D1 222819/0/2008/7E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. STRACKER als Einzelrichter über die Beschwerde des J. S., geb. 1987, StA. ungeklärt, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.05.2001, FZ. 00 17.517-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.09.2001, 22.10.2003, 15.02.2008 und 09.05.2008 zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde von J. S. vom 01.06.2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.05.2001, Zl. 00 17.517-BAT, wird hinsichtlich Spruchpunkt II. stattgegeben und gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von J. S. nach Turkmenistan nicht zulässig ist.
II. Gemäß § 8 Abs. 3 i.V.m. § 15 AsylG 1997 wird J. S. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.07.2009 erteilt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
1. Der (damals noch minderjährige) Beschwerdeführer reiste am 11.12.2000, gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Brüdern, unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und begehrte am 12.12.2000 durch seine Mutter, als gesetzliche Vertreterin, die Gewährung von Asyl.
2. Am 26.03.2001 erfolgte die Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers im Beisein eines Dolmetschers der armenischen Sprache vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen (AS 67-77).
3. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 15.05.2001, Zl. 00 17.517-BAT, den Asylantrag gem. § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte zugleich fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Turkmenistan" gem. § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 01.06.2001 fristgerecht eingebrachte Beschwerde.
5. Der Unabhängige Bundesasylsenat führte am 19.09.2001, 22.10.2003, 15.02.2008 und 09.05.2008 eine mündliche Verhandlung durch.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Nachstehende Feststellungen werden getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Mutter und seinen drei Brüdern seit 11.12.2000 in Österreich. Die gesamte Familie ist bestens integriert und der Beschwerdeführer und seine Brüder sprechen ausgezeichnet die deutsche Sprache.
Die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ist durch den Umstand, dass sein Vater afghanischer Herkunft ist und durch die letzte Aufenthaltnahme in Turkmenistan ungeklärt. Das Asylverfahren des afghanischen Vaters wurde vom Bundesasylamt wegen Abwesenheit eingestellt und ist auch dessen Aufenthaltsort derzeit unbekannt. Eine Rückkehr nach Turkmenistan wäre für den Beschwerdeführer mit erheblichen und unzumutbaren Nachteilen verbunden. Der Beschwerdeführer hätte in Turkmenistan keine Möglichkeit, dort einen legalen und offiziellen Aufenthalt zu nehmen, da er über keine turkmenische Reisedokumente verfügt. Er könnte in Turkmenistan auch auf keinerlei soziales Netzwerk zurückgreifen. Staatliche Unterstützungen in Form von Sozialhilfe stünde ihm nicht zur Verfügung, da der Beschwerdeführer die turkmenische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.
1.2. Zu Turkmenistan werden folgende Feststellungen getroffen:
Im Dezember 2006 starb der Alleinherrscher Nijasow. Zum Übergangspräsidenten ernannte ein Sondersicherheitsrat Nijasows bisherigen Stellvertreter und engen Vertrauten Gurbanguli Berdymuchammedow. Bei der Neuwahl des Präsidenten im Februar 2007 setzte sich Berdymuchammedow mit knapp 90 Prozent der Stimmen erwartungsgemäß klar durch. Obwohl sich nach dem Tod Nijasows eine gewisse Lockerung des Regimes angedeutet hatte, hatte die zum größten Teil vom Ausland aus agierende Opposition keine Chance bei den Wahlen. Nach seiner Vereidigung kündigte Berdymuchammedow einerseits an, den Weg Nijasows fortzusetzen, andererseits versprach er Reformen vor allem in den Bereichen Gesundheitswesen und Bildung. Turkmenistan gehört zu einem der weltweit repressivsten Regime. Personen, die Kritik an der Regierung üben, werden häufig inhaftiert. Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Als der Journalist Amanklitschew mit versteckter Kamera über das Gesundheitswesen und zur Menschenrechtslage in Turkmenistan filmte, wurde er inhaftiert und später zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Auch in der Beschäftigungspolitik gibt es eine weit verbreitete Diskriminierung von ethnischen Minderheiten und viele, die innerhalb staatlicher Organisationen höhere Positionen innehatten, wurden durch ethnische Turkmenen ersetzt. Die derzeitige Situation im Gesundheitssystem ist sehr schlecht und wurde das Gesundheitssystem in den letzten Jahren systematisch abgebaut. Seit der Unabhängigkeit hat sich die staatliche Unterstützung im Gesundheitswesen verringert. Das Gesundheitssystem ist von Bestechungsgeldern und hohen Gebühren durchwachsen. Die medizinische Versorgung in Turkmenistan entspricht in keiner Weise europäischen Verhältnissen. Die dürftige medizinische Versorgung von Müttern und Neugeborenen wird auch als Grund für den Bevölkerungsrückgang gesehen.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt sowie durch Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers in der Verhandlung am 19.09.2001, 22.10.2003, 15.02.2008 und 09.05.2008.
