TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/20 99/11/0101

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Veröffentlicht am 20.03.2001
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Index

90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §8 Abs1;
FSG 1997 §8 Abs2;
FSG-GV 1997 §3 Abs4 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der L in G, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Raubergasse 27/1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 1. Februar 1999, Zl. 11 - 39 - 468/98 - 4, betreffend Versagung einer Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 23. Juni 1998 auf Verlängerung der Gültigkeit der Lenkberechtigung für die Klasse B gemäß § 5 Abs. 4 FSG 1997 iVm § 8 Abs. 1 FSG 1997 mangels gesundheitlicher Eignung abgewiesen. Festgestellt wurde weiters, dass die Lenkberechtigung am 24. Juni 1998 die Gültigkeit verloren habe. In der Begründung berief sich der Landeshauptmann von Steiermark auf eine ärztliche Stellungnahme vom 5. Jänner 1999 der Fachabteilung für das Gesundheitswesen im Amt der Landesregierung, die er in Ergänzung eines bereits von der Erstbehörde verwerteten amtsärztlichen Gutachtens vom 19. August 1998 in Auftrag gegeben hatte. Diese ärztliche Stellungnahme stützt sich auf ein augenfachärztliches Gutachten, das einen Visus der Beschwerdeführerin rechts mit Korrektur 0,6 und links 0,3 ergab, auf eine interne Kontrolluntersuchung vom 2. Juli 1998, derzufolge die Beschwerdeführerin einen gut therapierten arteriellen Hypertonus habe, sowie auf eine Stellungnahme der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit in Graz vom 13. August 1998. Diese verkehrspsychologische Stellungnahme basiert ihrerseits auf einer am 31. Juli 1998 durchgeführten verkehrspsychologischen Untersuchung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten zur Feststellung eventueller Kompensationsmöglichkeiten seitens der Beschwerdeführerin. Im Befundteil wurden die von der Beschwerdeführerin erzielten Testergebnisse im Einzelnen angeführt. Nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebende Grenzwerte wurden nicht angegeben. In einer Zusammenfassung wurde festgehalten, dass die visuelle Auffassung (Labyrinth-Test) deutlich vermindert sei. Eine ausreichende Sorgfaltsleistung gelinge nur bei einem deutlich verlangsamten Arbeitstempo. Die Überblicksgewinnung (Tachistoskop-Test) sei vermindert. Die mittleren Entscheidungszeiten und Reaktionszeiten (DR2) seien auffällig verlängert. Die Reaktionssicherheit sei durch signifikant vermehrte Entscheidungsfehler und Fehlreaktionen deutlich beeinträchtigt. Unter Belastungsbedingungen (RST3) träten signifikant vermehrte verzögerte Reaktionen und Fehlreaktionen auf. Die Konzentrationsleistung sei durch ein auffällig verlangsamtes Arbeitstempo beeinträchtigt. Die Sensomotorik sei deutlich beeinträchtigt (Wr. Fahrstand). Es lägen somit in den Bereichen der Beobachtungsfähigkeit, des Reaktionsverhaltens, der Konzentrationsfähigkeit und der Koordinationsfähigkeit erhebliche Beeinträchtigungen vor. Am 12. August 1998 sei eine Fahrprobe zur Überprüfung, ob sich auf Grund der Fahrroutine Kompensationsmöglichkeiten für diese Leistungsbeeinträchtigungen ergeben würden, durchgeführt worden. Dabei wären insbesondere die Leistungsmängel im Bereich der Überblicksgewinnung und der Koordinationsfähigkeit bestätigt worden. Eine Kompensation der bestehenden Leistungsbeeinträchtigungen durch Fahrerfahrung und Fahrroutine sei somit nicht gegeben. Auf Grund der Befunde könne daher eine ausreichende kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit zum Lenken von Kfz der Gruppe B nicht angenommen werden. Sowohl das amtsärztliche Gutachten vom 19. August 1998 als auch die ärztliche Stellungnahme vom 5. Jänner 1999 übernahmen ohne weitere Ausführungen die in der verkehrspsychologischen Stellungnahme vertretene Auffassung, der sich auch der Landeshauptmann von Steiermark anschloss.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet verlangt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

§ 8 FSG lautet (auszugsweise):

"§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt für Allgemeinmedizin zu erstellen.

