TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/15 99/20/0052

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Veröffentlicht am 15.03.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 27. Juni 1965 geborenen JS in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. September 1998, Zl. 200.991/0-IV/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ruandas, reiste am 21. September 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 22. September 1995 die Gewährung von Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei wie auch seine Familie Angehöriger der Volksgruppe der Hutus. Wegen des 1994 in Ruanda ausgebrochenen Krieges sei er mit seiner Familie von Kigali nach Kanama geflüchtet. Auf der Flucht vor dem Krieg habe er zwei Schusswunden am linken Fuß davongetragen. In Kigali seien die Hutus zu den Häusern der Tutsis gegangen und hätten diese getötet. Aus Rache hätten dann die Tutsis die Hutus getötet. Es habe überall Tote in den Straßen von Kigali gegeben. Er und seine Familie hätten sich nicht an diesen Morden beteiligt. Bis zum September 1995 seien sie in Kanama vor Verfolgung sicher gewesen und hätten in der Landwirtschaft gearbeitet. Dann habe sein Vater begonnen, Versammlungen für die Hutus zu organisieren und habe den dort anwesenden Personen erzählt, was in Kigali geschehen sei. Die Hutus seien durch die Erzählungen aufgebracht gewesen, sein Vater habe sie aber beruhigen können. Der Beschwerdeführer sei für die Organisation der Jugend zuständig gewesen. In der zweiten Woche im September 1995 seien Soldaten der Patriotic Front of Ruanda von Hutus angegriffen worden, wobei ein Soldat getötet worden sei. Einige Tage später sei seine Familie getötet worden. Er sei zu diesem Zeitpunkt auf den Feldern gewesen und sei am 10. September 1995 nach Kanama zurück gekehrt. Dort habe er gesehen, dass seine Eltern und seine Schwester getötet worden seien. Es seien alle Hutus im Dorf erschossen worden. Vermutlich seien die Soldaten von den im Dorf lebenden Tutsis verständigt worden und hätten die Hutus erschossen. Er sei danach in den Busch gelaufen und habe sich vier Tage versteckt. Danach sei er auf die Straße gegangen, um eine Möglichkeit zu finden, mit einem Fahrzeug zu flüchten. Ein Geschäftsmann habe ihn schließlich mit seinem Fahrzeug mitgenommen, eine Nacht bei sich übernachten lassen und ihn schließlich über die Grenze nach Kampala gebracht. Er sei am 10. September 1995 bei seiner Rückkehr ins Dorf von den Tutsis seines Heimatdorfes zwar gesehen worden, es sei ihm aber nichts geschehen, weil diese keine Gewehre gehabt hätten. Er habe aber Angst davor gehabt, dass die Tutsis seines Heimatdorfes die Soldaten, die auch seine Familie erschossen hätten, verständigten und ihn diese erschießen könnten. Er habe im Busch auch andere Hutus getroffen, welche überlebt hätten und diese hätten ihm gesagt, dass die Soldaten der Tutsis die Hutus erschossen hätten.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. März 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen. Die Behörde erster Instanz stellte zwar (u.a.) fest, dass der vom Beschwerdeführer vorgelegte Identitätsnachweis eine Totalfälschung sei, ging aber in der Folge von der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers aus. Die Abweisung des Asylantrages begründete sie damit, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen in seinem Heimatland vor der dort herrschenden Bürgerkriegssituation geflohen sei. Diese Situation allein sei jedoch nicht geeignet, das Vorliegen begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention glaubhaft zu machen, weil den aus solchen Verhältnissen resultierenden Benachteilungen sämtliche dort lebende Bewohner ausgesetzt seien und solche Verhältnisse daher nicht als konkrete, individuell gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgungshandlungen eingestuft werden könnten. Das Asylrecht habe nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen, die aus Krieg, Bürgerkrieg oder sonstigen Unruhen hervorgingen, zu bewahren; Voraussetzung für eine Asylgewährung sei die Furcht vor einer konkret gegen den Asylwerber selbst gerichteten Verfolgungshandlung. Eine solche sei vom Beschwerdeführer jedoch nicht vorgebracht worden. Darüber hinaus habe sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich in einem sicheren Drittstaat aufgehalten, sodass der Asylantrag auch deshalb als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden müsste.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er seine Fluchtgründe wiederholte und erneut darauf hinwies, dass das Dorf Kanama im Zuge einer Racheaktion wegen der Ermordung eines Soldaten der Patriotic Front of Ruanda von Soldaten überfallen und alle Hutus getötet worden seien. Er sei der einzige Überlebende seiner Familie, weil er während des Meuchelmordes auf einem vom Dorf weit entfernten Feld gearbeitet habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), abgewiesen. Auch die belangte Behörde stellte fest, der vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren vorgelegte Personalausweis stelle eine Totalfälschung dar. Nicht festgestellt werden könne die Nämlichkeit des Antragstellers, dessen ruandische Staatsangehörigkeit sowie der Umstand, dass der Antragsteller der Volksgruppe der Hutus angehöre. Insbesondere habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer auf Grund einer politisch motivierten Tätigkeit konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt sei.

