TE Vfgh Erkenntnis 2009/2/24 U122/08 ua

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 1997 §7, §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verstoß einer Entscheidung des Asylgerichtshofes über eine Beschwerdegegen die Abweisung eines Asylantrags und Ausweisung gegen dasWillkürverbot des Gebots der Gleichbehandlung von Fremden infolgeUnterlassung der Ermittlungstätigkeit in mehreren wesentlichenPunkten

Spruch

Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtenen Entscheidungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.760,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine im Jahr 1986 geborene nigerianische Staatsangehörige, reiste im Oktober 2003 als Minderjährige in Österreich ein und stellte am 10. Oktober 2003 ihren ersten Asylantrag. Begründend gab sie im Zuge ihrer Einvernahmen an, dass ihre Mutter in Nigeria verstorben sei und sie ihren in Österreich lebenden Vater suchen wolle, ihr aber im Übrigen in ihrem Heimatland keine Verfolgung drohe. Mit Bescheid vom 27. Jänner 2004 wies das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) den Asylantrag ab. Dieser Bescheid wurde am 14. April 2004 vom Unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) aufgehoben. Das BAA wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin am 13. Juli 2004 neuerlich ab, die dagegen erhobene Berufung hat die Beschwerdeführerin laut Schriftstück vom 17. September 2004 zurückgezogen. Im vorgelegten Verwaltungsakt befindet sich ein Vermerk des UBAS vom 23. September 2004, demzufolge ein "Herr O B" persönlich beim Bundesasylamt erschienen sei und die Berufung zurückgezogen habe. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass es sich um eine weibliche Beschwerdeführerin handelt.

Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 12. April 2005 neuerlich einen Asylantrag mit der Begründung, dass sie zwar ihren Vater gefunden habe, dieser auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, ihr jedoch nicht helfen könne. Im Übrigen habe sich an ihrem Vorbringen nichts geändert. Weiters stellte sie einen Asylantrag für ihre am 8. März 2005 in Österreich geborene Tochter (Zweitbeschwerdeführerin) mit der Begründung, dass dieser in Nigeria eine Zwangsbeschneidung drohe. Am 28. Juli 2006 wurde die zweite Tochter (Drittbeschwerdeführerin) geboren, für die ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin am 14. August 2006 ebenfalls einen Asylantrag stellte.

2. Mit Bescheiden des BAA vom 15. Februar 2006 - hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin verweist die Entscheidung des Asylgerichtshofes irrtümlich auf das Datum der Asylantragstellung und nicht auf das Datum des Bescheides des BAA - wurden die Anträge der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin abgewiesen und eine Ausweisung nach Nigeria verfügt, eine ebensolche Entscheidung des BAA erging am 13. Oktober 2006 hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin. Der Asylgerichtshof hat sich der Auffassung des BAA angeschlossen und zur Frage einer möglichen Verletzung des Art8 EMRK durch die verfügte Ausweisung dargelegt, dass im Verhältnis zum Vater der Erstbeschwerdeführerin kein Naheverhältnis bestünde und im übrigen die Kernfamilie gemeinsam ausgewiesen würde. Er hat daher sämtliche Berufungen als unbegründet abgewiesen.

3. In den beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art144a B-VG dagegen erhobenen Beschwerden behaupten die Beschwerdeführerinnen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung gemäß Art3 EMRK und auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen. Zusammengefasst wird in den Beschwerden vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin als unverheiratete Frau in Nigeria benachteiligt sei, den Kindern Zwangsbeschneidung drohe und dass der Vater der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich mit der Familie im gemeinsamen Haushalt lebe. Darüber hinaus sei die Erstbeschwerdeführerin neuerlich schwanger und erwarte von ihrem Lebensgefährten im April ein Kind.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verfahrensakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerden und Kostenersatz beantragte. Er führte u.a. aus, dass einziger Fluchtgrund der Erstbeschwerdeführerin die Suche nach ihrem Vater gewesen sei und dass die Erstbeschwerdeführerin ausdrücklich keine frauenspezifische Verfolgung in ihrem Heimatland behauptet habe. Weiters verweist er auf - in der angefochtenen Entscheidung zitierte - Länderberichte, wonach in jenem Bundesstaat Nigerias, aus dem die Erstbeschwerdeführerin stamme, ein Verbot der Genitalverstümmelung bestehe und diese Praxis unter Strafe gestellt worden sei. Eine bestehende Schwangerschaft habe die Erstbeschwerdeführerin nicht erwähnt, weshalb diese nicht berücksichtigt worden sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zu den in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen, zulässigen Beschwerden erwogen:

Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie VfGH 7.11.2008, U67/08).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:

Gemäß §8 Abs2 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 101/2003 hat die Behörde den Bescheid mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn ein Asylantrag abzuweisen ist, und die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist. Der Asylgerichtshof hatte in seinen Entscheidungen die Frage zu prüfen, ob durch die verfügten Ausweisungen eine Verletzung des Art8 EMRK erfolgt ist. Er führt aus, dass das Familienleben zwischen der Erstbeschwerdeführerin und ihrem Vater, zu dem sie kein Naheverhältnis habe, nicht schützenswert sei und dass im Übrigen die Kernfamilie gemeinsam ausgewiesen werde, weshalb keine Verletzung des Art8 EMRK vorliege.

Der Asylgerichtshof hat sich jedoch weder mit der Frage des jugendlichen Alters der Erstbeschwerdeführerin auseinandergesetzt, die als Minderjährige eingereist ist und seit 2003 hier lebt. Weiters hat er mit keinem Wort die Beziehung zum Vater der Drittbeschwerdeführerin erwähnt. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass diesbezüglich Ermittlungen geführt worden sind, diese sind jedoch in der angefochtenen Entscheidung vollkommen unerwähnt geblieben. Die Interessenabwägung bezieht sich ausschließlich auf das ursprüngliche Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin im Hinblick auf die Beziehung zu ihrem Vater. Dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht zu einem früheren Zeitpunkt gesetzt wurden (nach Rechtskraft der ersten Ausweisungsentscheidung) kann der Erstbeschwerdeführerin nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die nunmehr erwachsene Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich zwei Kinder geboren, eine allfällige Bindung zum Vater konnte nicht den primären Gegenstand der Frage nach ihrem Familienleben bilden. Der Asylgerichtshof hat keine Verhandlung durchgeführt und aufgrund der Akten entschieden, und sich dabei im Wesentlichen auf die Ermittlungsergebnisse des BAA gestützt. Zwischen Erlassung der Bescheide des BAA im Jahr 2006 und den angefochtenen Entscheidungen sind über zwei Jahre vergangen. Die Frage des Familienlebens der in Österreich geborenen Kleinkinder, insbesondere der Bindung an ihren Vater bzw. dem Bestehen einer Lebensgemeinschaft der Erstbeschwerdeführerin wurde nicht erörtert.

Dieses Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit über entscheidungsrelevante Umstände ist dem Asylgerichtshof als Willkür anzulasten, weshalb die angefochtenen Entscheidungen schon aus diesem Grunde aufzuheben waren.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG iVm §88a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 460,-

und Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 300,- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylgerichtshof, Asylrecht, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:U122.2008

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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