TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/15 S2 319852-1/2008

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Veröffentlicht am 15.07.2008
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Spruch

S2 319.852-1/2008/3E

 

B.M., 00.00.1989 geb.

 

StA.: Russische Föderation;

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer- Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des B.M., geb. 00.00.1998, StA: Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.06.2008, Zahl 08 00.126- EAST-WEST, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, StA: Russische Föderation, gelangte mit seiner Ehegattin und seinem minderjährigen Sohn unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 03.01.2008 bei der Erstaufnahmestelle West einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei seinen Einvernahmen verschleierte der Beschwerdeführer zunächst den Reiseweg, weswegen zunächst Konsultationen mit der Slowakei und Polen geführt wurden, was dem Beschwerdeführer am 7.1.2008 auch mitgeteilt wurde (AS 71). Diese Konsultationen verliefen zwar ergebnislos, doch wurden schließlich aufgrund eines Vermerkes im Inlandsreisepass des Beschwerdeführers über die Ausstellung eines Reisepasses Konsultationen mit Frankreich geführt, was dem Beschwerdeführer am 7.2..2008 ebenfalls zur Kenntnis gebracht wurde (AS 155). Am 27.03.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 27.03..2008 Konsultationen mit Frankreich geführt würden (AS 187).

 

Frankreich hat sich mit Fax vom 25.4.2008, datiert 24.4.2008, (AS 213) bereit erklärt, den Asylwerber gem. Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmen.

 

Bei den weiteren Einvernahmen räumte der Beschwerdeführer schließlich ein, von der Ukraine aus mit dem Flugzeug nach Frankreich gereist zu sein. Dort hat er im internationalen Transitbereich einen Asylantrag gestellt, der am 28.12.2007 abgelehnt worden ist (vgl. Informationsschreiben des Service de L'Asile vom 25.3.2008, Aktenseite 157 sowie seine Angaben, Aktenseite 241). Danach ist er am 3.1.2008 illegal ins österreichische Bundesgebiet weitergereist, wo er schließlich am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt erklärte der Antragsteller nach Vorhalt, dass Frankreich zur Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass er nicht nach Frankreich zurückkehren könne, da er dort niemanden habe. In Österreich würden seine Verwandten leben, insbesondere wäre seine hier aufhältige Tante für ihn gleichsam eine Ersatzmutter. In Frankreich fühle er sich nicht sicher. Die Tschetschenen, die ihn zu Hause verfolgt hätten, könnten auch leicht nach Frankreich kommen. In Österreich fühle er sich sicherer.

 

2. Mit dem angefochtenem Bescheid wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in der Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 12 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), Frankreich zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Frankreich ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Frankreich zulässig sei. Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid ausführliche Feststellungen zum französischen Asylverfahren, zur Praxis des Non- Refoulement- Schutzes, der Ausweisung und zur Versorgung von Asylwerbern in Frankreich.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächliche Gefahr liefe, bei Überstellung nach Frankreich einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. diese eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten würde.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, das Bundesasylamt hätte bei richtiger Beweiswürdigung und richtiger rechtlicher Beurteilung eine ausreichende Intensität des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK feststellen und daher Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen. In Österreich hielten sich seine Tante, sein Onkel und sein Cousin auf, die jeweils anerkannte Flüchtlinge seien. Seine Tante sei für ihn wie eine Ersatzmutter und unterstütze ihn auch psychisch in den Belangen seines Asylverfahrens und seiner Integrationsbemühungen. Zwar habe er seine Verwandten seit deren Flucht nach Österreich nicht mehr gesehen, jedoch hätte er mit diesen Kontakt aufgenommen, wenn er von ihrem Aufenthaltsort gewusst hätte. Bezüglich eines etwaigen finanziellen Abhängigkeitsverhältnisses zu seinen Verwandten würde er auf die eigene finanzielle Situation seiner Verwandten hinweisen. Auch der Halbbruder seiner Frau sei in Österreich anerkannter Flüchtling und hätte seine Ehefrau finanziell unterstützt, als er in Österreich gewesen sei. Im Falle seiner Rückstellung nach Frankreich würde er daher in seinem Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt, weiters drohe ihm eine erniedrigende Behandlung iSd Art. 3 EMRK.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste - in Begleitung seiner Ehegattin und seines mj. Sohnes - von der Ukraine aus mit dem Flugzeug nach Frankreich ein, wo er im internationalen Transitbereich einen Asylantrag stellte, der am 28.12.2007 abgelehnt wurde. Danach reiste er am 3.1.2008 illegal ins österreichische Bundesgebiet weiter, wo er schließlich am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

