S6 319826-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Spruch
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Singer als Einzelrichter über die Berufung der K.B., geb. am 00.00.1982, STA Russische Förderation gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.05.2008, Zahl 08 03.461-EAST-Ost, zu Recht erkannt:
Die Berufung wird gemäß §§ 5,10 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Förderation, ist am 15.04.2008 in Polen und am 17.04.2008 vom Flüchtlingslager P. per Autostopp über Tschechien illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und brachte am selben Tag in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein. Am 17.04.2008 fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Traiskirchen eine Erstbefragung sowie am 30.05.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, in Gegenwart eines Rechtsberaters statt.
Am 18.04.2008 richtete das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Aufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (DublinII), welches am selben Tag elektronisch über Dubli NET übermittelt wurde (siehe AS 39-47 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).
Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen gemäß § 28 Abs. 2
2. Satz AsylG wurde der Beschwerdeführerin am 21.04.2008, sohin innerhalb der 20-Tagefrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.
Die nunmehrige Beschwerdeführerin brachte im Verfahren folgenden Sachverhalt vor:
Sie wolle nicht nach Polen zurück, da sie sich dort fürchte, weil ihre Bekannte "R." von einer russischen Gruppierung aus Tschetschenien im Flüchtlingslager P. geschlagen, und nach ihrem Aufenthalt befragt worden sei. Sie selbst hätte den Vorfall nicht persönlich miterlebt. Darüber hinaus hätte sie im Flüchtlingslager T. und später P. einen Angehörigen eben dieser Gruppierung gesehen. Diese Gruppierung war es auch, die sie 3 Monate vor ihrer Ausreise aus Tschetschenien mitgenommen hätten, einer davon hätte sie vergewaltigt, nämlich jener, den sie in den beiden Lagern gesehen hätte.
Sie führte des weiteren aus, dass sie nicht sitzen und nicht gehen könne, dass sie nur schwer atmen könne und an der Wirbelsäule operiert werden müsste. Im Rahmen dieser Einvernahme wurden der Beschwerdeführerin auch aktuelle und objektive Feststellungen über das Asylverfahren in Polen vorgehalten (vgl. AS 79-83 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)
Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 31.05.2008, Zl. 08 03.461-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei. Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes, der Ausweisung und zur Versorgung von Asylwerbern in Polen.
Mit Erklärung vom 21.04.2008 (eingelangt in der EAST-Ost am 23.04.2008) erklärte sich Polen gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO für zuständig.
Beweiswürdigend wurde seitens der Erstbehörde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächliche Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu sein oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 16.06.2008 Beschwerde erhoben. Darin wird im Wesentlichen behauptet, dass sie als ethnische Tschetschenin nicht den benötigten Schutz in Polen bekäme und eine Abschiebung in ihre Heimat drohen würde. Weiters, dass sie ein Vergewaltigungsopfer sei, an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an anderen schwerwiegenden Krankheiten leide. Es gäbe nach Darstellung der Beschwerdeführerin in Polen keine ausreichenden medizinischen bzw. psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. Die Bf führte aus, dass es bei einer Überstellung nach Polen zu einer Retraumatisierung kommen würde. Außerdem würde eine Verletzung von Artikel 8 EMRK vorliegen.
Die gegenständliche Beschwerde langte am 18.06.2008 beim Asylgerichtshof ein.
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, insbesondere in erkennungsdienstliche Daten, Niederschriften über die Einvernahme der Bf vom 17.04.2008, Polizeiinspektion Traiskirchen, und vom 30.05.2008, Bundesasylamt, sowie in die gutachterliche Stellungnahme und Untersuchung der Bf durch Dr. I.H. vom 20.05.2008, Befund von Dr. M.F. vom 21.05.2008, Mitteilung des Department for refugee proceedings der Republik Polen vom 21.04.2008 zur Übernahme der Bf gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II), sowie Bescheid vom 21.05.2008 der erstinstanzlichen Behörde sowie Berufung der Bf.
Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates lautet, wie folgt:
"Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig."
Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin legal von einem Drittland kommend nach Polen eingereist und dann illegal nach Österreich gereist, sodass gem. Art. 13 Polen zur Prüfung ihres Asylantrages zuständig ist.
Gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates ist der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag sich noch im Prüfungsstadium befindet und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Artikel 20 wieder aufzunehmen.
Die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates ist gemäß ihrem Art. 29 auf Asylanträge anwendbar, die ab 01.09.2003 gestellt werden.
