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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §303 Abs4;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2000/16/0046Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerden 1. des K und 2. der V, beide in G, beide vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, Stelzhamerstraße 9, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich je vom 6. Dezember 1999, zu 1.) GZ RV362/1-9/1999 und zu 2.) GZ RV363/1-9/1999, betreffend je Wiederaufnahme des Verfahrens und Grunderwerbsteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat den beiden Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Kaufvertrag vom 7. April 1993 erwarben die Beschwerdeführer von der Libau Wohnungseigentumsgesellschaft m.b.H. Grundstücke in der KG 45624 Gallneukirchen je zur Hälfte um den Kaufpreis von zusammen S 815.540,--.
In den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten befindet sich ein nicht unterfertigtes, mit dem Eingangsstempel des Finanzamtes für Gebühren und Verkehrsteuern in Linz vom 28. Mai 1993 versehenes, mit "Fragebeantwortung" überschriebenes Schriftstück. (Der die insgesamt 17 Fragen beinhaltende Vorhalt ist in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthalten.) In Punkt 13. dieses Schriftstücks ist ausgeführt, es werde demnächst mit Ing. Christian Schaumberger ein Rahmenvertrag im Sinne des angeschlossenen Bauvertragsentwurfs abgeschlossen werden. Die Einholung weiterer Anbote zur Errichtung des Gebäudes sei nicht zielführend, da es wahrscheinlich sei, dass auch die anderen Grundstückskäufer hinsichtlich des Objekts Punzenberg Ing. Christian Schaumberger beauftragen würden und als Einzelauftraggeber keinesfalls entsprechende Preise zu erzielen sein würden. Welche Änderungen zu dem Bauvertrag noch in Auftrag gegeben würden (Raumeinteilung, Art der Heizung, Gestaltung der Sanitärräume, Art und Aufbau der Bodenbeläge und dgl), könne noch nicht gesagt werden.
Weiters befindet sich in den Verwaltungsakten ein ebenfalls am 28. Mai 1993 beim Finanzamt vorgelegtes Muster eines Bauvertrages mit der Ing. Christian Schaumberger BauGmbH sowie die Kopie eines an die Libau GmbH gerichteten Baubewilligungsbescheides vom 17. Dezember 1992 betreffend die Errichtung einer Reihenhausanlage "Punzenberg II". Nach einer angeschlossenen, mit 15. Jänner 1993 datierten Preisliste für zwölf Objekte betrugen die Grundkosten für die gegenständliche Parzelle S 815.540,--, die Baukosten für das darauf zu errichtende Reihenhaus S 3,115.538,-- und damit die Gesamtkosten S 3,931.078,--.
Das genannte Finanzamt erließ am 8. Juni 1993 an die beiden Beschwerdeführer vorläufige Grunderwerbsteuerbescheide von einer Bemessungsgrundlage von je S 1,970.189,--.
In den gegen diese Bescheide eingebrachten Berufungen wurde ausgeführt, es sei den Beschwerdeführern im Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks bekannt gewesen, dass die Libau GmbH einen Baubewilligungsbescheid erlangt habe. Es sei ihnen im Zuge der Beratung durch die Treu Service GmbH auch mitgeteilt worden, dass die Ing. Schaumberger BauGmbH bereit wäre, einen entsprechenden Bauvertrag auf Grund des dargelegten Werbeprospekts abzuschließen. Es sei jedoch von der Treu Service GmbH darauf hingewiesen worden, dass durch den Erwerb des Grundstücks keine Verpflichtung in Bezug auf den Bauvertrag mit der Ing. Schaumberger BauGmbH eingegangen werde. Es sei die Möglichkeit angeboten worden, dass ein Bauvertrag auch mit einer anderen Baugesellschaft abgeschlossen werden könne. Der entsprechende Bauvertrag sei erst am 3. Juni 1993 abgeschlossen worden. Die Beschwerdeführer hätten nämlich noch Überlegungen hinsichtlich der Bauvertragsvergabe anstellen wollen. Die Schaumberger BauGmbH habe letztlich den Zuschlag bekommen, da sich bei den geführten Gesprächen herausgestellt habe, dass aus Kostengründen und wegen der entsprechenden Bauzeitverkürzung die angebotene Variante vorzuziehen sei.