Der Beschwerdeführer hat eine volljährige Tante, einen Onkel und einen Cousin in Österreich, zu denen keine enge persönliche Bindung zu erkennen ist.

 

2. Diese Feststellungen zum Reiseweg und der Antragstellung in Frankreich ergeben sich aus dem - zuletzt erstatteten - eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage. Die Feststellung, dass eine enge persönliche Bindung zu Familienangehörigen (Tante als "Ersatzmutter") des Beschwerdeführers in Österreich tatsächlich nicht besteht, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

 

Wie das Bundesasylamt bereits im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt hat, fällt zunächst auf, dass der Asylwerber im Rahmen seiner Erstbefragung vor der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau auf die Frage, ob und welche Familienangehörigen er in Österreich habe, seine Tante nicht einmal erwähnt, sondern lediglich angegeben hat, einen Onkel und eine Cousin im Bundesgebiet zu haben (Aktenseite 23). Vor dem Hintergrund, dass der Asylwerber in seiner späteren Einvernahme am 6.5.2008 allerdings die Tatsache, dass seine Tante in Österreich lebe, sogar als einzigen Ausreisegrund dargestellt und dies damit begründet hat, dass diese gleichsam seine "Ersatzmutter" sei (Aktenseite 241), ist unerklärlich, dass er diese - seinen Angaben zufolge - Hauptbezugsperson bei der vormals an ihn gerichteten Frage nach seinen in Österreich befindlichen Verwandten nicht mit einem Wort erwähnt hat.

 

Bereits an dieser Stelle entsteht sohin der Eindruck, dass der Asylwerber seine Angaben bezüglich des Vorliegens einer intensiven Nahebeziehung zu seiner Tante lediglich deshalb in einer späteren Einvernahme ins Treffen führte, um seine Chancen auf einen möglichen Weiterverbleib im Bundesgebiet zu erhöhen. Der Eindruck, dass eine besondere familiäre Verbundenheit zu seinen in Österreich lebenden Verwandten in Wahrheit keineswegs vorliegt, wird überdies auch dadurch verstärkt, dass der Asylwerber nicht in der Lage war, die genaue Wohnadresse seiner Verwandten in Österreich zu nennen, sondern lediglich die Stadt, in welcher die genannten Personen wohnen sollen, angeben konnte (Aktenseite 99). Seine Angaben, wonach ihm seine in Österreich lebende Tante nach dem Tod seiner eigenen Mutter gleichsam eine Ersatzmutter gewesen sei, werden, wie bereits das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid zu Recht ausgeführt hat, allerdings durch den Umstand, dass er im Beschwerdeschriftsatz selbst angegeben hat, seine Verwandten seit deren Flucht nach Österreich nicht mehr gesehen zu haben (Aktenseite 359), insofern relativiert, als seine eigene Mutter laut Angaben des Asylwerbers im Jahr 2002 gestorben sein soll (Aktenseite 97), seine Verwandten aber laut Aussage seines in Österreich lebenden Onkels bereits im Jahr 2003 ins Bundesgebiet eingereist sein sollen (vgl. Seite 18 des angefochtenen Bescheides). Ausgehend davon, dass somit die vom Asylwerber ins Treffen geführte Nahebeziehung zu seiner Tante erst nach dem Tod zu seiner Mutter entstanden sein soll und nur bis zur Ausreise seiner Verwandten aus der Russischen Föderation in der geschilderten Intensität bestanden haben soll, wird deutlich, dass schon aufgrund der Kürze des im Heimatland bestandenen, gegebenenfalls intensiveren Kontaktes zwischen dem Asylwerber und seiner Tante keine enge familiäre Verbundenheit erkennbar ist, zumal der Asylwerber in seiner Beschwerde ja selbst zugesteht, seine Verwandten auch seit seinem eigenen Aufenthalt in Österreich nach wie vor nicht gesehen zu haben ("Ich habe meine Tante und meinen Onkel seit ihrer Flucht nicht gesehen. Hätte ich gewusst, dass sich meine Verwandten in Österreich aufhalten, hätte ich sofort mit ihnen Kontakt aufgenommen.", Aktenseite 359). Soweit der Asylwerber in seiner Beschwerde vorbringt, von seiner Tante auch "psychisch", konkret in den Belangen seines Asylverfahrens und seinen Integrationsbemühungen unterstützt zu werden, erscheint diese Behauptung keinesfalls geeignet, eine intensive emotionale Nahebeziehung bzw. gar Abhängigkeit von seiner Tante darzulegen, nicht zuletzt auch deshalb, da der Asylwerber hierdurch keinerlei ihn im besonderen Ausmaß treffenden, psychisch belastenden Umstände geltend gemacht hat, die seine etwaige Unterstützung durch seine Tante dringend erforderlich machen würden.

