TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/10 S10 400103-1/2008

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Veröffentlicht am 10.07.2008
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Spruch

S10 400103-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde des G.A., geb. 00.00.1982, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.06.2008, Zahl: 08 02.066-EAST - Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Der Beschwerdeführer ist am 28.02.2008 illegal in Österreich eingereist. Der Beschwerdeführer brachte am selben Tag in der Erstaufnahmestelle Ost einen Antrag auf internationalen Schutz ein, und erfolgte durch die Grenzpolizeiinspektion Klingenbach die niederschriftliche Einvernahme, bei welcher im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wurde:

 

Der Beschwerdeführer habe am 17.02.2008 seinen Heimatort mit einem Kleinbus Richtung Gudermes verlassen, dort habe er den Zug nach Moskau genommen, danach jenen nach Brest/Weißrussland.

Schlussendlich, am 20.02.2008, in Polen angekommen, sei er kontrolliert und angehalten worden. Nach Verbringung in ein Flüchtlingslager habe man dem Beschwerdeführer die Fingerabdrücke abgenommen. Nach sechs oder sieben Tagen habe er das Lager verlassen und sei auf der Ladefläche eines LKW's, schlepperunterstützt, über ihm unbekanntes Land, in Österreich eingereist, wo er schließlich von der Polizei aufgegriffen worden sei.

 

Befragt, ob er Familienangehörige im EU-Raum habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe Cousins in Österreich, deren genauen Aufenthaltsort er nicht kenne. Weiters berichtete er von einer Antragstellung in Polen, es habe ihm dort aber nicht gefallen, er wollte nicht dort bleiben, und er habe keine medizinische Versorgung bekommen.

 

Ein AFIS-Abgleich ergab, dass der Beschwerdeführer am 20.02.2008 in Lublin (Polen) erkennungsdienstlich behandelt worden ist und einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hat.

 

Am 06.03.2008 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass seit 04.03.2008 Konsultationen mit Polen geführt wurden. Mit Erklärung vom 06.03.2008, einlangend am 07.03.2008, erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. C der Dublin II VO für zuständig.

 

Da die erstinstanzliche Behörde ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 beabsichtigte, wurde dem Asylwerber eine Aktenabschrift ausgehändigt und eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt, in der die Rechtsberatung erfolgte und dem Rechtsberater die relevanten Aktenbestandteile zugänglich gemacht wurden.

 

Zur Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 29 Abs. 5 AsylG 2005 erfolgte am 26.05.2008 eine niederschriftliche Einvernahme, in der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wurde:

 

Die Frage nach dem Zusammenleben in einer Familiengemeinschaft oder familienähnlichen Gemeinschaft wurde seitens des Asylwerbers verneint. Als in Österreich lebende Verwandte wurden eine Cousine und ein Cousin, der den Beschwerdeführer finanziell unterstütze, genannt. Beide Cousins seien bereits fünf Jahre im Bundesgebiet aufhältig.

 

Zur Wohnsituation im Heimatstaat gab der Beschwerdeführer an, es habe einen Hof gegeben, wobei ein Haus durch ihn, ein weiteres von seinem Cousin bewohnt worden sei.

 

Zur Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 befragt gab der Beschwerdeführer Folgendes an:

 

In Polen habe er niemanden, er habe Angst dort zu leben, Russland sei ganz in der Nähe und jeder könne kommen und gehen. Seine Nichte habe Probleme gehabt und er habe Angst gehabt dort zu bleiben. Er wolle nicht nach Polen.

 

Am 27.03.2008 wurde der Beschwerdeführer von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, Dr. I.H., einer Untersuchung unterzogen. Wie in ihrer gutächtlichen Stellungnahme dazu ausgeführt, hat die Sachverständige eine Erkrankung an Hepatitis B entdeckt. Die Leberwerte lagen aber weit im unteren Normbereich. Sonst wurden keine wesentlichen Erkrankungen oder Operationen festgestellt.

 

Eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung wurde seitens der Sachverständigen bejaht. Es wurde eine depressive Störung vermutet, zur weiteren Abklärung wurde aber eine nochmalige Begutachtung für notwendig empfunden.

