TE Vfgh Erkenntnis 2009/3/3 B1284/08

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2009
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
VersammlungsG §2, §11, §19
VStG §51e
VfGG §88
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Verhängung einerVerwaltungsstrafe über den Leiter einer Versammlung wegen Abweichenseiner Kundgebung gegen Pelzhandel und -verkauf vom angezeigten Thema"Kundgebung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit"; rechtmäßigesAbsehen von einer mündlichen Verhandlung vor dem UVS angesichts desgeklärten Sachverhaltes und der nicht besonderen Komplexität derRechtsfragen

Spruch

I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Eingabe vom 25. Oktober 2007 wurde der

Bundespolizeidirektion Wien die beabsichtigte Abhaltung einer Versammlung am 27. Oktober 2007 zum Thema "Kundgebung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit" angezeigt. Die Versammlungsanzeige lautet auszugsweise wie folgt:

"Zweck/Thema der Versammlung: Kundgebung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Zeit: Samstag, 27.10.2007, 13:00 - 19:00 Uhr

Ort: Mariahilfer Str. 105, 1060 Wien, Verlängerung des U-Bahn-Abgangs von der Gehsteigkante der Mariahilfer Straße 2 Meter des Gehsteigbereiches.

...

Verwendete Mittel: Transparente, Infomaterial, Tisch.

(...)

VersammlungsleiterIn: wird vor Ort genannt

..."

2. Diese - von der Behörde nicht untersagte - Versammlung wurde am 27. Oktober 2007 am angegebenen Kundgebungsort abgehalten. Laut einem dem Verwaltungsakt beiliegenden Bericht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) haben sieben Personen, darunter auch der Beschwerdeführer als Versammlungsleiter, an der Kundgebung teilgenommen. Die Versammlung fand in unmittelbarer Nähe zu einem Bekleidungsgeschäft statt. Etwa fünf Meter vor dem Geschäftseingang wurden Infotische (in der Versammlungsanzeige wurde als Hilfsmittel nur ein Tisch angegeben) aufgestellt; die Versammlungsteilnehmer verteilten Flugzettel an Passanten und Kunden. Es wurden Transparente mit der Aufschrift "Pelzhandel ist Todeshandel" und "Pelz ist Mord - auch bei Hämmerle" verwendet. Weiters wurden Ansprachen mit einem Megafon gehalten, in denen die nicht artgerechte Haltung von Pelztieren angeprangert wurde. Die Versammlungsteilnehmer wurden umgehend von der Behörde aufgefordert, auf den Einsatz des Megafons, dessen Verwendung der Behörde nicht angezeigt wurde, zu verzichten. Dieser Aufforderung kamen die Versammlungsteilnehmer nach.

3. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. Februar 2008 wurden über den Beschwerdeführer gemäß §11 Abs1 und 2 iVm §19 Versammlungsgesetz 1953 (im Weiteren: VersG) zwei Geldstrafen in Höhe von je € 56,- sowie Ersatzfreiheitsstrafen im Ausmaß von je 40 Stunden verhängt. Der Spruch des Straferkenntnisses lautet (auszugsweise) wie folgt:

"Sie haben es als Leiter der Versammlung, welche am 27.10.2007 von 13.20 bis 18.10 Uhr in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 105, zum Thema 'Kundgebung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit' stattfand, unterlassen, 1.) für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung Sorge zu tragen, da während dieser Versammlung von den angezeigten Modalitäten der Versammlung abgewichen wurde, weil keine Versammlung zum Thema 'Für Meinungs- und Versammlungsfreiheit', sondern ausschließlich zu einem anderen Themenbereich (nämlich 'Gegen Pelzverkauf', 'Gegen Pelzhandel' bzw. 'Tierschutz') veranstaltet wurde und von den Versammlungsteilnehmern überdies ein Megaphon verwendet wurde, 2.) haben Sie es als Leiter dieser Versammlung unterlassen, diesen gesetzwidrigen Handlungen sofort entgegenzutreten.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1.)

§11 Abs1 iVm §19 Versammlungsgesetz

2.)

§11 Abs2 iVm §19 Versammlungsgesetz

..."

              4.              Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung vom 15. April 2008 lautet wie folgt:

"In der Strafverfügung vom 12.11.2007 werfen Sie mir vor, dass ich es unterlassen hätte, meinen Pflichten als Versammlungsleiter gesetzmäßig nachzukommen. §11 Absatz 1 Versammlungsgesetz normiert, dass 'für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung zunächst deren Leiter und Ordner Sorge zu tragen haben'.

