TE Vfgh Erkenntnis 2009/2/24 B1632/08

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft

Wien-Umgebung vom 13. April 2007 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer GmbH zu verantworten zu haben, dass die GmbH einen polnischen Staatsbürger beschäftigt hat, obwohl für diesen weder eine Beschäftigungsbewilligung oder Zulassung als Schlüsselkraft erteilt noch eine Anzeigebestätigung oder eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein oder Niederlassungsnachweis ausgestellt worden war. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe in Höhe von € 3.000,-- verhängt.

Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Mistelbach (im Folgenden: UVS Niederösterreich), vom 26. August 2008 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen dieses Straferkenntnis insoweit Folge gegeben, als die darin verhängte Geldstrafe auf € 1.000,-- herabgesetzt worden ist.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der Verstöße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§51 Abs7 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. 52/1991 idF BGBl. I 158/1998) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu - für den Fall einer Abweisung oder Ablehnung der Beschwerde - ihre Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof begehrt werden.

3. Der UVS Niederösterreich hat innerhalb der gesetzten Frist die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. November 2008, G86,87/08, die Wortfolge ", in dem nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zusteht," in §51 Abs7 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. 52/1991 idF BGBl. I 158/1998, als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).

3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 9. Oktober 2008. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 24. September 2008 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an:

Da zwischen dem Einlangen der Berufung bei der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung und der Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Parteien des Verfahrens ein Zeitraum von mehr als 15 Monaten liegt, konnte die belangte Behörde im Sinne des §51 Abs7 VStG lediglich unter der Voraussetzung, dass nicht nur dem Beschuldigten ein Berufungsrecht zusteht, von der Rechtmäßigkeit der Bescheiderlassung ausgehen (nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes belastet eine Berufungsbehörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, wenn sie über die Berufung gegen ein gemäß §51 Abs7 VStG außer Kraft getretenes erstinstanzliches Straferkenntnis entscheidet [s. VwGH 20.12.1996, 96/02/0296; VwGH 11.10.2002, 2002/02/0099]).

Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:B1632.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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