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82/05 Lebensmittelrecht;Norm
LMG 1975 §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde der S Gesellschaft mbH in Heilbronn, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Schönherr, Barfuss, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz vom 19. Februar 1999, Zl. 332.153/0-VI/B/12/99, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens eines als diätetisches Lebensmittel angemeldeten Produktes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem bei der belangten Behörde am 25. November 1998 eingelangten Schriftsatz vom 16. Oktober 1998 meldete die Beschwerdeführerin das Produkt "Dextro neonat" unter Vorlage von Etiketten für den Versandkarton und das Portionsfläschchen, der Gebrauchsinformation, Kopien von Publikationen sowie eines Analyse-Zertifikats gemäß § 17 Abs. 2 LMG als diätetisches Lebensmittel an. Der Aufmachung des Produktes zufolge handelt es sich dabei um eine "25 %ige Glucose-Saccharid-Lösung zur oralen Glucose-Substitution in der Neugeborenenperiode". Die Gebrauchsinformation unterscheidet bei der Dosierung der zu verabreichenden Gaben zwischen "reifen Neugeborenen", "jungen Frühgeborenen" und "älteren Frühgeborenen". Die Beschwerdeführerin führte in ihrer Anmeldung erläuternd aus, dass durch eine ausreichende perorale Glucose-Sacharid-Zufuhr in Form von Dextro neonat die Hypoglykämiezustände und deren fatale Folgen für das Überleben und für die Entwicklung der Säuglinge vermieden werden könnten. Seit 1972 werde Dextro neonat in Deutschland in den Kinderkliniken und in den geburtshilflichen Abteilungen der Krankenhäuser zur oralen Glucose-Substitution bei Hypoglykämiezuständen in der Neugeborenenperiode verwendet; es habe sich in dieser Zeit bestens bewährt.
Die belangte Behörde holte die Stellungnahme eines Amtssachverständigen ein. Dieser führte in Ansehung "reifer Neugeborener" aus, nach den - auf näher dargestellter wissenschaftlicher Grundlage beruhenden - "Leitlinien zur Betreuung des gesunden Neugeborenen" sei die Zufütterung von 5 %iger Glucoselösung, Maltodextrin oder zuckerfreiem Tee zwar lange Zeit propagiert, aber nie ausreichend belegt worden. Sie werde heute in der Regel als überflüssig und in Bezug auf die Stillfähigkeit und die physiologischen Regulationsmechanismen des Wasser- und Glucosehaushaltes sowie die Höhe des Bilirubinspiegels in den ersten zwei bis drei Tagen sogar als nachteilig angesehen. Komme es bis zum 4. Lebenstag zu keiner nennenswerten Milchsekretion oder erreiche der Gewichtsverlust mehr als 10 %, so werde die passagere Zufütterung von Tee oder Primergen, ein milchfreies Supplement, bestehend lediglich aus Aminosäuren, empfohlen. In Ansehung "Frühgeborener" wurde - gestützt auf näher beschriebene wissenschaftliche Empfehlungen - ausgeführt, hypoglykämiegefährdete Neugeborene müssten möglichst bald nach der Geburt ernährt werden. Die Frühernährung setze sich grundsätzlich zusammen aus einer meist parenteral vorgenommenen Nährstoffzufuhr (am Anfang hauptsächlich Glucose) plus einer möglichst frühzeitig einsetzenden oral-enteralen Ernährung. Lediglich bei Kindern schlecht eingestellter Diabetikerinnen käme im Einzelfall der Einsatz einer oralen Kohlenhydratlösung in Frage, wobei sich niederprozentige Maltodextrinlösungen bewährt hätten. Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass das verfahrensgegenständliche Produkt für den angegebenen diätetischen Zweck nicht geeignet sei.
