Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 18. Juli 1968 geborenen N R B in Wien, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Oktober 1998, Zl. 201.233/0- V/15/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 13. Juli 1996 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Juli 1996 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
Als Fluchtgründe gab er anlässlich seiner Ersteinvernahme zusammengefasst an, er sei Ende 1993 dem NDC (National Democratic Committee) beigetreten, welches für Abiola eingetreten und gegen die Militärregierung gewesen sei. Er selbst habe zwei Artikel gegen das Regime verfasst, welche vom Daily Star aber deshalb nicht veröffentlicht worden seien, weil dies zu gefährlich gewesen sei. Es seien auch zahlreiche Demonstrationen abgehalten worden, welche das Ziel gehabt hätten, die Freilassung des Abiola zu erwirken. Mehrere Mitglieder seiner Gruppierung seien festgenommen und auch gefoltert worden. Im Sommer 1995 habe er in Lagos an einer Demonstration teilgenommen, bei welcher es zu Ausschreitungen gekommen sei. Er habe bei diesen Ausschreitungen einen Polizisten verletzt. Andere Polizisten und Demonstrationsteilnehmer seien getötet worden. Er sei dann zusammen mit mehreren Teilnehmern festgenommen und über drei Wochen angehalten worden. Er sei gefoltert und zu den Vorfällen befragt worden, habe jedoch bestritten, einen Polizisten verletzt zu haben. Nachdem Mitglieder seiner Gruppe Bestechungsgeld bezahlt hätten, sei er darauf ebenso wie andere Inhaftierte freigelassen worden. Er habe nach seiner Entlassung die politische Tätigkeit fortgesetzt und an Sitzungen und Konferenzen teilgenommen. Als Anfang Juni die Frau des Abiola von Unbekannten ermordet worden sei, seien im ganzen Land Demonstrationen abgehalten worden. Er habe an einer solchen in Abeokute teilgenommen, bei welcher es erneut zu Ausschreitungen gekommen sei und vier oder fünf Polizisten getötet worden seien. Auch er habe mit Polizisten gekämpft, getötet habe er wahrscheinlich keinen. Er habe dann vom Ort der Demonstration flüchten und so einer Verhaftung entgehen können. Er habe sich sofort nach Lagos begeben und sich dort versteckt gehalten. Von Mitgliedern seiner Gruppe wisse er, dass er bereits auf einer Liste des Geheimdienstes zur Verhaftung ausgeschrieben sei. Aus diesem Grund sei er auch nicht mit seinem Reisepass über den Flughafen Lagos, sondern mit einem Reisepass, den er vom Schlepper erhalten habe, ausgereist. Die Militärregierung in Nigeria sei sehr brutal und er würde im Falle einer Rückkehr sicher umgebracht werden. Nach dem Vorfall Anfang Juni 1996 habe er nicht gleich sein Heimatland verlassen, weil überall Kontrollen vom Militär durchgeführt und die Grenzen zu den Nachbarländern streng überwacht worden seien.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 18. Juli 1996 den Antrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit zuzuerkennen sei. Aber auch bei unterstellter Glaubwürdigkeit des Vorbringens sei dieses nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu indizieren, weil im Fall des Beschwerdeführers die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei, zumal die behördlichen Maßnahmen rechtsstaatlich legitimen Zwecken wie der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gedient hätten. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, dass es bei den Demonstrationen zu massiven Ausschreitungen gekommen sei und sogar Polizisten getötet worden seien. Er selbst habe anlässlich der Teilnahme bei zwei Demonstrationen zwei Polizisten mit einem Messer verletzt. Damit im Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen wie die Festnahme und Anhaltung von Teilnehmern an verbotenen Demonstrationen erwiesen sich nicht als Verfolgungshandlung im Sinne des § 1 Asylgesetz 1991. Darüber hinaus liege im Fall des Beschwerdeführers bereits der Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z 3 AsylG 1991 vor, weil sich der Beschwerdeführer nach Verlassen seines Verfolgerstaates und vor der Einreise in das Bundesgebiet in Ungarn befunden habe, wo er bereits vor einer etwaigen Verfolgung sicher gewesen sei.