Der Verwaltungsgerichtshof definiert in seiner Entscheidung 98/01/0213 vom 29.3.2004, dass eine Versammlung gekennzeichnet ist durch eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, die in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.

Worüber tatsächlich debattiert, diskutiert oder manifestiert wird, dh welchen Inhalt, Zweck oder welches Motto die abgehaltene Versammlung tatsächlich hat, liegt im Ausgestaltungsbereich des Kundgebungsleiters und somit in engem Zusammenhang mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art13 StGG sowie Art10 EMRK. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, welches sowohl de[m] Kundgebungsleiter als auch KundgebungsteilnehmerInnen sowie allen übrigen Anwesenden zukommt, kann wohl nicht von der Behörde darin beschnitten werden, dass auf einer Kundgebung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit nur und ausschließlich zu diesem Thema debattiert und diskutiert werden darf, was gleichsam einem Verbot entspricht, auf der Kundgebung über andere Dinge wie zb dem willkürlichem und schikanösem Vorgehen des Büros für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten oder dem schlechten Wetter zu sprechen.

Weiters ist nach wie vor nicht nachvollziehbar wie die Behörde zu der Einschätzung gelangt, dass nur und ausschließlich gegen die Pelzindustrie demonstriert wurde - eine Kundgebung definiert sich durch mehr als nur das den PolizeibeamtInnen vor Ort Hör- und Sichtbare, da eben auch in Kleingruppen debattiert und diskutiert wird. Worin die Behörde die Behauptung untermauert, dass bei dem gemeinsamen Wirken innerhalb und außerhalb der Kundgebung zb mit PassantInnen sich nicht nur über Meinungsfreiheit, sondern auch über die Pelzindustrie ausgetauscht wurde, ist nicht nachvollziehbar.

In de[m] gegenständlichen Straferkenntnis wird aus Keplinger 'Versammlungsrecht, Seite 217' zitiert. Diese Stelle bezieht sich auf eine OGH-Entscheidung aus dem Jahre 1910 (!), als es noch nicht aufgrund politischer und rechtlicher Sachzwänge möglich war, in der Öffentlichkeit der Straße über alles zu reden oder zu debattieren, was heute vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Diese Tatsache ist quasi ein Kind seiner Zeit.

Keplinger 'Versammlungsrecht, Seite 220' sagt dazu, dass 'die Angeklagten als Leiter bzw Ordner der Versammlung (...) gemäß Abs2 des §11 VersG verpflichtet (waren), der gedachten 'gesetzwidrigen Meinungsäußerung' sofort entgegenzutreten usw'. Im Jahre 2008 gibt es nach wie vor 'gesetzwidrige Meinungsäußerungen', zu denken wäre etwa an Meinungsäußerungen betreffend nationalsozialistische Wi[e]derbetätigung, Ruf- und Kreditschädigung, gefährliche Drohungen usw. Allerdings, und hier kann die Behörde kaum gegenteiliger Meinung sein, ist auf der gegenständlichen Versammlung niemals eine 'gesetzwidrige Meinungsäußerung' getätigt worden. Vielleicht wurde aus nicht näher erklärbaren Umständen vom angezeigten Thema minimal abgewichen, um in Diskussion, Manifestation und Debatte wieder auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen - ein Umstand, der den anwesenden BeamtInnen vielleicht gar nicht aufgefallen ist, da sich das äußere Erscheinungsbild der Kundgebung ja nicht wesentlich verändert hat.

Da aber nicht nur äußere Umstände eine Versammlung definieren, sondern auch das gemeinsame Wirken im 'Inneren' eine Versammlung ausmacht, muss eine Kundgebung 'Für Meinungsfreiheit' im Größenschluss eine Versammlung 'Gegen Pelz' miteinschließen. Die veraltete Judikatur aus dem Jahre 1910 ist daher in aller Gründlichkeit zu hinterfragen und im Lichte ihrer Zeit zu sehen. Eine Umlegung 1:1 zur heutigen Situation wäre mehr als nur verfehlt und rechts- sowie gesellschaftspolitisch höchst fatal.

