TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/09 D6 230582-0/2008

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Veröffentlicht am 09.03.2009
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Spruch

D6 230582-0/2008/9E

 

Im Namen der Republik

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzerin über die Beschwerde des K.B. alias L.M., geb. 00.00.1953 alias geb. 00.00.1953, StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.6.2002, FZ. 02 14.893-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 23 Abs. 1 AsylGHG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger der georgischen Volksgruppe, stellte am 7.6.2002 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Am 7.6.2002 wurde er vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

1. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer vor, mit einer Abchasierin verheiratet gewesen und im Jahr 1995 in Abchasien gefangen genommen worden zu sein, weil er der georgischen Volksgruppe angehöre. Er sei unter Hausarrest gestanden und habe sich schließlich im Jahr 2000 befreien und aus Abchasien flüchten können. In (Kern-) Georgien sei er zwei Wochen nach seiner Flucht verhaftet und ca. zwei Monate lang festgehalten worden. In den Einvernahmen sei er misshandelt und geschlagen worden; ihm sei vorgeworfen worden, in den fünf Jahren zuvor Abchasien unterstützt zu haben. Gegen Zahlung einer Kaution sei er schließlich freigekommen. Da er sich nicht ständig gemeldet habe, sei nach ihm gesucht worden. Drei Wochen vor seiner Ausreise aus Georgien sei seinem Sohn gedroht worden, verhaftet zu werden, falls er seinen Vater, den Beschwerdeführer, nicht ausfindig machen könne. Der Beschwerdeführer habe für die Abchasier nicht gearbeitet, befürchte jedoch, im Falle einer Rückkehr nach Georgien verhaftet und gequält zu werden. In Georgien herrsche Korruption, und es würde der Polizei nicht schwer fallen, ihm "irgendetwas" zu unterstellen.

 

2. Mit Bescheid vom 21.6.2002 wies das Bundesasylamt den Antrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Asylgesetz 1997 fest. Nach Wiedergabe des Einvernahmeprotokolls stellte das Bundesasylamt die Nationalität des Beschwerdeführers fest. Im Anschluss daran führte es aus, dass sein Vorbringen nicht glaubwürdig sei und daher der Entscheidung als Sachverhalt nicht zugrunde gelegt werden könne. Dies begründete das Bundesasylamt - nach Erwägungen zu den "Grundanforderungen" der Glaubhaftmachung von Asylgründen - folgender Maßen: Es sei "keinesfalls nachvollziehbar" dass der Beschwerdeführer einerseits wegen dem Vorwurf der Unterstützung Abchasiens festgenommen und danach freigelassen werde, "um danach plötzlich eine derartige ¿Gefahr' darzustellen, dass man Sie annähernd zwei Jahre lang mehrmals wöchentlich gesucht haben solle". Dies sei angesichts der legalen Ausreise des Beschwerdeführers noch unergründlicher. Im Übrigen - so die Auffassung des Bundesasylamtes - hätte der georgische Staat andere Maßnahmen gesetzt, wenn er tatsächlich des Beschwerdeführers habhaft hätte werden wollen.

 

Rechtlich folgerte das Bundesasylamt daraus, dass mangels glaubhaftem Asylvorbringens der Asylantrag abzuweisen gewesen sei. Folglich sei auch die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien festzustellen, da sich überdies auch aus der allgemeinen Lage in Georgien allein keine Gefährdung iSd § 57 Fremdengesetz 1997 ableiten lasse.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, (als Berufung) fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und die Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes gerügt wird. Neben (allgemeinen) Ausführungen über die Ermittlungspflichten der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer - bezugnehmend auf die Beweiswürdigung des bekämpften Bescheides - vor, dass er gegen Bezahlung freigelassen worden sei; auf die gleiche Weise habe er sein Visum erlangt. Er könne sich jedoch nicht sein "ganzes Leben lang freikaufen", weshalb ihm kein anderer Ausweg als die Flucht übrig geblieben sei.

 

4. Am 21.5.2004 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Asylantrag, der in Anbetracht des laufenden Rechtsmittelverfahrens gemäß § 23 Abs. 5 Asylgesetz 1997 als Berufungsergänzung behandelt wurde. Am 6.12.2006 legte der Beschwerdeführer seine Geburtsurkunde und seinen georgischen Personalausweis - jeweils auf einen anderen Namen lautend - samt beglaubigter Übersetzung dem Unabhängigen Bundesasylsenat vor.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 23 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008; im Folgenden: AsylGHG) sind - soweit sich aus dem Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 4/2008 (im Folgenden: AsylG 2005), nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76 idF BGBl. I 101/2003, gilt. Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997 ist für Asylanträge, die vor dem 1.5.2004 gestellt werden, das Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 126/2002 anzuwenden; auf diese Verfahren sind jedoch §§ 8, 15 AsylG 1997 idF BGBl. I 101/2003 ebenfalls anzuwenden.

 

3. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 23 Abs. 1 AsylGHG kann der Asylgerichtshof - wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint - den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof betonte in seiner langjährigen Rechtsprechung zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG in Asylsachen (vor Inkrafttreten des AsylGHG), dass dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderen Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" im Rahmen eines zweiinstanzlichen Verfahrens (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) zukomme (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135). In diesem Verfahren habe bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es sei grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liege nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages solle nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sehe man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Dies spreche auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes sieht keinen Grund anzunehmen, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die (mit Inkrafttreten der B-VG-Novelle BGBl. I 2/2008 sowie des AsylGHG geänderte) neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass er seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Asylgerichtshof beginnen und - sieht man von der auf Verfassungsfragen beschränkten Kontrollbefugnis durch den Verfassungsgerichtshof ab - zugleich enden.

