GZ: S5 400.430-1/2008/2E
Erkenntnis
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Harald Benda als Einzelrichter über die Beschwerde der M.S., geb. 1969, StA. von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.6.2008, Zahl 08 03.137-EAST Ost, gem. § 66 Abs. 4 AVG iVm § 61 Abs. 3 Z 1 lit b des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben, der Asylantrag zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Die Asylwerberin ist Staatsangehörige von Somalia und ist im Juni 2005 nach Malta gereist, wo sie am 13.6.2005 einen Asylantrag stellte. Im Jahr 2007 reiste die Asylwerberin illegal nach Schweden weiter, wo sie am 29.8.2007 einen weiteren Asylantrag stellte und
sodann nach Malta rücküberstellt wurde. In der Folge reiste die Asylwerberin illegal ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie schließlich am 7.4.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl. Eurodac-Treffer Aktenseite 9, Aktenseite 15).
Mit E-mail vom 9.4.2008 ersuchte Österreich Malta um Übernahme der Asylwerberin. Malta hat (durch Unterlassen einer fristgerechten Antwort) gem. Art. 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben.
Anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt erklärte die Antragstellerin nach Vorhalt, dass Malta zur Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei, dass sie in Malta krank geworden sei und nicht versorgt worden wäre. Sie habe lediglich von der Kirche Hilfe erhalten. In Malta sei sie für ein Jahr inhaftiert gewesen.
Unter einem legte die Asylwerberin ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vor (Aktenseite 65 - 71), woraus sich ergibt, dass diese an Diabetes Mellitus vom Typ 2 leidet.
Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.6.2008, Zahl 08 03.137-EAST Ost, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Antragstellerin gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Malta ausgewiesen.
Gegen diesen Bescheid hat die Asylwerberin fristgerecht Beschwerde erhoben und hierbei im Wesentlichen erneut geltend gemacht, in Malta ein Jahr inhaftiert gewesen zu sein, hierbei keinerlei medizinische Versorgung erhalten zu haben. Nach ihrer Entlassung sei sie auf die Straße gestellt worden, wobei man ihr mitgeteilt habe, dass man sie nicht versorgen könne. Sie habe weder Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung oder finanzielle Unterstützung erhalten. Bis zu ihrer Weiterreise nach Schweden habe sie in Malta auf der Straße gelebt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.
Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.
§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:
(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;
b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5
c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung
(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
Gemäß § 41 (3) AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Gemäß der - mittlerweile ständigen - Rechtssprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes (VfGH vom 8.3.2001, G 117/00 u. a., VfSlG 16.122; VwGH vom 23.1.2003, Zl. 2000/01/0498) ist auf Kriterien der Art. 3 und 8 EMRK bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG, ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen Anordnung in der Bestimmung selbst, Bedacht zu nehmen.
Sohin ist zu prüfen, ob die Asylwerberin im Falle der Zurückweisung ihres Asylantrages und ihrer Ausweisung nach Malta gem. §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf ihre persönliche Situation - in ihren Rechten gem. Art. 3 und/oder 8 EMRK verletzt werden würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Asylgerichtshof sich den Ausführungen des Bundesasylamtes hinsichtlich der grundsätzlich gegebenen Unzuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Asylantrages der Asylwerberin anschließt: Die Asylwerberin hat nachweislich am 13.6.2005 in Malta einen Asylantrag gestellt, ist nach ihrer weiteren Asylantragstellung am 29.8.2007 in Schweden nach Malta rücküberstellt worden. Weiters kann nicht erkannt werden, dass sie bis zu ihrer letztlich erfolgten Ausreise ins Bundesgebiet nach Somalia zurückkehrt ist (vgl. hierzu auch die Ausführungen des Bundesasylamtes, Seite 14 des angefochtenen Bescheides), sodass letztlich dem Bundesasylamt zuzustimmen ist, dass eine Zuständigkeit Maltas wegen ursprünglich erster Asylantragstellung gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c (zur Wiederaufnahme) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) besteht. Eine solche Zuständigkeit wurde von Malta durch Unterlassung einer fristgerechten Antwort letztlich anerkannt (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II).
