S6 400.067-1/2008/2E
S6 400.068-1/2008/3E
S6 400.069-1/2008/2E
S6 400.070-1/2008/2E
S6 400.071-1/2008/2E
S6 400.064-1/2008/2E
S6 400.063-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Spruch
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Singer als Einzelrichter über die Beschwerden
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des M. A., geb. 1977, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02.430-EAST-OST
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der I. M., geb. 1974, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02.431-EAST OST
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des M. R., geb. 1998, vertreten durch den Kindesvater M. A., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02.432-EAST Ost
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des M. Z., geb. 1999, vertreten durch den Kindesvater M. A., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02 433-EAST Ost
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des M. K., geb. 2002, vertreten durch den Kindesvater M. A., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02 434-EAST Ost
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der M. K., geb. 2005, vertreten durch die Kindesmutter I. M., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02 436-EAST Ost
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des M. K., geb. 2007, vertreten durch die Kindesmutter I. M., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, Zahl 08 02 435-EAST Ost,
alle StA Russische Förderation, alle vertreten durch Mag. M. R., zu Recht erkannt:
Den Beschwerden wird gemäß § 41 Absatz 3 AsylG in der Fassung BGBl. Nr. 1 Nr. 100/2005 stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
Am 12. März 2008 stellten der Erstbeschwerdeführer M. A., dessen minderjährigen Kinder, seine Ehegattin I. M., sowie deren gemeinsamen minderjährigen Kinder, alle Staatsangehörige der russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, Anträge auf internationalen Schutz. Nach erkennungsdienstlicher Behandlung und Durchführung von EURODAC-Anfragen wurde festgestellt, dass die Genannten bereits in Polen Asylanträge gestellt hatten.
Die Erstbefragungen fanden am 12. März 2008 vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Erstaufnahmestelle OST des Bundesasylamtes statt. Diesbezüglich ist festzustellen, dass die Zweitbeschwerdeführerin I. M. als gesetzliche Vertretung für alle 5 Kinder befragt wurde.
Festgestellt wird weiters, dass unter einem die Heiratsurkunde und die 5 Geburtsurkunden der Kinder sichergestellt und bei der Einvernahme am 19. Mai 2008 wieder retouniert wurden. Es blieb jedoch von der ersten Instanz unberücksichtigt, dass die Zweitbeschwerdeführerin I. M. nicht die leibliche Mutter von M. R., M. Z. und M. K. ist. Der Erstbeschwerdeführer ist leiblicher Vater aller fünf Kinder und deren gesetzlicher Vertreter. Einzig in der gutachtlichen Stellungnahme gemäß § 10 AsylG von Dr. I. H. wird unter Punkt 3 "Eigenanamnese" festgestellt: "Die AW ist mit ihrem Mann und den Kindern hier. Drei Kinder stammen aus erster Ehe des Mannes, zwei haben sie gemeinsam." (AS 61, GZ S6 400.068)
Am 18.03.2008 richtete das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Aufnahme der Bf gemäß Artikel 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO) mit Berufung auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 17 Abs. 2 Dublin II VO, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.
Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen gemäß § 28 Abs. 2
2. Satz AsylG wurde den Beschwerdeführern am 19. März 2008, sohin innerhalb der 20-Tages-Frist nach der Antragseinbringung, übermittelt. Jedoch wurde - ohne Rücksicht auf deren mangelnde Vertretungsbefugnis - I. M. für die drei minderjährigen Kinder die Mitteilung über die Führung von Konsultationen zugestellt.
Dem leiblichen Vater aller fünf Kinder M. A. wurde lediglich sein eigenes Formblatt über die Mitteilung der Konsultationen zugestellt.
Mit Schreiben vom 20. März 2008, eingelangt beim Bundesasylamt per Fax am 25. März 2008, übermittelte Polen die Zustimmung zur Wiederaufnahme der Antragsteller gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II VO).
Das Bundesasylamt hat mit den angefochtenen Bescheiden die Asylanträge der Beschwerdeführer ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass die Prüfung der gegenständlichen Asylanträge gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (Dublin II VO) Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei.
Diese Bescheide wurden an die Bf am 19. Mai 2008 zugestellt, wobei wiederum nur der Zweitbeschwerdeführerin I. M. für alle 5 Kinder die Bescheide als vermeintliche gesetzliche Vertreterin zugestellt wurde.
II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:
Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Gemäß § 28 AsylG steht dem Bundesasylamt grundsätzlich eine Entscheidungsfrist von 20 Tagen zur Verfügung, um im Rahmen des Zulassungsverfahrens den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen.
Fristauslösendes Ereignis für die Entscheidungsfrist ist die Einbringung des Asylantrages. Die 20-Tage-Frist gilt nicht, wenn
Konsultationen gemäß der Dublin II VO oder eines Vertrags über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrags oder eines Antrags auf internationalen Schutz geführt werden
und dies dem Asylwerber innerhalb der 20-Tage-Frist mitgeteilt wird.
