TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/09 S10 319535-1/2008

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Veröffentlicht am 09.07.2008
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Spruch

S10 319535-1/2008-6E

 

ERKENNTNIS

 

SPRUCH

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde des A.N. geb. 00.00.1991, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.05.2008, Zahl: 08 02.316-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Der Beschwerdeführer ist am 08.03.2008 aus Polen kommend illegal in Österreich eingereist. Der Beschwerdeführer brachte am selben Tag in der Erstaufnahmestelle Ost einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am 10.03.2008 erfolgte durch die Polizeiinspektion Sankt Georgen im Attergau die niederschriftliche Einvernahme, bei welcher im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wurde:

 

Der Beschwerdeführer sei von G. mit dem Zug nach R. gefahren, danach weiter in die Ukraine, am 16.02.2008 sei er in Weißrussland angekommen und habe den Schnellzug nach Polen genommen, wo er am selben Tag angekommen sei. Schlussendlich habe der Beschwerdeführer am 07.03.2008 ein Taxi genommen und sei über einen ihm unbekannten Grenzübergang am 08.03.2008 in Österreich eingereist.

 

In Polen habe der Beschwerdeführer am 16.02.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.

 

Polen habe der Beschwerdeführer verlassen, da er dort niemanden habe und sich fürchte, vor allem vor den Beamten der polnischen Polizei, welche russisch gesprochen hätten, wodurch sie ihn an die russische Polizei erinnert hätten, vor welcher er Angst habe.

 

Am 19.03.2008 wurde sowohl dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers, Herrn Dr. Z., als auch dem Beschwerdeführer je eine schriftliche Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3

 

Z 4 AsylG 2005 ausgefolgt, in denen die Absicht des Bundesasylamtes mitgeteilt wurde, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, und worin darüber informiert wurde, dass seit 14.03.2008 Dublin Konsultationen mit Polen geführt wurden.

 

Am 20.03.2008 langte die mit 18.03.2008 datierte Zustimmungserklärung der polnischen Asylbehörde zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers ein.

 

Am 21.04.2008 wurde der Beschwerdeführer von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, Frau Dr. I.H., einer Untersuchung unterzogen, aufgrund derer von der untersuchenden Ärztin die Frage, ob einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen eine schwere psychische Störung entgegenstehe, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde, verneint wurde.

 

Zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 29 Abs. 5 AsylG 2005 erfolgte am 24.04.2008 vor dem Bundesasylamt EAST Ost eine niederschriftliche Einvernahme, bei welcher vor allem Folgendes vorgebracht wurde:

 

Befragt, wo sich die Eltern des Beschwerdeführers befinden, teilte dieser mit, sie wären in Tschetschenien geblieben. Auf die Frage nach Verwandten in der EU nannte der Beschwerdeführer seine Tante, Frau D.I., die mit ihrer Familie, dem Mann und vier Kindern in Österreich lebe und deren Flüchtlingsstatus bereits anerkannt worden sei.

 

Ungefähr im Jahr 1998 habe der Beschwerdeführer in Tschetschenien mit seiner Tante für 2 Monate im gemeinsamen Haushalt zusammengelebt, danach nicht mehr. Eine diesbezügliche finanzielle oder sonstige Abhängigkeit wurde verneint.

 

Seit seiner Ankunft in Österreich habe der Beschwerdeführer zunächst in Thalham, danach in Traiskirchen in der Betreuungsstelle gewohnt.

 

Auf Vorhalt des Untersuchungsergebnisses der Ärztin für Allgemeinmedizin und psychotherapeutische Medizin vom 21.04.2008, bei welchem im Wesentlichen das Vorliegen einer Anpassungsstörung von Angst und einer depressiven Reaktion gemischt, festgestellt wurde, gab der Beschwerdeführer an, Herzschmerzen zu haben, nicht auf der rechten Seite schlafen zu können, schlechte Träume zu haben und zu zittern, wenn er nachts aufwache und Wasser trinken gehe. Auf Nachfrage konkretisierte er, die Schmerzen würden in der Nacht auftreten, wobei er in der Herzgegend einen Druck spüre und sein linker Arm kalt sei.

