TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/14 S11 400091-1/2008

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Veröffentlicht am 14.07.2008
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Spruch

S 11 400.091-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

SPRUCH

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. NEUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde des N.T., geb. 00.00.1979, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.06.2008, Zahl: 08 03.936-EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, als unbegründet abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

Der Beschwerdeführer verließ Lagos/Nigeria am 19.05.2005 und reiste mit einem Visum in die Türkei ein, wo er sich bis 2006 in Istanbul aufhielt. Ende 2006 reiste er weiter nach Ungarn, von wo er im August 2007 weiter nach Spanien und am 00.00.2008 mit dem Flugzeug über Wien Schwechat illegal nach Österreich gelangte. Er brachte am 02.05.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am selben Tag erfolgte eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, sowie am 03.05.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, und am 16.05.2008 eine weitere Einvernahme in Gegenwart eines Rechtsberaters.

 

Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren unter Vorhalt eines EURODAC-Treffers von Ungarn folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor:

 

Er habe in Ungarn unter falschem Namen und unter Anführung einer falschen Staatsangehörigkeit einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und sich dort einfach nicht wohl gefühlt. In Österreich wäre es am schönsten, daher wolle er, dass sein Verfahren hier geführt werde.

 

Seine Eltern und 5 Geschwister hielten sich in Nigeria auf, in Österreich habe er keine Verwandten. Er habe keinerlei physischen oder psychischen Beschwerden.

 

Am 05.05.2008 richtete das Bundesasylamt an Ungarn ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO).

 

Die Mitteilung über die beabsichtigte Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG sowie die Mitteilung über die Führung von Konsultationen mit Ungarn gemäß § 28 Abs. 2 2. Satz AsylG wurden dem Beschwerdeführer am 07.05.2008, somit innerhalb der 20-Tages-Frist nach Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz, nachweislich zur Kenntnis gebracht.

 

Am 08.05.2008 langte die Zustimmung der ungarischen Behörden zur Wiederaufnahme beim Bundesasylamt ein, was dem Beschwerdeführer ebenfalls zur Kenntnis gebracht wurde. Weiters teilte Ungarn mit, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 11.09.2006 am 24.03.2007 abgewiesen wurde.

 

Mit Bescheid vom 20.06.2008, Zl. 08 03.936-EAST-Ost, zugestellt am selben Tag, wies das Bundesasylamt, den Antrag des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF als unzulässig zurück und sprach aus, dass Ungarn für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass der Beschwerdeführer keine Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in Ungarn Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Der Beschwerdeführer konnte kein in besonderem Maß substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer bescheinigter außergewöhnlicher Umstände die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen vorbringen und brachte lediglich zum Ausdruck, dass er sich in Österreich insgesamt wohler fühle.

 

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 24.06.2008 (eingegangen am 27.06.2008) Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass keine Einzelfallprüfung vorgenommen worden sei, ob er in Ungarn sicher sei, und behauptete ein bestehendes real risk, einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein, ohne dies jedoch näher auszuführen. Er sei in Ungarn bereits negativ beschieden worden und laufe daher Gefahr in sein Heimatland zurückgeschoben zu werden.

 

AI habe bescheinigt, dass die Aufenthaltsbedingungen in Ungarn besorgniserregend wären. Die allgemeine sowie die medizinische Versorgung wären mangelhaft. Aus diesem Grund sei vom Selbsteintrittsrecht Österreichs Gebrauch zu machen. Weiters sei im Hinblick auf die Ausweisung nach § 10 AsylG keine Interessensabwägung vorgenommen worden.

 

3. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 04.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (AsylG), BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist somit auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, idgF anzuwenden.

 

Die Änderungen durch das Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz 2008, BGBl. I Nr. 4/2008, sind zu berücksichtigen.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6 bis 12 bzw. Art. 14 und 15 Dublin II VO, beziehungsweise nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt das Konsultationsverfahren mit Ungarn aufgrund des Vorliegens eines EURODAC-Treffers sowie der Angaben des Beschwerdeführers eingeleitet.

 

Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 10 Abs. 1 der Dublin II VO eingeleitete Aufnahmeersuchen an Ungarn erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Am 17.06.2008 langte - innerhalb der gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin II VO gesetzten Frist - die Zustimmung Ungarns zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers ein.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt daher zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 10 Abs. 1 der Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist im gesamten Verfahren auch nicht bestritten worden.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultation im gegenständlichen Verfahren fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre, und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keine Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444).

