TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/08 S4 400048-1/2008

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Veröffentlicht am 08.07.2008
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Spruch

GZ: S4 400.048-1/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde des J.I., geb. 00.00.1986, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.6.2008, Zahl 08 03.267-EAST-WEST, gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 61 Abs. 3 Z 1 lit b des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Russland, stammt aus Tschetschenien und ist von Weißrussland kommend über Polen, wo er am 13.3.2008 einen Asylantrag gestellt hatte (vgl. Eurodac-Treffer Aktenseite 19), eigenen Angaben zufolge (vgl. AS 101 erster Abs.) noch im März 2008 ins Bundesgebiet eingereist. Am 10.4.2008 stellte der Asylwerber schließlich in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Polen hat sich mit Fax vom 16.4.2008, datiert 15.4.2008, (Aktenseite 63) bereit erklärt, den Asylwerber gem. Art. 16 Abs. 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt erklärte der Antragsteller nach Vorhalt, dass Polen zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass er nicht nach Polen zurückkehren könne, da er Probleme mit den Leuten des Kadyrow habe, die nunmehr auch in Polen seien. Er habe zu Hause gehört, dass "Leute von Leuten des Kadyrow" (in Polen) geschlagen worden seien; konkrete Fälle, dass etwa Leute nach Tschetschenien zurückverschleppt worden seien, kenne er aber nicht. Weiters würden ein Bruder, zu dem er jedoch (vor seiner Einreise in Österreich) seit ca. 6 Jahren keinen Kontakt gehabt habe, und eine Schwester, zu der er seit ca. 4 Jahren keinen Kontakt gehabt habe, in Österreich wohnen.

 

Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.6.2008, Zahl 08 03.267-EAST-WEST, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber fristgerecht Beschwerde erhoben und hiebei im Wesentlichen geltend gemacht, dass

 

der angefochtene Bescheid am 9.6.2008, sohin nach Ablauf der in § 28 Abs. 2 AsylG normierten Frist von 20 Tagen erlassen worden sei, sodass sein Antrag zuzulassen sei.

 

Weiters führte er aus, dass er im Falle seiner Ausweisung nach Polen eine Trennung von seinen Geschwistern befürchte, er sei von seinem Bruder immer nach Kräften unterstützt worden und habe auch während der letzten 6 Jahre telefonischen Kontakt zu seinem Bruder gehabt, auch sei er von diesem finanziell unterstützt worden. Seit seiner Ankunft in Vorarlberg bestehe ein intensives Familienleben mit seinen Geschwistern und deren Familien.

 

Es sei ihm auch nicht erklärlich, warum vom untersuchenden Arzt (Anmerkung: Facharzt für Psychiatrie und Neurologie) in seinem Fall zwar der Verdacht auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, aber keine schweren psychischen Störungen, die im Falle einer Überstellung nach Polen eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirken würden, festgestellt worden seien.

 

Schließlich habe die Behörde nicht geprüft, ob ihm in Polen Kettenabschiebung (in den Herkunftsstaat) drohe, und sei in Polen eine allfällige medizinische Versorgung nicht gewährleistet; weiters gerieten Tschetschenen, denen in Polen nur eine Duldung zuerkannt worden sei, in eine existenzielle Notlage.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asygerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Polen hat auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) akzeptiert, den Asylwerber wieder aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Bereits das Bundesasylamt hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, darunter auch Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, der Vollzugspraxis in Bezug auf ethnische Tschetschenen und zur medizinischen Behandlungsmöglichkeit von Asylwerbern in Polen, sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage rechtsrichtig ausgeführt. Der Asylgerichtshof schließt sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid hinsichtlich beider Spruchpunkte vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

 

Zunächst kann den Beschwerdeausführungen, wonach das Verfahren aufgrund des Ablaufes der in § 28 Abs. 2 AsylG normierten Frist von 20 Tagen zuzulassen wäre, nicht gefolgt werden:

 

§ 28 Abs. 2 AsylG lautet wie folgt:

 

(2) Entscheidet das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringen des Antrags auf internationalen Schutz, dass der Antrag zurückzuweisen ist, ist der Antrag zuzulassen, es sei denn es werden Konsultationen gemäß der Dublin - Verordnung oder eines Vertrages über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz geführt. Das Führen solcher Konsultationen ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen. Diesfalls gilt die 20-Tages-Frist nicht. Diese gilt überdies nicht, wenn der Asylwerber am Verfahren nicht mitwirkt, dieses gegenstandslos wird oder er sich diesem entzieht. Ist der Asylwerber aus in seiner Person gelegenen Gründen nicht in der Lage, am Verfahren mitzuwirken, ist der Lauf der Frist nach Satz 1 gehemmt.