Was die Verwendung des einfachen Hilfsmittels Megaphons betrifft, wird lediglich auf das bereits von mir dazu Ausgeführte verwiesen. Ferner wird ergänzend vorgebracht, dass Versammlungen nach einschlägiger Judikatur höchstens dann als die öffentliche Ordnung störend qualifiziert werden könnten, wenn sie als alleinigen Zweck eine 'Lärmbelästigung' haben, was im gegenständlichen Fall keineswegs der Fall war, da die Verwendung des Megaphons ja nur Mittel zum Zweck, nämlich der Information der PassantInnen udgl war. Die Angabe in der Versammlungsanzeige, dass ein Megaphon verwendet wird, stellt eine freiwillige Zusatzinformation dar und unterliegt keinerlei Bewilligung.

Es wurde weder die öffentliche Ordnung gestört noch in Rechte Dritter so eingegriffen. Die Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit stehen in Verfassungsrang und ich kann nicht erkennen, wo genau die öffentliche Ordnung gestört wurde, als 7 Menschen gegen Pelz protestiert haben.

Ich habe weiters als Versammlungsleiter für die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Versammlung und für die Einhaltung sämtlicher Gesetze gesorgt.

Ich stelle daher den Antrag auf Einstellung des Verfahrens und verbleibe mit freundlichen Grüssen,

..."

5. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (UVS) vom 19. Mai 2008 wurde der Berufung gemäß §66 Abs4 AVG keine Folge gegeben.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Versammlungsfreiheit sowie auf ein faires Verfahren behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Unter einem begehrt der Beschwerdeführer die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung.

Begründend wird in der Beschwerde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"... Die Abweichung von einem in der Versammlungsanmeldung

abgegebenen Thema kann unter keinen Umständen strafbar sein. Einem Versammlungsleiter kommt gegenüber den Teilnehmern an einer Versammlung keine Weisungsbefugnis zu, er kann daher schon aus faktischen Gründen allfällige Abweichungen gar nicht verhindern. Dabei ist zu bemerken, dass - selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass das in der Anzeige angegebene Thema bindend sein soll - auch bei einer allfälligen eigenmächtigen Abweichung der Versammlungsteilnehmer vom angemeldeten Thema von der spontanen Bildung einer neuen Versammlung auszugehen ist, die ihrerseits aufgrund des materiellen Versammlungsbegriffs verfassungsrechtlichen Schutz genießt und für welche der in der ursprünglichen Versammlung angegebene Versammlungsleiter nicht verantwortlich sein kann.

... Nach der Rechtsprechung ist es geradezu

definitionsnotwendig, dass die Versammlungsteilnehmer ihre Meinung auch Dritten gegenüber bekanntgeben. Die Verwendung eines Megafons zu diesem Zweck ist wohl angemessen. Es gibt keine Bewilligungspflicht für die Verwendung derartiger Instrumente, überdies kann der Versammlungsleiter auch nicht wirksam kontrollieren, wer auf der von ihm angemeldeten Versammlung welche Mittel zur Kundgebung verwendet. Es wird noch einmal darauf hingewiesen, dass das Versammlungsrecht ebenso wie das Meinungsäußerungsrecht ein individuelles verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht jedes einzelnen Teilnehmers ist, das nicht durch staatliche Eingriffe genommen werden darf und auch nicht durch privates Einschreiten des Versammlungsleiters. Die belangte Behörde verlangt hier vom Versammlungsleiter de facto, dass dieser eine Art 'Hausrecht' auf der von ihm angemeldeten Versammlung ausübt und andere Versammlungsteilnehmer in der Ausübung ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte beschneidet. Das muss schon daran scheitern, dass dem Versammlungsleiter ein derartiges 'Hausrecht' nach dem Versammlungsgesetz gar nicht zukommt.

... Im Übrigen hat die belangte Behörde die bekämpfte

Entscheidung ohne Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gefällt und sohin das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Bf auf ein faires Verfahren verletzt. Der Bf hat in seiner Berufung ausdrücklich den von der Erstbehörde festgestellten Sachverhalt bestritten und konkretes Vorbringen zum tatsächlichen Vorbehalt erstattet. Es wäre daher zwingend eine mündliche Verhandlung anzuberaumen gewesen."

7. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde - unter Zuerkennung des Vorlageaufwandes - zurückzuweisen. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Jede Verletzung des VersG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, ist als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten (zB VfSlg. 12.257/1990 und die dort zitierte Vorjudikatur, 15.170/1998, 16.842/2003). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. dazu zB VfSlg. 14.365/1995, 14.773/1997, 15.680/1999) kann auch eine Bestrafung wegen Übertretung des VersG in das erwähnte Grundrecht eingreifen. Festzuhalten ist, dass auch das Verhängen einer Verwaltungsstrafe nach anderen Bestimmungen wegen der Veranstaltung einer Versammlung in das Recht auf Versammlungsfreiheit eingreift (vgl. VfSlg. 8685/1979, 11.651/1988, 11.866/1988).