Mit Bescheiden der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich je vom 14. Dezember 1994 wurde den Berufungen Folge gegeben und die Grunderwerbsteuer von einer Bemessungsgrundlage von je S 412.420,-- festgesetzt. Gleichzeitig wurden die Abgabenbescheide für endgültig erklärt.
Mit Bescheiden des Finanzamtes je vom 20. Juli 1999 wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt und die Grunderwerbsteuer neu bemessen. Neben den Grundkosten wurden "Baukosten lt. Endabrechnung" von je S 1,500.000,-- in die Bemessungsgrundlage einbezogen. In der Begründung wurde ausgeführt, die Tatsache, dass zwischen der Libau GmbH und der Ing. Schaumberger BauGmbH bereits am 30. Dezember 1992 eine Vereinbarung über die Errichtung der Reihenhäuser "Punzenberg II" mit einem Fixpreis für die Gesamtanlage samt Zahlungsplan für die zukünftigen Käufer abgeschlossen worden sei, sei erst im Zuge der Erhebungen im Jahre 1998 neu hervorgekommen. Es habe die Absicht bestanden, eine Liegenschaft mit einem darauf zu errichtenden Gebäude zu erwerben.
In der Berufung gegen diese Bescheide wurde davon ausgegangen, dass der Vertrag zwischen der Libau GmbH und der Ing. Schaumberger BauGmbH vom 30. Dezember 1992 beim Finanzamt am 10. Juli 1998 vorgelegt worden sei. Es sei aber dem Finanzamt bereits bei der Erlassung der vorläufigen Bescheide bekannt gewesen, dass über die Errichtung der Reihenhausanlage ein Zahlungsplan für die zukünftigen Käufer vorhanden gewesen sei. Auch im Zuge der Erledigung einer Berufungsentscheidung sei in einer Niederschrift mit dem Geschäftsführer der Libau GmbH zum Ausdruck gebracht worden, dass auf Grund der Vereinbarungen zwischen der Treu-Service GmbH, der Ing. Schaumberger BauGmbH und der Libau GmbH größtes Interesse daran bestanden habe, dass die einzelnen Grundstückskäufer auch Bauverträge mit der Ing. Schaumberger BauGmbH abschließen sollten. Die Vereinbarung (vom 30. Dezember 1992) entfalte überdies keine Wirkung gegenüber Dritten. Eine Verpflichtung, dass ausschließlich an die Ing. Schaumberger BauGmbH ein Bauvertrag vermittelt werden müsste, bestehe nicht. Der Vertrag sei nicht als neu hervorgekommen zu betrachten. Außerdem hätte er nicht zu einer anderen Bescheidbegründung führen können.
Weiters wurde in der Berufung ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten die Möglichkeit gehabt, auf die bauliche Gestaltung wesentlichen Einfluss zu nehmen. Der Grunderwerb sei wesentlich früher als der Abschluss des Bauvertrages erfolgt. Es sei eine freie Entscheidung gewesen, welche Baufirma das Gebäude errichten sollte.
Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Berufungen als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich der vom Finanzamt verfügten Wiederaufnahme des Verfahrens berief sich die belangte Behörde auf die Vereinbarung der Libau GmbH mit der Schaumberger BauGmbH vom 30. Dezember 1992, die folgenden (auszugsweisen) Inhalt habe:
"Über Vermittlung der Treuservice-Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft m.b.H. Linz verkauft die Fa. Libau die auf Grund der Vermessungsurkunde des Dipl. Ing. Volker Lipp vom 19.6.1992 - GZ 997-D-KG Gallneukirchen gebildeten Bauparzellen.
Es ist vorgesehen, dass die jeweiligen Käufer dieser Grundparzellen gleichzeitig mit dem Notariatsvertrag die Firma Schaumberger mit der Errichtung des mit Plan v. Ing. Kogler bei der Gemeinde Gallneukirchen eingereichten und auf der jeweiligen Parzelle geplanten und baubewilligten Hauses beauftragen."
Stelle sich der dem Finanzamt nicht ohne weiteres erkennbare Zusammenhang gewisser Verträge (Kaufvertrag, Werkvertrag, Bauauftrag), die der Behörde nur sukzessive zukämen, erst im Zuge eines auf die konkrete Problematik gerichteten Ermittlungsverfahrens oder in einer Prüfung heraus, so sei vom Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel auszugehen, die die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigten.
In sachlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kaufvertrag vom 7. April 1993 und dem Bauvertrag vom 3. Juni 1993. Damit sei die Absicht, ein der detaillierten Planung entsprechend bebautes Grundstück zu erwerben, bereits festgestanden.
In den Beschwerden gegen diese Bescheide erachten sich die Beschwerdeführer dadurch in ihren Rechten verletzt, dass ihnen die Bauherreneigenschaft aberkannt worden sei und dass zu Unrecht eine Wiederaufnahme des "seinerzeitigen Gebührenverfahrens" verfügt worden sei.
Die belangte Behörde erstattete Gegenschriften und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und über die Beschwerden erwogen:
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist - abgesehen von den in den Beschwerdefällen nicht in Betracht kommenden Tatbeständen des Erschleichens eines Bescheides oder der Abhängigkeit von Vorfragen - nach § 303 Abs 4 BAO in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten ist zwar nicht zu entnehmen, auf welche Weise die Abgabenbehörde in den Besitz des mit 15. Jänner 1993 datierten, als "Preisliste" bezeichneten Schriftstücks gelangte, in dem dezidierte Angaben über die jeweiligen Preise für die mittels eines Prospekts am Markt angebotenen Reihenhäuser der in Rede stehenden Anlage "Punzenberg II" enthalten waren, jedoch ist aus dem Umstand, dass die in dieser Liste aufscheinenden Baukosten bei der Vorschreibung der Grunderwerbsteuer mit den vorläufigen Bescheiden vom 8. Juni 1993 berücksichtigt worden sind, zu ersehen, dass das Finanzamt bereits zu diesem Zeitpunkt über dieses Schriftstück verfügt hat. Sodann wurde von den beiden Beschwerdeführern in ihrer Berufung gegen die vorläufigen Bescheide unter anderem ausgeführt, sie hätten erst am 3. Juni 1993 einen Bauvertrag mit der Schaumberger Bau GmbH abgeschlossen, da sich zwischenzeitig herausgestellt habe, dass aus Kostengründen und einer entsprechenden Bauzeitverkürzung die angebotene Variante vorzuziehen sei.
In den angefochtenen Bescheiden stützt sich die belangte Behörde zur Rechtfertigung der amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens auf die Vereinbarung zwischen der Libau GmbH und der Schaumberger BauGmbH vom 30. Dezember 1992. Den angefochtenen Bescheiden ist dabei nicht zu entnehmen, unter welchen der beiden hier in Betracht kommenden Wiederaufnahmetatbestände die belangte Behörde das Hervorkommen dieser Vereinbarung subsumiert hat.
Dieses Schriftstück enthält dabei lediglich eine Absichtserklärung zwischen der Grundeigentümerin und dem für die Bausausführung vorgesehen Unternehmen. Neue Tatsachen im Sinne des § 303 Abs 4 BAO sind dieser Vereinbarung nicht zu entnehmen. Vielmehr sind alle für die beschwerdegegenständlichen Erwerbsvorgänge maßgeblichen Umstände den Abgabenbehörden insbesondere auf Grund des Schriftsatzes vom 15. Jänner 1993 lange vor der Durchführung der "Erhebungen" des Jahres 1998 bereits bekannt gewesen. Durch das - allenfalls neu hervorgekommene Beweismittel der Vereinbarung vom 30. Dezember 1992 - wurden der Abgabenbehörde keine Umstände bekannt, die einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeizuführen geeignet gewesen wären. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ergab sich der Zusammenhang zwischen Kaufvertrag und Auftrag zur Errichtung des bereits fertig geplanten Reihenhauses keineswegs erst aus der (1998 erfolgten) Kenntnisnahme der Vereinbarung vom 30. Dezember 1992, sondern vielmehr mit nicht zu überbietender Deutlichkeit bereits aus dem bei Erlassung der vorläufigen Bescheide dem Finanzamt bekannten Schriftstück vom 15. Jänner 1993.
Da somit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gegeben waren, hat die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet. Die Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. März 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000160045.X00Im RIS seit
25.07.2001