Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Christian Fuchs Rechtsanwalt GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifterstraße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2008, GZ 23 Rs 55/08x-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Juli 2008, GZ 46 Cgs 293/06v, 46 Cgs 292/06x-24, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst mit Urteil zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es einschließlich des unangefochten gebliebenen Teils zu lauten hat:
„1. Für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. 11. 2004 wird für die Zeit vom 1. 3. 2006 bis 31. 10. 2006 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 15 von 100 der Vollrente festgestellt.
2. a) Der Anspruch des Klägers auf eine Gesamtrente als Dauerrente für die Folgen der Arbeitsunfälle vom 15. 1. 2002 und 25. 11. 2004 besteht ab dem 1. 11. 2006 dem Grunde nach im Ausmaß von 30 vH der Vollrente zu Recht.
b) Der beklagten Partei wird aufgetragen, dem Kläger vom 1. 11. 2006 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung von 358,29 EUR monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils am Ersten eines Monats im Nachhinein.
c) Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Klägers auf Zahlung einer zumindest 40%igen Gesamtrente als Dauerrente ab 1. 11. 2006 wird abgewiesen."
Dem Kostenrekurs des Klägers gegen die erstinstanzliche Kostenentscheidung wird Folge gegeben und diese dahin abgeändert, dass die beklagte Partei der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 1.797,50 EUR (darin enthalten 299,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen hat.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit 222,91 EUR (darin enthalten 37,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Kostenrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Kläger hat seine übrigen Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat jahrelang als Profi-Schirennläufer mit guten Ergebnissen am Schiweltcup teilgenommen.
Am 15. 1. 2002 stürzte er bei einer Trainingsabfahrt auf der Streif in Kitzbühel schwer. Dabei zog er sich einen Riss des linken vorderen Kreuzbands, einen Teilriss des linken äußeren Meniskus, eine hintere Kantenimpression am linken Schienbeinkopf und einen osteochondralen Abscherbruch an der linken äußeren Oberschenkelrolle zu. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 2. 3. 2004 wurde dem Kläger für die Folgen dieses Arbeitsunfalls eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 100 % für die Zeit vom 16. 3. 2002 bis 15. 4. 2002, von 30 % für die Zeit vom 16. 4. 2002 bis 30. 6. 2002 und von 20 % für die Zeit vom 1. 7. 2002 bis 30. 6. 2003 zuerkannt. In dem dazu beim Erstgericht anhängig gewesenen Sozialrechtsverfahren wurde dem Kläger durch Vergleich darüber hinaus eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % als Dauerrente ab 1. 7. 2003 zuerkannt.
Am 25. 11. 2004 zog sich der Kläger bei einem Sturz im Abfahrtstraining in Kanada einen Teilriss des rechten vorderen Kreuzbands, einen Teilriss des rechten inneren Seitenbands und einen osteochondralen Abscherbruch an der rechten äußeren Oberschenkelrolle zu. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 18. 10. 2005 wurde dem Kläger für die Folgen dieses Arbeitsunfalls eine Gesamtvergütung für den Zeitraum vom 26. 1. 2005 bis 25. 4. 2005 auf Grundlage einer 100%igen vorläufigen Versehrtenrente und vom 26. 4. 2005 bis 28. 2. 2006 auf Grundlage einer 20%igen vorläufigen Versehrtenrente gewährt.
Als direkte Folge der beiden Unfälle besteht beim Kläger derzeit an beiden Kniegelenken eine Bewegungseinschränkung. Aufgrund der osteochondralen Abscherbrüche an den äußeren Oberschenkelrollen kam es an beiden Kniegelenken zu einer posttraumatischen Kniegelenksarthrose Grad I mit beginnender Gelenksspaltverschmälerung und degenerativen Ausziehungen. Am linken Kniegelenk ist nach vorderem Kreuzbandersatz eine Instabilität verblieben, die muskulär kompensiert wird.
Aufgrund des Unfalls vom 25. 11. 2004 besteht vom 1. 3. 2006 bis 31. 10. 2006 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 15 %. Die Gesamtrente als Dauerrente betreffend die beiden Unfälle vom 15. 1. 2002 und 25. 11. 2004 beträgt ab dem 1. 11. 2006 30 % bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Mit dem nunmehr verfahrensgegenständlichen Bescheid der beklagten Partei vom 21. 11. 2006 wurde dem Kläger aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. 11. 2004 für die Zeit vom 1. 3. 2006 bis 31. 10. 2006 gemäß § 210 Abs 4 ASVG eine vorläufige Versehrtenrente (Stützrente) im Ausmaß von 10 % zuerkannt. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zur AZ 46 Cgs 292/06x des Erstgerichts rechtzeitig Klage mit dem sinngemäßen Begehren auf Zahlung einer Versehrtenrente für den angegebenen Zeitraum im Ausmaß von 25 %.