Das Bundesasylamt hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der von der Asylwerberin geäußerten Angaben, nicht nach Malta zurückzuwollen, da sie dort keine Unterstützung erhalten hätte und insbesondere nicht medizinisch versorgt worden sei, ausgeführt, dass diese Angaben nicht geeignet seien, die Versorgung in Malta in Zweifel zu ziehen. Die diesbezüglichen Angaben der Asylwerberin stufte das Bundesasylamt weiters unter Verweis auf "die in den Feststellungen zu Malta angeführte Gewährleistung einer umfassenden Versorgung", welche allen Asylwerbern gewährt würde, die nicht in der Lage seien, für ihren Aufenthalt aufzukommen als gänzlich unglaubwürdig ein (Seite 14 des angefochtenen Bescheides).
Zu den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid betreffend die "Gewährleistung einer umfassenden Versorgung" von Asylwerbern in Malta ist festzuhalten, dass diese vor dem Hintergrund der im Bescheid getroffenen Länderfeststellungen, worin explizit ausgeführt wird, dass Asylwerber nach ihrer Entlassung aus den in Malta zur Unterbringung von Flüchtlingen üblichen Anhaltelagern "für eine gewisse Zeit Unterkunft, Nahrung und finanzielle Hilfe durch sog. "open centres" erhalten, nach Ablauf dieser Zeitspanne allerdings auf sich allein gestellt sind und für ihren Unterhalt sorgen müssen (vgl. Seite 12 des angefochtenen Bescheides) als klar aktenwidrig zu bezeichnen sind. Hinsichtlich der Kosten für Medikamente wird im angefochtenen Bescheid weiters ausgeführt, dass diese im ambulanten Sektor auf eigene Rechnung gehen.
Folgt man den Angaben der Beschwerdeführerin, so befürchtet diese im Falle einer Rückkehr nach Malta - wie bereits geschehen - wiederum ohne hinreichende (insbesondere medizinische) Versorgung zu verbleiben. Hierzu ist auszuführen, dass die Asylwerberin in casu ein entsprechend substantiiertes Vorbringen in Bezug auf eine mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat im erstinstanzlichen Verfahren und in der Beschwerde getätigt hat, dies im Lichte der Anforderungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.1.2007, Zahl: 2006/01/0949). So hat diese erstinstanzlich ausdrücklich vorgebracht, in Malta krank geworden zu sein, keine Hilfe erhalten zu haben, obdachlos gewesen zu sein und lediglich von der Kirche Hilfe erhalten zu haben. Weiters hat sie in ihrer Beschwerde nochmals bekräftigt, während ihrer einjährigen Inhaftierung in Malta keinerlei medizinische Hilfe erhalten zu haben.
Diese Angaben der Asylwerberin sind insofern nicht unbeachtlich, als schon aus der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) ableitbar ist, das die Verpflichtungen des zuständigen Mitgliedstaates für ein Asylverfahren (im weiteren Sinn) erst erlöschen, wenn ein abgewiesener Asylwerber sich im Lichte des Art. 16 Abs. 4 bzw. Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO nicht mehr in den Mitgliedstaaten aufhält (siehe Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K24 zu Art. 16 Abs. 4). Würde Malta tatsächlich Asylwerber nach ihrer Haftentlassung entgegen ihrer Verpflichtung "ihrem Schicksal überlassen", wäre dies daher ein gemeinschaftsrechtswidriges Vorgehen, welches auch mit allgemeinen menschenrechtlichen Anforderungen kaum in Einklang zu bringen wäre.
Die Feststellungen des Bundesasylamtes zu Malta sind jedenfalls zum Teil veraltet (so bezieht sich etwa ein Großteil der Feststellungen speziell betreffend die Versorgung von Asylwerbern auf Quellen aus dem Jahr 2006). Einer Spezialbehörde wie dem Bundesasylamt, das zudem über die Einrichtung der Staatendokumentation verfügt, wäre es durchaus zuzumuten, sich auch über aktuelle Entwicklungen (wie die Debatte im Juni 2007 über die Überforderung Maltas mit der hohen Zahl von AsylwerberInnen, die massiven Probleme in dem geschlossenen Aufnahmezentrum, die folgende Resolution des Europäischen Parlaments und die Ablehnung des maltesischen Wunsches nach einer Änderung der Dublin II VO in diesem Zusammenhang) zu informieren und diese in die Feststellungen einfließen zu lassen (vgl. hierzu auch den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 26.7.2007, Zahl:
313.579-1/2E-XV/53/07).