 

Diese Probleme habe er seit 2002, deswegen sei er auch schon bei einem Arzt in Baden gewesen, welcher gesagt habe, das Herz sei in Ordnung. Der diesbezüglich vorgelegte Arztbrief von Dr. E., vom 22.04.2008, enthält als Diagnose einen "Nikotinabusus", welcher auf missbräuchlichen Konsum von Nikotinprodukten hinweist. Dazu meinte der Beschwerdeführer, selbst rauche er nicht, sei aber öfters Tabakrauch ausgesetzt gewesen.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 08.05.2008, Zl. 08 02.316-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 6 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur medizinischen Versorgung und psychologischen Behandlung u. a. von traumatisierten Asylsuchenden. Weiters stellte die Erstbehörde fest, dass sich Polen mit Erklärung vom 18.03.2008, eingelangt am 20.03.2008, gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO zu einer Übernahme bereit erklärt hat.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 27.05.2008, durch Dr. Z., als gesetzlichem Vertreter gemäß § 16 Abs. 3 AsylG 2005, Berufung erhoben. Diese Berufung gilt gemäß Asylgerichtshofeinrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, als Beschwerde. Darin werden alle Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides hinsichtlich der Zuständigkeit Polens ausdrücklich als richtig außer Streit gestellt.

 

Vorgeworfen wird der Erstbehörde vor allem die unrichtige Beurteilung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers.

 

Zusätzlich wird ein Gutachten des Psychotherapeuten, Herrn K.E., vom 27.05.2008 vorgelegt, worin behauptet wird, dass die untersuchende Ärztin, Dr. I.H., bei der Erstellung von Befund und Gutachten eine offensichtlich irreführende und nicht ausreichend nachvollziehbare Methode angewendet hätte.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 29.05.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Wiederaufnahmeersuchen an Polen erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO besteht, zumal der Beschwerdeführer am 16.02.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, weiters eine Zustimmung vom 20.03.2008 zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers durch die polnischen Behörden vorliegt und die Zuständigkeit Polens seitens des gesetzlichen Vertreters des Beschwerdeführers in der Beschwerde außer Streit gestellt wurde. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall lebt die Tante des Beschwerdeführers, Frau D.I., mit ihrem Gatten und den gemeinsamen vier Kindern in Österreich, alle als anerkannte Flüchtlinge. Da es - nach Aussagen des Beschwerdeführers - lediglich im Jahre 1998 zu einem Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt mit dieser Tante kam, und dies nur für zwei Monate, somit vom Umfang her vergleichbar einem längeren Ferienaufenthalt, der überdies relativ lange zurückliegt, kann das Vorliegen eines familienähnlichen Zusammenlebens ausgeschlossen werden. Dies wird auch durch die Aussagen des Beschwerdeführers, es bestehe weder eine finanzielle noch eine sonstige Abhängigkeit zur Tante oder deren Angehörigen, bestätigt. Da der Beschwerdeführer an der Schwelle zur Volljährigkeit steht (im 18. Lebensjahr), erscheint die Notwendigkeit eines Mutter- bzw. Elternersatzes nicht vorrangig, zumal der Asylwerber erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet aufhältig ist und ein besonders intensiver Kontakt zur Tante somit nicht angenommen werden kann. Davon abgesehen wäre eine Versorgung des Beschwerdeführers durch die Tante, zusätzlich zu ihren vier Kindern, eine zusätzliche schwere Belastung.

 

Daher ist kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis ersichtlich, weswegen der Beschwerdeführer zum Verfahren in Österreich zuzulassen wäre. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer von sich aus zu keinem Zeitpunkt behauptet.

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK

 

Mit dem Beitritt Polens zur EU am 01.05.2004 wurden die verbindlichen Vorschriften des gemeinschaftlichen Besitzstandes für Polen in Kraft gesetzt. Darunter fallen unter anderem die Vorschriften für das Asylverfahren und die Rechtsinstrumente zum Schutz der Menschenrechte.

 

Mit 29.04.2004 wurde die Richtlinie über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (2004/83/EG) erlassen.

 

Seitens der Europäischen Kommission sind keine rechtlichen Schritte gesetzt worden, wonach Polen die diesbezüglichen Bestimmungen nicht umgesetzt hätte. Dies betrifft auch die Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG.

 

Bevor der Vorsitzende des Amtes für Repatriation and Aliens über einen Asylantrag auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus oder über die Erlaubnis des geduldeten Aufenthaltes entscheidet, muss dieser sich an den Chef der Internal Security Agency oder, wenn nötig, an jede andere Behörde wenden, um entsprechende Informationen zu erhalten, ob im Asylverfahren Verfolgungsgründe i.S.d. GFK vorliegen oder ob die Anwesenheit des Fremden in Polen eine Bedrohung der staatlichen Sicherheit darstellen würde. Diese Informationen müssen innerhalb von 30 Tagen dem Amt zur Verfügung gestellt werden. Eine Entscheidung über Gewährung oder Nichtgewährung internationalen Schutzes durch Polen sollte fristgerecht gefällt werden.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 28)

 

Eine Entscheidung des Vorsitzenden des Amtes über die Zu- oder Aberkennung des Flüchtlingsstatus kann beim Refugee Board beeinsprucht werden. Eine Entscheidung aufgrund offensichtlicher Unbegründetheit des Asylantrages kann innerhalb von 3 Tagen ab Zustellung berufen werden.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 30)

 

Das polnische Fremden- und Asylrecht sieht neben der Asylgewährung auch die Zuerkennung eines tolerated stay vor, dies für den Fall, dass im Falle der Rückschiebung eine Verletzung der Artikel 2, 3 und 5 der EMRK drohen würde.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 97)

 

Gegen eine negative Entscheidung gibt es eine Berufungsmöglichkeit an das sog. Refugee Board, einen unabhängigen, aus 12 Experten bestehenden Senat, welche aufschiebende Wirkung hat. Die Entscheidung des Refugee Board kann beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht mit einer Klage angefochten werden - dieser kann aufschiebende Wirkung zuerkannt werden. Geprüft werden sowohl eine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention, als auch drohende Menschenrechtsverletzungen iSv Art. 2, 3 und 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland)

 

2005 wurden zwei Ergänzungen zum Act on Aliens eingeführt, die zusätzliche Rechte für Personen denen der tolerated stay gewährt wurde, schaffen. Diese dürfen sich seit Juni 2005 nunmehr als arbeitslos und als versichert registrieren lassen, haben grundsätzlich Zugang zu freier medizinischen Versorgung, das Recht auf Kinderunterstützung und eine Staatspension. Mit Oktober 2005 haben sie auch das Recht auf einen 3-monatigen Aufenthalt in einem Flüchtlingslager, das ihnen vorher verwehrt war.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Nach Erhalt einer endgültigen negativen Entscheidung oder einer endgültigen Entscheidung, die den tolerated stay gewährt, können Berufungen nunmehr beim Verwaltungsgericht einer Voivodschaft (Voivodship Administrative Court) gemacht werden, was zu einer Verkürzung der Wartezeit auf eine Berufungsentscheidung führt. Davor war eine Berufung nur beim Obersten Verwaltungsgerichtshof (Supreme Administrative Court) möglich gewesen.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Dublin II-Flüchtlinge haben Zugang zum normalen Asylverfahren. Wenn das Asylverfahrenaufgrund des Verlassens des polnischen Staatsgebietes eingestellt worden ist, wird der Asylwerber bei neuerlicher Rückkehr aufgefordert, wieder einen Asylantrag zu stellen. Obwohl ein Asylantrag eines Asylwerbers, der während des Verfahrens Polenverlassen hat, theoretisch als offensichtlich unbegründet angesehen wird, gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Bestimmung in DII Verfahren angewandt wurden.

 

(Report on the Application of the Dublin II Regulation in Europe, March 2006)

 

Versorgung von Asylwerbern:

 

Mit 27.03.2003 wurde die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten erlassen. Die diesbezüglichen Bestimmungen sind auch für Polen beachtlich.

 

Seitens der Europäischen Kommission sind keine rechtlichen Schritte gesetzt worden, wonach Polen die diesbezüglichen Bestimmungen nicht umgesetzt hätte.

 

Jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, wird umfassende Versorgung gewährt. Dazu gehört medizinische Versorgung, Unterkunft und ausreichende Verpflegung. Eine umfassende medizinische Versorgung ist für Asylwerber kostenlos.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 61)

 

In den polnischen Aufnahmezentren werden alle, auch weniger schwerwiegende Krankheiten von Asylsuchenden behandelt.