 

Dass jemals eine finanzielle bzw. wirtschaftliche Abhängigkeit zu seinen in Österreich aufhältigen Angehörigen jemals bestanden hätte bzw. aktuell bestünde, hat der Asylwerber einerseits im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen ausdrücklich verneint (Aktenseite 105). Gegenteiliges ist auch nicht der Beschwerde zu entnehmen, worin der Asylwerber diesbezüglich angibt: "Bezüglich der finanziellen Abhängigkeit zu meinen Verwandten möchte ich auf die finanzielle Situation meiner Verwandten hinweisen." (Aktenseite 359).

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz im Jänner 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

Art. 12 Dublin II-VO regelt:

 

"Stellt ein Drittstaatsangehöriger einen Asylantrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaats, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer von der Ukraine aus mit dem Flugzeug nach Frankreich einreiste, wo er im internationalen Transitbereich einen Asylantrag stellte, sich sogleich weiter nach Österreich begeben und er weiter auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO der von der Erstbehörde zu Recht herangezogene Art. 12 Dublin II-VO als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Frankreich hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist im übrigen im Verfahren nicht bestritten worden.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: Es leben (mit Ausnahme der mitgereisten Ehegattin und einem Sohn, deren Asylverfahren unter einem geführt werden) nur eine volljährige Tante, ein Onkel und ein Cousin des Beschwerdeführers in Österreich, zu denen jedoch vor dem Hintergrund des oben dargelegten fehlenden Nahebezuges (siehe Punkt II. Punkt 1. iZm Punkt 2.) kein durch Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben besteht. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Eine Verletzung des Art. 8 EMRK ist daher nicht ersichtlich.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren in diesem Zusammenhang lediglich vor, in Frankreich fühle er sich nicht sicher, die Tschetschenen, die ihn zu Hause verfolgt hätten, könnten auch leicht nach Frankreich kommen. Mit diesem abstrakten Vorbringen, das nicht nur jegliche fallbezogene Konkretisierung vermissen lässt, sondern überdies rein spekulativ ist, konnte der Beschwerdeführer auf sich bezogen jedoch keine solchen besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Frankreich sprechen, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet, greift.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers nach Frankreich keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Frankreich (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über - die erwähnten Familienmitglieder hinausgehende - Verwandte verfügt. Zur Frage eines möglichen Verletzung von Art. 8 EMRK durch die Ausweisung wird auf die obigen Ausführungen des Asylgerichtshofes zur Frage des Selbsteintrittes Österreichs in diesem Zusammenhang verwiesen [Punkt II. 3.2. b) aa)]. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, Intensität, real risk
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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