Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Kochwalter, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Ing. Adolf M*****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch M.B.L-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, wegen 25.140,56 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2008, GZ 2 R 133/08h-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 14. August 2008, GZ 23 Cg 202/07s-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
2. Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten der Revisionsschrift sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin führte über Auftrag des Beklagten Bauarbeiten zur Errichtung einer Eigentumswohnungsanlage durch, wobei die Geltung der Ö-Norm B-2110 in der Fassung vom 1. 3. 2002 vereinbart wurde. Diese enthält unter anderem folgende Bestimmung:
„5.30.2: Annahme der Zahlung, Vorbehalt
Die Annahme der Schlusszahlung aufgrund einer Schluss- oder Teilschlussrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen drei Monaten nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen.
Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von drei Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages.
5.30.3: Geltendmachung von Nachforderungen und Überzahlungen
Wurde ein Vorbehalt gemäß 5.30.2 erhoben, können die entsprechenden Forderungen noch innerhalb von 3 Jahren ab Fälligkeit der Schlusszahlung geltend gemacht werden . ..."
Nach Abschluss der Arbeiten legte die Klägerin dem Beklagten am 17. 1. 2006 die Schlussrechnung über 833.289,56 EUR. Der Beklagte übersandte der Klägerin eine (handschriftlich) korrigierte Ausfertigung dieser Schlussrechnung, wobei die von ihm nicht anerkannten Mengen und Preise im Detail nachvollziehbar waren. Nachdem der Beklagte eine diese Korrekturen berücksichtigende (verminderte) Zahlung vorgenommen hatte, teilte ihm die Klägerin schriftlich mit, die Korrekturen nicht anzuerkennen, bot aber eine gemeinsame Besprechung und Durchsicht der strittigen Punkte an. In mehreren Besprechungen wurde ein Protokoll verfasst, in dem weitere vom Beklagten anerkannte Rechnungspositionen und die Einwände gegen die weiter beanstandeten Rechnungspositionen festgehalten wurden. Am 13. 4. 2006 zahlte der Beklagte den sich aus den anerkannten Rechnungspositionen ergebenden Betrag von 22.537,80 EUR mit der Widmung „Restzahlung". Nachdem der Geschäftsführer der Klägerin daraufhin erklärt hatte, damit nicht einverstanden zu sein, kam es zu weiteren Gesprächen über die noch strittigen Rechnungspositionen. Letztlich erklärte sich der Beklagte am 4. 5. 2006 bereit, noch einen Betrag in Höhe von ca 7.800 EUR zu zahlen. Er überwies am 9. 5. 2006 7.811,67 EUR als „Restzahlung/2. Nachzahlung" und übermittelte dazu eine Aufstellung, in der jene Rechnungspositionen angeführt wurden, auf die der Beklagte weitere Zahlungen leisten wolle. Dazu nahm die Klägerin erstmals in einem Schreiben vom 21. 9. 2006 Stellung, in dem festgehalten wurde, dass eine nochmalige eingehende interne und externe Überprüfung der Rechnungspositionen stattgefunden habe und danach die noch offenen Abstriche von der Schlussrechnung nicht anerkannt werden könnten. Der Beklagte antwortete darauf, dass mit den beiden geleisteten Nachzahlungen sämtliche Forderungen aus der Schlussrechnung beglichen seien.
Die klagende Partei begehrte nun die ihrer Ansicht nach noch offene Werklohnforderung von 25.140,56 EUR samt Zinsen und brachte im Wesentlichen vor, dass sie die strittigen Beträge zu Recht in Rechnung gestellt habe. Eine nachträgliche Einigung über eine verminderte Zahlungspflicht des Beklagten sei nicht getroffen worden. Ein Forderungsverlust sei nicht eingetreten, da die Klägerin unverzüglich nach Erhalt der (ersten) Zahlung auf die Schlussrechnung einen Vorbehalt gemäß Punkt 5.30.2 der Ö-Norm B-2110 erklärt habe.