Beide Voraussetzungen müssen zur Unwirksamkeit der Frist kumulativ vorliegen, damit die 20-Tage-Frist entfällt.
Die Frist nach § 28 Abs. 2 entfällt auch dann gänzlich, wenn der Asylwerber am Verfahren nicht mitwirkt, dieses gegenstandslos wird oder er sich diesem entzieht.
§ 28 Abs. 2 lautet:
"Entscheidet das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringen des Antrags auf internationalen Schutz, dass der Antrag zurückzuweisen ist, ist der Antrag zuzulassen, es sei denn es werden Konsultationen gemäß der Dublin - Verordnung oder eines Vertrages über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz geführt. Das Führen solcher Konsultationen ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen. Diesfalls gilt die 20-Tages-Frist nicht. Diese gilt überdies nicht, wenn der Asylwerber am Verfahren nicht mitwirkt, dieses gegenstandslos wird oder er sich diesem entzieht. Ist der Asylwerber aus in seiner Person gelegenen Gründen nicht in der Lage, am Verfahren mitzuwirken, ist der Lauf der Frist nach Satz 1 gehemmt".
Die Beschwerde zeigt nun zu Recht auf, dass diese Mitteilung über die Führung von Konsultationen zwar in dieser 20-tägigen Frist erlassen wurde, jedoch nicht - aufgrund des derzeitigen Aktenstandes - festgestellt werden kann, ob diese Mitteilung auch dem richtigen gesetzlichen Vertreter - nämlich dem Kindesvater - der drei minderjährigen Kinder in dieser Frist zugestellt wurde.
Die Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz wurden nämlich am 12. März 2008 gestellt, die Mitteilungen gemäß § 28 Abs. 2 AsylG über das Konsultationsverfahren wurden am 19. März für alle fünf Kinder der vermeintlichen Kindesmutter als scheinbare gesetzliche Vertreterin zugestellt.
Zur gesetzlichen Vertretung sind gemäß § 16 Abs. 2 AsylG die Eltern eines minderjährigen Asylwerbers berufen. Mutter ist gemäß § 137 b ABGB die Frau, die das Kind geboren hat. I. M. ist somit nicht die Mutter der Beschwerdeführer M. R., Z. und K., es sei denn sie hätte sie adoptiert.
Auf Grund des Aktenstandes kann nicht festgestellt werden, ob es eine solche Adoption der drei Kinder durch I. M. gegeben hat oder ob diese Mitteilung am 19. März 2008, etwa bei einen gemeinsamen Besuch bzw. der gemeinsamen Vorsprache der Eltern, auch dem Kindesvater oder in der 20-Tage-Frist dem Kindesvater sonst wie zugestellt wurde.
Das Bundesasylamt wird daher festzustellen haben, ob etwa in Folge einer Adoption I. M. für alle fünf Kinder vertretungsbefugt war oder ob dem Erstbeschwerdeführer M. A. fristgerecht, nämlich binnen 20 Tagen ab 12.03.2008, die Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG über die Führung eines Konsultationsverfahren seine drei Kinder M. R., M. Z. und M. K. betreffend, zugestellt wurde. In diesem Zusammenhang ist auch auf § 7 Zustellgesetz hinzuweisen, wonach auch geprüft werden muss, ob allfällig fehlerhafte Zustellungen geheilt wurden, weil beispielsweise in der Frist diese Mitteilung dem Erstbeschwerdeführer auf andere Weise, etwa durch Übergabe von der Zweitbeschwerdeführerin, zugestellt wurde.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger" iSd AslyG ua. der Elternteil eines minderjährigen Kindes, der Ehegatte oder das zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratete minderjährige Kind eines Asylwerbers. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen (das Gesetz verweist auf § 2 Z 22 - gemeint ist § 2 Abs. 1 Z 22 - AsylG) eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutet dies auch, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (VwGH 18.10.2005, 2005/01/0402). Sollte daher der Asylantrag eines Familienangehörigen des Beschwerdeführers zuzulassen sein, so würde dies auch für den Antrag des Beschwerdeführers selbst gelten.
Die Beschwerdeverfahren, welche die drei minderjährigen Kinder M. R., M. Z. und M. K. betreffen, haben ergeben, dass ihre Verfahren zuzulassen sind. Daraus ergibt sich, dass auch die Verfahren der Bf M. A., I. M., M. K. und M. K. zuzulassen sind.
Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Berufungen gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen (§ 41 Abs. 2, § 37 Abs. 3 AsylG) vorgesehen, andererseits aber die Berufungsbehörde dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Berufung stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläut. zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängel die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Berufungsbehörde im Verfahren über Berufungen gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Berufungsbehörde - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Berufung unmöglich ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.