 

(Quelle: Feststellung UBAS zur Zahl 263.486/1-XII/36/05 vom 19.09.2005)

 

Wenn es um die Rechte auf Sozialhilfeleistungen und Familienleistungen geht, so haben die Ausländer, denen in Polen der sogenannte tolerierte Aufenthalt bewilligt wurde, dieselben Berechtigungen wie die anerkannten Flüchtlinge - sie haben das Recht auf Sozialhilfeleistungen nach denselben Regeln wie die polnischen Staatstangehörigen.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Die Arten der Leistungen aus dem System der Sozialhilfe sind im Gesetz über die Sozialhilfe vom 12. März 2004 spezifiziert. Das können sowohl Geldleistungen, z.B. feste Beihilfe, zeitweilige Beihilfe, Zielbeihilfe, einmalige Zielbeihilfe, unverzinsliches Darlehen, als auch andere Leistungen sein, z.B. Sozialarbeit, Fachberatung, darunter psychologische und Familienberatung, sofortige bzw. zeitweilige Hilfe, Schutzgewährung, Sachleistungen:

Kleidung, Betreuungsleistungen bzw. Fachbetreuungsleistungen.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Ausländer mit bewilligtem tolerierten Aufenthalt haben dieselben Berechtigungen im Bereich des Zugangs zum Arbeitsmarkt und zu den Gesundheitsleistungen wie die anerkannten Flüchtlinge. Sie haben unbegrenzten Zugang zum Arbeitsmarkt und sind in den Fragen der Arbeitsaufnahme und der Abwicklung der Zivilrechtsverträge in der Regel so wie die polnischen Staatsbürger behandelt.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Sie dürfen auch eine wirtschaftliche Betätigung nach denselben Regeln wie polnische Staatsangehörige aufnehmen. Ausländer mit bewilligtem tolerierten Aufenthalt sind auch schutzberechtigt im Fall der Arbeitslosigkeit, was im Gesetz über die Beschäftigungsförderung und die Einrichtungen des Arbeitsmarktes vom 20. April 2004 normiert wird. Besitzt der Ausländer eine Gesundheitsversicherung, hat er das Recht auf kostenlose ärztliche Betreuung.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Asylsuchende unter den Dublin II Bestimmungen haben generell denselben Zugang zu den Versorgungseinrichtungen wie Asylwerber, die unter das reguläre Asylverfahren fallen. Jedoch muss dabei erwähnt werden, dass die Möglichkeiten der Behandlung traumatisierter Personen zum Teil nur sehr eingeschränkt möglich sind.

 

(Report on the Application of the Dublin II Regulation in Europe, March 2006)

 

Drei Aufnahmelager, die vom Innenministerium betrieben werden, wurden 2005 einer Generalüberholung unterzogen. Zusätzlich wurden drei weitere solcher Lager gebaut, womit die Zahl aller Aufnahmestellen in Polen mittlerweile insgesamt 16 beträgt.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Das Office for Repatriation and Aliens hat eine Vereinbarung mit dem Central Clinical Hospital of the Minstry of Internal Affairs and Administration getroffen, zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Asylwerbern. Alle medizinischen Untersuchungen werden in diesem Spital durchgeführt, mit Ausnahme derjenigen, die eine spezielle Behandlung erfordern oder die in Kliniken anderer Städte durchgeführt werden.

 

Asylwerber können um Sozialhilfe außerhalb der Aufnahmelager ansuchen, aus Gesundheits- und/oder Sicherheitsgründen oder wenn einem Familienmitglied Asyl gewährt wurde.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Um Personen mit "tolerated stay" zu ermöglichen, auch nach dem Verlassen der Aufnahmelager Unterstützungen im Integrationsbereich und Sozialhilfe zu bekommen - diese sind an das Vorhandensein einer festen Unterkunft gebunden - haben die Behörden in Warschau nunmehr damit begonnen, das Wohnungsproblem durch bevorzugte Zurverfügungstellung von öffentlichen Wohnungen für Flüchtlinge etwas in den Griff zu bekommen.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Neue Organisationen, die sich mit Flüchtlingsfragen- und problemen beschäftigen, wurden gegründet (z.B. A-Venir, sorgt für soziale Unterstützung; Via, und SIP, eine Vereinigung, die Rechtsbeistand anbietet).

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Tschetschenen - Refoulement :

 

Weder sichere Drittstaaten noch sichere Herkunftsstaaten sind vom polnischen Gesetz definiert, Kettenabschiebungen finden nicht statt. Asylwerber sind bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens berechtigt, sich auf dem Staatsgebiet von Polen aufzuhalten.