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er sich gegen die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz wandte und weiters ausführte, er habe sich bei der Verletzung der Polizisten "der Verteidigung bedient", um einen unmittelbar drohenden Angriff auf sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit abzuwehren und das gerechtfertigte Maß der Verteidigung dabei nicht überschritten. Da er im Falle einer neuerlichen Festnahme mit Misshandlungen und der Anhaltung im polizeilichen Gewahrsam ohne ein Gerichtsverfahren, das internationalen Normen für ein faires Gerichtsverfahren gerecht werden würde, rechnen müsste, sei diese versuchte Festnahme als unmittelbar drohender Angriff auf sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu werten, gegen den Notwehr zulässig sei. Wie amnesty international bestätige, seien 1995 Hunderte von Teilnehmern an regierungskritischen Demonstrationen festgenommen, misshandelt oder in Gewahrsam gehalten worden. Daher sei seine Furcht vor Verfolgung objektiv gegeben und als Verfolgung im Sinn des § 1 Z 1 AsylG 1991 zu werten. Zum Schicksal jener Personen, die nach regierungskritischen Aktivitäten festgenommen, misshandelt und ohne faires Gerichtsverfahren in polizeilichen Gewahrsam genommen worden seien, fehlten aber jegliche Ermittlungen der Behörde erster Instanz. Schließlich erwiese sich auch die Auffassung der Behörde, er sei bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen, als unzutreffend, weil Ungarn seinen Verpflichtungen nach der Flüchtlingskonvention ausschließlich gegenüber Personen nachkomme, die in Folge von in Europa eingetretenen Ereignissen geflüchtet seien.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), abgewiesen. Die belangte Behörde stellte auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, welchem insbesondere das Vorbringen des Berufungswerbers zu Grunde gelegt worden sei, als entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest, dass der Beschwerdeführer im Sommer 1995 an einer Demonstration in Lagos teilgenommen und im Zuge von Ausschreitungen einen Polizisten verletzt habe, worauf er festgenommen, gegen Bestechung aber wieder freigelassen worden sei. Im Juni 1996 habe der Beschwerdeführer neuerlich an einer Demonstration in Abeokute teilgenommen und sei es abermals zu Ausschreitungen gekommen, anlässlich deren der Beschwerdeführer mit einem Spezialmesser auf Polizisten eingestochen habe. Durch seine anschließende Flucht habe er einer Verhaftung entgehen können.
Auf Grundlage dieser Feststellungen gelange die Behörde zur Schlussfolgerung, dass das Vorliegen asylrelevanter Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft sei, weil sich im durchgeführten Ermittlungsverfahren für den unabhängigen Bundesasylsenat kein Anhaltspunkt dafür ergebe, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner politischen Aktivitäten in seiner Heimat Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen wäre. Es stelle sich für die Behörde vielmehr so dar, dass die Polizei infolge der Ausschreitungen gegen die Demonstranten vorgegangen und der Beschwerdeführer nicht aus politischen Gründen, sondern wegen der begangenen Körperverletzung festgenommen worden sei. Dafür spreche auch die von ihm in seiner niederschriftlichen Befragung erstattete Schilderung, wonach er zu den Vorfällen befragt worden wäre, aber bestritten hätte, einen Polizisten verletzt zu haben. Die erstinstanzliche Behörde habe bereits zutreffenderweise ausgeführt, dass eine rechtsstaatlich legitimen Zwecken dienende polizeiliche Maßnahme noch keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle und der Beschwerdeführer wegen Verwirklichung eines Straftatbestandes auch in anderen Staaten zur Verantwortung gezogen worden wäre. Die belangte Behörde schließe sich diesbezüglich der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen rechtlichen Beurteilung an und erkläre die entsprechenden Passagen des Bescheides zum Bestandteil des gegenständlichen Bescheides. Der Beschwerdeführer habe es somit bei einer bloßen Behauptung asylbegründeter Tatsachen bewenden lassen, habe aber eine auf Grund seiner politischen Gesinnung drohende Verfolgung nicht glaubhaft darzutun vermocht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Anders als die Behörde erster Instanz, die von der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers ausging und nur im Rahmen einer Alternativbegründung eine rechtliche Wertung der Fluchtgründe vornahm, ging die belangte Behörde offenbar von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers aus. Dies geht auch daraus hervor, dass sie ihren entscheidungswesentlichen Sachverhalt "insbesondere" auf das Vorbringen des Beschwerdeführers stützt. Geht man allerdings davon aus, dass die belangte Behörde - mangels gegenteiliger Ausführungen im angefochtenen Bescheid - dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers, also insbesondere auch seinem Vorbringen in der Berufung, Glaubwürdigkeit zuerkannte, so lässt sich nicht nachvollziehen, wie die belangte Behörde zu ihrem entscheidungswesentlichen Sachverhalt gelangt ist, stellt dieser doch nur einen Auszug aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers dar.