2. Die belangte Behörde begründet ihre Entscheidung - auf das Wesentliche zusammengefasst - damit, dass der Beschwerdeführer als Leiter der Versammlung seinen Pflichten gemäß §11 Abs1 und 2 VersG nicht nachgekommen sei, weshalb diese Übertretungen des VersG nach §19 leg.cit. zu ahnden seien.

Dies wird im angefochtenen Bescheid wie folgt begründet:

"Das Verfahren basiert auf einem Bericht der Sicherheitsdirektion Wien, Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, wonach am 27.10.2007, zwischen 13.20 und

18.10 Uhr, 7 Aktivisten in Wien 6, Mariahilfer Straße 105 (Fa. Hämmerle), eine durch L.H. angemeldete Kundgebung zum Thema:

'Für Meinungs- und Versammlungsfreiheit' abhielten. Dabei wurden Transparente mit der Aufschrift 'Pelzhandel ist Todeshandel' und 'Pelz ist Mord - auch bei Hämmerle' sowie Infotische mit Flyern in einer Entfernung von ca. 5 Metern vor dem Geschäft aufgestellt. Weiters wurden via Megaphon Ansprachen gehalten, die nicht dem Anmeldungsthema entsprachen, sondern lediglich die nicht artgerechte Haltung von Pelztieren anprangerten. Die Leitung der Versammlung

oblag ... dem nunmehrigen Berufungswerber.

...

Gemäß §11 Abs1 Versammlungsgesetz haben für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung zunächst der Leiter und Ordner Sorge zu tragen. Gemäß §11 Abs2 haben sie gesetzwidrigen Äußerungen oder Handlungen sofort entgegenzutreten.

Gemäß §19 Versammlungsgesetz sind Übertretungen dieses

Gesetzes ... mit Arrest bis zu 6 Wochen oder mit Geldstrafe bis zu

360,- € zu ahnden.

In diesem Zusammenhang wird auch auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Straferkenntnis hingewiesen.

Der Berufungswerber bestreitet mit seinem Vorbringen den Sachverhalt nicht, dass nämlich eine Kundgebung gegen Pelzhandel und Pelzverkauf stattgefunden hat, obwohl zunächst eine Kundgebung zum Thema 'Meinungs- und Versammlungsfreiheit' angemeldet wurde, wobei auch ein Megaphon, das als verwendetes Mittel bei der Anzeige der Kundgebung nicht bekanntgegeben wurde, verwendet wurde.

Deshalb sind die dem Berufungswerber zur Last gelegten Übertretungen als erwiesen anzusehen und ist der Berufung keine Folge zu geben sowie der erstinstanzliche Schuldspruch zu bestätigen."

3. Damit ist die Behörde im Ergebnis im Recht:

3.1. Gemäß §2 Abs1 VersG obliegt dem Veranstalter einer Versammlung im Vorfeld die Verpflichtung, der Behörde die beabsichtigte Durchführung einer Versammlung wenigstens 24 Stunden vor ihrer Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung schriftlich anzuzeigen. Der Veranstalter hat auch die etwaige Unvollständigkeit einer Versammlungsanzeige zu vertreten (VfSlg. 11.866/1988 und 11.904/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 11.904/1988 ausgeführt hat, muss eine Versammlungsanzeige ausreichend präzisiert werden, um der Behörde einerseits die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein Untersagungsgrund nach §6 VersG vorliegt, und um andererseits zu gewährleisten, dass die Behörde die allenfalls für die reibungslose Durchführung der Versammlung erforderlichen Vorkehrungen (etwa Verkehrsumleitungen, Schutz vor Gegendemonstrationen) treffen kann.

Die Versammlungsanzeige ist sohin die Grundlage für die Prognoseentscheidung der Behörde, die nachvollziehbar zu treffen der Verfassungsgerichtshof stets für geboten erachtet hat. In seinem Erkenntnis VfSlg. 17.120/2004 heißt es dazu wörtlich wie folgt:

"Dabei hat die Behörde bei ihrer Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat."