Zudem ist auch schon das Bundesasylamt von der Glaubwürdigkeit des Sachverhaltes ausgegangen, indem es den von der gesetzlichen Vertreterin des Antragstellers vorgetragenen Sachverhalt zum Gegenstand des Bescheides erhoben hat (AS 91) und ergibt sich auch im gesamten Verfahren und aus dem gesamten Akteninhalt nichts zwingend Gegenteiliges, um von der Entscheidung des Bundesasylamtes abzuweichen.
Was das in der Verhandlung am 09.05.2008 erstattete Vorbringen im Hinblick auf die Refoulemententscheidung betrifft, ist dies nachvollziehbar. Bei einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens kann dem nunmehrigen Vorbringen nicht entgegengetreten werden. Jedenfalls können die geltend gemachten Gefährdungen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Die Feststellungen zur Lage des Gesundheitswesen in Turkmenistan sind den allgemeinen Länderdokumenten, insbesondere einem Bericht des U.S. Department of State vom 13.03.2008, sowie einer Mitteilung des deutschen Auswärtigen Amtes vom 05.05.2008 (Reise- und Sicherheitshinweise) und einem Bericht der Staatendokumentation des Bundesasylamtes vom 11.05.2006 zu entnehmen.
3. Rechtlich folgt:
3.1. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
3.2. Vorausgeschickt wird, dass mit Schriftsatz vom 13.05.2008 die Berufung hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 15.05.2001 zurückgezogen wurde. Somit war im gegenständlichen Verfahren nur bezüglich Spruchpunkt II. des zitierten Bescheides eine Entscheidung durch die Rechtsmittelinstanz zu treffen.
3.3. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003) hat die Behörde im Fall der Abweisung eines Asylantrages von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist.
§ 8 Abs. 1 AsylG verweist auf § 57 Fremdengesetz; BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG), wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig ist, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll
Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der der Todesstrafe verletzt würde.
Überdies ist gem. § 57 Abs. 2 FrG die Zurückweisung oder die Zurückschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 78/1974).
Der Prüfungsrahmen des § 57 FrG ist jedoch durch § 8 Abs. 1 AsylG auf den Herkunftsstaat des Fremden beschränkt.
Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 01.01.2006 ist gem. § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das jeweilige andere Bundesgesetz nunmehr auf die entsprechenden Bestimmungen des FPG verweist. Demnach wäre die Verweisung des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des FPG zu beziehen, di. § 50 FPG. Ob dies wirklich der Absicht des Gesetzgebers entspricht - da doch Asylverfahren, die am 31.12.2005 bereits anhängig waren, nach dem AsylG 1997 weiterzuführen sind - braucht nicht weiter untersucht zu werden, da sich die Regelungsgehalte beider Vorschriften (§ 57 FrG und § 50 FPG) nicht in einer Weise unterscheiden, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre und da sich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, insoweit auch auf § 50 FPG übertragen ließe. Angemerkt sei jedoch, dass ein Verweis des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 50 FPG nicht etwa jene Rechtslage herstellte, die dem Asylgesetz 2005 entspricht; § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (der inhaltlich dem § 8 Abs. 1 AsylG entspricht) verweist nämlich nicht auf § 50 FPG, sondern regelt den subsidiären Rechtsschutz etwas anders als § 8 Abs. 1 AsylG, er zählt auch die maßgeblichen Bedrohungen selbst auf, und zwar in einer Weise, die nicht wörtlich dem § 50 FPG entspricht (vgl. dazu den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 13.02.2006, Zl. 252.076/0-X/47/04).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (für viele: VwGH v. 26.06.1997, Zl. 95/18/1291; VwGH v. 17.07.1997, Zl. 97/18/0336). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH v. 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefährdung i. S.d. § 57 Abs. 1 und 2 FrG ist die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
3.4. Da der Mutter des Beschwerdeführers in Österreich Refoulementschutz gewährt wurde und es dem Beschwerdeführer in Turkmenistan an einem tragfähigen sozialen Netz mangelt, erscheint es aus heutiger Sicht unzulässig den Beschwerdeführer nach Turkmenistan abzuschieben, weil dies jedenfalls eine Verletzung der EMRK bedeuten würde.
3.5. Die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchteil II.) war gemäß § 15 Abs. 3 AsylG 1997 im Höchstmaß von einem Jahr zu gewähren, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich an der gegenständlichen Situation in absehbarer Zeit eine gravierende Änderung zum Positiven ergeben würde.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.