Dies wurde damit begründet, dass ein Asylwerber dann nicht persönlich glaubhaft sei, wenn er sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel stütze oder auf diesbezüglichen Vorhalt keine plausible Erklärung liefere bzw. die nötige weitere Mitwirkung zur Klärung des Sachverhaltes verweigere. Der vom Beschwerdeführer vorgelegte Personalausweis sei als Totalfälschung qualifiziert worden. Dieses Beweisergebnis sei dem Beschwerdeführer im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme seiner Person zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit geboten worden, hiezu Stellung zu beziehen. Der Antragsteller habe jedoch in seiner Darstellung darauf beharrt, dass ihm dieses Dokument von seinem Vater Ende 1993 übergeben worden sei, er diesen Ausweis in seinem Heimatland habe verwenden können und er nicht wisse, wie er die Echtheit dieses Ausweises beweisen solle. Die belangte Behörde gelange daher zur Ansicht, der Antragsteller sei persönlich unglaubwürdig, weshalb seinen Aussagen insgesamt die Glaubwürdigkeit zu versagen und aus diesem Grund auch kein asylrechtlich relevanter Sachverhalt festzustellen sei.

Aber selbst bei Zugrundelegung der im Rahmen des Asylverfahrens zu Protokoll gegebenen Angaben könne nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat aus wohlbegründeter Furcht vor konkret gegen seine Person gerichteter Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention verlassen habe. Eine im Heimatland des Antragstellers herrschende Bürgerkriegssituation indiziere für sich allein nämlich nicht die Flüchtlingseigenschaft. Dass der Beschwerdeführer auf Grund von in seiner Person gelegener Merkmale einem erhöhten Gefährdungspotenzial ausgesetzt gewesen sei bzw. im Falle seiner Rückkehr ausgesetzt wäre, hätte dem durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht entnommen werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1994) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Im vorliegenden Fall stellte das Bundesasylamt zwar - ebenso wie die belangte Behörde - fest, dass der vom Beschwerdeführer vorgelegte Personalausweis auf Grund des Ergebnisses der kriminaltechnischen Untersuchung eine Totalfälschung sei. Die Behörde erster Instanz ging allerdings "auf Grund der glaubwürdigen Vernehmung der Person des Beschwerdeführers" und trotz der Fälschung des Personalausweises davon aus, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers glaubwürdig seien.

Im Gegensatz dazu schloss die belangte Behörde - ohne eigene Ermittlungen durchzuführen und insbesondere ohne eine mündliche Berufungsverhandlung mit dem Beschwerdeführer abzuhalten - im Rahmen ihrer Beweiswürdigung allein auf Grund der Vorlage des gefälschten Personalausweises auf die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers. Durch die Umwürdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat sich die belangte Behörde aber einen Verfahrensmangel zu schulden kommen lassen.

