TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/10 S6 400114-1/2008

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Veröffentlicht am 10.07.2008
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Spruch

GZ. S6 400.114-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Spruch

 

Der Asylgerichtshof hat durch seinen Richter Dr. Singer als Einzelrichter über die Beschwerde der T.R., geb. am 00.00.2005, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.06.2008, FZ 08 03 762 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 5,10 AsylG in der Fassung BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Die nunmehrige Beschwerdeführerin (in der Folge: Bf) ist am 28.04.2008 gemeinsam mit ihren Etern und ihrer Schwester mit Hilfe eines Schleppers, aus Polen kommend, nach Österreich eingereist. Die gesetzliche Vertreterin der Bf, nämlich die Kindesmutter, stellte am 28.04.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Ebenfalls am 28.04.2008 hat vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Traiskirchen eine Erstbefragung der gesetzlichen Vertreterin sowie am 06.06.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, in Gegenwart eines Rechtsberaters, stattgefunden. Am 02.Mai 2008 richtete das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Aufnahme der Bf gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II Verordnung) welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde (siehe AS 1-13 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).

 

Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen gemäß § 28 Abs. 2

2. Satz AsylG wurde der gesetzlichen Vertreterin der Bf am 07. Mai 2008, sohin innerhalb der 20-Tages-Frist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Polen hat sich mit Fax vom 07.Mai 2008, datiert 06.Mai 2008 (AS 65) bereiterklärt, den Asylwerber gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung EG Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmnen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Die gesetzliche Vertreterin der nunmehrigen Bf brachte im Verfahren folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor: In ihrem Herkunftsland würde der Vater der Bf von russischen und tschetschenischen Behörden verfolgt werden. Sein Cousin wäre in ihrem Haus unter ihrem Beisein (der Kindesmutter) von einer Gruppe russischen und tschetschenischen Militärs erschossen worden. Ihr selbst (Kindesmutter) seien die Kleider zerrissen, sie sei unsittlich angefasst, beschimpft und getreten worden. Nach Vorhalt, dass Polen zur Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, erklärte die gesetzliche Vertreterin der Bf, dass sie nicht nach Polen zurückkehren wolle, da sie Angst hätte, da sie in Polen eben diesen Mörder des Cousins ihres Ehegatten erkannt hätte. Sie habe Angst, in Polen zu leben, weil man problemlos von Russland nach Polen einreisen könne.

 

Weiters brachte die gesetzliche Vertreterin der Bf vor, dass ihr Ehegatte eine Schwester hätte, die seit dem Jahr 2005 mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in Österreich wohne, mit welcher er im telefonischem Kontakt stand und von der er, seit er in Österreich ist, finanziell abhängig sei.

 

Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 16.Juni 2008, Zahl 08 03 762 EAST-Ost, den Antrag auf internationalen Schutz der Bf, ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung EG Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Bf gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes in Bezug auf Tschetschenen, und zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens. Sie hat die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage rechtsrichtig ausgeführt. Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die gesetzliche Vertreterin der Bf keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie tatsächlich Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlungen unterworfen zu werden oder ihr eine Verletzung, der in Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Ebensowenig wurde der von der gesetzlichen Vertreterin der Bf vorgebrachte Sachverhalt als bei weitem nicht gewichtig genug bewertet, um in der Ausweisung der Bf nach Polen einen unzulässigen Eingriff in Artikel 8 EMRK zu erkennen.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 23. Juni 2008 auf dem Faxwege Beschwerde erhoben. Darin wird im wesentlichen behauptet, dass Polen kein sicherer Drittstaat sei, dass die Ermittlungsverfahren äußerst oberflächlich durchgeführt worden wären, dass weiters in der Beziehung zu der Schwester des Ehegatten der gesetzlichen Vertreterin ein im Sinne von Artikel 8 EMRK zu schützendes Familienleben vorläge und daher eine Interessensabwägung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK durchgeführt werden hätte müssen. Österreich hätte von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen, da eine Ausweisung ein klarer Verstoß gegen Artikel 3 und 8 EMRK darstellen würde.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 07.Juli 2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

Rechtlich ergibt sich folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist . Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedsstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedsstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedsstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt das Konsultationsverfahren mit Polen aufgrund der plausiblen Angaben der gesetzlichen Vertreterin der Bf zu ihrem Reiseweg eingeleitet. Die Bf, ihre Eltern und Schwester sind von Weißrussland mit dem Zug nach Polen gefahren, wo sie von der Polizei aufgegriffen und einen Asylantrag gestellt haben. Nach einem einwöchigen Aufenthalt in Warschau ist die Familie mit Hilfe eines Taxifahrers in Österreich eingereist. Es kann daher festgestellt werden, dass die Bf über Polen in die Europäische Union einreiste und dort einen Asylantrag gestellt hat.

 

Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 10 Abs. 2 der Dublin II VO eingeleitete Aufnahmeersuchen an Polen erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).

 

Gemäß Erklärung vom 6.Mai 2008 (eingelangt in der EAST-Ost am 07.Mai.2008 per Fax) erklärte sich Polen gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO für zuständig.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt daher zuzustimmen, dass die Zuständigkeit von Polen gegeben ist. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist in diesem Verfahren nicht bestritten worden.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, ZI. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedsstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedsstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, ZI 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedsstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedsstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedsstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, ZI. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, ZI. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, ZI. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedsstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedsstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedsstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effiziensgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG, 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, ZI. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftswidrig.

