TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/20 99/11/0118

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Veröffentlicht am 20.03.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
43/01 Wehrrecht allgemein;

Norm

AVG §52;
WehrG 1990 §15 Abs1;
WehrG 1990 §23 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des M S in W, vertreten durch Dr. Peter Getreuer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 6, gegen den Bescheid des Militärkommandos Wien vom 5. November 1998, Zl. W/74/14/02/54, betreffend Feststellung der Eignung zum Wehrdienst, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 7. Dezember 1974 geborene Beschwerdeführer wurde anlässlich seiner ersten Stellung im Jahr 1992 für "Tauglich" erklärt.

Mit Schreiben vom 26. Mai 1997 teilte der Beschwerdeführer dem Militärkommando Wien mit, er sei nach diversen Schulterluxationen im Oktober 1993 im Unfallkrankenhaus Meidling von Professor S. operiert worden. Im "heurigen" Jahr hätten leider wieder vermehrte Luxationen eingesetzt, weshalb der Beschwerdeführer bei Dr. L. in Behandlung sei. Wehrdienst sei für den Beschwerdeführer nach dessen Aussage nicht möglich. Beigeschlossen war dem Schreiben eine ärztliche Bestätigung Dris. L., eines Arztes für Allgemein- und Sportmedizin, vom 7. Mai 1997, der zufolge der Beschwerdeführer nach seiner Schultergelenksoperation seit Februar 1997 neuerlich rezidivierende Luxationen gehabt hätte, sodass ein Zustand wie vor der Operation bestehe. Um eine weitere Schädigung des Schultergelenkes zu vermeiden, sei dem Patienten eine neuerliche Operation zu empfehlen. Er sei derzeit nicht geeignet, den Dienst beim Bundesheer zu absolvieren.

Daraufhin verfügte das Militärkommando Wien mit Bescheid vom 8. Juli 1997 gemäß § 24 Abs. 8 des Wehrgesetzes 1990 (WG) von Amts wegen eine neuerliche Stellung des Beschwerdeführers. Diese fand am 1. Oktober 1997 statt. Auf dem im Verwaltungsakt erliegenden Statusblatt werden die oberen Extremitäten des Beschwerdeführers als normal bewertet. Auf der Rückseite des Statusblattes ist unter "Fragestellung an Facharzt für Chirurgie" von einer habituellen Schulterluxation links die Rede. Die Stellungskommission fasste daraufhin zunächst keinen Beschluss, weil weitere Ermittlungen notwendig erschienen. Im Verwaltungsakt erliegt weiters ein von Dr. K. gezeichneter Befund der orthopädischen Abteilung des Heeresspitals Wien vom 9. Oktober 1997 mit folgendem Wortlaut:

"A: P. gibt Z. n. 3x iger Schulterlux mit adäqu. Trauma an, OP im 10/94, vor ca 1/2 a neuerl. Sublux

Kl Bew. dzt. Frei, Abrehensiontest schwach pos.,

ad MRI Dr. Q(...) am 1310 um 11 Grad Grad

MRI: Z. n. ventr. Kapselnaht, Verd. auf Rerupt. d. Limbus etwas ventr-cranial davon, älterer Hill Sachs-Defekt, leichterer chron. Schaden d. Rotatorenmanschette, insbes. ventral.

Dg: ältere Bankartläsion li.. Z.n. Kapselraffung,

Beurteilung: Empfehle WZ 1 auf 12 und eine Bankartoperation mit Refixation d. Limbus von einem geübten Operateur. Falls dies nicht geschieht WZ 2 danach."

Der in diesem Befund angeregte Magnetresonanzbefund Dris. Q. vom 13. Oktober 1997 lautet wie folgt:

"Ergebnis: Z.n. ventraler Kapselnaht. Verdacht auf Reruptur

des Limbus etwas weiter ventro/cranial davon.

Älterer Hill Sachs-Defekt.

Leichter chronischer Schaden der Rotorenmanschette insbesondere

ventral."