Dass gemäß §2 Abs1 VersG - für die Erstellung der Prognose - hinreichend präzise Angaben über die beabsichtigte Versammlung erforderlich sind, stößt auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

3.2. Es wirft auch keine Bedenken auf, wenn der Gesetzgeber Mitwirkungspflichten des Veranstalters und des Leiters einer Versammlung vorsieht. Im Erkenntnis VfSlg. 14.869/1997 hat der Verfassungsgerichtshof zu §11 VersG u.a. Folgendes ausgeführt:

"b) Aus §11 VersG 1953 ergibt sich die (unter Verwaltungsstrafsanktion stehende) - primär den Leiter der Versammlung treffende - Pflicht, für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung zu sorgen; dies auch dann, wenn es sich - wie hier - um eine allgemein zugängliche, unter freiem Himmel stattfindende Versammlung handelt.

...

Diese Regelung liegt auch im Interesse der Versammlungsfreiheit. Solange nämlich der Leiter und die Ordner ihren Aufgaben nachkommen, bleibt die Wahrung des Gesetzes und die Aufrechterhaltung der Ordnung im autonomen Bereich des Versammlungsveranstalters.

... Der Veranstalter und Leiter einer Versammlung hat die

Pflicht, alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um deren legalen Verlauf zu sichern. Er hat sich ernsthaft darum zu bemühen, daß die Versammlung gesetzmäßig abläuft und daß Rechte und Freiheiten von Personen, die nicht an der Versammlung teilnehmen, möglichst wenig beeinträchtigt werden, daß also die Versammlungsfreiheit nicht zu Lasten Dritter mißbraucht wird."

3.3. Der Beschwerdeführer war Leiter der Versammlung und daher auch für die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung verantwortlich. Dazu gehört insbesondere die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass die Versammlung in der angezeigten Form abgehalten wird und von den angezeigten Modalitäten nicht derart abgewichen wird, dass eine Versammlung stattfindet, die der Behörde - in dieser Form - nie angezeigt wurde (s. etwa Keplinger, Versammlungsrecht, 2002, §11 A.5.1.).

Der Beschwerdeführer hat es als Leiter der Versammlung zu verantworten, dass das Thema der Kundgebung sowie einzelne Modalitäten - nämlich verwendete Hilfsmittel - nicht der Versammlungsanzeige entsprachen.

Aus dem Beschwerdevorbringen, dass bei allfälligen Abweichungen vom ursprünglich angezeigten Versammlungsthema von der "spontanen Bildung einer neuen Versammlung" auszugehen sei, ist angesichts des vorliegenden Sachverhalts nichts zu gewinnen. Die belangte Behörde, die lediglich zu beurteilen hatte, ob die abgehaltene Versammlung mit den Angaben in der Versammlungsanzeige übereinstimmte, konnte mit Blick auf den gewählten Versammlungsort und die von den Versammlungsteilnehmern mitgebrachten Transparente und Hilfsmittel nämlich davon ausgehen, dass die Versammlung schon zum Zeitpunkt ihrer Anzeige in der schließlich durchgeführten Form geplant war. Unter Zugrundelegung dieser Gesamtbeurteilung gelangte der UVS daher zu Recht zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer seinen Pflichten als Versammlungsleiter nicht nachgekommen ist.

4.1. Der UVS hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof gegen §51e Abs3 VStG, dessen Anwendung im vorliegenden Fall in Betracht käme, keine Bedenken hegt (vgl. dazu VfSlg. 16.624/2002).

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.624/2002 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ausgesprochen hat, wird den Verfahrensgarantien des Art6 EMRK nur durch ein Tribunal entsprochen, das über volle Kognitionsbefugnis sowohl im Tatsachen- als auch im Rechtsfragenbereich verfügt. Da dem Verwaltungsgerichtshof - wie der EGMR im Fall Gradinger (23.10.1995, Appl. 15.963/90, ÖJZ 1995, 954) festgestellt hat - im Gegensatz zum UVS keine volle Kognitionsbefugnis im Tatsachenbereich zukommt, muss die Verfahrensgarantie der mündlichen Verhandlung vom UVS erfüllt werden (vgl. dazu auch EGMR 20.12.2001, Fall Baischer, Appl. 32.381/96, ÖJZ 2002, 394 [Z28 bis 30]).

4.2. In einem Strafverfahren, in dem nur eine Instanz alle Anforderungen des Art6 EMRK erfüllt, hat nach der Rechtsprechung des EGMR das durch Art6 Abs1 EMRK garantierte Recht "gehört zu werden" ein Recht auf eine mündliche Verhandlung zur Folge, es sei denn, es gibt besondere Umstände, die es rechtfertigen, von einer solchen Verhandlung abzusehen (so etwa EGMR 21.2.1990, Fall Håkansson und Sturesson, Appl. 11.855/85, Rn. 64; 23.2.1994, Fall Fredin [Nr. 2], Appl. 18.928/91, Rn. 21-22; 19.2.1998, Fall Allan Jacobsson [Nr. 2], Appl. 16.970/90, Rn. 46; 23.11.2006, Fall Jussila, Appl. 73.053/01, ecolex 2007, 565).