 

Bereits das Bundesasylamt hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, der Vollzugspraxis in Bezug auf ethnische Tschetschenen und zur Versorgung von Asylwerbern in Polen getroffen. Der Asylgerichtshof schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

 

Im Sinne der im Erkenntnis des VwGH vom 31.05.2005, ZI. 2005/20/0095 für Fälle des Art. 16 Abs. 1 lit. e VO Nr. 343/2003 herausgearbeiteten Anforderungen ist klarzustellen, dass vom Beschwerdeführer im Verfahren keine konkreten Anhaltspunkte in Bezug auf die inhaltliche Bedenklichkeit eines in Polen (hier: zukünftigen) zu führenden Asylverfahrens dargetan wurden. Konkrete Hinweise, dass Polen im Umgang mit Asylwerbern unvertretbare rechtliche Sonderpositionen vertrete, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

 

Insbesondere sind die vom gesetzlichen Vertreter der Bf vorgebrachten Befürchtungen, Polen stelle für sie und ihre Familie kein sicheres Land dar, in keiner Weise substantiiert worden. Relevant ist in diesem Fall nämlich nicht, welche unmittelbare Bedrohung für die Bf und ihre Familie gegeben wäre, sondern alleine, ob die Bf besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes in Polen sprechen, vorgebracht und glaubhaft gemacht hat. Es wurden seitens der gesetzlichen Vertreterin der Bf jedoch im Verfahren vor dem Bundesasylamt keine Anhaltspunkte geltend gemacht, dass Polen gegen seine gemeinschaftsrechtlichen und völkerrechtlichen Verpflichtungen verstieße, im Gegenteil hat sich die gesetzliche Vertreterin der Bf während ihres Aufenthaltes in Polen zu keinem Zeitpunkt an polnische Behörden gewandt (AS 81). Wie auch schon oben ausführlich ausgeführt, reichen die in der Beschwerdeschrift vorgelegten allgemeinen Berichte nicht, um die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun.

 

Die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin konnte keine besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Polen sprechen, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in seinem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet, greift.

 

Des Weiteren kann nicht festgestellt werden, dass ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK zu einem dauernden Aufenthaltsberechtigten für Fremde in Österreich, besteht.

 

Zum Vorbringen in der Beschwerdeschrift, das Bundesasylamt hätte seine Ermittlungspflicht nicht wahrgenommen, wird festgehalten, dass die gesetzliche Vertreterin der Bf zu allen entscheidungsrelevanten Fragen einvernommen wurde und ihr manche Fragen auch wiederholt gestellt wurden, um konkretere Antworten zu bekommen. Gemäß § 18 Abs 1 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Gerade im Ermittlungsverfahren sind der Behörde Grenzen in ihrer Ermittlungstätigkeit gesetzt. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts ist nämlich nur bei einer entsprechenden Mitwirkung des Asylwerbers möglich. Die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts stellt sich somit als Wechselspiel zwischen behördlicher Ermittlungspflicht und Mitwirkungspflicht des Asylwerbers dar (Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005, 3. Auflage, S 364, K1). Das Bundesasylamt hat die gesetzliche Vertreterin der Bf in ihren Einvernahmen einer ausführlichen Befragung unterzogen und alle Mittel zur Erhebung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts ausgeschöpft. Die Erfüllung dieses Gebots setzte sich in der Bescheidbegründung fort, sodass der Erstbehörde diesbezüglich kein Vorwurf gemacht werden kann. Da gegenständliches Verfahren darauf abstellt, den zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrags zuständigen Staat zu ermitteln, war auf die - wenn auch weit reichenden - Ausführungen zum materiellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht näher einzugehen.

 

Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Artikel 3 Abs 2 Dublin II VO in Folge drohender Verletzung von Artikel 3 oder Artikel 8 EMRK zu verpflichten.

 

Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise mehr hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Dies erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger" iSd AsylG ua. der Elternteil eines minderjährigen Kindes, der Ehegatte oder das zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratete minderjährige Kind eines Asylwerbers. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen (das Gesetz verweist auf § 2 Z 22 - gemeint ist § 2 Abs. 1 Z 22 - AsylG) eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Die Bf, ihre Eltern und ihre Schwester sind Familienangehörige (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG) des jeweils anderen, alle haben einen Asylantrag gestellt, keinem wurde bisher Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt, das Verfahren keines von ihnen wurde bisher zugelassen. Daher sind die Abs. 1 Z 3 und Abs. 4 des § 34 AsylG anzuwenden.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutet dies auch, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (VwGH 18.10.2005, 2005/01/0402). Sollte daher der Asylantrag eines Familienangehörigen der Bf zuzulassen sein, so würde dies auch für den Antrag der Bf selbst gelten. Die Beschwerdeverfahren, welche die Eltern und die Schwester der Bf betreffen, haben nicht ergeben, dass ihre Verfahren zuzulassen wären. Daher ergibt sich auch daraus nicht, dass das Verfahren der Bf gemäß § 34 Abs. 4 AsylG zuzulassen wäre.

 

Das Bundesasylamt hat den Asylantrag somit zu Recht gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen, die Zuständigkeit Polen im Einklang mit Art. 13 Dublin II-VO festgestellt und die Zurückweisung entsprechend § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG mit der Ausweisung verbunden. Der Ausspruch, dass gemäß § 10 Abs. 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Bf nach Polen zulässig sei, ist im Gesetz nicht vorgesehen und daher überflüssig. Diese Rechtsfolge ergibt sich vielmehr unmittelbar aus dem Gesetz (§ 10 Abs. 4 AsylG), wenn eine Ausweisung ausgesprochen worden ist.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 erster Satz AsylG entfallen. Bei diesem Verfahrensergebnis erübrigt es sich, über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzusprechen.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, Rechtsschutzstandard, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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