 

Am 09.05.2008 erfolgte eine weitere Untersuchung durch Dr. I.H., aufgrund der von der untersuchenden Ärztin die Frage, ob einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen eine schwere psychische Störung entgegenstehe, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde, verneint wurde.

 

Seitens der Medizinerin wird der Verdacht auf chronische Posttraumatische Belastungsstörung (englisch abgekürzt PTSD) durch die Kriegserlebnisse geäußert, jedoch auf dem Boden einer vulnerablen Persönlichkeitsstruktur und von privaten Krisen durch Scheidung und eigene Erkrankung des Asylwerbers an Hepatitis B.

 

Vom Beschwerdeführer konnte jedoch kein konkretes Ereignis genannt werden, welches einer Überstellung nach Polen entgegenstehen würde, er sei bloß subjektiv überzeugt, dass es dort gefährlich sei. Weiters werden keine aktuelle Suizidalität und auch kein Hinweis auf Vernachlässigung seiner Interessen festgestellt. Ebenso bestünden keine Symptome, die die Vitalfunktionen gefährden.

 

Nach der Beurteilung der ärztlichen Sachverständigen stehen einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegen, die eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden.

 

Laut Einschätzung der ärztlichen Sachverständigen ist die Möglichkeit einer Behandlung der gegenständlichen psychischen Störung in jedem Land der EU anzunehmen.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 10.06.2008, Zl. 08 02.066 - EAST - Ost, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zum Verfahrenszugang nach der Rücküberstellung, zur Versorgung von Asylwerbern, bezüglich traumatisierter Asylwerber, zur Anerkennungsquote und zum tschetschenischen Refoulement. Weiters stellte die Erstbehörde fest, dass sich Polen mit Erklärung vom 06.03.2008, eingelangt am 07.03.2008, gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO zu einer Übernahme bereit erklärt hat.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 17.06.2008, eingelangt am 25.06.2008 bei der Erstbehörde, Berufung erhoben. Diese Berufung gilt gemäß Asylgerichtshofeinrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, als Beschwerde.

 

Darin wird vorgebracht, dass die anlässlich der Begutachtung durch Dr. I.H. festgestellte chronische PTSD in Polen nicht behandelbar sei. Auch könne nicht nachvollzogen werden, weshalb obwohl Suizidgedanken mit konkret geplanten Ausführungshandlungen geäußert wurden, eine aktuelle Suizidalität seitens der Gutachterin verneint wurde. Diesbezüglich wird jedenfalls ein Akutwerden dieser Problematik bei einer Durchführung der Abschiebung befürchtet, und das Eingehen darauf durch die Ärztin vermisst.

 

Bezüglich der in Österreich lebenden Cousins wird eine mögliche Unterstützung des Beschwerdeführers bei der Integration, ebenso ein besonders enges Naheverhältnis zu seinem Cousin behauptet.

 

Bezüglich Art. 8 EMRK könne nicht festgestellt werden, ob die Erstbehörde einen Eingriff gänzlich verneint oder diesen bloß für gerechtfertigt erachtet.

 

Weiters werden Feststellungen Polen zur mangelhaften medizinischen Versorgung, zum Asylverfahren, zur fehlenden Existenzgrundlage und zur mangelnden Sicherheit vor Verfolgung getroffen.

 

Zusätzlich wird per Telefax am 08.07.2008, durch Mag. C.N. vom Flüchtlingsdienst der Diakonie, ein Gutachten des Psychotherapeuten E.K., vom 02.07.2008, übermittelt, worin beim Beschwerdeführer das Vorliegen einer Anpassungsstörung, von Angst und Depressionen gemischt auf dem Boden einer chronifizierten post-traumatischen Belastungsstörung nach serieller Traumatisierung, behauptet wird. Weiters wird eine allenfalls notwendige Besachwalterung in den Raum gestellt.

