RS Vfgh 2009/2/26 G158/08

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Veröffentlicht am 26.02.2009
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Index

32 Steuerrecht
32/07 Stempel- und Rechtsgebühren, Stempelmarken

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
GebührenG 1957 §1, §15, §25

Leitsatz

Aufhebung des Regel-Ausnahmen-Systems des Gebührengesetzes 1957 betreffend die Gebührenpflicht bei Vorliegen mehrerer Urkunden; Besteuerung des Rechtsgeschäftes und nicht der darüber errichteten Urkunden vom Gesetzgeber intendiert; insoweit keine Geltung des Urkundenprinzips; Unsachlichkeit der Sanktion der Mehrfachvergebührung im Fall der Nichterfüllung der Ordnungsvorschrift der rechtzeitigen Vorlage beim Finanzamt unabhängig vom Verschulden und trotz Nachweises der (einmaligen) Entrichtung der Rechtsgeschäftsgebühr angesichts der Entwicklung des (internationalen) Wirtschaftsverkehrs

Rechtssatz

Aufhebung des §25 GebührenG 1957, BGBl 267 idF BGBl I 84/2002.

Nach §1 GebührenG 1957 (GebG) unterliegen den Gebühren iSd GebG "Rechtsgeschäfte" (und nicht Urkunden). Das Vorliegen einer Urkunde ist zusätzliche Bedingung der Gebührenpflicht (§15 Abs1 GebG). Auch §15 Abs3 (Ausnahme der Rechtsgeschäfte, die unter spezielle Verkehrsteuergesetze fallen, von der Gebührenpflicht) indiziert, dass der Gesetzgeber nicht Urkunden, sondern Rechtsgeschäfte besteuern will; aus den allgemeinen Vorschriften des GebG lassen sich keine Hinweise für ein Urkundenprinzip im Verständnis der Bundesregierung ableiten.

Dem §25 GebG liegt in seiner Gesamtheit nicht das Prinzip zugrunde, dass die Gebührenpflicht sich nach der Zahl der Urkunden richtet, sondern dass bei Vorliegen mehrerer Urkunden bestimmte Ordnungsvorschriften einzuhalten sind, die es dem Finanzamt erleichtern, die Einhaltung der gebührenrechtlichen Vorschriften zu kontrollieren, und dass die Nichterfüllung dieser Ordnungsvorschriften die Sanktion der Doppel- oder Mehrfachentrichtung der Gebühr auslöst.

Aus den Materialien ergibt sich, dass die Vorschrift des §25 GebG lediglich den Zweck verfolgt, einen Beweisnotstand der Behörde zu vermeiden.

Dass dem Urkundenprinzip nicht der von der Bundesregierung angenommene Inhalt zukommt und §25 GebG demnach keine Begünstigungsnorm darstellt, sondern lediglich Beweisprobleme regelt, wird auch durch die Abs4 bis Abs6 dieser Bestimmung (betr Ausnahmen, zB bei Notariatsakten) bestätigt.

Nach §25 GebG löst bei Errichtung mehrerer Urkunden (wenn nicht die Ausnahmen nach den Abs4 bis Abs6 eingreifen) die Versäumung der Vorlagefrist unabhängig vom Verschulden, somit auch bei Irrtum oder Unmöglichkeit der rechtzeitigen Vorlage, die mehrfache Gebühr aus, und zwar selbst dann, wenn unstrittig ist oder nachgewiesen wird, dass die Gebühr für das Rechtsgeschäft bereits (einmal) entrichtet wurde. Für diese Rechtsfolge kann der Gerichtshof vor allem vor dem Hintergrund der rechtlichen und tatsächlichen Entwicklung des (internationalen) Wirtschaftsverkehrs in den letzten Jahrzehnten keine sachliche Rechtfertigung (mehr) erkennen.

Der Gesetzgeber wäre nicht gehindert, im Gebührenrecht (sachgerechte) Regelungen über die erforderlichen Nachweise der Gebührenentrichtung zu treffen (Lösung gleichartiger Nachweisprobleme im Bereich der speziellen Verkehrsteuern).

Die Rechtsfolge einer Vervielfachung der Gebühr bei Vorliegen mehrerer Urkunden (die auch in absoluten Beträgen eine gewichtige Belastung bewirken kann) ist vor diesem Hintergrund eine unverhältnismäßige und daher eine gleichheitswidrige Maßnahme. Die im Erkenntnis VfSlg 11734/1988 vertretene gegenteilige Auffassung wird nicht mehr aufrecht gehalten.

Aufhebung des §25 GebG zur Gänze, da diese Norm mit seinem System von "Regel" (Abs1) und "Ausnahmen" (Abs2 bis Abs6) eine Einheit bildet.

Anlassfall B1903/07, E v 06.03.09, Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasi-Anlassfall B2000/08, E v 16.06.09.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gebühr (GebG), Ausnahmeregelung - Regel, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:G158.2008

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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