So wird als entscheidungswesentlicher Sachverhalt lediglich die Teilnahme des Beschwerdeführers an zwei Demonstrationen, im Zuge derer es zu Ausschreitungen und Verletzungen von Polizisten durch den Beschwerdeführer gekommen sei, festgestellt; das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner politischen Betätigung rund um diese Vorfälle sowie das - keinem Neuerungsverbot unterliegende - Berufungsvorbringen, wonach der Beschwerdeführer die Polizisten aus Notwehr verletzt habe, findet ebenso wenig Beachtung wie das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers über die Praxis von Misshandlungen im Polizeigewahrsam und über Anhaltungen ohne Gerichtsverfahren nach internationalem Standard.
Die fehlende Berücksichtigung der politischen Tätigkeiten des Beschwerdeführers findet ihre Erklärung darin, dass nach Ansicht der belangten Behörde allein der strafrechtliche Aspekt (der vom Beschwerdeführer an den Polizisten verübten Verletzungen) für die Verfolgung des Beschwerdeführers relevant sei; es ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner politischen Aktivitäten verfolgt worden sei.
Träfe diese Argumentation zu, so wäre der oben dargestellte Feststellungsmangel für den Verfahrensausgang nicht von Relevanz. Dies ist aber nicht der Fall, weil der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme und in seiner Berufung eine Verbindung zwischen seiner Verfolgung wegen der Begehung einer strafbaren Handlung und seiner politischen Tätigkeit hergestellt hat. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde überhaupt nicht, insbesondere nicht vor dem Hintergrund der (mit einem Bericht von amnesty international belegten) Darstellung des Beschwerdeführers über die Haftbedingungen politischer Gefangener und über das Fehlen einer Anklage oder eines Gerichtsverfahrens im Falle einer Inhaftierung auseinandergesetzt. Wenn die belangte Behörde davon spricht, es sei eine "rechtsstaatlich legitimen Zwecken dienende polizeiliche Maßnahme" vorgelegen und der Beschwerdeführer wäre auch "wegen Verwirklichung eines Straftatbestandes in anderen Staaten zu Verantwortung gezogen worden", so legt sie dieser Einschätzung zu Grunde, dass in Nigeria auch bei Inhaftierungen politisch bereits auffällig gewordener regimekritischer Personen im Zuge von Ausschreitungen bei Demonstrationen rechtsstaatliche Grundsätze beachtet würden und der Beschwerdeführer mit einem fairen Gerichtsverfahren internationalen Standards rechnen dürfte. Auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse sie - entgegen dem Berufungsvorbringen, wo dies ausdrücklich bestritten wird - zu dieser Einschätzung gelangt, ist dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen.
Eine weitere Verletzung von Verfahrensvorschriften ist darin zu erblicken, dass die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer durchgeführt hat. Der unabhängige Bundesasylsenat kann gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG iVm § 67d AVG nur dann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Die belangte Behörde hätte daher angesichts des Berufungsvorbringens, in dem nicht nur die Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde gerügt wurde, sondern in dem auch neues Sachvorbringen erstattet wurde, eine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer durchführen müssen.
Bei Vermeidung der der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmängel ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid gelangt wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. März 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999200195.X00Im RIS seit
18.05.2001