 

4. Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

 

4.1 Die belangte Behörde hat es unterlassen, Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Georgien zu treffen: Es ist überhaupt nicht erkennbar, dass das Bundesasylamt eine einzige Quelle bzw. einen einzigen Länderbericht zur Beurteilung der allgemeinen Lage in Georgien herangezogen hat, um die geltend gemachten Fluchtgründe vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsstaat einer Prüfung auf ihre Plausibilität und Denkmöglichkeit zu unterziehen.

 

Die belangte Behörde hat es unterlassen, "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; vgl. auch VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135), obwohl sie als Spezialbehörde verpflichtet ist, sich über die Situation und die Entwicklungen in Georgien Kenntnis zu verschaffen und im Einzelfall entsprechende Feststellungen zu treffen.

 

4.2 Die belangte Behörde ging von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers aus, begründete dies jedoch - sieht man von allgemeinen Ausführungen über die Glaubhaftmachung von Asylgründen (ohne konkrete Bezugnahme auf den vorliegenden Fall) ab - ausschließlich mit der Ansicht, dass die Verfolgung des Beschwerdeführers nach seiner Freilassung nicht nachvollziehbar und seine legale Ausreise aus Georgien umso unergründlicher sei: Bedenkt man, dass der Beschwerdeführer nicht nur in seiner Beschwerde, sondern bereits in seiner Einvernahme diesem Argument mit dem Hinweis auf seine vorangegangene Schilderung der Kautionszahlung entgegengetreten ist (vgl. Seite 3 des Einvernahmeprotokolls), so erscheint die Wertung der belangten Behörde keineswegs zwingend. Da dies - neben der illegalen Ausreise - im Übrigen das einzige Argument gegen die Glaubwürdigkeit darstellt und sich die belangte Behörde mit dem (ihr schon bekannten) Einwand des Beschwerdeführers überhaupt nicht auseinander gesetzt hat, ist die Beweiswürdigung überdies unschlüssig.

 

Hinzu tritt der Umstand, dass die belangte Behörde von einem Fluchtvorbringen, wonach der Beschwerdeführer "zwei Jahre lang mehrmals wöchentlich" gesucht worden sein soll, ausgeht. Der Beschwerdeführer hat Derartiges in dieser Weise jedoch überhaupt nicht behauptet. Wenn die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit zudem wegen der legalen Ausreise in Zweifel zieht, so geht sie offenbar von der Überlegung aus, dass die georgischen Behörden im Fall des Beschwerdeführers landesweit "koordiniert" tätig hätten sein müssen (bzw. können). Diese Überlegung setzt jedoch ebenso wie die Behauptung, der georgische Staat hätte "andere Maßnahmen" gesetzt, wenn er den Beschwerdeführer "verschwinden" hätte lassen wollen, entsprechende Länderfeststellungen voraus, die solche Schlussfolgerungen zulassen. Wie bereits ausgeführt, sind jedoch Länderfeststellungen im vorliegenden Fall überhaupt gänzlich unterblieben.

 

Davon abgesehen fällt auf, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme am 7.6.2002 nur oberflächlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde: Es wurde unterlassen, den Beschwerdeführer ausführlich zu seiner Festnahme in Abchasien, den handelnden Personen, den exakten Daten und den entsprechenden Hintergründen zu befragen. Hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse fehlen Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Schulausbildung, seinem beruflichen Werdegang und seiner letzten Wohnadresse in Georgien; dem Einvernahmeprotokoll lässt sich nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer dazu die Auskunft verweigert hätte. Angesichts einer derart mangelhaft durchgeführten Sachverhaltsermittlung wiegt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung umso schwerer.

 

5. Aufgrund der dargestellten Mängel wäre daher jedenfalls die Einvernahme des Beschwerdeführers - insbesondere nach Beschaffung des entsprechenden länderbezogenen Grundlagenwissens - zu ergänzen, sodass eine der Voraussetzungen für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG normiert ist, nämlich, dass infolge des mangelhaften Sachverhaltes die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint; ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Der Umfang des noch durchzuführenden Ermittlungsverfahrens lässt den erkennenden Senat zum Ergebnis gelangen, dass dessen Nachholung durch den Asylgerichtshof ein Unterlaufen des zweiinstanzlichen Instanzenzuges bedeuten würde und daher im vorliegenden Fall nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen ist. Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme und Durchführung der mündlichen Verhandlung durch den erkennenden Senat des Asylgerichtshofes eine "Ersparnis an Zeit und Kosten" iSd § 66 Abs. 3 AVG erzielen würde, ist - angesichts des mit dem asylgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteien- und Senatsverfahren verbundenen erhöhten administrativ-manipulativen Aufwandes - nicht ersichtlich.

 

6. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesasylamt hinsichtlich aller noch zu treffenden Feststellungen, wie insbesondere im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe und allenfalls auf die Aktualität der (behaupteten) Verfolgung vor dem Hintergrund einer möglicherweise geänderten Struktur der georgischen Sicherheitsverwaltung, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die entsprechenden Ergebnisse mit dem Beschwerdeführer - unter Beachtung des Parteiengehörs - zu erörtern haben. Dabei werden nicht zuletzt auch der Identitätswechsel und die daraus erwachsenen Schlussfolgerungen für die Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe zu erkunden sein.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
01.04.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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