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

..."

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Führerschein-Gesundheitsverordnung (FSG-GV) lauten (auszugsweise):

"§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,

...

3. ausreichend frei von Behinderungen ist ...

...

(4) Besitzer einer Lenkberechtigung, bei denen Erkrankungen oder Behinderungen festgestellt wurden, die nach den nachfolgenden Bestimmungen die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließen würden, gelten dann als geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1, wenn sie

1. während der der Feststellung der Erkrankung oder Behinderungen unmittelbar vorangehenden zwei Jahre Kraftfahrzeuge tatsächlich gelenkt haben und

2. die Annahme gerechtfertigt ist, dass ein Ausgleich des bestehenden Mangels durch erlangte Geübtheit eingetreten ist. Der Eintritt dieses Ausgleichs und die Dauer des Vorliegens dieser Eignung ist durch das ärztliche Gutachten nötigenfalls im Zusammenhang mit einer Beobachtungsfahrt festzustellen und darf nur auf höchstens fünf Jahre ausgesprochen werden. Bestehen trotz der durchgeführten Beobachtungsfahrt noch Bedenken über die Eignung des zu Untersuchenden, ist zusätzlich eine verkehrspsychologische Stellungnahme zu seiner kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzuholen.

...

§ 6. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend frei von Behinderungen gilt eine Person, bei der keine der folgenden Behinderungen vorliegt:

...

6. mangelhaftes Sehvermögen ...

...

§ 7. (1) Alle Bewerber um eine Lenkberechtigung müssen sich einer Untersuchung unterziehen, um sicherzustellen, dass sie ein für das sichere Lenken von Kraftfahrzeugen ausreichendes Sehvermögen haben. In Zweifelsfällen ist der Bewerber von einem Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie zu untersuchen. Bei dieser Untersuchung ist unter anderem die Sehschärfe, das Gesichtsfeld sowie die Fähigkeit zum Dämmerungssehen zu untersuchen und auf fortschreitende Augenkrankheiten zu achten.

(2) Die im § 6 Abs. 1 Z. 6 angeführte mangelhafte Sehschärfe liegt vor, wenn nicht erreicht wird eine Sehschärfe mit oder ohne Korrektur

1. für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 von mindestens 0,5 auf einem Auge und von mindestens 0,4 auf dem anderen Auge;

...

§ 18.

...

(2) Für die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit sind insbesondere folgende Fähigkeiten zu überprüfen:

1.

Beobachtungsfähigkeit sowie Überblicksgewinnung,

2.

Reaktionsverhalten, insbesondere die Geschwindigkeit und Sicherheit der Entscheidung und Reaktion sowie die Belastbarkeit des Reaktionsverhaltens,

3.

Konzentrationsvermögen,

4.

Sensomotorik und

5.

Intelligenz und Erinnerungsvermögen.

..."

Außer Streit stehen die Befunde der internen Kontrolluntersuchung und das augenfachärztliche Gutachten vom 25. Juni 1998, wonach die Beschwerdeführerin mit Korrektur rechts einen Visus von 0,6 und links einen Visus von 0,3 hat. Die belangte Behörde ist daher zu Recht in Anwendung des § 7 Abs. 2 Z 1 FSG-GV davon ausgegangen, dass die für das Lenken von KFZ der Gruppe 1 notwendige Mindestsehschärfe von 0,5 auf einem und mindestens 0,4 auf dem anderen Auge seitens der Beschwerdeführerin nicht erreicht wird.

