TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/02 S2 265795-0/2009

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Veröffentlicht am 02.03.2009
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Spruch

S2 265.795-0/2009/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des M.I., geb. 00.00.1993, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.10.2005, Zahl: 05 15 534, zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. 1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit und verließ gemeinsam mit seinem volljährigen Bruder (der ihn im Asylverfahren vertritt) seinen Herkunftsstaat. Die Brüder reisten im September 2004 in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten ein und stellten am 29. September 2004 und am 20. September 2005 in Polen Asylanträge. Am 22. September 2005 reisten sie in das Bundesgebiet ein und brachten am 23. September 2005 (weitere) Asylanträge ein. Der Bruder des Beschwerdeführers gab dazu an, der Feldkommandant B. habe sich auf seiner Flucht im Haus der Familie des Beschwerdeführers aufgehalten, weshalb sie von russischem Militär verfolgt worden seien. Ihr Vater und dessen Freunde seien festgenommen worden, einer sei erschossen, ein anderer misshandelt und gefoltert worden. Der Vater des Beschwerdeführers sei verschollen. Er sei dreimal in den Jahren 2002, 2003 und 2004 von den Behörden mitgenommen und über den Aufenthalt seines Vaters sowie über seine Onkel befragt worden, die mit den Russen gekämpft hätten. Über seinen mitgereisten Bruder (den Beschwerdeführer) sagte er aus, er habe bemerkt, dass dieser manchmal schlecht träume. Eine weitere Befragung zu diesen Angaben fand ebenso wenig statt wie eine ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers bzw. seines Bruders.

 

2. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag (wie auch den des Bruders des Beschwerdeführers im Rahmen des Familienverfahrens mit einem gleichlautenden Bescheid) mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 1997 in der Fassung der Asylgesetz-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101 (AsylG) als unzulässig zurück, stellte fest, dass gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin-Verordnung) für die Prüfung des Asylantrages Polen zuständig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet dorthin aus. In der Begründung des Bescheides wurde u.a. ausgeführt, es hätten sich keine medizinisch belegbaren Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigten, der Beschwerdeführer sei durch Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert.

 

In dem gegen diese Bescheide gemeinsam erhobenen Rechtsmittel wurde vorgebracht, der Bruder des Beschwerdeführers sei, als er von den Soldaten mitgenommen und über seinen Vater befragt worden sei, geschlagen worden und seither traumatisiert. Obwohl darum ersucht worden sei, habe weder bei diesem noch beim minderjährigen Beschwerdeführer eine fachärztliche oder psychologische Untersuchung stattgefunden, was als Verfahrensmangel gerügt wurde.

 

3. Im ersten Rechtsgang wurde die dagegen gerichtete Berufung vom 03.11.2005 mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29.11.2005, GZ 265.795/0-IV/44/05, gemäß §§ 5 Abs. 1 und 5a Abs. 1 AsylG abgewiesen. Zum erwähnten Berufungsvorbringen wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht traumatisiert oder schwer krank. Die entgegenstehenden Angaben in der Berufung seien, da dieses Vorbringen durch keinen über die bloße Behauptung hinausgehenden Anhaltspunkt gestützt wird, nicht glaubhaft. Überdies wären sie im Berufungsverfahren angesichts des Neuerungsverbotes des § 32 Abs. 1 AsylG unbeachtlich.

 

II. Der dagegen gerichteten Beschwerde gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Jänner 2009, Zl. 2008/23/0256, Folge, behob den oa Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und führte folgendes begründend aus (mit "Erstbeschwerdeführer" ist der volljährige Bruder des Beschwerdeführers, mit "Zweitbeschwerdeführer" der minderjähriger Beschwerdeführer gemeint):

 

"1. Gemäß § 24b Abs. 1 AsylG ist das Asylverfahren zuzulassen, wenn medizinisch belegbare Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Asylwerber könnte Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein. Die Auslegung dieser Bestimmung durch die hg. Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. November 2008, Zl. 2006/19/0497, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zusammengefasst.

 

2. Vor dem Hintergrund dieser Judikatur hätten die sich aus dem - von den Asylbehörden nicht in Zweifel gezogenen - Fluchtvorbringen (iZm der Aussage, der Zweitbeschwerdeführer träume manchmal schlecht) ergebenden Anhaltspunkte für eine mögliche Traumatisierung Anlass für weitere Ermittlungen, etwa eine ärztliche Untersuchung der Beschwerdeführer, sein müssen (vgl. dazu insbesondere das in Punkt 1.4. des Erkenntnisses vom 11. November 2008 zitierte Erkenntnis vom 30. Mai 2007, Zlen. 2006/19/0433 bis 0436).

 

Da der Verwaltungsgerichtshof auch die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, die in der Berufung aufgestellte Behauptung einer Traumatisierung unterliege dem Neuerungsverbot des § 32 Abs. 1 AsylG, nicht teilt (vgl. das in Punkt 1.6. des Erkenntnisses vom 11. November 2008 zitierte Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0675), erweist sich der angefochtene Bescheid - abgesehen vom erwähnten Verfahrensmangel - auch als inhaltlich rechtswidrig.

 

Er war daher (vorrangig) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben."