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter, auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

Was die Frage der "Beweislast" anbelangt, so ist vorweg klarzustellen, dass bei Vorliegen "offenkundiger" Gründe (zum Begriff der "Offenkundigkeit" vgl. § 45 Abs. 1 AVG und die dazu ergangene Judikatur, beispielsweise zitiert in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2(1998), E 27 zu § 45 AVG) eine Mitwirkung des Asylwerbers zur Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG 2005 implizit aufgestellten Vermutung nicht erforderlich ist. Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist. Es versteht sich von selbst, dass bei der Beurteilung, ob die geforderte "Glaubhaftmachung" gelungen ist, der besonderen Situation von Asylwerbern, die häufig keine Möglichkeit der Beischaffung von entsprechenden Beweisen haben, Rechnung getragen werden muss (in diesem Sinne auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 226). Hat der Asylwerber die oben angesprochenen besonderen Gründe glaubhaft gemacht, ist die dem § 5 Abs. 3 AsylG 2005 immanente Vermutung der im zuständigen Mitgliedstaat gegebenen Sicherheit vor Verfolgung widerlegt. In diesem Fall sind die Asylbehörden gehalten, allenfalls erforderliche weitere Erhebungen (auch) von Amts wegen durchzuführen, um die (nach der Rechtsprechung des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes erforderliche) Prognose, der Asylwerber werde bei Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat der realen Gefahr ("real risk") einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, erstellen zu können. Diese Ermittlungspflicht ergibt sich aus § 18 AsylG 2005, die insoweit von § 5 Abs. 3 AsylG 2005 unberührt bleibt (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949; vgl. ähnlich auch VwGH 21.03.2007, Zl. 2006/19/0289).

 

Im konkreten Fall kam die Erstinstanz zu der Ansicht, dass kein besonders substantiiertes Vorbringen bzw. ein Vorliegen besonderer vom Beschwerdeführer bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Fall einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, im Verfahren hervorgekommen sind.

 

Der Beschwerdeführer gab in den Einvernahmen lediglich an, sich in Ungarn "einfach nicht wohl gefühlt" zu haben. In der Berufung brachte er unsubstantiierte Bedenken hinsichtlich möglicher Verletzungen des Art. 3 EMRK vor, und verwies auf lediglich auf AI und ICF.

 

Der Ansicht des Bundesasylamtes war zu folgen. Weiters ist festzuhalten, dass das Bundesasylamt ausreichende und aktuellere Feststellungen zu Ungarn getroffen hat. Die in der Beschwerde angeführten Berichte vermögen die Festellungen des Bundesasylamtes nicht zu entkräften.

 

Der Beschwerdeführer brachte somit keine besonderen Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vor, und konnte nicht darlegen, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte.

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden.

 

Im konkreten Fall läuft das Vorbringen des Beschwerdeführers darauf hinaus, dass von vorneherein und ohne jegliche konkrete Belege (die im Lichte des § 5 Abs 3 AsylG und der zum Zeitpunkt des EU-Beitrittes erfolgten normativen Vergewisserung über die "Sicherheit" der neu beitretenden Mitgliedstaaten - wenn sie nicht notorisch sind - aber vom Asylwerber vorzulegen sind und diesfalls nicht eine explorative Erhebungsverpflichtung der Asylbehörden im Sinn eines Erkundungsbeweises besteht) aus der aktuellen Asylpraxis in Ungarn vorweisen zu können, die Annahme gerechtfertigt wäre, dass alle Asylverfahren in Ungarn die europäischen Menschenrechtsstandards qualifiziert unterschreiten. Wäre dies aber der Fall, würden die gemeinschaftsrechtlich zuständigen europäischen Organe verpflichtet sein, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten, da Ungarn so nicht Mitglied der EU, als auch einer dem Menschenrechtsschutz verpflichteten europäischen Wertegemeinschaft, sein dürfte. Für eine derartige Sichtweise bestehen aus Sicht des Asylgerichtshofes aber keine Anhaltspunkte.

 

Es greift daher die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet und es ist davon auszugehen, dass Ungarn ein faires, den rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Vorschriften entsprechendes, Asylverfahren einräumt.

 

2.1.3. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich, sämtliche Familienangehörige leben in Nigeria. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer von sich aus zu keinem Zeitpunkt behauptet oder gar in irgendeiner Form belegt.

 

2.1.4. Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Ungarn weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK, noch des Art. 8 EMRK dar, somit besteht auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO. Der Beschwerdeführer konnte dieser Ansicht des Asylgerichtshofes durch seine vagen und unbelegten Ausführungen in seiner Beschwerde jedenfalls nicht entgegentreten.

 

2.1.5. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Ungarn in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, real risk
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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