Im hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof die rechtlichen Voraussetzungen für das Absehen von einer Verhandlung durch die belangte Behörde dargestellt und ausgeführt, ein solches Vorgehen entspreche dann dem Gesetz, wenn der Sachverhalt "nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt" und in der Berufung "kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet" werde. Jedenfalls im letztgenannten Fall sei es der belangten Behörde verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen, als geklärt anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof fügte hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. zur Rechtswidrigkeit des Absehens von einer Verhandlung in einem derartigen Fall auch das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339).

Diese Erwägungen treffen jedenfalls auch zu, wenn die belangte Behörde - wie im vorliegenden Fall - nicht einem erst im Berufungsverfahren erstatteten, sondern schon dem ursprünglichen, nach wie vor aufrechten Vorbringen des Asylwerbers zu entscheidungswesentlichen Elementen des Sachverhalts in ausdrücklichem Gegensatz zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung keinen Glauben schenken will (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423). Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Fall mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen.

Nun führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur eine solche, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine Berufungsverhandlung durchgeführt, so ist nicht auszuschließen, dass sie den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zur Gänze die Glaubwürdigkeit zuerkannt und diese als Grundlage für ihre rechtliche Beurteilung herangezogen hätte.

Damit ist für den Beschwerdeführer aber dann noch nichts gewonnen, wenn die für den Fall des Zutreffens der Fluchtgründe des Beschwerdeführers dargelegte Alternativbegründung des angefochtenen Bescheides einer rechtlichen Prüfung standhält. Dies ist aber aus nachstehenden Gründen nicht Fall:

Die belangte Behörde ging - wie schon die Behörde erster Instanz - im Rahmen ihrer Alternativbegründung davon aus, dass im Heimatland des Beschwerdeführers im Jahr 1995 eine Bürgerkriegssituation vorherrschte, die jeden Bewohner "im gleichen Ausmaß" getroffen habe. Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde, die dieser Feststellung zu Grunde lagen, finden sich weder im Akt noch wird im angefochtenen Bescheid auf solche Bezug genommen. Es ist daher davon auszugehen, dass die belangte Behörde der Bewertung der politischen Situation in Ruanda im Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers (lediglich) dessen eigene Schilderung zu Grunde legte. Aus der Darstellung des Beschwerdeführers zum fluchtauslösenden Ereignis lässt sich aber eine nicht im Zusammenhang mit einem Konventionsgrund stehende Gefährdungssituation, der alle Bewohner eines Staates in gleicher Weise ausgesetzt waren, nicht ableiten. Aus der Schilderung des Beschwerdeführers geht vielmehr hervor, dass an dem näher bezeichneten Tag im September 1995 eine ausschließlich gegen Angehörige der Hutus gerichtete Racheaktion stattgefunden hatte und im Dorf des Beschwerdeführers somit nicht jedermann in gleicher Weise, sondern nur die Angehörigen der Volksgruppe der Hutus, gefährdet waren, die auch - folgt man der Schilderung des Beschwerdeführers - alle ermordet wurden. Die belangte Behörde hätte daher vor dem Hintergrund dieser Darstellung weitere Ermittlungen über die Situation dieser Volksgruppe in Ruanda im September 1995 anstellen und die Ergebnisse ihrer Ermittlungen ihrer rechtlichen Wertung zu Grunde legen müssen.

Diese Ermittlungen hätten möglicherweise ergeben, dass in den Jahren 1994 und 1995 in Ruanda gezielt gegen die Volksgruppe der Hutus vorgegangen wurde, und dass dazu auch die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse zählten (vgl. dazu z.B. den Jahresbericht 1996 von amnesty international zu Ruanda, wo auch der vom Beschwerdeführer geschilderte Vorfall im Dorf Kanama Niederschlag gefunden hat). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des ihr diesbezüglich unterlaufenen Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. März 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200052.X00

Im RIS seit

18.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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