 

Für eine psychische Grunderkrankung hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Der am 09.05.2008 von Dr. I.H. festgestellte Verdacht einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung habe sich während der Untersuchung durch Herrn E.K. erhärtet. Seiner Ansicht nach könne unter förderlichen Bedingungen bei PTSD mit einer relativen Rehabilitierung gerechnet werden, andernfalls käme es zu einer Chronifizierung im Sinne einer bleibenden Persönlichkeitsveränderung. Jedoch sei bei einer Zwangsmaßnahme, wie einer Abschiebung, mit einer Retraumatisierung und/oder neuen Traumatisierung zu rechnen.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 07.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Wiederaufnahmeersuchen an Polen erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO besteht, zumal der Beschwerdeführer am 20.02.2008 in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, weiters eine Zustimmung vom 06.03.2008, eingelangt am 07.03.2008, zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers durch die polnischen Behörden vorliegt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall leben eine Cousine, K.H., und ein Cousin, G.J., bereits anerkannter Flüchtling, des Beschwerdeführers in Österreich. Nachdem der Beschwerdeführer anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme am 26.05.2008 angab, dass er und sein Cousin im Heimatstaat nachbarschaftlich, aber in unterschiedlichen Häusern gewohnt hätten, beide Cousins seit fünf Jahren in Österreich aufhältig seien, und der Beschwerdeführer seit 00.00.2008 bei H. GmbH aufrecht gemeldet und wohnhaft sei, kann das Vorliegen eines familienähnlichen Zusammenlebens ausgeschlossen werden.

 

Da der Asylwerber erst seit kurzer Zeit, eingereist am 28.02.2008, im Bundesgebiet aufhältig ist und bei seiner Einreise über den Aufenthaltsort seiner Verwandten keine Kenntnis hatte, kann von einem intensiven Kontakt nicht ausgegangen werden. Die vom Beschwerdeführer angegebene finanzielle Unterstützung ist angesichts der Inanspruchnahme der Grundversorgung weniger als eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit zu sehen, sondern vielmehr als kurzfristige Hilfestellung aufgrund verwandtschaftlicher Verbundenheit.

 

Daher ist kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis ersichtlich, weswegen der Beschwerdeführer zum Verfahren in Österreich zuzulassen wäre. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer von sich aus zu keinem Zeitpunkt behauptet.

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK

 

Mit dem Beitritt Polens zur EU am 01.05.2004 wurden die verbindlichen Vorschriften des gemeinschaftlichen Besitzstandes für Polen in Kraft gesetzt. Darunter fallen unter anderem die Vorschriften für das Asylverfahren und die Rechtsinstrumente zum Schutz der Menschenrechte.

 

Mit 29.04.2004 wurde die Richtlinie über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (2004/83/EG) erlassen.

 

Seitens der Europäischen Kommission sind keine rechtlichen Schritte gesetzt worden, wonach Polen die diesbezüglichen Bestimmungen nicht umgesetzt hätte. Dies betrifft auch die Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG.

 

Bevor der Vorsitzende des Amtes für Repatriation and Aliens über einen Asylantrag auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus oder über die Erlaubnis des geduldeten Aufenthaltes entscheidet, muss dieser sich an den Chef der Internal Security Agency oder, wenn nötig, an jede andere Behörde wenden, um entsprechende Informationen zu erhalten, ob im Asylverfahren Verfolgungsgründe i.S.d. GFK vorliegen oder ob die Anwesenheit des Fremden in Polen eine Bedrohung der staatlichen Sicherheit darstellen würde. Diese Informationen müssen innerhalb von 30 Tagen dem Amt zur Verfügung gestellt werden. Eine Entscheidung über Gewährung oder Nichtgewährung internationalen Schutzes durch Polen sollte fristgerecht gefällt werden.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 28)

 

Eine Entscheidung des Vorsitzenden des Amtes über die Zu- oder Aberkennung des Flüchtlingsstatus kann beim Refugee Board beeinsprucht werden. Eine Entscheidung aufgrund offensichtlicher Unbegründetheit des Asylantrages kann innerhalb von 3 Tagen ab Zustellung berufen werden.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 30)

 

Das polnische Fremden- und Asylrecht sieht neben der Asylgewährung auch die Zuerkennung eines tolerated stay vor, dies für den Fall, dass im Falle der Rückschiebung eine Verletzung der Artikel 2, 3 und 5 der EMRK drohen würde.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 97)

 