Der Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, er habe aufgrund der beiden Nachzahlungen bereits mehr geleistet als vertraglich vereinbart gewesen sei. Die zweite Nachzahlung sei aufgrund einer endgültigen und abschließenden Einigung geleistet worden, weshalb ein Vergleich vorliege, der weitere Forderungen der Klägerin ausschließe. Schließlich habe die Klägerin auch die letzte Zahlung von rund 7.800 EUR angenommen, ohne nach Punkt 5.30.2 der Ö-Norm B-2110 binnen drei Monaten einen Vorbehalt zu erheben. Der erst am 21. 9. 2006 erklärte Vorbehalt sei verspätet, weshalb die Forderung verfristet sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte habe nach mehreren Gesprächen eine als Restzahlung gewidmete Zahlung geleistet, die unter Berücksichtigung der bereits vorher geleisteten Zahlungen noch immer vom Rechnungsbetrag abgewichen sei. Die Klägerin habe einen Vorbehalt dazu erst mit dem Schreiben vom 21. 9. 2006 getätigt. Der bereits am 20. 2. 2006 - nach Erhalt der ersten (großen) Zahlung nach der ursprünglichen Rechnungskorrektur - ausgesprochene Vorbehalt habe sich nicht auf den zuletzt maßgeblichen Sachverhalt beziehen können, zumal nach diesem Vorbehalt Gespräche zwischen den Parteien stattgefunden hätten und eine weitere Nachzahlung sowie eine ausdrücklich als Restzahlung gewidmete Zahlung erfolgt seien. Zu dieser ausdrücklich als Restzahlung gewidmeten und von der Klägerin angenommenen Zahlung hätte es daher eines weiteren fristgerechten Vorbehalts bedurft.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es verwarf die Rechtsauffassung der Klägerin, dass deren schriftlicher Vorbehalt vom 20. 2. 2006 bewirkt habe, dass trotz weiterer Zahlungen des Beklagten Nachforderungen binnen der dreijährigen Frist des Punkts 5.30.3 der Ö-Norm B-2110 geltend gemacht werden könnten. Der Zweck der 3-Monatsfrist bestehe darin, dem Werkbesteller möglichst früh nach der gemäß seinem Willen letzten Zahlung (der Schlusszahlung) durch einen Vorbehalt des Werkunternehmers Klarheit zu verschaffen, ob und inwieweit ihm weitere Werklohnverbindlichkeiten aus dem Werkvertrag drohen. Die Annahme der eindeutig als Schlusszahlung gewidmeten (und von der Klägerin auch als solche erkannten) Zahlung des Beklagten vom 9. 5. 2006, die mit einer „schriftlichen Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrags" verbunden gewesen sei, habe jedenfalls (neuerlich) die 3-monatige Frist zur Erklärung eines Vorbehalts ausgelöst, habe der Beklagte damit doch unmissverständlich deutlich gemacht, dass für ihn die Sachlage endgültig beurteilt sei und keine weiteren Vergleichsverhandlungen mehr stattfinden würden. Die gegenteilige Argumentation der Klägerin verkenne, dass der Zweck der Regelung der Ö-Norm nicht in der Wahrung der dreijährigen Verjährungsfrist für den Werkunternehmer, sondern in der möglichst frühen Klärung für den Werkbesteller bestehe, ob er durch die nach seinem Willen letzte Zahlung (Schlusszahlung) seine Verbindlichkeiten aus dem Werkvertrag vollständig erfüllt hat. Da die Klägerin binnen drei Monaten nach Annahme der letzten Zahlung keinen Vorbehalt erklärt habe, seien nachträgliche Forderungen ausgeschlossen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt. Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei erweist sich hingegen als verspätet: Sie wurde entgegen § 507a Abs 3 Z 2 ZPO nicht beim Revisionsgericht eingebracht, sondern beim Erstgericht überreicht. Maßgeblich für die Rechtzeitigkeit ist damit das Einlangen beim Revisionsgericht. Am 3. 2. 2009 (Zeitpunkt des Einlangens) war die vierwöchige Frist (Beginn: 19. 12. 2008) bereits abgelaufen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Rechtsansicht der Vorinstanzen dazu führt, dass dem Werkunternehmer die gegenüber dem Wortlaut der einschlägigen Regelung der Ö-Norm B-2110 verschärfte Obliegenheit auferlegt würde, sich - bei sonstigem Verlust berechtigter Werklohnforderungen - (mehrmals) gegen „Rechnungskorrekturen" zur Wehr setzen zu müssen.