In ihrer im Rahmen des Parteiengehörs erstatteten Stellungnahme brachte die Beschwerdeführerin vor, die diätetische Zweckbestimmung des angemeldeten Produktes sei die "orale Glucose-Substitution in der Neugeborenenperiode". Die orale Glucose-Substitution sei in der Neugeborenenperiode immer dann angezeigt, wenn die Gefahr einer Hypoglykämie bestehe. Die orale Glucose-Substitution sei für ein Neugeborenes physiologisch und daher weniger belastend durchzuführen als eine parenterale Glucose-Substitution. Der amtssachverständigen Stellungnahme könne nicht entnommen werden, warum Dextro neonat für den angegebenen diätetischen Zweck nicht geeignet sein solle. Insbesondere könne dieser Stellungnahme nicht entnommen werden, dass Dextro neonat bei Gefahr einer Hypoglykämie nicht erfolgreich eingesetzt werden könne. Vielmehr werde bestätigt, dass eine Glucose-Substitution bei hypoglykämiegefährdeten Neugeborenen üblich sei. In den betroffenen Fachkreisen sei bekannt, dass beim Ausschleichen aus der parenteralen Glucose-Zufuhr bzw. bei der möglichst frühzeitig einsetzenden oral-enteralen Ernährung eine orale Glucose-Substitution erforderlich werde bzw. ein fester Bestandteil der bedarfsgerechten Nährstoffzufuhr sein müsse. Sofern im Einzelfall eine niedrigprozentige Kohlenhydratlösung ernährungsmedizinisch erforderlich werde, sei es überhaupt kein Problem, Dextro-neonat mit Wasser entsprechend zu verdünnen. Zusammenfassend ergebe sich also, dass das angemeldete Produkt für die Glucose-Substitution - vor allem im Sinne der amtssachverständigen Ausführungen zu hypoglykämiegefährdeten Neugeborenen - geeignet sei.
Mit Bescheid vom 19. Februar 1999 untersagte die belangte Behörde gemäß § 17 Abs. 4 LMG das Inverkehrbringen des von der Beschwerdeführerin angemeldeten Produktes als diätetisches Lebensmittel. Begründend wurde unter Hinweis auf die amtssachverständigen Ausführungen dargelegt, das angemeldete Produkt sei für den diätetischen Zweck nicht geeignet. Im Übrigen habe es die Beschwerdeführerin trotz gebotener Gelegenheit unterlassen, innerhalb der ihr hiefür gesetzten Frist zum Amtssachverständigengutachten Stellung zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 Lebensmittelgesetz 1975 (LMG) sind diätetische Lebensmittel Lebensmittel besonderer Beschaffenheit, die für bestimmte Gruppen von Verbrauchern zu dem Zweck hergestellt wurden,
a) die Zufuhr bestimmter Nährstoffe oder anderer ernährungsphysiologisch wirkender Stoffe zu steigern oder zu verringern oder
b) besonderen Ernährungsbedürfnissen oder Krankheiten, Mangelerscheinungen, Funktionsanomalien und bei Überempfindlichkeit gegen einzelne Lebensmittel oder deren Bestandteile, während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie des Säuglings oder Kleinkindes Rechnung zu tragen,
und die sich dadurch von Lebensmitteln vergleichbarer Art unterscheiden. Wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck sind keine nach § 9 Abs. 1 verbotenen Bezeichnungen.
Gemäß § 17 Abs. 2 LMG ist es verboten, Lebensmittel unter einer Aufmachung oder unter Verwendung von Bezeichnungen, die die Eignung des Lebensmittels i.S.d. Abs. 1 dartun, vor ihrer Anmeldung beim Bundeskanzleramt in Verkehr zu bringen.
Gemäß § 17 Abs. 4 LMG ist das Inverkehrbringen einer als diätetisches Lebensmittel angemeldeten Ware durch Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn die Ware den im Abs. 1 angeführten Anforderungen nicht entspricht oder für den vorgesehenen diätetischen Zweck nicht geeignet ist.
Gemäß § 17 Abs. 5 LMG sind mit der Anmeldung Warenmuster und jene Unterlagen vorzulegen, die eine Beurteilung i.S.d. Abs. 1 ermöglichen.
Einem Produkt kommt die Eigenschaft eines diätetischen Lebensmittels somit zu, wenn
a) die Lebensmitteleigenschaft im Sinne der Begriffsbestimmung des § 2 LMG gegeben ist,
b) eine besondere Beschaffenheit vorliegt, durch die sich das Lebensmittel signifikant von anderen ("gewöhnlichen") Lebensmitteln unterscheidet,
c) für bestimmte, nämlich die im § 17 Abs. 1 lit. a und b LMG beschriebenen Zwecke hergestellt wird, was
d) eine besondere Eignung für eine bestimmte Verbrauchergruppe bewirkt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1999, Zl. 98/10/0350, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Dem angefochtenen Bescheid liegt die auf sachverständiger Basis gewonnene Auffassung zu Grunde, das von der Beschwerdeführerin als diätetisches Lebensmittel angemeldete Produkt sei für den angegebenen diätetischen Zweck ("orale Glucose-Substitution in der Neugeborenenperiode") nicht geeignet. Da "reife Neugeborene" keiner Zufütterung mit Glucose bedürften, könne das darauf abzielende Produkt der Beschwerdeführerin den besonderen Ernährungsbedürfnissen dieser Verbrauchergruppe auch nicht Rechnung tragen; lediglich bei hypoglykämiegefährdeten "Frühgeborenen" komme eine orale Glucose-Zufuhr in Betracht.
Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, das verfahrensgegenständliche Produkt sei für die Ernährungserfordernisse gesunder Säuglinge bestimmt. Es werde in Deutschland seit 1972 zur oralen Glucose-Substitution bei Hypoglykämiezuständen in der Neugeborenenperiode verwendet und habe sich dabei bestens bewährt. Warum dieses Produkt für "reife Neugeborene" nachteilig sein solle, werde im angefochtenen Bescheid nicht näher begründet. Die belangte Behörde übersehe den - von der Beschwerdeführerin einem näher beschriebenen "Klinikleitfaden Pädiatrie" entnommenen - medizinischen Grundsatz, "Hypoglykämie gar nicht erst entstehen zu lassen", dem durch die Empfehlung einer Frühfütterung von Risikokindern mit Glucose 5 % oder Dextro-neonat (5 - 10 ml alle drei Stunden) Rechnung getragen werde. Es wäre nämlich ein folgenschwerer Fehler, würde man einfach zusehen und Hypoglykämien, denen durch Zufütterung mit Dextro neonat vorgebeugt werden könne, entstehen lassen, um diese dann mit parenteraler Glucosezufuhr wieder in den Griff zu bekommen. Im Sinne dieses Erfordernisses sei Dextro neonat vor fast dreißig Jahren auf Grund von Anfragen von Kliniken konzipiert, geprüft und für den diätetischen Zweck, dem besonderen Ernährungsbedürfnis zur Vorbeugung von Glucosemangelerscheinungen (Hypoglykämie) des Säuglings Rechnung zu tragen, als tauglich anerkannt worden.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit in der Beurteilung der belangten Behörde, das angemeldete Produkt sei für den von der Beschwerdeführerin angegebenen diätetischen Zweck nicht im Sinne des § 17 Abs. 4 LMG (bzw. des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind) geeignet, nicht auf; geht sie doch selbst davon aus, dass das angemeldete Produkt den besonderen Ernährungsbedürfnissen von Säuglingen nur unter bestimmten Umständen, nämlich bei Hypoglykämiezuständen in der Neugeborenenperiode bzw. zur Vorbeugung von Hypoglykämie bei Risikokindern Rechnung trage. Dass jedoch entsprechend dem von der Beschwerdeführerin angegebenen diätetischen Zweck die Zufütterung mit einer Glucose-Lösung geeignet sei, auch den Ernährungsbedürfnissen des "reifen Neugeborenen" im Allgemeinen Rechnung zu tragen, wird selbst in der vorliegenden Beschwerde nicht dargelegt.
Zwar trifft der Beschwerdevorwurf, die Beschwerdeführerin habe im Gegensatz zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid zum Gutachten des Amtssachverständigen eine Stellungnahme erstattet und in dieser darauf hingewiesen, dass das von ihr angemeldete Produkt für die Glucose-Substitution bei hypoglykämiegefährdeten Neugeborenen geeignet sei, nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten zu. Der damit aufgezeigte Verfahrensmangel ist allerdings nicht wesentlich im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG, weil die Beschwerdeführerin in der erwähnten Stellungnahme den amtssachverständigen Ausführungen weder auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist, noch konkret Umstände dargetan hat, denen zufolge durch Zufütterung mit einer Glucose-Lösung den Ernährungsbedürfnissen (auch) des "reifen Neugeborenen" im Allgemeinen Rechnung getragen werde.
Auch in Ansehung des weiteren Beschwerdevorwurfes, die belangte Behörde habe sich mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Studien nicht auseinander gesetzt, hat die Beschwerdeführerin die Wesentlichkeit des damit geltend gemachten Verfahrensmangels im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG nicht aufgezeigt. Dass mit Dextro neonat (wie die Beschwerdeführerin vorbringt) versuchsweise eine signifikante Erhöhung der Blutglucose- sowie eine signifikante Erniedrigung der Serumbilirubin-Verlaufskurven habe festgestellt werden können, besagt nämlich für sich noch nichts über die Ernährungsbedürfnisse des "reifen Neugeborenen" bzw. über die Eignung des angemeldeten Produkts, diesen Rechnung zu tragen.
Die belangte Behörde konnte auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens daher zu Recht davon ausgehen, dass dem von der Beschwerdeführerin angemeldeten Produkt die Eignung für den angegebenen diätetischen Zweck mangelt.
Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. März 2001
Dr. Jabloner
MMag. Zavadil
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999100049.X00Im RIS seit
10.05.2001