E2 221.497-2/2008/2Z
BESCHLUSS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber-Huber als Einzelrichter über die Beschwerde des D. E., geb. 1961, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.06.2008, FZ. 08 04.239-EAST West, beschlossen:
Der Beschwerde wird gemäß § 37 Abs 1 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (kurz: BF; vormals Berufungswerber), ein Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte erstmals am 22.03.1991 einen Asylantrag, welchen er im Wesentlichen damit begründete, er werde in der Türkei aufgrund seiner kurdischen Abstammung in allen Lebensbereichen benachteiligt und verfolgt. Mit Bescheid vom 08.05.1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich in Erledigung dieses Asylantrages fest, dass der BF nicht Flüchtling und daher auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung hat der BF am 31.10.1991 zurückgezogen und ist freiwillig in sein Herkunftsland zurückgekehrt.
Am 23.10.2000 stellte der BF nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet erneut einen Asylantrag, welchen er in seinen Einvernahmen vom 06.10.2000 und 09.01.2001 zusammengefasst damit begründete, türkische Spezialeinheiten würden ihn beschuldigen, die PKK zu unterstützen, und deshalb nach ihm suchen. Im September oder Oktober 1998 habe sein Vater Schafe zur Weide gebracht, als Mitglieder der PKK gekommen wären und ihm zwangsweise zehn Schafe abgekauft hätten. Jemand habe seinen Vater und ihn wegen Unterstützung der PKK angezeigt. Daraufhin seien türkische Spezialeinheiten gekommen und hätten den BF und seinen Vater 14 Tage festgehalten und gefoltert. Danach seien sie wieder freigelassen worden, der Vater des BF sei jedoch einen Monat darauf an den Folgen der Folter gestorben. Drei Monate später sei der BF vorgeladen worden, woraufhin er sein Dorf verlassen habe und nach Istanbul gegangen sei, wo er sich eineinhalb Jahre aufgehalten habe. Als er die Nachricht erhalten habe, dass er gesucht werde, habe er die Türkei verlassen. Mit Bescheid vom 21.02.2001, Zl. 00 14.592-BAL, wies das Bundesasylamt Außenstelle Linz den Asylantrag des BF vom 23.10.2000 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei für zulässig. Begründend führte es aus, dass die Angaben des BF über weite Teile unglaubwürdig seien. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 30.11.2006, Zl. 221.497/0-II/39/01, nach Durchführung von mündlichen Berufungsverhandlungen am 25.06.2002 und 22.11.2005 mit der Begründung ab, dass dem Vorbringen des BF jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. Mit Beschluss vom 23.01.2007, Zl. 2006/01/0891-4, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde des BF gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates ab.
Am 14.05.2008 brachte der BF abermals einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Im Zuge der Erstbefragung am 16.05.2008 vor der Erstaufnahmestelle West gab der BF an, seine Fluchtgründe würden sich mit seinen Angaben im ersten Asylantrag [gemeint jener vom 23.10.2000] decken (AS 15). Am 20.05.2008 langte beim Bundesasylamt eine Vollmachtsbekanntgabe ein, wonach der BF die Rechtsanwälte Dr. G. K., Dr. P. N., Mag. F. H., Mag. R. P. mit der rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt hat (AS 39). Bei der Einvernahme am 20.05.2008 vor der Erstaufnahmestelle West führte der BF aus, die in seinen früheren Aussagen getätigten Gründe seien noch gültig (AS 51). Er wolle nicht in die Türkei zurückfahren, da er Angst habe. Dort wo er herkomme, gebe es ständig Krieg. Mehrere Häuser seines Dorfes seien zerstört worden. Früher habe es 250 Häuser gegeben, jetzt nur noch 50. Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitkräften und PKK-Anhängern im Nordirak sei die Situation im Heimatdorf des BF verschärft worden. Weil er bereits festgenommen und gefoltert worden sei und dies mit seiner angeblichen Verbindung zur PKK begründet worden sei, fühle er sich um so mehr in Furcht und Unruhe versetzt und habe er Angst vor neuerlichen Folterungen im Falle seiner Rückkehr in die Türkei. Im Zuge der Einvernahme vom 02.06.2008 legte der BF Fotos vor, welche beweisen sollen, dass sein Heimatdorf G. in der Provinz Bingöl bombardiert worden sei. Auch legte er mehrere Nachrichtenmeldungen vor, welche allesamt von durch türkische Streitkräfte im Nordirak bzw. im Grenzgebiet der Türkei zum Irak durchgeführten Luftangriffen handeln. Mit Bescheid vom 03.06.2008, Zl. 08 04.239-EAST West, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 14.05.2008 wegen entschiedener Sache zurück und wies den BF in die Türkei aus (AS 129 ff). Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass der BF im neuerlichen Asylverfahren keine weiteren asylrelevanten Gründe vorgebracht, sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben bzw. sich die den BF treffende allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat nicht geändert habe. Insbesondere habe sich durch die Angriffe der türkischen Armee auf Stellungen der PKK im Nordirak keine geänderte Sachlage ergeben, da nicht zuletzt aufgrund der großen Entfernung des Heimatortes des BF zum irakischen Grenzgebiet keine konkrete subjektive Gefährdung des BF zu erkennen sei. Die vom BF vorgelegten Fotos seien nicht geeignet, die Bombardierung seines Heimatdorfes zu beweisen, zumal aus ihnen weder der Ort noch das Aufnahmedatum hervorgeht. In Bezug auf die in Österreich aufhältigen Verwandten liege keine derartige Beziehungsintensität vor, dass ein Familienleben gemäß Art 8 EMRK vorliegen würde. Zwar sei ein Eingriff in das Recht auf Privatleben des BF gegeben, doch sei dieser gerechtfertigt, zumal dem BF bei der Antragstellung klar sein musste, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz nur ein vorübergehender ist. Überdies wohne seine Frau mit seinen Kindern im Herkunftsland. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 16.06.2008 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde). Es würden neue Asylgründe bestehen. Die Heimatprovinz des BF, Bingöl, sei erwiesener Maßen massiv durch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen türkischen Streitmächten und PKK-Anhängern beeinträchtigt. Zudem sei das Heimatdorf des BF, G., Anfang des Jahres 2007 von der PKK bzw. vom türkischen Militär zerstört worden. Die Ausweisung des BF in die Türkei sei unzulässig, da zu den beiden Familienangehörigen, mit denen er gemeinsam wohne, und zu weiteren Familienangehörigen ein Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliege. Aufgrund der sozialen Kontakte zu seinen Arbeitskollegen liege ein schützenswertes Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK vor. Aufgrund des nunmehr beinahe 8-jährigen Aufenthalt in Österreich bestehe eine starke soziale Integration in Österreich.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Gemäß dem Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, wurde der Asylgerichtshof - bei gleichzeitigem Außerkrafttreten des Bundesgesetzes über den unabhängigen Bundesasylsenat - eingerichtet und treten die dort getroffenen Änderungen des Asylgesetzes mit 01.07.2008 in Kraft; folglich ist das AsylG 2005 ab diesem Zeitpunkt in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 anzuwenden.
1. Zuständigkeit des erkennenden Einzelrichters
1.1. Gem. § 61 Absatz 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
a) wegen Drittstaatssicherheit
b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;
c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Absatz 1 AVG, und
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.
§ 61 Absatz 4 AsylG bestimmt, dass über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende entscheidet.
Gemäß § 22 Absatz 1 ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.
1.2. Da sich die Beschwerde des BF gegen einen zurückweisenden Bescheid wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG und die mit dieser Entscheidung verbundenen Ausweisung richtet und somit vom Asylgerichtshof durch Einzelrichter zu entscheiden ist, ist gemäß § 61 Abs 4 AsylG der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter auch für die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zuständig.
2. Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung
2.1. § 37 AsylG lautet:
§ 37. (1) Wird gegen eine mit einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Ausweisung Beschwerde ergriffen, hat der Asylgerichtshof dieser binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
...
(3) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1, der in Bezug auf die Ausweisung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, hat der Asylgerichtshof binnen zwei Wochen zu entscheiden.
(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.
Nach Ansicht des Asylgerichtshofes ist - auch wenn der maßgebliche § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die Berücksichtigung einer möglichen Verletzung der durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Berufungswerbers nicht wie etwa im Hinblick auf Art. 3 EMRK ausdrücklich vorgibt - bei verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung auch die Berücksichtigung des Art. 8EMRK, welcher im Verfassungsrang steht, impliziert.
2.2. In Hinblick auf die beinahe 8-jährige Aufenthaltsdauer des BF in Österreich sowie seine berufliche und sonstige soziale Verfestigung in Österreich kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in die Türkei eine Verletzung von Art. 8 EMRK, insbesondere seines Rechts auf Achtung des Privatlebens, bedeuten würde.
Somit war der Beschwerde in Bezug auf die Ausweisung die aufschiebende Wirkung zuzusprechen.