TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/09 S2 404766-1/2009

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Veröffentlicht am 09.03.2009
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Spruch

S2 404.766-1/2009/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des U.B., StA: Russische Föderation, vertreten durch Mag. Judith Ruderstaller, Asyl in Not, Währigerstraße 59/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.02.2009, Zahl 08 11.481, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gelangte mit seiner Gattin und seinem minderjährigen Sohn unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 17.11.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Hinsichtlich des Beschwerdeführers scheint ein EURODAC-Treffer für Polen auf (12.09.2008, Lublin; AS 15).

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.11.2008 gab er an, er sei am 08.09.2008 gemeinsam mit seiner Familie von Grosny mit dem Zug nach Moskau und von dort weiter über Brest nach Polen gereist, wo sie am 12.09.2008 von der polnischen Polizei aufgegriffen worden seien und Asylanträge gestellt hätten. Zunächst seien sie für drei Tage im Lager Dembak untergebracht gewesen, anschließend habe man sie ins Lager Lubitscha überstellt, wo sie sich bis zu ihrer Ausreise aufgehalten hätten. Am 16.11.2008 seien sie schlepperunterstützt per LKW aus Polen ausgereist und am darauffolgenden Tag in Österreich angekommen. Zu Polen befragt gab er an, "ich habe mich dort nicht sicher gefühlt" (AS 21 ff).

 

Das Bundesasylamt richtete am 19.11.2008 ein auf Art 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen (AS 35ff). Am 24.11.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 19.11.2008 Konsultationen mit Polen geführt würden (AS 43/45). Mit Schreiben vom 21.11.2008, eingelangt am 25.11.2008, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich zu.

 

Eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren, die von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.11.2008 vorgenommen wurde, ergibt, dass beim Beschwerdeführer eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung im Sinne einer deutlichen depressiven Störung in Verbindung mit einer Anpassungsstörung vorliege. Dem Beschwerdeführer wurden Antidepressiva verschrieben. Der Transport an sich sei kein Argument gegen eine eventuelle geplante Überstellung, jedoch könne die Abholung zur Überstellung durch uniformierte Beamte zur eine Retraumatisierung führen (AS 69 ff).

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15.12.2008 (AS 79 ff) machte der Beschwerdeführer ergänzend zusammengefasst folgende Angaben: Er habe zwar in Polen einen Asylantrag gestellt, sei jedoch dazu nicht einvernommen worden. Er habe in Polen keine medizinische Versorgung erhalten. Flüchtlinge würden dort medizinisch nicht untersucht werden. Die Rettung komme erst dann, wenn es einem sehr schlecht gehe. Ihm sei die medizinische Behandlung wegen seinen fehlenden Zähnen, die er sich habe machen lassen wollen, Kreuzschmerzen und psychischen Problemen mit der Begründung verweigert worden, dass er nur bei akuten Schmerzen behandelt werde (hinsichtlich der Zähne) sowie er nur Kopfschmerzen habe (hinsichtlich seiner psychischen Probleme). Er könne nicht nach Polen, da es dort für ihn gefährlich sei. Im polnischen Flüchtlingslager habe er von anderen Tschetschenen gehört, dass tschetschenische Flüchtlinge im Lager verschwinden würden. Auch habe ihn sein Vater angerufen und ihm mitgeteilt, dass seine Verfolger nach ihm gesucht hätten. In Österreich sei er etwas sicherer. Er werde sicher einen Herzanfall erleiden oder sich etwas antun, wenn er nach Polen zurück müsste. In Österreich habe er zwei Brüder, einer sei anerkannter Flüchtling und seit etwa sieben Jahren hier, der andere sei Subsidiärschutzberechtigter und seit 2006 hier. Zu beiden bestehe jedoch kein Kontakt. Über Vorhalt des Ergebnisses der gutachtlichen Stellungnahme gab er an, es stimme, was im Gutachten stehe. Er nehme die verschriebenen Medikamente ein.