 

III. Der Asylgerichtshof hat über die nunmehr wieder offene Beschwerde (vormals: Berufung) vom 03.11.2005 unter Bindung an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes im behebenden Erkenntnis vom 21. Jänner 2009, Zl. 2008/23/0256, erwogen:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 idF Art. 2 BG BGBl. Nr. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, - unter bestimmten näheren Maßgaben betreffend die Richterzuständigkeit - vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz idF BGBl. I Nr. 147/2008) sind, soweit sich aus dem AsylG 2005 nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 erster und zweiter Satz AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Asylverfahren nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG) zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 werden Verfahren über Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Da der im Beschwerdefall zu prüfende Antrag nach dem 1. Mai 2004 (und vor dem 31.12.2005) gestellt wurde, wird das gegenständliche Beschwerdeverfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 129/2004 geführt.

 

2. Die hier relevanten Bestimmungen des Asylgesetzes lauten:

 

§ 5 (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 dafür zuständig ist, zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist.

 

§ 24b. (1) Ergeben sich in der Ersteinvernahme oder in einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, ist das Verfahren zuzulassen und der Asylwerber kann einer Betreuungsreinrichtung zugewiesen werden. In dieser und im weiteren Verlauf des Asylverfahrens ist auf die besonderen Bedürfnisse des Asylwerbers Bedacht zu nehmen.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 24b Abs. 1 AsylG, auf die im aufhebenden Erkenntnis ausdrücklich verwiesen wird, ist zum Zwecke der Zulassung des Verfahrens nicht festzustellen, ob der Asylwerber traumatisiert ist oder gefoltert wurde. Entscheidend ist nur, ob medizinisch belegbare Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass dies der Fall sein könnte.

 

Auch der Kausalzusammenhang zwischen den fluchtauslösenden Ereignissen und einer Traumatisierung muss nur möglich sein. Lässt sich nicht ausschließen, dass medizinisch belegbare Tatsachen - etwa Symptome - auf eine Traumatisierung durch fluchtauslösende Ereignisse hindeuten, ist das Verfahren bereits zuzulassen.

 

Die bloße Behauptung einer Traumatisierung oder Folter reicht - wie der Gesetzeswortlaut erkennen lässt - für die Zulassung des Verfahrens allerdings nicht aus; es bedarf dafür vielmehr der Feststellung von Tatsachen, die für eine Traumatisierung oder Folter sprechen könnten, und die sich medizinisch belegen lassen. Zur Feststellung solcher Tatsachen haben die Asylbehörden bei entsprechendem Vorbringen des Asylwerbers oder bei vorliegenden Anhaltspunkten für eine mögliche Traumatisierung in Ermanglung eigenen Fachwissens eine fachkundige Beurteilung einzuholen. Dabei kommt einem ärztlichen Bericht über das Ergebnis der Untersuchung des Asylwerbers im Zulassungsverfahren zwar nicht die Qualität eines Gutachtens zu, eine Begutachtung ist aber auch nicht jedenfalls erforderlich (z.B. VwGH 11.11.2008, 2006/19/0497, unter Hinweis auf die Vorjudikatur).

 

Im Beschwerdefall legt der Asylgerichtshof der gegenständlichen Entscheidung die oben unter Punkt II. wiedergegebene Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem aufhebenden Erkenntnis zugrunde. Danach hätten die sich aus dem - auch vom Bundesasylamt nicht in Zweifel gezogenen - Fluchtvorbringen (iZm der Aussage, der Beschwerdeführer träume manchmal schlecht) ergebenden Anhaltspunkte für eine mögliche Traumatisierung Anlass für weitere Ermittlungen, etwa eine ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers (und seines Bruders), sein müssen.

 

3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Ausgehend von der oben dargestellten Rechtsauffassung fehlen im Beschwerdefall Ermittlungen zu der Frage, ob beim Beschwerdeführer eine mögliche Traumatisierung vorliegt. In Ermanglung eigenen Fachwissens wäre daher etwa die Durchführung einer ärztlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erforderlich. Erst danach kann beurteilt werden, ob beim Beschwerdeführer die in § 24b Abs. 1 erster Satz AsylG genannten Voraussetzungen für die Zulassung des Verfahrens vorliegen. Damit stellt sich der dem Asylgerichtshof vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft dar, dass zumindest die Begutachtung des Beschwerdeführers mit anschließender Gewährung von Parteiengehör jedenfalls unvermeidlich ist.

 

Der Asylgerichtshof nimmt im gegenständlichen Fall von der ihm in § 66 Abs. 3 AVG eingeräumten Möglichkeit der unmittelbaren Beweisaufnahme schon deshalb nicht Gebrauch, weil damit - angesichts des oben dargestellten Erfordernisses der Durchführung eines den Rechtsstaatsgrundsätzen genügenden Verfahrens - keinesfalls eine Ersparnis an Zeit und Kosten zu erwarten wäre (siehe zu den Kriterien für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG im Asylberufungsverfahren vor dem UBAS, die insofern auch für die Verfahren vor dem Asylgerichtshof Relevanz haben, insbesondere die beiden Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.11.2002, Zahlen 2000/20/0084 und 2002/20/0315, wobei hier auch auf die in diesen Entscheidungen getroffenen Ausführungen zur Frage der Gesamtverfahrensdauer sowie insbesondere auch die Unzulässigkeit der Verlagerung des erstinstanzlichen Verfahrens verwiesen wird).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
01.04.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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