Mit einem weiteren - ebenfalls verfahrensgegenständlichen - Bescheid der beklagten Partei vom 21. 11. 2006 wurde dem Kläger als Entschädigung für die Folgen der beiden Arbeitsunfälle vom 15. 1. 2002 und 25. 11. 2004 eine Gesamtrente als Dauerrente im Ausmaß von 25 % ab 1. 11. 2006 gewährt. Die Höhe der Gesamtrente wurde mit 358,29 EUR monatlich festgelegt. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zur AZ 46 Cgs 293/06v des Erstgerichts ebenfalls rechtzeitig Klage mit dem sinngemäßen Begehren auf Zahlung einer Gesamtrente als Dauerrente für die Folgen der beiden Arbeitsunfälle im Ausmaß von zumindest 40 % ab 1. 11. 2006.
Die beiden Klagen wurden vom Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Das Erstgericht stellte mit dem angefochtenen Urteil
1) „für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. 11. 2004 für die Zeit vom 1. 3. 2006 bis 31. 10. 2006 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 15 von 100 der Vollrente" fest,
2) „für die Folgen der Arbeitsunfälle vom 15. 1. 2002 und vom 25. 11. 2004 für den Zeitraum ab 1. 11. 2006 eine Gesamtrente als Dauerrente von 30 von 100 der Vollrente" fest und verpflichtete
3) die Beklagte zur Leistung eines Prozesskostenbeitrags von 599,17 EUR. Eine Abweisung des darüber hinausgehenden Mehrbegehrens des Klägers unterblieb.
In rechtlicher Hinsicht verwies das Erstgericht sinngemäß auf die von ihm getroffenen Feststellungen, wonach die Verletzungen des Klägers aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25. 11. 2004 für die strittige Zeit vom 1. 3. 2006 bis 31. 10. 2006 nur eine abstrakte Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 15 vH und aufgrund der beiden Arbeitsunfälle ab 1. 11. 2006 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH rechtfertigten.
Der Kläger bekämpfte das Ersturteil in seinem Punkt 2. insoweit, als ihm ab 1. 11. 2006 nicht eine Gesamtrente als Dauerrente im Ausmaß von 40 vH (in eventu 35 vH) der Vollrente zuerkannt wurde. Weiters erhob er gegen die Kostenentscheidung des Erstgerichts einen Kostenrekurs.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil im Umfang seines Punkts 2. einschließlich der Kostenentscheidung zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Den Ausführungen in der Beweisrüge des Klägers hielt das Berufungsgericht entgegen, dass gegen die Feststellung über die medizinische Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % für die Folgen der beiden Arbeitsunfälle ab 1. 11. 2006 keine Bedenken bestünden, da aufgrund des vom Erstgericht eingeholten Sachverständigengutachtens von einer medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit in diesem Ausmaß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der beiden Arbeitsunfälle ab 1. 11. 2006 auszugehen sei.
In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Berufungsgericht - zusammengefasst - zu dem Ergebnis, dass für die rechtliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers noch Feststellungen über den Umfang der Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens aufgrund der beiden Arbeitsunfälle sowie über den Umfang der dem Kläger dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich seien (sogenanntes dreistufiges Verfahren). Schließlich bedürfe es auch noch ergänzender Feststellungen für die Beurteilung der Frage, ob beim Kläger ein sogenannter „Härtefall" vorliege, welcher ein ausnahmsweises Abweichen der rechtlichen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von der medizinischen Einschätzung rechtfertige.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil eine Überprüfung der Richtigkeit seiner Rechtsansicht aus verfahrensökonomischen Gründen zweckmäßig sei.
Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.
Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen bzw ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und auch berechtigt.
Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, die - auch im vorliegenden Fall - maßgebende medizinische Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund der beiden Arbeitsunfälle vom 15. 1. 2002 und 25. 11. 2004 betrage für den strittigen Zeitraum ab 1. 11. 2006 30 % und es liege ein Härtefall im Hinblick auf die einen vergleichbaren Sachverhalt (Berufseishockeyspieler) betreffende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. 1. 2006, 10 ObS 62/05y, nicht vor. Danach müsse nämlich bei Spitzensportlern von vornherein davon ausgegangen werden, dass sie ihre Tätigkeit auch bei völliger Gesundheit nur über einen relativ kurzen Zeitraum ausüben können und sich dann einer anderen Erwerbstätigkeit zuwenden müssen. Selbst wenn der Beruf infolge eines Arbeitsunfalls nicht mehr ausgeübt werden könne und damit ein erheblicher Einkommensverlust verbunden sei, liege daher kein Härtefall vor.