Die Diagnose des leitenden Arztes und des Untersuchungsarztes der Stellungskommission vom 24. Oktober 1997 lautete:

"Habit. Schulterlux. li. (Rezidiv)".

Mit Schreiben vom 5. November 1997 verständigte das Militärkommando Wien den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme und informierte ihn dahingehend, dass die Stellungskommission den Beschluss auf vorübergehende Untauglichkeit bis Oktober 1998 vorgesehen habe. Als Ergebnis der Beweisaufnahme wird im Wesentlichen der Befund der orthopädischen Abteilung des Heeresspitals wiedergegeben, allerdings nicht der Hinweis "WZ 1 auf 12" sowie der Satz "Falls dies nicht geschieht WZ 2 danach".

Nachdem der Beschwerdeführer zu diesem Schreiben keine Äußerung abgegeben hatte, wurde die Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst mit Beschluss der Stellungskommission des Militärkommandos Wien vom 30. Jänner 1998 mit "vorübergehend untauglich bis Oktober 1998" festgestellt. In der Begründung wurde der Befund der orthopädischen Ambulanz des Heeresspitals sowie der Magnetresonanztomographie wie folgt wiedergegeben:

"Orthopädische Ambulanz:

Zustand nach 3maliger Schulterluxation; Operation am 10/94, vor cirka 1/2 Jahren Subluxation Magnetresonanztomographie: Zustand nach ventraler Kapselnaht, Verdacht auf Reruptur des Limbus etwas ventro-cranial davon, älterer Hill Sachs-Defekt, leichterer chronischer Schaden der Rotorenmanschette insbesonders ventral.

Diagnose: ältere Bankartläsion links. Zustand nach Kapselraffung, empfehle Bankartoperation mit Refixation des Limbus von einem geübten Operateur."

Von dem ihm gewährten Parteiengehör habe der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht. Gemäß § 23 Abs. 2 WG seien die der vorübergehenden Untauglichkeit zu Grunde liegenden Diagnosen im Zuge des ärztlichen Ermittlungsverfahrens bei der Stellungskommission sowie der fachärztlichen Untersuchungen der orthopädischen Ambulanz im Heeresspital Wien vom 9. Oktober 1997 erstellt worden. Auf Grund dieses im Rahmen der Stellungsuntersuchung eingeholten Facharztbefundes bestünden aus militärärztlicher Sicht für die Leistung des Grundwehrdienstes derzeit gesundheitliche Einschränkungen, welche bei der Beurteilung der Wehrdienstfähigkeit des Beschwerdeführers eine vorübergehende Untauglichkeit bis Oktober 1998 bedingten.

Mit Schreiben vom 18. August 1998 teilte der Beschwerdeführer dem Militärkommando Wien mit, an seinem körperlichen Gebrechen, das zum Stellungsbeschluss geführt habe, habe sich seit damals nichts geändert. Da er einen nicht-manuellen Beruf anstrebe, sei er überzeugt, dass bei entsprechender Schonung seines Schultergelenkes, wie er es seit einigen Jahren praktiziere, eine risikoreiche Operation auf jeden Fall vermeidbar sei.

Am 5. November 1998 fand eine neuerliche Stellung des Beschwerdeführers statt. Aus einer vom Beschwerdeführer vorgelegten Arztinformation desjenigen Facharztes, der seinerzeit die Schulteroperation durchgeführt hatte, vom 5. Oktober 1998 ergibt sich folgender Befund:

"Er war bis 23.2. beschwerdefrei, beim Eislaufen hat sich dann ohne wesentl. traumatisches Ereignis beim Aufstützen auf dem Stock die Schulter luxiert und gleich wieder reponiert. Es ist in der Zwischenzeit zu 2 weiteren Subluxationen gekommen. Schulter äußerl. unauffällig, breite Narbe. Es kommt bei Abduktion/Außenrotation zu einer Subluxation mit sofortiger Reposition."

