Index
E3R E05100000;Norm
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 21. März 1976 geborenen B in Wien, vertreten durch Dr. Alfred Strommer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 27. Mai 1997, Zl. UVS- 03/P/16/00025/97, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (belangte Behörde) vom 27. Mai 1997 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien, für schuldig erkannt, sich als Fremder vom 16. Mai 1994 bis zum 12. August 1996 in Wien, ohne im Besitz eines gültigen Sichtvermerks, einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Asylgesetz oder einer Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes zu sein, somit nicht rechtmäßig, im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, obwohl er einen Sichtvermerk bzw. eine Aufenthaltsbewilligung benötigt hätte. Er habe dadurch die §§ 15 Abs. 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, verletzt. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,--, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden verhängt und ihm Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens von S 100,--
auferlegt.
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer mit einem bis 5. Mai 1994 gültigen Touristensichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist sei und sich im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht im Besitz einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz befunden habe. Sein im Inland eingebrachter Antrag auf Erteilung eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Dezember 1994 rechtskräftig abgewiesen worden, eine dagegen gerichtete Beschwerde sei beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Der Beschwerdeführer vermöge mit seinem Vorbringen, er sei rechtskräftig von einer im Jahr 1908 geborenen Österreicherin, die auf Grund ihres Alters auf seine Unterstützung angewiesen sei, adoptiert worden, nichts für sich zu gewinnen. Die belangte Behörde sei an die Rechtskraft des Bescheides des Bundesministers für Inneres, mit welchem dem Beschwerdeführer eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz versagt worden sei, gebunden, weshalb es sich erübrige, auf das umfangreiche diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen. Im Übrigen seien auch Familienzusammenführungen nur im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften zulässig, eine eigenmächtige Zusammenführung sei nicht erlaubt. Unter Notstand im Sinn des § 6 VStG könne nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten könne, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begehe. Ein solcher Fall einer Pflichtenkollision könne hier nicht erblickt werden; seiner aus dem Familienrecht erwachsenden Beistandspflicht könne der Beschwerdeführer auch vom Ausland aus nachkommen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu S 10.000,-- zu bestrafen, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15). Gemäß § 15 Abs. 1 FrG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind (Z. 1) oder wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde (Z. 2) oder solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 zukommt (Z. 3).
Die Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass es sich beim Beschwerdeführer um das Adoptivkind einer österreichischen Staatsbürgerin handelt. Wo das Gesetz nicht ausdrücklich von leiblichen Kindern oder Blutsverwandten spricht, sind Wahlkind und eheliches Kind gleich zu behandeln (vgl. das den Beschwerdeführer betreffende hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/0098).
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren (vgl. sein der Behörde erster Instanz am 20. Mai 1996 übermittelter Antrag auf aufschiebende Wirkung an den Verwaltungsgerichtshof vom 15. Mai 1996) ist zu entnehmen, dass ihm von seiner österreichischen Mutter Unterhalt gewährt wird.
Gemäß § 29 Abs. 2 FrG ist begünstigten Angehörigen von EWR-Bürgern, die zwar Fremde, aber nicht EWR-Bürger sind (Drittstaatsangehörige), sofern die EWR-Bürger zum Aufenthalt berechtigt sind, ein Sichtvermerk auszustellen, wenn durch deren Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn dieser Bestimmung sind gemäß § 29 Abs. 3 FrG Kinder bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres und Ehegatten (Z. 1) und Verwandte der EWR-Bürger in auf- und absteigender Linie oder ihre Ehegatten, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird (Z. 2). Auch Adoptivkinder sind als Verwandte in absteigender Linie im Sinn dieser Bestimmung anzusehen (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16. Dezember 1992, in der Rechtssache C-206/91, Ettien Koua Poirrez, Slg 1992, I-6685, RZ 14, zu der dem § 29 Abs. 3 FrG zu Grunde liegenden (Bestimmung des Art. 11 der) Verordnung des Rates EWG/1612/68, und das hg. Erkenntnis vom 30. November 2000, Zl. 98/18/0423).
Bezüglich des Tatbestands des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG muss nach der hg. Rechtsprechung ein gesetzlicher Strafausschließungsgrund gemäß § 6 VStG angenommen werden, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung nach § 19 FrG im Wege steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zlen. 97/21/0085 und 98/21/0065).
Die belangte Behörde hätte im vorliegenden Fall bei Anwendung des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG gegen den Beschwerdeführer daher die Frage prüfen müssen, ob seine gedachte Ausweisung im Grunde des § 19 FrG dringend geboten gewesen wäre. Sie durfte diese Frage angesichts des Umstandes, dass es sich beim Beschwerdeführer um das Kind einer österreichischen Staatsbürgerin, dem offensichtlich Unterhalt gewährt wird, handelt, und er als solcher nicht schlechter behandelt werden durfte als das Kind eines in Österreich zum Aufenthalt berechtigten EWR-Bürgers, dem Unterhalt gewährt wird, und dem - außer in dem vorliegend nicht gegebenen Fall der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit - gemäß § 29 Abs. 2 FrG ein Sichtvermerk auszustellen ist, nicht verneinen (vgl. zum insofern gleich gelagerten Fall der Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers das hg. Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 96/21/0012, m.w.N.). Dies hat die belangte Behörde verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. März 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61991J0206 Ettien Koua Poirrez VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997210467.X00Im RIS seit
22.06.2001Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011