 

Auch tschetschenische Asylwerber haben vollen Zugang zum Asylverfahren und wird Ihnen regelmäßig subsidiärer Schutz gewährt. Die nach dem Terroranschlag im Moskauer Theater geübte Praxis der Zurückschiebungen ohne Prüfung des Antrages wurde bereits 2002 wieder eingestellt. Abschiebungen von Tschetschenen haben in den letzten Jahren nicht stattgefunden und sind nach Auskunft der polnischen Regierung auch nicht geplant.

 

(UBAS zur Zahl 263.486/1-XII/36/05 vom 19.09.2005)

 

Auch UNHCR sind seit Anfang 2004 keine Fälle bekannt, in denen ethnische Tschetschenen aus Tschetschenien von Polen nach Russland abgeschoben worden sind. Angehörige dieser Personengruppe erhalten vielmehr - sofern ihre ethnische Zugehörigkeit und Herkunft als glaubwürdig erachtet werden und sie am Verfahren mitwirken - in der Regel zumindest subsidiären Schutz (den so genannten "tolerated stay").] (UNHCR, Anfragebeantwortung UNHCR Wien, 14.03.2005)

 

Tschetschenische Asylwerber haben vollen Zugang zum Asylverfahrenund wird Ihnen regelmäßig Asyl bzw. subsidiärer Schutz gewährt. 2005 wurde 505 Tschetschenen Asyl und 1709 "tolerated stay", was subsidiärem Schutz entspricht, gewährt. (Polnische Asylstatistik,

 

http://www.uric.gov.pl/index.php?page=1020201001)"

 

2.1.2.3. Medizinische Aspekte

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:

 

GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06

 

AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05

 

PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03

 

RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03

 

HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05

 

OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04

 

AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04

 

NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03

 

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

 

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.

 

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".

 

Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl. PARAMSOTHY gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach neunjährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden). [...]

 

In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06.

 

Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig von einander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden waren. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand [...] Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran erhobene Beschwerde mit der Begründung eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen Art. 3 EMRK, wies der EGMR ab. [...]

 

Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei(!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig eine schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab. [...]

 

Die dargestellten Entscheidungen zeigen deutlich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer keine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung belegt werden. Weder fanden die vorgebrachten Herzschmerzen Bestätigung in einem medizinischen Befund, noch bilden die in der niederschriftlichen Einvernahme geschilderten Symptome eine Grundlage für weiterführende Untersuchungen. Die im Arztbrief von Dr. E. (Facharzt für Innere Medizin-Rheumatologie) vom 22.04.2008 festgestellten Werte (betreffend Blut, Harn etc.) befinden sich im Normbereich.

 

Das Gutachten von Dr. I.H. (Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin) erscheint folgerichtig und schlüssig. Die angewandten Methoden werden detailliert dargelegt. Die im vorgelegten psyotherapeutischen Befundbericht vom 27.05.2008 enthaltenen Ausführungen sind nicht geeignet, dieses Gutachten - auch hinsichtlich der angewandten Methoden - in Frage zustellen, zumal die medizinische Gutachterin aufgrund ihrer zahlreichen Erfahrungen mit gegenständlichen Fragestellungen über umfangreiche Vergleichswerte verfügt.

 

Bezüglich des festgestellten Nikotinabusus des Asylwerbers wurde kein unmittelbarer medizinischer Handlungsbedarf festgestellt, über die Ursache wurde vom Asylwerber keine nachvollziehbare Erklärung abgegeben.

 

Es kann daher entsprechend den Feststellungen der Erstbehörde bezüglich der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung in Polen von einer ausreichenden und adäquaten Versorgung des Beschwerdeführers in Polen ausgegangen werden.

 

Hinsichtlich der Bedeutung der Tante als Bezugsperson bzw. als einziger Mensch, den der Beschwerdeführer noch habe, vermag der Asylgerichtshof der Ansicht des Psychotherapeuten nicht zu folgen, zumal - nach Aussagen des Beschwerdeführers - seit 1998 kein intensiver Kontakt mehr bestand. Die nunmehrige Einschaltung der Tante im Asylverfahren kann verwandtschaftlicher Verbundenheit zugeschrieben werden.

 

Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich. Des Weiteren ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in Polen zu verweisen.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK, noch des Art. 8 EMRK dar, somit besteht auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO. Der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers vermochte den Asylgerichtshofes, auch durch den "psychotherapeutischen Befundbericht" von Herrn K.E., nicht von der Notwendigkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts zu überzeugen.

 

2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, real risk
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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