Die Beschwerdeführerin wendet sich im Wesentlichen gegen die Testmethoden zur Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit. Sie bringt vor, dass sie vor allem auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters (die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Untersuchung 63 Jahre alt) und der Testsituation (Hitze, Zeitdruck, die ihr vollkommen unbekannt gewesenen Funktionsweisen des Computers) in eine gewisse Panik geraten sei, was zu Fehlreaktionen geführt habe, die ihr bei Ermittlung der Leistungsfunktionen negativ angerechnet worden seien.

Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass die verkehrspsychologischen Tests so ausgelegt sind, dass die Leistungskriterien dergestalt im Zusammenhang mit den Persönlichkeitskriterien berücksichtigt werden, dass ein Unterschreiten von Grenzwerten bei den Leistungskriterien von Senioren durch Erfahrung und tatsächlich vorhandene Bereitschaft zur Ausrichtung des Verhaltens nach den altersbedingt vorhandenen Leistungsdefiziten ausgeglichen werden kann und nicht zur Annahme einer mangelhaften kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit führen muss (siehe dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1992, Zl. 92/11/0056). Auch sind die mit computergesteuerten Bildschirmen durchgeführten Tests - wie dem Verwaltungsgerichtshof aus zahlreichen Beschwerdefällen bekannt ist - unter Berücksichtigung des Umstandes gestaltet, dass auch im Umgang mit Computern nicht vertraute Personen ihrer konkreten Leistungsfähigkeit entsprechende Ergebnisse erzielen können (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2000, Zl. 2000/11/0223).

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon zur Rechtslage nach dem KFG 1967 die Auffassung vertreten (vgl.  z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 96/11/0190), dass im Einzelfall nachvollziehbar sein muss, warum Testergebnisse außerhalb der Norm liegen. Diese Judikatur ist auf die Rechtslage nach dem FSG zu übertragen. Im vorliegenden Fall waren Grundlage der Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen der Beschwerdeführerin offenbar die bei den einzelnen Tests erzielten Testwerte. Die daraus abgeleiteten Beurteilungen der einzelnen Leistungsfunktionen sind allerdings mangels Angabe der der jeweiligen Beurteilung zu Grunde gelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar. Dazu kommt, dass den beigefügten Bewertungen wie "deutlich reduziert", "vermindert", "auffällig verlängert", "signifikant vermehrt", "auffällig verlangsamt", "deutlich beeinträchtigt", "abgeschwächt" mangels Bezugnahme auf den jeweiligen Grenzwert nicht entnehmbar ist, ob (und in welchem Ausmaß) dieser erreicht oder verfehlt wurde. Die auf die verkehrspsychologische Stellungnahme gestützte ärztliche Stellungnahme, auf welche die belangte Behörde ihre Auffassung, die Beschwerdeführerin besitze nicht mehr die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit zum Lenken von KFZ der Gruppe B, gründet, ist sohin nicht schlüssig, sodass die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Versagung Erteilung der Lenkberechtigung auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren beruht.

Der angefochtene Bescheid war daher, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die belangte Behörde wird in Hinkunft zu beachten haben, dass gemäß § 3 Abs. 4 Z. 2 FSG-GV der allenfalls eingetretene Ausgleich des bestehenden Mangels durch erlangte Geübtheit zuerst durch den Amtsarzt festzustellen ist. Nötigenfalls ist - wenn nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob ein Ausgleich des betreffenden Mangels durch erlangte Geübtheit eingetreten ist - eine Beobachtungsfahrt zur Klärung dieser Frage durchzuführen. Diese Vorgangsweise ist im Beschwerdefall nicht eingehalten worden. Erst wenn nach der absolvierten Beobachtungsfahrt weiterhin Bedenken über die gesundheitliche Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen bestehen, ist abschließend eine verkehrspsychologische Stellungnahme zu dessen kraftfahrspezifischer Leistungsfähigkeit einzuholen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Schriftsatzaufwand in der zitierten Verordnung mit S 12.500,-- pauschaliert und die Umsatzsteuer in diesem Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 20. März 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999110101.X00

Im RIS seit

16.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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