 

§ 17 Abs. 1 und 2 AsylG lauten wie folgt:

 

(1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist gestellt, wenn ein Fremder in Österreich vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, einer Sicherheitsbehörde oder bei einer Erstaufnahmestelle (§59) um Schutz vor Verfolgung ersucht.

 

(2) Der Antrag auf internationalen Schutz ist eingebracht, wenn er vom Fremden persönlich - auch im Rahmen einer Vorführung (§43 Abs. 2) - bei der Erstaufnahmestelle (§59) gestellt wird.

 

Dem Asylwerber wurde nachweislich am 25.4.2008 mitgeteilt, dass seit 14.4.2008 Dublin-Konsultationen mit Polen geführt werden (AS 71 und 73), sodass angesichts der Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz mit seinem persönlichen Erscheinen bei der Erstaufnahmestelle West am 5.5.2008 (AS 89) dem Asylwerber das Führen solcher Konsultation sogar vor Beginn der in § 28 Abs. 2 normierten 20-Tages-Frist, die mit dem Einbringen des Antrages beginnt, mitgeteilt worden ist. Der Asylwerber war somit jedenfalls auch innerhalb der 20-Tages-Frist in Kenntnis, dass Konsultationen geführt werden, sodass diese Frist gem. § 28 Abs. 2 dritter Satz AsylG nicht gilt.

 

Soweit der Asylwerber in seiner Beschwerde geltend macht, dass er traumatisiert sei und in Polen keine ausreichende Behandlung erlangen könnte, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich bereits aus den umfassenden Feststellungen zur Versorgung bzw. Betreuung von Asylwerbern im angefochtenen Bescheid ergibt, dass in Polen medizinische Versorgung von traumatisierten Asylwerbern gegeben ist (konkret etwa Seiten 15 bis 19 des angefochtenen Bescheides). Der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass sich im Verfahren nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohenden Krankheit (im Endstadium), die überdies in Polen nicht behandelbar wäre, leidet, sodass nach der strengen Judikatur des EGMR zu Art. 3 EMRK seine Überstellung nach Polen nicht einmal ansatzweise eine für eine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 EMRK relevante Gravität erreicht.

 

Desgleichen ergibt sich aus den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, dass UNHCR seit 2004 keine Fälle bekannt sind, dass Tschetschenen aus Polen abgeschoben worden wären, und dass Polen Tschetschenen regelmäßig subsidiären Schutz (tolerated stay) gewährt (Seite 22 des angefochtenen Bescheides), sodass der Einwand, es sei nicht geprüft worden, ob ihm in Polen Kettenabschiebung drohe, nicht nachvollziehbar ist. Weiters gibt es - wie ebenfalls erstinstanzlich bereits ausgeführt - in Polen für subsidiär Schutzberechtigte auch ein Sozialhilfesystem und haben diese auch Zugang zum Arbeitsmarkt (!), sodass dieser Personenkreis zweifellos auch eine Existenzgrundlage hat, und ist Polen als Mitgliedstaat der EU selbstverständlich auch in der Lage und willens vor allfälligen Übergriffen Privater, wie sie der Beschwerdeführer etwa durch in Polen aufhältige "Leute des Kadyrow" befürchtet, effektiv Schutz zu bieten. Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Antragsteller in Polen selbst einer unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sind vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen somit letztlich ebenso wenig vorhanden, wie dass ihm Polen entsprechenden Schutz versagen würde, sofern ihm im Heimatstaat unmenschliche Behandlung drohen würde.

 

Letztlich ist es dem Asylwerber auch nicht gelungen, ein so besonders enges familiäres Band zwischen ihm und seinen Geschwistern, zu denen er in den letzten 4 bis 6 Jahren lediglich fallweise telefonischen Kontakt gehabt hat, aufzuzeigen, dass im Falle seiner Ausweisung von einem unzulässigen Eingriff in sein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK gesprochen werden müsste. Der Einwand des Asylwerbers in der Beschwerde, dass er seit seiner Ankunft in Vorarlberg mit seinen Geschwistern und deren Familien ein "intensives" Privat und Familienleben führe, wird dadurch relativiert, dass der Asylwerber in Vorarlberg niemals gemeldet war, sondern vielmehr von 10.4.2008 bis dato in Oberösterreich gemeldet ist und jedenfalls noch am 10.6.2008 tatsächlich dortaufhältig war (vgl. AS 255 - Übernahme des angefochtenen Bescheides), und somit eine besonders enge familäre Verbundenheit schon aufgrund der Kürze einer allfälligen Nahebeziehung (nach dem 10.6.2008) nicht erkannt werden kann.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, Traumatisierung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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