu einem Teil aus dem laufenden Betrieb, zu einem anderen Teil jedoch durch Kreditaufnahme bzw. Erhöhung der bestehenden Bankverbindlichkeiten finanziert worden.

In einer Stellungnahme vom 9. November 1994 zum Vorlagebericht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse erklärte der Beschwerdeführer, dass er freiwillig Bücher führe, weshalb für ihn § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988) maßgeblich sei. Bei dem danach vorzunehmenden Betriebsvermögensvergleich zwischen 31. Dezember 1992 und 31. Dezember 1993 ergebe sich unter Hinzurechnung der Privatentnahmen ein Gewinn für 1993 in der Höhe von S 100.154,01. Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG 1988 sei von Grund auf völlig verschieden. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe diese Bestimmungen "vermischt und vertauscht" und sei zu einem völlig falschen Ergebnis gelangt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch hinsichtlich Spruchpunkt 2. keine Folge gegeben. Spruchpunkt 1. des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wurde unter Berufung auf § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben.

Nach der Begründung sei gemäß § 76 Abs. 2 ASVG eine rückwirkende Herabsetzung der Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung nicht möglich. Der Antrag des Beschwerdeführers vom 20. April 1994 sei bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse am 26. April 1994 eingelangt. Eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für die Zeit vom 1. Jänner 1993 bis 30. April 1994 sei daher nicht möglich. Bei Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlagen rückwirkend gestellt werden könne, handle es sich um eine materiell-rechtliche Frage, weshalb ein Antrag bei Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen abgewiesen werden müsse. Spruchpunkt 1. des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse habe daher aufgehoben werden müssen.

Hinsichtlich der Voraussetzung für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung vertrat die belangte Behörde im Wesentlichen die Auffassung, dass dabei das Einkommen des Beschwerdeführers zu beurteilen sei. Nach den genannten Richtlinien sei das Einkommen der Gesamtbetrag aller Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten; Einkünfte nach § 3 Abs. 2 Z. 1 dieser Richtlinien seien u. a. Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten im Sinne des § 76 Abs. 2 ASVG unter Bedachtnahme auf § 292 ASVG zu erfolgen. Nettoeinkommen im Sinne des § 292 Abs. 1 und 2 ASVG sei, wie in Abs. 3 angeführt, die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge. Das EStG 1988 definiere in seinem § 2 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 3 Z. 2 das Einkommen als Gesamtbetrag der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit nach Ausgleich mit Verlusten. Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage sei auch die belangte Behörde der Auffassung, dass Privatentnahmen einen Teil des Einkommens darstellten, wobei auch dem Umstand, dass diese Entnahmen die Verbindlichkeiten des Betriebes erhöhten, keine Bedeutung zukomme. Den Ausführungen, dass § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG 1988 grundsätzlich und völlig verschieden seien, könne die belangte Behörde nicht folgen, zumal diese Unterschiede vor allem verrechnungstechnischer Art seien. Vielmehr sei gerade im § 4 Abs. 1 EStG ausdrücklich angeführt, dass der Gewinn durch Entnahmen nicht gekürzt werde, was die Rechtsansicht der Behörde erster Instanz bestätige. Da somit die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung nicht rechtfertigten, sei seinem Antrag auch für die Zeit ab 1. Mai 1994 nicht stattzugeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 16 Abs. 1 ASVG können sich Personen, die nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, solange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist, in der Krankenversicherung selbst versichern.

Die Selbstversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ist nach § 76 Abs. 2 ASVG unbeschadet Abs. 3 auf Antrag des Versicherten (lit. a) in einer niedrigeren als der nach Abs. 1 Z. 1 in Betracht kommenden Lohnstufe zuzulassen, sofern dies nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherten gerechtfertigt erscheint. Die Herabsetzung der Beitragsgrundlage wirkt, wenn der Antrag zugleich mit dem Antrag auf Selbstversicherung gestellt wird, ab dem Beginn der Selbstversicherung, sonst auf dem auf die Antragstellung folgenden Monatsersten. Nach § 31 Abs. 5 Z. 9 ASVG sind vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Richtlinien über die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung (§ 76 Abs. 2 und 3) und über Form und Inhalt diesbezüglicher Anträge aufzustellen.

Im Beschwerdefall galten die Richtlinien in der Stammfassung, kundgemacht in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit", Amtliche Verlautbarung Nr. 13/1990, idF ihrer Änderungen (Amtliche Verlautbarung Nr. 30/1990, Nr. 45/1991 und Nr. 6/1995). Danach war zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers sein Einkommen zu berücksichtigen, ferner allfällige Unterhaltsansprüche. Einkommen war nach § 3 Abs. 2 der Richtlinien der Gesamtbetrag aller Einkünfte nach Ausgleich mit Verlusten. Einkünfte waren auch Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit, etwa in einem freien Beruf (Z. 1).

Bei den vom Hauptverband erlassenen Richtlinien handelt es sich um Rechtsverordnungen (vgl. das Erkenntnis vom 20. Februar 1996, Zlen. 95/08/0275, 0276).

Die Ablehnung der rückwirkenden Herabsetzung der Beitragsgrundlage durch die belangte Behörde ist nach dem oben wiedergegebenen Wortlaut des § 76 Abs. 2 ASVG nicht zu beanstanden.

Die Ermittlung des Einkommens des Beschwerdeführers und damit die Beurteilung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse durch die belangte Behörde erweist sich allerdings aus folgenden Überlegungen als rechtswidrig:

Für die Ermittlung der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit war im Beschwerdefall auf das damals in Geltung gestandene Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) zurückzugreifen.

Nach § 2 Abs. 4 EStG 1988 sind Einkünfte im Sinne des Abs. 3 (darunter auch jene aus selbstständiger Arbeit) der Gewinn. Dieser ist gemäß § 4 Abs. 1 leg. cit. der durch doppelte Buchführung zu ermittelnde Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Der Gewinn wird durch Entnahmen nicht gekürzt und durch Einlagen nicht erhöht.

Nach Lage der Verwaltungsakten wurde das Einkommen des Beschwerdeführers von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse in der Form ermittelt, dass zu dem in der Bilanz vom 31. Dezember 1993 ausgewiesenen Gewinn in Höhe von S 100.154,01 die Privatentnahmen in der Höhe von S 459.040,39 hinzugerechnet und dieser Betrag (S 559.194,40) durch 14 dividiert wurde. Der sich danach ergebende Betrag von S 39.942,45 wurde als monatliches Einkommen des Beschwerdeführers angesehen. Ob es sich bei den in der Bilanz ausgewiesenen Entnahmen allerdings um zu berücksichtigende Geldentnahmen oder etwa um Sachentnahmen gehandelt hat, wurde von der belangten Behörde nicht weiter geprüft. Auch bleibt sie eine nachvollziehbare Begründung für ihre Deutung der Bilanzdaten schuldig.

Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Im Übrigen ist nach § 3 Abs. 3 der Richtlinie Nr. 6/1995 Grundlage für die Ermittlung der Einkünfte aus Abs. 2 Z. 1 (Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit) der letzte Einkommensteuerbescheid. Dies wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. März 2001

Schlagworte

Verordnungen Verhältnis Verordnung - Bescheid VwRallg4 Verwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1995080148.X00

Im RIS seit

31.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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