E3 400.657-2/2008-3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HERZOG-LIEBMINGER als Vorsitzende und den Richter Mag. HUBER-HUBER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Mittermayr über die Beschwerde der mj. O.N., geb. 00.00.1993, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.10.2008, FZ. 99 17.860-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat wie folgt:
"Ihr Asylerstreckungsantrag vom 16.11.1999 wird gemäß §§ 10, 11 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 126/2002 abgewiesen."
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und SACHVERHALT
Die mj. Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei und der kurdischen Volksgruppe zugehörig, reiste gemeinsam ihrer Mutter, am 14.11.1999 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte mit Schriftsatz vom 15.11.1999 durch ihre Rechtsvertreterin einen auf das Verfahren ihrer Mutter bezogenen Asylerstreckungsantrag.
Mit (gemeinsamem) Bescheid vom 27.03.2000 wurden die Asylanträge der mj. Beschwerdeführerin und ihrer Mutter gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der mj. Beschwerdeführerin und ihrer Mutter in die Türkei gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt.
In Erledigung der dagegen erhobenen Berufung hob der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 12.08.2008, Zahl: E 3 216.321-0/2008-3E, den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuerlichen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.
In der Folge wurde die Mutter der Beschwerdeführerin am 11.09.2008 neuerlich niederschriftlich von der Erstbehörde einvernommen, wo sie jedoch (wiederum) keine eigenen Fluchtgründe für ihre Tochter geltend machte.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 10.10.2008 wurde der Asylantrag der mj. Beschwerdeführerin neuerlich gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.).
Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der mj. Beschwerdeführerin in die Türkei wurde jedoch gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt II.) und dieser gemäß § 8 Abs 3 iVm § 15 Abs 2 AsylG eine bis 09.10.2009 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
Ein gleichlautender Bescheid erging am selben Tag auch für die Mutter der mj. Beschwerdeführerin.
Unter den Feststellungen führte die Erstbehörde aus, dass die Beschwerdeführerin türkische Staatsangehörige kurdischer Abstammung sei. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass sie ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe, jedoch drohe ihr nach einer Abschiebung Gefahr iSd § 50 FPG.
Weiters traf die Erstbehörde Feststellungen zur Lage der Frauen in der Türkei.
In ihrer Beweiswürdigung legte die Erstbehörde dar, dass jener Teil der Aussage der Mutter der mj. Beschwerdeführerin, wonach deren Vater das Sorgerecht über mj. Beschwerdeführerin auszuüben beabsichtigte und ihrer Mutter deshalb Schwierigkeiten gemacht habe, glaubhaft gewesen sei.
Rechtlich führte die Erstbehörde zu Spruchpunkt I. aus, dass diese Beanspruchung des Sorgerechts über die mj. Beschwerdeführerin durch deren Vater nicht zur Asylgewährung führen könne, weil es sich dabei nicht um einen in der GFK genannten Fluchtgrund handle.
Spruchpunkt II. begründete die Erstbehörde damit, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die mj. Beschwerdeführerin von ihrem Vater massiv unter Druck gesetzt werden würde, indem er das ihm in der Türkei zugesprochene Sorgerecht für sie beanspruche und sie von ihrer Mutter wegnähme, was einer unmenschlichen Behandlung gleichkäme. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei sei daher unzulässig, weshalb mit Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren gewesen sei.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die von der durch ihre Mutter vertretenen mj. Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 27.10.2008 fristgerecht erhobene Beschwerde.
Hinsichtlich des Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Mutter der mj. Beschwerdeführerin vor der Erstbehörde, des bekämpften Bescheides sowie des Beschwerdeschriftsatzes sowie durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Mutter.
II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:
1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 61 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes.
Gemäß § 23 Absatz 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idF BGBL. I Nr. 147/2008, sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge AsylG 2005) sind "Alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt." Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I 126/2002 zu führen.
Die mj. Beschwerdeführerin hat ihren Asylerstreckungsantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach AsylG 1997 zu führen. Anzuwenden war sohin das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.
Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005") anzuwenden. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
2. Die mj. Beschwerdeführerin hat von Anfang an einen auf das Verfahren ihrer Mutter bezogenen Asylerstreckungsantrag gestellt und niemals eigene Fluchtgründe vorgebracht.
Die hiefür maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes in der gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 anwendbaren Fassung des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002, lauten wie folgt:
Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 1997 begehren Fremde mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen aufgrund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyls.
Gemäß § 10 Abs. 2 leg. cit. können Asylerstreckungsanträge frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. Sie sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; für Ehegatten überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den Asylantrag eingebracht hat.
Gemäß § 11 Abs. 1 leg. cit. hat die Behörde aufgrund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.
Fremde, die einen Asylerstreckungsantrag eingebracht haben, können gemäß § 11 Abs. 2 leg. cit. im Verfahren über den Asylantrag ihres Angehörigen aus Eigenem alles vorbringen, was ihnen für dieses Verfahren maßgeblich erscheint. Wird der Asylantrag als unzulässig zurückgewiesen oder als offensichtlich unbegründet abgewiesen, so gelten die der Sache nach damit verbundenen Asylerstreckungsanträge, sofern der Betroffene nach Belehrung über die Folgen nicht ausdrücklich darauf verzichtet, als Asylanträge. Die Behörde hat über diese Anträge unverzüglich zu entscheiden; im Falle eines Verzichtes sind Asylanträge dieser Fremden innerhalb von 30 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft der die Asyler-streckungsanträge abweisenden Entscheidung unzulässig.