Solche besonderen Umstände können unter anderem darin bestehen, dass der Sachverhalt unbestritten ist und ein Tribunal nur aufgerufen ist, über Rechtsfragen von nicht besonderer Komplexität zu entscheiden (EGMR 5.9.2002, Fall Speil, Appl. 42.057/98, ÖJZ 2003, 117; 20.11.2003, Fall Faugel, Appl. 58.647/00 und 58.649/00, ÖJZ 2004, 437; 24.3.2005, Fall Osinger, Appl. 54.645/00, ÖJZ 2006, 255). Auch ist es zulässig, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen an innerstaatliche Behörden in Betracht zu ziehen (zB EGMR 5.9.2002, Fall Speil, Appl. 42.057/98, ÖJZ 2003, 117; 20.11.2003, Fall Faugel, Appl. 58.647/00 und 58.649/00, ÖJZ 2004, 437) und die Geringfügigkeit der finanziellen Auswirkungen zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa EGMR 23.11.2006, Fall Jussila, Appl. 73.053/01, ecolex 2007, 565).

4.3. Im vorliegenden Fall hat der - nicht rechtsfreundlich vertretene - Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim UVS weder beantragt noch ausdrücklich darauf verzichtet.

Allerdings konnte der UVS von einem - im entscheidungswesentlichen Punkt - unstrittigen und nicht weiter erörterungsbedürftigen Sachverhalt ausgehen und hatte sodann lediglich eine Rechtsfrage von nicht besonderer Komplexität zu entscheiden:

Wie bereits dargestellt, wurde der Bundespolizeidirektion Wien die beabsichtigte Abhaltung einer Versammlung am 27. Oktober 2007 zum Thema "Kundgebung für Meinungs- und Versammlungsfreiheit" angezeigt.

Soweit es der Beschwerdeführer in seiner an den UVS gerichteten Berufung vom 15. April 2008 für nicht nachvollziehbar erachtete, "wie die Behörde zu der Einschätzung gelangt, dass nur und ausschließlich gegen die Pelzindustrie demonstriert wurde ...", und "wo genau die öffentliche Ordnung gestört wurde, als 7 Menschen gegen Pelz protestiert haben", gesteht er damit aber selbst zu, dass vom angezeigten Thema der Versammlung in einer - angesichts des Versammlungsortes in unmittelbarer Nähe zu einem Bekleidungsgeschäft sowie der mitgebrachten Transparente und verwendeten Hilfsmittel - wesentlichen Weise abgewichen wurde. Das Vorbringen, die Verwendung des Megafons sei lediglich "Mittel zum Zweck" gewesen, erhellt, dass auch der Einsatz dieses Hilfsmittels vom Beschwerdeführer nicht bestritten wurde. Darüber hinaus richtete sich die Berufung ausschließlich gegen die rechtliche Beurteilung der Behörde (vgl. dazu auch §51e Abs3 Z1 VStG).

Damit konnte es der UVS - im Zusammenhalt mit dem Akteninhalt (zB Bericht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien über verwendete Transparente und gehaltene Ansprachen) - aber als erwiesen annehmen, dass das Thema der Kundgebung sowie einzelne Modalitäten nicht der Versammlungsanzeige entsprachen.

Bei einer Gesamtwürdigung der vom UVS zu beurteilenden Sach- und Rechtslage (geklärter Sachverhalt, keine komplexen Rechtsfragen) und unter Bedachtnahme auf die geringe Geldstrafe sowie seine Verpflichtung zu Effizienz und Wirtschaftlichkeit konnte der UVS daher zu Recht von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung absehen.

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Im Hinblick darauf, dass die Behörde rechtsrichtig entschieden hat und dass gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Da somit die vom Einschreiter beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof offenbar aussichtslos erscheint, musste sein unter einem mit der Beschwerde gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).

III. 1. Dem Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Kosten als Ersatz des Vorlageaufwandes war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (s. dazu etwa VfSlg. 17.873/2006 mwN).

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG bzw. §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht, Verwaltungsstrafrecht, Strafe,Verwaltungsverfahren, Verhandlung mündliche, VfGH / Verfahrenshilfe,VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:B1284.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten