TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/20 97/21/0706

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Veröffentlicht am 20.03.2001
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
20/02 Familienrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ARB1/80 Art6 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
EheG §23;
FrG 1993 §7 Abs7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 25. Dezember 1955 geborenen B in Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 20, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Juli 1997, Zl. IV-266.365/FrB/97, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Antrag vom 17. September 1996 begehrte der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, die Erteilung eines Sichtvermerkes und brachte vor, er sei seit 1989 legal im Bundesgebiet aufhältig, seit mehr als fünf Jahren durchgehend als Bauarbeiter im Bundesgebiet beschäftigt und im Besitz eines Befreiungsscheines. Auf ihn träfen daher die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 zweiter und dritter Gedankenstrich des Beschlusses vom 19. September 1980, Nr. 1/80, des gemäß Art. 6 des Abkommens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates (ARB Nr. 1/80) zu.

Der Beschwerdeführer teilte der belangten Behörde mit Schreiben vom 12. Juni 1997 mit, dass er auf einer Entscheidung über den von ihm gestellten Sichtvermerksantrag durch die Bundespolizeidirektion Wien bestehe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (belangte Behörde) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Sichtvermerkes mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass Art. 6 ARB Nr. 1/80 auf die Ausübung einer "ordnungsgemäßen Beschäftigung" abstelle. Um dieses Kriterium zu erfüllen, müsse diese Beschäftigung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der arbeitsrechtlichen Bestimmungen ausgeübt werden. Durch die Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin am 10. März 1992 habe er zu arbeitsrechtlichen Papieren Zugang erhalten, was ihm ohne diese Eheschließung nicht möglich gewesen wäre. Auf Grund der vorliegenden Erhebungen und der Aussage der "Ehefrau" des Beschwerdeführers müsse die belangte Behörde davon ausgehen, dass es sich bei dieser Ehe um eine so genannte "Scheinehe" handle, welche der Beschwerdeführer geschlossen habe, um sich den Zugang zum Arbeitsmarkt und infolge dessen eine Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen. Der durch die rechtsmissbräuchlich eingegangene Ehe erlangte Zutritt zum Arbeitsmarkt könne keinesfalls als ordnungsgemäße Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 ARB Nr. 1/80 gewertet werden. Der Beschwerdeführer brauche daher gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes eine besondere Bewilligung. Darüber entscheide der nach dem beabsichtigten Aufenthalt zuständige Landeshauptmann, der die Bezirksverwaltungsbehörde mit Verordnung ermächtigen könne, in seinem Namen zu entscheiden. Die belangte Behörde sei daher zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers nicht berufen, weshalb sein Antrag - weil der Beschwerdeführer auf eine Entscheidung der Bundespolizeidirektion Wien bestanden habe - zurückzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. Nr. 466/1992 i.d.F. BGBl. Nr. 351/1995, brauchen Fremde zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung. Gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG brauchen Fremde keine Bewilligung, wenn sie auf Grund der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen. Gemäß § 7 Abs. 7 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, darf einem Fremden, der einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes stellt, kein Sichtvermerk nach dem Fremdengesetz erteilt werden, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz benötigt. Ein Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes ist nach dem zweiten Satz der angeführten Gesetzesstelle als Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten.

Gemäß Art. 6 ARB Nr. 1/80 berechtigte türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige genießen auf Grund eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der Europäischen Union in Österreich Niederlassungsfreiheit und benötigen daher keine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/1661), auf deren Sichtvermerksanträge ist § 7 Abs. 7 FrG daher nicht anzuwenden.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zutreffend erkannt, dass eine auf einer rechtsmissbräuchlich mit einer österreichischen Staatsbürgerin zum Zweck der Erlangung von arbeitserlaubnisrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Vorteilen geschlossenen Ehe beruhende Beschäftigung nicht als ordnungsgemäß im Sinn des Art. 6 Abs. 1 des ARB Nr. 1/80 angesehen werden kann (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 5. November 1997, Zlen. 96/21/0587 und 96/21/0941). In einem solchen Fall wäre der Beschwerdeführer vom Erfordernis einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz tatsächlich nicht im Grunde des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG ausgenommen gewesen.

Der Beschwerdeführer bestreitet jedoch, eine derartige rechtsmissbräuchliche Ehe geschlossen zu haben, und wendet gegen den angefochtenen Bescheid ein, dass ihm im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich zu den diesbezüglichen Ergebnissen der Beweisaufnahme zu äußern. Dieser Vorwurf wird zu Recht erhoben, weil es die belangte Behörde tatsächlich entgegen § 45 Abs. 3 AVG unterlassen hat, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, im vorliegenden Verfahren von ihrer Annahme einer rechtsmissbräuchlich geschlossenen Ehe Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei ordnungsgemäßer Einräumung des Parteiengehörs zu einem anderen, für ihn günstigeren Bescheid gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. März 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1997210706.X00

Im RIS seit

20.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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