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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §186 idF 2000/I/135;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Gmunden Vöcklabruck in 4840 Vöcklabruck, Hatschekstraße 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 9. Oktober 2008, GZ. RV/0546-L/07, betreffend Familienbeihilfe für die Zeit vom Dezember 2004 bis Mai 2005 (mitbeteiligte Partei: JG in V), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des beschwerdeführenden Finanzamtes, mit dem der Antrag des Mitbeteiligten auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Kinder seiner Lebensgefährtin abgewiesen worden war, Folge und hob den bekämpften Bescheid auf. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, das Finanzamt habe den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe des Mitbeteiligten für die Kinder seiner nunmehrigen Ehegattin, deren leiblicher Vater er nicht sei, unter Hinweis auf § 2 Abs. 2 und 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der Folge kurz: FLAG) abgewiesen. Die Kinder hätten sich im Streitzeitraum im Haushalt des Mitbeteiligten befunden. Da die Kinder bis zur Verehelichung des Mitbeteiligten mit der Kindesmutter nicht als Stiefkinder zu betrachten seien und sich der Begriff des Pflegekindes nach dem ABGB richte, bestehe kein Anspruch auf die Familienbeihilfe.
Der Mitbeteiligte habe in der Berufung geltend gemacht, er habe mit der Mutter der Kinder am 31. Oktober 2004 einen gemeinsamen Haushalt gegründet. Er habe die Absicht gehabt, eine emotionale Bindung zu den Kindern aufzubauen. Er habe die Kinder wie eigene behandelt. Durch die Aufnahme der Kinder in seinen Haushalt habe er deren Pflege und Erziehung als Pflegeelternteil besorgt. Zwischen den Kindern und ihm habe eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern sehr nahe kommende Beziehung bestanden und habe eine solche auch hergestellt werden sollen. Mittlerweile hätten die Kindesmutter und der Mitbeteiligte geheiratet. Die Kindesmutter habe den Mitbeteiligten zur Ausübung der pflegeelterlichen Rechte ermächtigt. Ihm sei die Pflege der beiden Kinder tatsächlich übertragen worden und er habe diese Aufgaben auch selbst erfüllt. Der "Lebensmittelschwerpunkt" der beiden Kinder sei nicht bloß vorübergehend eindeutig zu ihm in seinen Haushalt verlagert worden.
Im Erwägungsteil führte die belangte Behörde aus, bei den beiden minderjährigen Kindern handle es sich weder um Nachkommen des Mitbeteiligten noch um seine Wahlkinder und deren Nachkommen. Mangels aufrechter Ehe im Streitzeitraum könne auch nicht von anspruchsvermittelten Stiefkindern ausgegangen werden. Pflegeeltern seien Personen im Sinne des § 186 ABGB. Für die Annahme einer Pflegeelternschaft sei einerseits eine tatsächliche Betreuung durch die Pflegeeltern (den Pflegeelternteil) mittels weitgehender Eingliederung in den Haushalt und den Lebensablauf der Pflegeeltern (Pflegeelternteil) gefordert. Andererseits müssten die Pflegeeltern (der Pflegeelternteil) zumindest beabsichtigen, eine emotionale Bindung des Kindes vergleichbar zu den leiblichen Eltern aufzubauen. Der Mitbeteiligte erfülle beide Voraussetzungen. Er habe die Kinder betreut und eine emotionale Bindung zwischen ihm und den Kindern sei gegeben gewesen. Im Juni 2005 habe er die Mutter der Kinder geehelicht. Bei den beiden minderjährigen Kindern könne daher im Streitzeitraum von Pflegekindern des Mitbeteiligten ausgegangen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des Finanzamtes nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Nach § 2 Abs. 1 FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder sowie die bestimmt aufgezählten volljährigen Kinder. Nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle zählen Pflegekinder (§§ 186 und 186a ABGB) zu den Kindern im Sinne dieses Abschnittes.
Die bezogenen Bestimmungen des ABGB in der Fassung BGBl. I 2000/135 lauten:
"§ 186. Pflegeeltern sind Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Sie haben das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.
§ 186a. (1) Das Gericht hat einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) auf seinen Antrag die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise zu übertragen, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht. Die Regelungen über die Obsorge gelten dann für dieses Pflegeelternpaar (diesen Pflegeelternteil).
(2) Sind die Eltern oder Großeltern mit der Obsorge betraut und stimmen sie der Übertragung nicht zu, so darf diese nur verfügt werden, wenn ohne sie das Wohl des Kindes gefährdet wäre.
(3) Die Übertragung ist aufzuheben, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht. Gleichzeitig hat das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes auszusprechen, auf wen die Obsorge übergeht.
(4) Das Gericht hat vor seiner Entscheidung die Eltern, den gesetzlichen Vertreter, weitere Erziehungsberechtigte, den Jugendwohlfahrtsträger und jedenfalls das bereits zehnjährige Kind zu hören. § 181a Abs. 2 gilt sinngemäß."
Verbindet der Gesetzgeber - wie hier - nach der Methode der rechtlichen (formalen) Anknüpfung abgabenrechtliche Folgen unmittelbar mit Kategorien und Institutionen anderer Rechtsgebiete, so übernimmt er, wenn sich nichts anderes aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, auch den Bedeutungsinhalt, der den Begriffen in der Heimatdisziplin zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 1995, 95/13/0071).
Nach § 186 ABGB sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Demnach schreibt das Gesetz zwei Tatbestandsvoraussetzungen der Pflegeelternschaft vor, nämlich die tatsächliche Betreuung und eine bestimmte Qualität der Bindung. Bei Vorliegen beider Komponenten ist die Pflegeelternschaft kraft Gesetzes ohne Notwendigkeit eines rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsaktes gegeben (vgl. Barth/Neumayr, in Klang3, § 186, Tz. 3). Auch Einzelpersonen kann die Pflegeelterneigenschaft zuteil werden (§ 186a Abs. 1 ABGB). Dass die mit einem leiblichen Elternteil in Lebensgemeinschaft lebende Person bei Übernahme von Betreuungsleistungen und bei Vorliegen einer § 186 ABGB entsprechenden emotionalen Bindung als Pflegeelternteil gilt, entspricht der herrschenden Auffassung (vgl. Klang, a.a.O., Tz. 15).
Die belangte Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 186 ABGB vorliegen. Diese Ausführungen werden in der Beschwerde nicht bekämpft. Das beschwerdeführende Finanzamt behauptet lediglich, ein Lebensgefährte habe keine obsorgeverwandte Position gegenüber den Kindern der Lebensgefährtin. Dem Mitbeteiligten seien daher keinerlei Rechte oder Pflichten in Bezug auf die Obsorge der Kinder, verbunden mit Unterhaltspflichten, die nach dem Grundsatz des FLAG abgegolten werden sollten, zugestanden.
Dem ist entgegenzuhalten, dass der Tatbestand der Pflegeelternschaft nach § 186 ABGB nicht festlegt, dass nur solche Personen als Pflegeeltern auftreten können, denen eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber den Pflegekindern obliegt. Die belangte Behörde hat auch nicht lediglich auf die Eigenschaft des Mitbeteiligten als Lebensgefährte der Kindesmutter im Streitzeitraum abgestellt, sondern auf das Vorliegen einer Pflegeelternschaft im Sinne des § 186 ABGB. Dass die belangte Behörde die Voraussetzungen der Pflegeelternschaft verkannt hätte oder die tatsächlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am 4. März 2009
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2009:2008150314.X00Im RIS seit
08.04.2009Zuletzt aktualisiert am
21.05.2013