Gegen eine negative Entscheidung gibt es eine Berufungsmöglichkeit an das sog. Refugee Board, einen unabhängigen, aus 12 Experten bestehenden Senat, welche aufschiebende Wirkung hat. Die Entscheidung des Refugee Board kann beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht mit einer Klage angefochten werden - dieser kann aufschiebende Wirkung zuerkannt werden. Geprüft werden sowohl eine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention, als auch drohende Menschenrechtsverletzungen iSv Art. 2, 3 und 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland)

 

2005 wurden zwei Ergänzungen zum Act on Aliens eingeführt, die zusätzliche Rechte für Personen denen der tolerated stay gewährt wurde, schaffen. Diese dürfen sich seit Juni 2005 nunmehr als arbeitslos und als versichert registrieren lassen, haben grundsätzlich Zugang zu freier medizinischen Versorgung, das Recht auf Kinderunterstützung und eine Staatspension. Mit Oktober 2005 haben sie auch das Recht auf einen 3-monatigen Aufenthalt in einem Flüchtlingslager, das ihnen vorher verwehrt war.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Nach Erhalt einer endgültigen negativen Entscheidung oder einer endgültigen Entscheidung, die den tolerated stay gewährt, können Berufungen nunmehr beim Verwaltungsgericht einer Voivodschaft (Voivodship Administrative Court) gemacht werden, was zu einer Verkürzung der Wartezeit auf eine Berufungsentscheidung führt. Davor war eine Berufung nur beim Obersten Verwaltungsgerichtshof (Supreme Administrative Court) möglich gewesen.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Dublin II-Flüchtlinge haben Zugang zum normalen Asylverfahren. Wenn das Asylverfahrenaufgrund des Verlassens des polnischen Staatsgebietes eingestellt worden ist, wird der Asylwerber bei neuerlicher Rückkehr aufgefordert, wieder einen Asylantrag zu stellen. Obwohl ein Asylantrag eines Asylwerbers, der während des Verfahrens Polenverlassen hat, theoretisch als offensichtlich unbegründet angesehen wird, gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Bestimmung in DII Verfahren angewandt wurden.

 

(Report on the Application of the Dublin II Regulation in Europe, March 2006)

 

Versorgung von Asylwerbern:

 

Mit 27.03.2003 wurde die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten erlassen. Die diesbezüglichen Bestimmungen sind auch für Polen beachtlich.

 

Seitens der Europäischen Kommission sind keine rechtlichen Schritte gesetzt worden, wonach Polen die diesbezüglichen Bestimmungen nicht umgesetzt hätte.

 

Jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, wird umfassende Versorgung gewährt. Dazu gehört medizinische Versorgung, Unterkunft und ausreichende Verpflegung. Eine umfassende medizinische Versorgung ist für Asylwerber kostenlos.

 

(Act of 13 June 2003 on granting protection to aliens within the territory of the Republic of Poland, Art. 61)

 

In den polnischen Aufnahmezentren werden alle, auch weniger schwerwiegende Krankheiten von Asylsuchenden behandelt.

 

(Quelle: Feststellung UBAS zur Zahl 263.486/1-XII/36/05 vom 19.09.2005)

 

Wenn es um die Rechte auf Sozialhilfeleistungen und Familienleistungen geht, so haben die Ausländer, denen in Polen der sogenannte tolerierte Aufenthalt bewilligt wurde, dieselben Berechtigungen wie die anerkannten Flüchtlinge - sie haben das Recht auf Sozialhilfeleistungen nach denselben Regeln wie die polnischen Staatstangehörigen.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Die Arten der Leistungen aus dem System der Sozialhilfe sind im Gesetz über die Sozialhilfe vom 12. März 2004 spezifiziert. Das können sowohl Geldleistungen, z.B. feste Beihilfe, zeitweilige Beihilfe, Zielbeihilfe, einmalige Zielbeihilfe, unverzinsliches Darlehen, als auch andere Leistungen sein, z.B. Sozialarbeit, Fachberatung, darunter psychologische und Familienberatung, sofortige bzw. zeitweilige Hilfe, Schutzgewährung, Sachleistungen:

Kleidung, Betreuungsleistungen bzw. Fachbetreuungsleistungen.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Ausländer mit bewilligtem tolerierten Aufenthalt haben dieselben Berechtigungen im Bereich des Zugangs zum Arbeitsmarkt und zu den Gesundheitsleistungen wie die anerkannten Flüchtlinge. Sie haben unbegrenzten Zugang zum Arbeitsmarkt und sind in den Fragen der Arbeitsaufnahme und der Abwicklung der Zivilrechtsverträge in der Regel so wie die polnischen Staatsbürger behandelt.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Sie dürfen auch eine wirtschaftliche Betätigung nach denselben Regeln wie polnische Staatsangehörige aufnehmen. Ausländer mit bewilligtem tolerierten Aufenthalt sind auch schutzberechtigt im Fall der Arbeitslosigkeit, was im Gesetz über die Beschäftigungsförderung und die Einrichtungen des Arbeitsmarktes vom 20. April 2004 normiert wird. Besitzt der Ausländer eine Gesundheitsversicherung, hat er das Recht auf kostenlose ärztliche Betreuung.

 

(Anfragebeantwortung ÖB Warschau, 12.12.2006)

 

Asylsuchende unter den Dublin II Bestimmungen haben generell denselben Zugang zu den Versorgungseinrichtungen wie Asylwerber, die unter das reguläre Asylverfahren fallen. Jedoch muss dabei erwähnt werden, dass die Möglichkeiten der Behandlung traumatisierter Personen zum Teil nur sehr eingeschränkt möglich sind.

 

(Report on the Application of the Dublin II Regulation in Europe, March 2006)

 

Drei Aufnahmelager, die vom Innenministerium betrieben werden, wurden 2005 einer Generalüberholung unterzogen. Zusätzlich wurden drei weitere solcher Lager gebaut, womit die Zahl aller Aufnahmestellen in Polen mittlerweile insgesamt 16 beträgt.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Das Office for Repatriation and Aliens hat eine Vereinbarung mit dem Central Clinical Hospital of the Minstry of Internal Affairs and Administration getroffen, zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Asylwerbern. Alle medizinischen Untersuchungen werden in diesem Spital durchgeführt, mit Ausnahme derjenigen, die eine spezielle Behandlung erfordern oder die in Kliniken anderer Städte durchgeführt werden.

 

Asylwerber können um Sozialhilfe außerhalb der Aufnahmelager ansuchen, aus Gesundheits- und/oder Sicherheitsgründen oder wenn einem Familienmitglied Asyl gewährt wurde.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Um Personen mit "tolerated stay" zu ermöglichen, auch nach dem Verlassen der Aufnahmelager Unterstützungen im Integrationsbereich und Sozialhilfe zu bekommen - diese sind an das Vorhandensein einer festen Unterkunft gebunden - haben die Behörden in Warschau nunmehr damit begonnen, das Wohnungsproblem durch bevorzugte Zurverfügungstellung von öffentlichen Wohnungen für Flüchtlinge etwas in den Griff zu bekommen.

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Neue Organisationen, die sich mit Flüchtlingsfragen- und problemen beschäftigen, wurden gegründet (z.B. A-Venir, sorgt für soziale Unterstützung; Via, und SIP, eine Vereinigung, die Rechtsbeistand anbietet).

 

(European Council on Refugees and Exiles - Country Report 2005, Sept. 2006)

 

Tschetschenen - Refoulement :

 

Weder sichere Drittstaaten noch sichere Herkunftsstaaten sind vom polnischen Gesetz definiert, Kettenabschiebungen finden nicht statt. Asylwerber sind bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens berechtigt, sich auf dem Staatsgebiet von Polen aufzuhalten.

 

Auch tschetschenische Asylwerber haben vollen Zugang zum Asylverfahren und wird ihnen regelmäßig subsidiärer Schutz gewährt. Die nach dem Terroranschlag im Moskauer Theater geübte Praxis der Zurückschiebungen ohne Prüfung des Antrages wurde bereits 2002 wieder eingestellt. Abschiebungen von Tschetschenen haben in den letzten Jahren nicht stattgefunden und sind nach Auskunft der polnischen Regierung auch nicht geplant.