 

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs.1 lit. c der Dublin II-VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe daher zu. Auch seien beim Beschwerdeführer keine Krankheiten festgestellt worden, die ein Abschiebehindernis darstellen würden. Dazu wurde auch ausführlich auf die Behandlungsmöglichkeiten in Polen hingewiesen. Ein familiärer Anknüpfungspunkt zu seinen zwei Brüdern sei ausgeschlossen, da ein eventuelles familiäres Band oder ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis nicht vorlägen und dies vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet wurde. Es seien auch weder ein gemeinsamer Haushalt noch eine finanzielle Abhängigkeit behauptet worden. Ein Eingriff in das Familienleben iSd Art 8 EMRK bestehe somit nicht.

 

Der Bescheid enthält auch eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern einschließlich der Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Asylwerber, zu staatlichen Leistungen für Fremde mit (bloß) toleriertem Aufenthalt sowie insbesondere auch die Ausführung, wonach tschetschenischen Asylwerbern idR zumindest subsidiärer Schutz gewährt werde. Aus diesen Darstellungen geht hervor, dass das Verfahren in Polen den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts genügt und aus diesen ist nicht erkennbar, dass Polen etwa eine mit der GFK unvertretbare rechtliche Sonderposition verträte. Zudem ist eine ausreichende Versorgung von Asylwerbern - auch von solchen mit psychischen und physischen Problemen - gewährleistet (AS 117ff).

 

4. Gegen den Bescheid der Erstbehörde wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 03.03.2009 beim Asylgerichtshof einlangte. Der Beschwerde wurde ein klinisch-psychologischer Befund von der zertifizierten klinischen Psychologin und Neuropsychologin Dr. Mag. C.H. vom 23.02.2009, beigelegt, in welchem beim Beschwerdeführer eine PTBS diagnostiziert wurde, wobei Zwangsmaßnahmen zu einer Retraumatisierung mit hohem Suizidrisiko führen würden (AS 215ff).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Gattin und seinem minderjährigen Sohn mit dem Zug von Grosny über Moskau nach Brest und von dort nach Polen, er stellte am 12.09.2008 in Lublin erstmals einen Asylantrag. Er wartete das Verfahren dort jedoch nicht ab, sondern reiste illegal mit seiner Gattin und seinem minderjährigen Sohn in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 17.11.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die übrigen Familienangehörigen stellten ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein ihn betreffendes Asylverfahren ist in Polen anhängig.

 

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer aktuellen Überstellung nach Polen Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Der Beschwerdeführer leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Ein zwangsweiser Vollzug der Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen müsste allerdings unter Berücksichtigung der Gefahr einer Retraumatisierung einschließlich Suizidgefahr, also mit größtmöglichster Schonung des Beschwerdeführers (ggf. durch Beamte in Zivil oder mit psychologischer Betreuung), vor sich gehen.

 

Der Beschwerdeführer hat zwei volljährige Brüder in Österreich, von denen einer anerkannter Flüchtling und der andere Subsidiärschutzberechtiger ist, zu denen aber kein Kontakt besteht.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers, zu seiner Asylantragstellung in Polen und seinen persönlichen Verhältnissen, einschließlich dem Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit grundsätzlicher Gefahr einer Retraumatisierung ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz nach diesem Zeitpunkt gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer zunächst in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sowie sich vor Abschluss dieses Verfahrens nach Österreich begeben, dass er seither nicht verlassen hat, und er auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 16 Abs. 1 lit. c (iVm Art 13) als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Polen hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers und Behandlung seines Antrages bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art. 19 Dublin II-VO).

 

aa) Mögliche Verletzung von Art. 8 EMRK: In Österreich leben (mit Ausnahme der mitgereisten Gattin und dem minderjährigen Sohn) zwei erwachsene Brüder des Beschwerdeführers. Am Maßstab der Judikatur der Höchstgerichte zum Familienleben unter Erwachsenen zeigt die Erstbehörde keine Fehlbeurteilung unter diesem Gesichtspunkt auf: So ist in VfGH 9.6.2006, B 1277/04, ausgeführt, eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen falle "- auch nach der Rechtsprechung des EGMR - nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen" (VwGH 26. 1. 2006, 2002/20/0423; 26. 1. 2006, 2002/20/0235; 8. 6. 2006, 2003/01/0600; 29. 3. 2007, 2005/20/0040 bis 0042; 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723). Der Beschwerdeführer brachte in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor, keinen Kontakt zu seinen Brüdern zu haben, gegenteiliges geht aus der Beschwerde auch nicht hervor, sodass wegen familiärer Anknüpfungspunkt zu den Brüdern ausgeschlossen ist, da weder ein familiäres Band noch ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliegt und auch nicht behauptet wurde. Es liegen auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, B 1802, 1803/06). Dies wurde vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Eine Verletzung in seinen durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten durch eine Überstellung nach Polen ist im Beschwerdefall daher nicht ersichtlich.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Der Beschwerdeführer macht zunächst unter Verweis auf den vorgelegten Befund, der eine posttraumatischen Belastungsstörung mit Retraumatisierungsrisiko für den Fall einer Überstellung nach Polen einschließlich Suizidgefahr diagnostiziert, die Selbsteintrittspflicht Österreichs geltend.