Dem Bundesasylamt ist daher beizupflichten, dass der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückzuweisen ist. Denn einerseits ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Polens gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates. Andererseits kann aus folgenden Gründen nicht angenommen werden, dass Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Gebrauch zu machen:
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Von der Tatsache, dass die Bf nur einen Tag in Polen aufhältig war (dies in zwei unterschiedlichen Flüchtlingslagern) kann ob dieser Kürze nichts über die Frage festgestellt werde, ob es eine reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes gegeben hat.
Im Gegenteil verneinte die Bf die Frage beim BAA in ihrer Einvernahme am 30.05.2008, ob sie in Polen Probleme hatte. Auch wird auf die Widersprüchlichkeiten ihrer Aussagen in Hinblick auf ihre Verfolgung in ihrer Heimat hingewiesen, einmal wurde sie "besucht und schließlich geschlagen" (AS 71) einmal "mitgenommen und vergewaltigt" (AS 83).
Die Vorlage allgemeiner Berichte (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).
Am 18.04.2008 wurde seitens Österreichs gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates ein Wiederaufnahmegesuch an Polen gestellt. Polen stimmte mit Telefax vom 21.01.2008 dem Wiederaufnahmeersuchen Österreichs gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zu und erklärte sich zur Rückübernahme der Bf bereit.
Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Es leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer von sich aus zu keinem Zeitpunkt behauptet, sondern auf die Frage nach familiären oder beruflichen Bindungen zu Österreich dezitiert ausgeschlossen.
Kritik am polnischen Asylwesen, mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK
Hierzu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 vor dem Beitritt einiger Nachbarstaaten Österreichs zur Europäischen Union am 01.05.2004 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Im Sinne der im Erkenntnis des VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095 für Fälle des Art. 16 Abs. 1 lit. e VO Nr. 343/2003 herausgearbeiteten Anforderungen ist klarzustellen, dass vom Beschwerdeführer im Verfahren keine konkreten Anhaltspunkte in Bezug auf die inhaltliche Bedenklichkeit eines in Polen (hier: zukünftigen) zu führenden Asylverfahrens dargetan wurden. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass es sich im Falle Polens um einen Rechtsstaat mit funktionierender Staatsgewalt handelt und sich die Bf im Falle eventueller Bedrohung ihrer Person, welce im übrigen in jedem Lang möglich ist, an diese wenden und von dieser Schutz erwarten könnte. Weiters sei erwähnt, dass sich auch aus der Rechtssprechung des EGMR eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Polen keinesfalls erkennen lässt und im übrigen die Mitgliedsstaaten der EU als sichere Staaten für Drittangehörige gelten. Zudem war festzustellen, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer von der Beschwerdeführerin bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Konkret besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Bf etwa im Zuge einer so genannten "ungeprüften Kettenabschiebung" in ihr Heimatland, also in die Russische Förderation, zurückgeschoben werden könnte. Somit ergibt sich aus den Sachverhaltsfeststellungen, dass in Polen sowohl asylrechtlicher Schutz als auch Refoulement-Schutz gewährleistet ist und Polen der Wiederaufnahme der Bf ausdrücklich zugestimmt hat.
Bezüglich der im Rechtsmittelschriftsatz erhobenen Behauptung, dass der Bf in Polen nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens der Entzug von existenziellen Lebensgrundlagen drohe, ist darauf zu verweisen, dass die reale Anerkennungsquote eines Mitgliedstaates des Dubliner Übereinkommens laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes per se ohne Hinzutreten weiterer relevanter Faktoren nicht zu einem Selbsteintritt Österreichs führen kann.
Was die in der Beschwerde erwähnte Erkrankung der Bf an schwerer Skoliose und einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, so ist unbestritten, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.
In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, ZI: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsspprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).
Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.
Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien im Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.
Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer keine schwere psychische Krankheit belegt werden, respektive die Notwendigkeit weiterer Erhebungen seitens des Asylgerichtshofes. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen aktuellen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die am 20.05.2008 von Dr. med. I.H. durchgeführte Untersuchung der Bf hinzuweisen, wonach beim Bf aus medizinischer Sicht eine schwere psychische Störung, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde, nicht festgestellt werden konnte. Die Überstellungsfähigkeit wurden somit im fortgesetzten erstinstanzlichen Verfahren bereits medizinisch in schlüssiger Form bejaht und ist dem nichts Entscheidendes entgegengesetzt worden. Des Weiteren ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in Polen zu verweisen. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass es in der medizinischen Versorgung in Polen (wie in vielen anderen Staaten) Verbesserungsbedarf gibt, dies tangiert jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK.
Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar. Die Beschwerdeführerin konnte dieser Ansicht des Asylgerichtshofes jedenfalls nicht durch ihre vagen und unbelegten Ausführungen in ihrer Beschwerde entgegentreten.
2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.
2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.