 

(UBAS zur Zahl 263.486/1-XII/36/05 vom 19.09.2005)

 

Auch UNHCR sind seit Anfang 2004 keine Fälle bekannt, in denen ethnische Tschetschenen aus Tschetschenien von Polen nach Russland abgeschoben worden sind. Angehörige dieser Personengruppe erhalten vielmehr - sofern ihre ethnische Zugehörigkeit und Herkunft als glaubwürdig erachtet werden und sie am Verfahren mitwirken - in der Regel zumindest subsidiären Schutz (den so genannten "tolerated stay"). (UNHCR, Anfragebeantwortung UNHCR Wien, 14.03.2005)

 

Tschetschenische Asylwerber haben vollen Zugang zum Asylverfahrenund wird ihnen regelmäßig Asyl bzw. subsidiärer Schutz gewährt. 2005 wurde 505 Tschetschenen Asyl und 1709 "tolerated stay", was subsidiärem Schutz entspricht, gewährt. (Polnische Asylstatistik, http://www.uric.gov.pl/index.php?page=1020201001)"

 

2.1.2.3. Medizinische Aspekte

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:

 

GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06

 

AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05

 

PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03

 

RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03

 

HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05

 

OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04

 

AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04

 

NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03

 

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

 

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.

 

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".

 

Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl. PARAMSOTHY gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach neunjährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden). [...]

 

In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06.

 

Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig von einander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden waren. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand [...] Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran erhobene Beschwerde mit der Begründung eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen Art. 3 EMRK, wies der EGMR ab. [...]

 

Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei(!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig eine schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab. [...]

 

Die dargestellten Entscheidungen zeigen deutlich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer keine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung belegt werden. Hinsichtlich der Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführers und der Einschätzung, dass keine aktuelle Suizidalität besteht, wird dem Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. I.H. gefolgt, die auch durch den psychotherapeutischen Kurzbericht von E.K. nicht in Zweifel gezogen werden konnten. Auch die im genannten Bericht geäußerten Bedenken, betreffend die Gefahr einer Retraumatisierung anlässlich einer Abschiebung, können durch eine medizinisch überwachte und unterstützte Überstellung ausgeräumt werden. Dies entspricht auch den Ausführungen zur Rehabilitierung von PTSD, bei konsequenter traumaverarbeitender Psychotherapie, und bezüglich der medikamentösen Hilfestellung.

 

Die gutachtlichen Stellungnahmen von Dr. I.H. (Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin) erscheinen folgerichtig und schlüssig. Die angewandten Methoden werden detailliert dargelegt. Die im vorgelegten psychotherapeutischen Kurzbericht vom 02.07.2008 enthaltenen Ausführungen sind nicht geeignet, diese gutachtlichen Stellungnahmen - auch hinsichtlich der angewandten Methoden - in Frage zustellen, zumal die medizinische Gutachterin aufgrund ihrer zahlreichen Erfahrungen mit gegenständlichen Fragestellungen über umfangreiche Vergleichswerte verfügt.

 

Im Falle einer Überstellung nach Polen kann entsprechend den Feststellungen der Erstbehörde bezüglich der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung von einer ausreichenden und adäquaten Versorgung des Beschwerdeführers in Polen ausgegangen werden.

 

Die Beziehungen des Beschwerdeführers zu den genannten Verwandten (Cousin und Cousine) lassen keine Integration im Sinne des Art. 8 EMRK annehmen, da ein intensiver Kontakt nicht anzunehmen ist, es sich beim Beschwerdeführer um einen Erwachsenen handelt und die nunmehrige Unterstützung durch den Cousin in Form von Geldzuwendungen nur von kurzfristiger Dauer und eher verwandtschaftlicher Verbundenheit zuzuschreiben ist.

 

Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich. Des Weiteren ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in Polen zu verweisen.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK, noch des Art. 8 EMRK dar, somit besteht auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO. Der Beschwerdeführer vermochte den Asylgerichtshofes in seiner Beschwerde, ebenso wie auch der psychotherapeutischen Befundbericht von E.K., nicht von der Notwendigkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts zu überzeugen.

 

2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, real risk, Traumatisierung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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