In diesem Zusammenhang sei weiters auf eine jüngere Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.2.2008 (Zahl: 317.357-1/3E-III/07/08) verwiesen, worin das Europäische Parlament in einer Entschließung wie folgt zitiert wird:
"In der Erwägung, dass Besuche von Delegationen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres in Gewahrsamseinrichtungen in der Europäischen Union, zuletzt in Malta, gezeigt haben, dass Asylbewerber unter Bedingungen festgehalten werden, die weit unter international anerkannten Normen liegen, und dass auch ihre körperliche Verfassung sowie unzureichender oder nicht vorhandener Zugang zu grundlegenden Leistungen wie medizinische Versorgung, Sozialhilfe und rechtlicher Beistand besonderen Anlass zur Sorge geben."
In jener oben angeführten Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates wird auf eine weitere Entschließung des Europäischen Parlaments hingewiesen, worin dieses "die unmenschlichen und entwürdigenden Lebensbedingungen der Migranten und Asylsuchenden in den Einrichtungen für Verwaltungsgewahrsam in Malta " bedauert.
Ausgehend von den Angaben der Beschwerdeführerin, die sich mit den oben zitierten Berichten decken, bestünde für diese im Falle ihrer Rückschiebung nach Malta somit eine reelle Gefahr, mittelfristig ohne jegliche staatliche Unterstützung in Bezug auf Versorgung und Unterbringung auf sich allein gestellt zu sein, was vor allem angesichts ihrer Erkrankung, die zwingend eine ständige Medikamenteneinnahme erforderlich macht (vgl. hierzu Aktenseiten 65 f. und 85), als mögliche Verletzung von Art. 3 EMRK gravierend erscheint.
Es wäre angesichts des Vorbringens der Asylwerberin Aufgabe der Erstbehörde, sich etwa durch eine Anfrage bei der maltesischen Dublin-Behörde zu versichern, dass im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführerin eine menschenrechtskonforme Versorgung der Beschwerdeführerin erfolgen wird. Eine solche Vorgangsweise erscheint - obgleich bei Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung wegen der Vermutung der Rechtskonformität im Allgemeinen entbehrlich - bei einer Gesamtbetrachtung in casu notwendig. Es mag durch eine solche Anfrage möglich sein, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen der Asylwerberin zu den tatsächlichen vergangenen Geschehnissen in Malta zu überprüfen (etwa die tatsächliche Dauer der Anhaltung in welcher Art von Aufnahmeeinrichtung und die Gründe für eine allfällige fehlende Versorgung), wobei dem Ergebnis einer solchen Stellungnahme Maltas wahrscheinlich erhöhtes Gewicht zukommen wird. Ohne eine solche Stellungnahme bzw. die Vornahme derartiger Erhebungen kann nun aber aus Sicht des Asylgerichtshofes nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesasylamt weiters nach Durchführung des zu ergänzenden Beweisverfahrens wie dargestellt klare Feststellungen zu den Umständen des früheren Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Malta zu treffen haben, jedenfalls aber individuell gestützte Ausführungen zur zu erwartenden Vorgangsweise der maltesischen Behörden im Falle einer Überstellung. Insgesamt werden alle Feststellungen mit aktuellen Quellen zu versehen sein.
Auf die Notwendigkeit der Wahrung des persönlichen Parteiengehörs in einer Einvernahme ist zu verweisen.
Eine Sanierung dieses Verfahrensmangels im Verfahren vor dem Asylgerichtshof war diesem aufgrund der engen Frist des § 37 Abs. 3 AsylG (Entscheidung binnen zwei Wochen) nicht möglich, sodass lediglich ein Vorgehen gem. § 41 Abs. 3 AsylG möglich war.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.