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.
1. Strittig ist im Revisionsverfahren die Frage der Höhe der dem Kläger für die beiden Arbeitsunfälle vom 15. 1. 2002 und 25. 11. 2004 ab 1. 11. 2006 gebührenden Gesamtrente.
2.1 Wird ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt und erreicht die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit aus Versicherungsfällen nach diesem Bundesgesetz mindestens 20 % (was im vorliegenden Fall unbestritten ist), so ist gemäß § 210 Abs 1 ASVG spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalls an eine Gesamtrente festzustellen. Bei der Bildung der Gesamtrente, bei welcher eine Bindung an die Grundlagen der Berechnung der zuvor gewährten Einzelrenten nicht besteht, ist die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit durch die mehreren Arbeitsunfälle (oder Berufskrankheiten) zu berücksichtigen, das heißt, es ist nicht einfach der Grad der Versehrtheit durch die einzelnen Verletzungen zu beurteilen und dann eine Addition derselben vorzunehmen, sondern es muss vielmehr berücksichtigt werden, inwieweit sich die Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken (10 ObS 428/01s = SSV-NF 16/6 uva).
2.2 Die im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung vom Erstgericht wiedergegebene Einschätzung der durch die beiden Arbeitsunfälle vom 15. 1. 2002 und 25. 11. 2004 bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen mit 30 % für die Zeit ab 1. 11. 2006 ist ein zum Tatsachenbereich gehöriger Akt der Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht hat die Tatsachen- und Beweisrüge des Klägers, welche die Richtigkeit dieser Feststellung bekämpft hat, als nicht berechtigt beurteilt. Die Feststellung der medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit stellt eine Tatfrage dar, die im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden kann (10 ObS 97/05w mwN ua).
3.1 Die medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit, die auch auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt Bedacht nimmt, ist im Allgemeinen auch die Grundlage für die rechtliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (10 ObS 428/01s = SSV-NF 16/6). Bei der Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind vor allem zwei Faktoren von Bedeutung: Der medizinisch festzustellende Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens durch die Folgen des Versicherungsfalls einerseits und der Umfang der dem Verletzten (Erkrankten) dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens andererseits. Die Bewertung der durch einen Arbeitsunfall bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit muss aber nicht stets in einem solchen mehrstufigen Verfahren erfolgen; vielmehr hat sich im Laufe der Zeit für eine vereinfachte Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ein „Gerüst von MdE-Werten" herausgebildet. Diese in Jahrzehnten entwickelten und angewendeten Richtlinien über die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Unfallverletzten berücksichtigen nicht nur die fortschreitende medizinische Entwicklung, sondern auch die Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die medizinische Einschätzung, die sich dieser Richtlinien bedient, berücksichtigt auf diese Weise auch die Auswirkungen einer Unfallverletzung auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (10 ObS 122/00i = SSV-NF 14/57 ua). Die Rechtsprechung hat es daher nur in jenen Fällen, in denen ausreichende Erfahrungswerte für die Beurteilung bestimmter Gesundheitsschäden aus der bisherigen Entscheidungspraxis der Gerichte nicht vorliegen wie beispielsweise bei Infektionskrankheiten, ausnahmsweise für notwendig erachtet, in einem sogenannten „dreistufigen Verfahren" zunächst die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit festzustellen, weiters den Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu erheben und daraus schließlich den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu ermitteln (vgl RIS-Justiz RS0113678).
3.2 Da eine solche Fallgestaltung fehlender Erfahrungswerte hier jedoch nicht vorliegt, bedarf es im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht der für das beschriebene dreistufige Verfahren erforderlichen ergänzenden Feststellungen.