Das Stellungsuntersuchungsergebnis vom 5. November 1998 weist in der Rubrik "Diagnosen": Die Eintragung "Schulterluxation, habituelle" sowie in der Spalte "Gesundheitsprof. (Ist-Profil)":

Die Eintragung "HEBEN, TRAGEN SPRINGEN" auf. Auf dem Statusblatt werden die oberen Extremitäten des Beschwerdeführers als normal bezeichnet, die handschriftlich und schwer leserlich hinzugefügte Diagnose, unterschrieben vom leitenden Arzt und vom Untersuchungsarzt der Stellungskommission, lautet (soweit leserlich):

"lab. Hypertonie

Habit. Schulterluxation li (mit Relux nach Op - neuerl. vorgeschl. .... nicht durchgeführt u. nicht geplant)"

Sowohl auf der Arztinformation als auch auf dem Magnetresonanzbefund findet sich der Stempelaufdruck "anlässlich der Stellungsuntersuchung am 05. NOV. 1998 bei der Befundung berücksichtigt".

Auf dem Statusblatt findet sich überdies der Stempelvermerk "Parteiengehör erhalten am 05. NOV. 1998" und die Unterschrift des Beschwerdeführers.

Mit Beschluss der Stellungskommission beim Militärkommando Wien vom 5. November 1998 wurde die Eignung des Beschwerdeführers mit "Tauglich" festgestellt. Ihm wurde gemäß § 23 Abs. 6 WG eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 15 Abs. 1 WG darf in das Bundesheer nur einberufen werden, wer u. a. die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung besitzt. Demnach genügt die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung. Dies setzt u. a. das erforderliche Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit für eine zumindest eingeschränkte militärische Ausbildung zum Dienst mit der Waffe voraus (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1999, Zl. 98/11/0308, mwN).

Ein auf "Tauglich" lautender Beschluss der Stellungskommission bedarf gemäß § 23 Abs. 2 letzter Satz WG der Zustimmung des Arztes. Die einem solchen Beschluss zu Grunde liegende Beurteilung muss erkennen lassen, aus welchem Grund der Arzt der Auffassung ist, der Stellungspflichtige besitze die notwendige körperliche und geistige Eignung im oben beschriebenen Sinn. Dies erfordert in Fällen, in denen Krankheitszustände oder Gebrechen festgestellt werden, welche die mögliche Kraftanstrengung und Beweglichkeit - aus welchen Gründen immer - beeinträchtigen, nachvollziehbare Ausführungen dazu, in welchem Ausmaß der Stellungspflichtige auf Grund seines festgestellten Gesundheitszustandes in der Kraftanstrengung und Beweglichkeit gehindert ist.

Eine derartige Begründung fehlt im vorliegenden Fall zur Gänze. Auf den vom Beschwerdeführer der belangten Behörde vorgelegten Unterlagen findet sich, wie dargelegt, zwar der Vermerk "anlässlich der Stellungsuntersuchung bei der Befundung berücksichtigt", wie und mit welchem Ergebnis diese Berücksichtigung erfolgte, von welchen Annahmen der ärztliche Sachverständige der Stellungskommission seinerseits ausging und auf Grund welcher Erwägungen er trotz der beim Beschwerdeführer auch nach der Diagnose der ärztlichen Sachverständigen der Stellungskommission gegebenen gesundheitlichen Einschränkungen zur Bejahung seiner Eignung zum Wehrdienst gelangte, ist aus den vorgelegten Unterlagen nicht nachvollziehbar. Aus ihnen kann insbesondere nicht entnommen werden, ob und inwieweit sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit der letzten Stellung, bei der der Beschwerdeführer für vorübergehend untauglich erklärt wurde, geändert hätte, sodass - anders als noch bei der vorangegangenen Stellung - nunmehr von einer Eignung des Beschwerdeführers auszugehen wäre. Der auf "Tauglich" lautende Beschluss der Stellungskommission beruht somit, berücksichtigt man den oben geschilderten Gang des Verwaltungsverfahrens, auf einer nicht nachvollziehbaren ärztlichen Beurteilung.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. März 2001

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999110118.X00

Im RIS seit

29.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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