 

Dem ist zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken im Allgemeinen kein Fremder ein Recht habe, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, 31246/06;

Ayegh, 07.11.2006, 4701/05; Karim, 04.07.2006, 24171/05;

Paramasothy, 10.11.2005, 14492/03; Ramadan & Ahjredini, 10.11.2005, 35989/03; Hukic, 27.09.2005, 17416/05; Kaldik, 22.09.2005, 28526/05;

Ovdienko, 31.05.2005, 1383/04; Amegnigan, 25.11.2004, 25629/04; VfGH 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723).

 

Im vorliegenden Fall ist zu den gesundheitlichen Problemen des Beschwerdeführers - selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer durch die Rücküberstellung nach Polen retraumatisiert werden sollte und selbstmordgefährdet wäre - zu sagen, dass diese insgesamt gesehen nicht jene besondere Schwere aufweisen, die nach oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK eine Überstellung nach Polen als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe, zumal eine Krankenbehandlung erforderlichenfalls auch in diesem Mitgliedsstaat möglich ist. Allerdings hätte - wie oben ausgeführt (Punkt II. 1) - die Überstellung nach Polen mit größtmöglicher Schonung des Beschwerdeführers zu erfolgen.

 

Den Angaben des Beschwerdeführers, wonach ihm die medizinische Versorgung in Polen verweigert worden sei, sind die Länderfeststellungen der Verwaltungsbehörde entgegenzuhalten, aus denen die Gewährleistung der medizinischen Versorgung hervorgeht. Dass die Rettung nur komme, "wenn es einem sehr schlecht geht", ist auch in Österreich der Fall, handelt es sich doch bei einem Rettungseinsatz in diesem Zusammenhang um einen Krankentransport für den Notfall. Auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer über seien Wunsch als Asylwerber nicht sogleich "fehlende Zähne gemacht" worden seien, zeigt nicht auf, dass die medizinische Notversorgung in Polen nicht gewährleistet wäre.

 

Weiters führt der Beschwerdeführer unter dem Blickwinkel einer möglichen Verletzung von Art 3 EMRK aus, in Polen sei es für ihn zu gefährlich, weil viele Tschetschenen von ihren Verfolgern gesucht und gefunden würden. Außerdem habe sein Vater ihm mitgeteilt, dass er seinen Verfolgern seinen Aufenthaltsort verraten habe, da man diesem angedroht habe, sein Haus anzuzünden. Dazu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer jeglichen Beweis für das behauptete Verschwinden von Tschetschenen in Polen schuldig blieb, keinen einzigen konkreten - nachprüfbaren - Vorfall schildern konnte. Insoweit der Beschwerdeführer vorbringt, sein Vater habe ihm mitgeteilt, seinen Verfolgern seinen Aufenthaltsort verraten zu haben, ist dem entgegenzuhalten, dass die polnischen Behörden schutzfähig und schutzwillig sind. Der Versuch, sich unter deren Schutz zu stellen, ist offenkundig nicht einmal in Aussicht genommen worden.

 

Auch ist nicht erkennbar, inwiefern Polen im Hinblick auf ethnische Tschetschenen eine den Beschwerdeführer gefährdende Position verträte.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen kein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Polen (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist, noch der Beschwerdeführer in Österreich über - die erwähnten Familienmitglieder hinausgehende - Verwandte verfügt, zu denen er einen engen Familienbezug hätte. Zum Nichtvorliegen eines unzulässigen Eingriffes in Art. 3 wie auch in Art. 8 EMRK wird auf die obigen Ausführungen zum Selbsteintrittsrecht verwiesen [Punkt 3.2.b)]. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, Traumatisierung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008), Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
20.05.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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