4.1 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit im Allgemeinen die Grundlage für die rechtliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet, sofern nicht ein Abweichen unter besonderen Umständen geboten ist. Ein Abweichen kommt aber nur bei Vorliegen eines Härtefalls in Frage (10 ObS 208/02i mwN). Ein Härtefall, der ein Abweichen von der ärztlichen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigen könnte, liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn den Versicherten infolge der unfallbedingten Aufgabe oder erheblichen Einschränkung der bisherigen Tätigkeit beträchtliche Nachteile in finanziell-wirtschaftlicher Hinsicht treffen und eine Umstellung auf andere Tätigkeiten unmöglich ist oder ganz erheblich schwer fällt, wobei im Interesse der Vermeidung einer zu starken Annäherung an eine konkrete Schadensberechnung ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0086442, RS0043587). Da die Unfallversicherung keine Berufsversicherung darstellt, kann nach ständiger Rechtsprechung die Unmöglichkeit, den bisherigen Beruf weiterhin ausüben zu können, für sich allein noch keinen Härtefall darstellen. Wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits ausgeführt hat, hat das deutsche Bundessozialgericht bei vergleichbarer Rechtslage als wesentliche Merkmale für das Vorliegen eines Härtefalls insbesondere das Alter des Verletzten, die Dauer der Ausbildung sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (vgl 10 ObS 174/01p). So stellt nach der Rechtsprechung des deutschen Bundessozialgerichts beispielsweise die Berufsaufgabe eines Berufsfußballspielers der ersten deutschen Fußballbundesliga keine unbillige Härte dar, weil diese Tätigkeit schon altersbedingt nur eine relativ kurze Zeitspanne ausgeübt wird, dieser Beruf daher nicht - wie im Regelfall andere Berufe - bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres oder zumindest bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeübt zu werden pflegt und somit ein Berufsfußballspieler von vornherein davon ausgehen muss, seinen Beruf in jungen Jahren zu beenden und sich einer anderen Erwerbstätigkeit zuzuwenden (vgl RIS-Justiz RS0115252). In diesem Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof in der von der beklagten Partei zitierten Entscheidung 10 ObS 62/05y vom 24. 1. 2006 das Vorliegen eines Härtefalls bei einem 31jährigen Berufseishockeyspieler verneint.
4.2 Bei Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze muss auch im vorliegenden Fall das Vorliegen eines Härtefalls im Sinne der zitierten Rechtsprechung verneint werden. Auch ein Profi-Schirennläufer muss von vornherein davon ausgehen, dass er seinen Beruf in relativ jungen Jahren beenden und sich dann einer anderen Erwerbstätigkeit zuwenden wird, sei es, dass er in einen vor dem Sportberuf ausgeübten Beruf zurückkehrt, sei es, dass er gegebenenfalls im Wege der beruflichen Weiterbildung oder der Umschulung einen anderen Beruf ergreift. Es muss daher auch von dem derzeit 34 Jahre alten Kläger verlangt werden, dass er sich erforderlichenfalls auch einer seiner Fähigkeiten entsprechenden Umschulung unterzieht und sein berufliches Betätigungsfeld wechselt. Der Umstand, dass der Kläger den Beruf eines Profi-Schirennläufers und allenfalls auch damit verwandte Berufe wie Schitrainer oder Schilehrer nicht mehr ausüben kann, bildet für sich allein noch keine Grundlage für die Annahme eines Härtefalls (vgl 10 ObS 62/05y). Es bedarf somit auch insoweit nicht der vom Berufungsgericht angeordneten Verfahrensergänzung.
5. Die vorliegende Sozialrechtssache ist daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts im Sinne einer Wiederherstellung des noch allein verfahrensgegenständlichen Punkts 2. des Ersturteils spruchreif. Gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO kann der Oberste Gerichtshof in einem solchen Fall durch Urteil in der Sache selbst erkennen. Dabei war allerdings zu berücksichtigen, dass aus dem Begehren des Klägers klar erkennbar hervorgeht, dass sein Begehren auf Leistung einer Versehrtenrente gerichtet ist. Es war daher gemäß § 90 Z 3 iVm § 89 Abs 2 ASGG von Amts wegen ein Auftrag an die Beklagte zur Erbringung einer in Orientierung am außer Kraft getretenen Bescheid festgelegten vorläufigen Zahlung für den Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente nachzutragen (10 ObS 256/00w = SSV-NF 14/115 mwN). Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Klägers war abzuweisen.
6. Damit ist vom Obersten Gerichtshof der Kostenrekurs des Klägers zu erledigen, den das Berufungsgericht infolge der Aufhebung nicht zu behandeln hatte (E. Kodek in Rechberger, ZPO3 § 528 Rz 39 mwN). Der Kläger macht in seinem Kostenrekurs mit Recht geltend, dass er gemäß § 77 Abs 2 ASGG - unabhängig vom Ausmaß seines Obsiegens - Anspruch auf Ersatz seiner Verfahrenskosten erster Instanz in den beiden verbundenen Verfahren auf der Basis einer Kostenbemessungsgrundlage von 7.200 EUR hat (vgl auch Neumayr in ZellKomm § 77 ASGG Rz 16 f mwN). Sein Kostenersatzanspruch für das Verfahren erster Instanz beträgt daher richtigerweise 1.797,50 EUR.
7. Die Kostenentscheidungen im Rechtsmittelverfahren gründen sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und b ASGG iVm § 11 RATG. Danach hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der Kosten seines erfolgreichen Kostenrekurses auf der Basis des ersiegten Betrags von 1.198,33 EUR, während er seine übrigen Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen hat, da er insoweit zur Gänze unterlegen ist.
Textnummer
E90207European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00006.09V.0224.000Im RIS seit
26.03.2009Zuletzt aktualisiert am
16.11.2010