Bringen Fremde einen Asylerstreckungsantrag während eines bereits anhängigen Verfahrens gemäß § 7 AsylG 1997 ein, ist mit der Erledigung dieses Antrages gemäß § 11 Abs. 3 leg.cit. zuzuwarten, bis die Entscheidung über ihren Asylantrag ergangen ist. Asyl durch Erstreckung darf ihnen erst gewährt werden, wenn ihr Asylantrag rechtskräftig zurückgewiesen oder abgewiesen wurde.
Gemäß § 11 Abs. 4 leg.cit. treten Bescheide, mit denen Angehörigen durch Erstreckung Asyl gewährt wurde, außer Kraft und Asylerstreckungsanträge werden gegenstandslos, wenn den Angehörigen gemäß § 7 leg.cit. Asyl gewährt wird.
Asyl durch Erstreckung kann sohin lediglich dann gewährt werden, wenn der diesbezügliche Antrag zulässig ist, einem der in § 10 Abs. 2 AsylG 1997 genannten Angehörigen des Asylwerbers aufgrund eines Asylantrages oder von Amts wegen Asyl gewährt wurde und die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der EMRK mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.
3. Trotz Vorliegens eines Asylerstreckungsantrages hat die Erstbehörde bereits im ersten Rechtsgang "die Asylanträge" der mj. Beschwerdeführerin und ihrer Mutter "gemäß § 7 Asylgesetz 1997 [...] abgewiesen" und die Zurückweisungen, Zurückschiebungen oder Abschiebungen der mj. Beschwerdeführerin und ihrer Mutter gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt.
Obwohl auch der Asylgerichtshof in seinem oben unter Punkt I.3. erwähnten Erkenntnis vom 12.08.2008 explizit darauf hingewiesen hat, dass hinsichtlich der gegenständlichen Beschwerdeführerin ein Asylerstreckungsantrag vorliegt und hier (im fortgesetzten Verfahren) entsprechend rechtsrichtig vorzugehen sein wird, wurde die nunmehr angefochtene Entscheidung seitens der Erstbehörde wiederum auf die §§ 7 und 8 AsylG 1997 gestützt.
4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag wurde die (lediglich gegen Spruchpunkt I. erhobene) Beschwerde der Mutter der mj. Beschwerdeführerin gemäß §§ 7 AsylG 1997 abgewiesen.
Da somit der Asylantrag der Mutter der mj. Beschwerdeführerin, auf deren Verfahren sich der gegenständliche Asylerstreckungsantrag bezogen hat, rechtskräftig abgewiesen wurde, handelt es sich bei jener um keinen anerkannten Flüchtling und besteht keine Möglichkeit, ein Asylrecht auf Angehörige zu erstrecken.
Die gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 1997 geforderte Voraussetzung, nämlich die einen Angehörigen iSd Abs 2 dieser Bestimmung betreffende Asylgewährung, liegt somit nicht vor, sodass der mj. Beschwerdeführerin folglich auch durch Erstreckung kein Asyl gewährt werden konnte.
Mangels Vorliegens eines (eigenständigen) Asylantrages der mj. Beschwerdeführerin, welche auch keine Asylgründe vorgebracht hat, ist die von der Erstbehörde auf § 7 AsylG 1997 gestützte Abweisung desselben daher verfehlt, zumal verkannt wurde, dass eben ein Asylerstreckungsantrag gestellt wurde.
Die gegenständliche Beschwerde war sohin, mit der im Spruch zitierten Maßgabe, abzuweisen.
5. Wie bereits ausgeführt, wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der mj. Beschwerdeführerin in die Türkei mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für nicht zulässig erklärt und dieser mit Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs 3 iVm § 15 Abs 2 AsylG eine bis 09.10.2009 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Nachdem die mj. Beschwerdeführerin lediglich einen auf das Verfahren ihrer Mutter bezogenen Asylerstreckungsantrag gestellt hat, war für die Prüfung eines subsidiären Schutzes iSd § 8 AsylG 1997 jedoch kein Raum.
Wurde von der Behörde erster Instanz ein antragsbedürftiger Bescheid ohne Vorliegen eines hiefür erforderlichen Antrags erlassen, ist der Bescheid rechtswidrig und von der Berufungs- bzw. Beschwerdebehörde gemäß § 66 Abs 4 AVG ersatzlos zu beheben (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 102 zu § 66 AVG).
Allerdings ist der Gegenstand des Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahrens bei einer Teilanfechtung (wie sie gegenständlich vorliegt) auf die angefochtenen (Spruch)Teile beschränkt. Die nicht angefochtenen Teile erwachsen dagegen in Rechtskraft und sind damit der Entscheidungsbefugnis der Rechtsmittelbehörde entzogen (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 65 zu § 66 AVG).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die nicht angefochtenen Spruchpunkte II. und III., welche eigentlich nicht ergehen hätten dürfen, dennoch in Rechtskraft erwachsen sind.
Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.