P. Bydlinski hat jüngst (Die Auslegung und Anwendung von Ö-Normen, insbesondere in Bezug auf Schlussrechnung und Schlusszahlung, wbl 2008, 215 ff) zutreffend dargelegt, dass die einschlägigen Vorschriften der Ö-Norm B-2110 bereits in ihrem unmittelbaren (und unstrittigen) Anwendungsbereich zu einer nicht unerheblichen Schlechterstellung des Werkunternehmers gegenüber jener Rechtsposition führen, die ihm nach den Vorschriften des dispositiven Rechts zukäme (ähnlich Karasek, Ö-Norm B-2110, Rz 724). Er muss sich bei sonstigem Anspruchsverlust gegen eine vom - allenfalls auch zur Gänze berechtigten - Schlussrechnungsbetrag abweichende „Schlusszahlung" innerhalb von drei Monaten aktiv mit einem „Vorbehalt" zur Wehr setzen, sofern bzw sobald der Werkbesteller den Differenzbetrag nachvollziehbar darlegt. Dem liegt offenbar der Gedanke zugrunde, dass sich - insbesondere bei größeren Bauvorhaben - derartige „Rechnungskorrekturen" häufig als zumindest teilweise berechtigt erweisen, weshalb dem Werkunternehmer abverlangt wird, dazu innerhalb einer angemessenen Frist klar Stellung zu beziehen und für den Werkbesteller deutlich zu machen, ob und inwieweit die fraglichen Rechnungspositionen aufrecht erhalten werden. Soweit ein derartiger „Vorbehalt" nicht (rechtzeitig) erfolgt, wird unterstellt, der Werkunternehmer habe die Korrektur anerkannt und halte seine Rechnungsforderung insoweit nicht aufrecht (vgl auch Karasek aaO).
Berücksichtigt man nun, dass die dargestellte Rechtsfolge eines Versäumens der dreimonatigen Frist für den „Vorbehalt" in Anbetracht ihrer Abweichung vom dispositiven Recht und der damit verbundenen erheblichen Verschlechterung der Rechtsposition des Werkunternehmers - allein aus dem (im Einzelfall gar nicht zu prüfenden) Klarstellungsinteresse des Werkbestellers - schon in ihrem Kernbereich nicht ganz unproblematisch ist, erscheint es keineswegs sachgerecht, den Werkunternehmer, der bereits eindeutig und unmissverständlich die gesamte Rechnungsforderung durch einen entsprechenden „Vorbehalt" aufrecht erhalten hat, nur deshalb bei sonstigem Anspruchsverlust zu neuerlichen (gleichlautenden) Erklärungen zu „zwingen", weil der Werkbesteller in der Folge weitere als „Schlusszahlung" bezeichnete (unvollständige) Zahlungen leistet. Mit dem ersten „Vorbehalt" hat der Werkunternehmer klargestellt, dass er die (hier: alle) „Rechnungskorrekturen" bzw „Rechnungsabzüge" nicht akzeptiert und seine durch die aufgeschlüsselte Schlussrechnung dokumentierte Forderung (vollinhaltlich) aufrecht erhält. Damit ist für den Werkbesteller in ausreichender Weise klargestellt, dass er sich darauf einstellen muss, dass der Werkunternehmer in Zukunft den Differenzbetrag geltend machen wird. Dass es in vielen Fällen nach diesem „Vorbehalt" noch zu Gesprächen kommt, in denen die Auffassungsunterschiede in einzelnen Punkten ausgeräumt werden und der Werkbesteller nachträglich vorher bestrittene Rechnungspositionen akzeptiert, begründet kein zusätzliches oder neues Klarstellungsinteresse, sondern führt lediglich dazu, dass sich die strittigen Rechnungspositionen vermindern. Sollte es im Einzelfall nachträglich zu einer Einigung (Vergleich) über die noch offene Restforderung kommen, durch die die Rechtslage geändert wird, begründet dies eine entsprechende materiellrechtliche Einwendung, führt aber keineswegs zur (sinngemäßen) Anwendbarkeit des Punkts 5.30.2 der Ö-Norm, die sich ja lediglich auf den Streit über die Richtigkeit einer Schlussrechnung bezieht, nicht aber auch auf einen denkbaren Streit über den Abschluss bzw den Inhalt eines (nach Schlussrechnung, Zahlung und „Vorbehalt") abgeschlossenen Vergleichs.
Da somit die erörterte Regelung der Ö-Norm B-2110 der Geltendmachung allfälliger, noch offener Werklohnansprüche der Klägerin nicht entgegensteht, wird sich das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren mit den anderen rechtserheblichen Prozessbehauptungen auseinanderzusetzen haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E90237European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00247.08T.0226.000Im RIS seit
28.03.2009Zuletzt aktualisiert am
05.12.2012