S7 318.451-2/2008/2E
S7 318.453-2/2008/2E
BESCHLUSS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Monika Lassmann als Einzelrichterin über die Beschwerden
1. des D.R., geb. 00.00.1999, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.6.2008, FZ. 07 12.065-BAL;
2 der D.E., geb. 00.00.1970, StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.6.2008, FZ. 07 12.061-BAL,
beide vertreten durch Dr. L.B.
zu Recht erkannt:
Den Beschwerden wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBL I Nr. 100/2005 stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.: Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
D.E. und ihr Sohn D.R., beide russische Staatsangehörige und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe reisten, gemäß ihren Angaben, im Dezember 2007 gemeinsam aus Polen kommen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 26.12.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 26.12.2007 wurden die Beschwerdeführer erstmals zu ihrem Antrag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen und gab im Rahmen dieser Einvernahme D.E., auch im Namen ihres Sohnes an, sie wären am 17.12.2007 zunächst legal mit dem Zug nach Moskau gefahren, von dort weiter nach Weißrussland und bis Polen gereist. Ihr Reisepass sei ihr von der polnischen Polizei bei der Einreise abgenommen worden. Von T. wären sie mit einem Bus zu Verwandten gefahren, bei denen sie sich 2 Tage lang aufgehalten hätten. Anschließend wären sie mit dem Zug nach Warschau und von dort mit einem polnischen Kleinbus bis zur Tschechischen Grenze gefahren, welche sie zu Fuß überschritten hätten, von dort wären sie per Autostopp bis Trassenhofen gelangt. Sie hätten sich 3-4 Tage in Polen aufgehalten und so schnell wie möglich nach Österreich gelangen wollen. Sie habe in Österreich einen Bruder. Sie hätten unter diesen Umständen Angst, weiter in der Heimat zu wohnen und seien deshalb geflüchtet.
Am 6.1.2008 richtete das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Aufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr.343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 (Dublin II VO).
Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG wurde den Beschwerdeführern am 9.1.2008, sohin innerhalb der 20-Tages-Frist nach der Antragseinbringung, übermittelt.
Mit Erklärung vom 10.1.2008, eingelangt am 11.1.2008 erklärte sich Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c der Dublin II VO zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführer für zuständig.
Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme für das Bundesasylamt, EAST-Ost am 7.2.2008 brachte D.E. für sich und ihren Sohne D.R. im wesentlichen vor, ihr Bruder D.S. sei seit beinahe 5 Jahren in Österreich. Sie habe mit ihm bis 1994 gemeinsam mit den Eltern und anderen Geschwistern in ihrem Elternhaus zusammengelebt, nach ihrer Hochzeit sei sie für 1 Jahr zu ihren Schwiegereltern gezogen, dann aber 1995 in das Elternhaus zurückgekehrt, wo sie bis zur Ausreise des Bruders wieder mit diesem gemeinsam im Elternhaus gelebt habe. Sie habe gemeinsam mit ihrem Sohn die Heimat verlassen, da sie dort Probleme gehabt hätten, man habe Österreich gewählt, da sich hier ihr Bruder bzw. Onkel befinde. Sie wären nur etwa 4 Tage in Polen gewesen und dort fast durchgedreht, sie hätten auf dem Fußboden auf dem Gang schlafen müssen, D.R. sei dort krank geworden (Grippe, Hust und hohes Fieber), man habe zu diesem Zweck nicht die Rettung gerufen. D.R. habe nun immer wieder Fieber und Herzprobleme, er werde auch immer wieder ohnmächtig und klage über Halluzinationen. Er sei in Polen nicht behandelt worden, man habe keine Medikamente bekommen, sondern diese von anderen Asylwerbern borgen müssen.
Das Bundesasylamt wies die Asylanträge erstmalig mit Bescheid vom 7.3.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und erklärte zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz Polen für zuständig, weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgesprochen und die Abschiebung nach Polen als zulässig erklärt.
Diese Bescheide wurden vom unabhängigen Bundesasylsenat jeweils mit Bescheid vom 2.4.2008 Zahl 318.453-1/2E-VII/43/08 gemäß § 41 Abs. 3 AsylG behoben.
Nach Verfahrensergänzung insbesonders durch Einholung eines Sachverständigen- gutachtens Dr.is L. wies das Bundesasylamt jeweils mit Bescheid vom 6.6.2008 für Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz neuerlich gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und erklärte Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs 1 lit c der Verordnung (EG) 343/2003 des Rates für zuständig, gleichzeitig wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet verfügt und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gemäß § 10 Abs.4 AsylG als zulässig erklärt.
Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) behoben. Darin wird im wesentlichen behauptet, Polen sei insbesonders für Tschetschenen kein sicherer Drittstaat, das polnische Asylverfahren stehe im Missverhältnis zu Menschenrechtsstandards und würden insbesonders humanitäre Gründe (die Beschwerdeführer wären in ihrem Herkunftsland Erlebnissen mit Traumatisierungspotenzial ausgesetzt gewesen und seien deshalb schwer kriegstraumatisiert und depressiv, darüber hinaus sei D.R. auch schwer herzkrank, habe immer wieder Fieber, werde ohnmächtig und klage über Halluzinationen und würde eine Abschiebung den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer wesentlich verschlechtern) eine Abschiebung entgegenstehen.
Die gegenständlichen Beschwerden samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langten am 7.7.2008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständlichen Beschwerden wie folgt erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich durch den vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich folgendes:
mit 1.1.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (Asylgesetz in der Fassung EGBL I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz , sohin auch auf den vorliegenden anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurden die Asylanträge im Dezember 2007 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBL I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Aufgrund der im Dezember 2007 erfolgten Asylantragsstellung bezieht sich in casu § 5 AsylG auf die Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 (Dublin II), da gemäß Art. 29 leg. cit. diese Verordnung auf Asylanträge anwendbar ist, die ab dem 1. Tag des nächsten Monats nach ihrem Inkrafttreten - dies ist der 1.9.2003 - gestellt werden.
Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der europäischen Union (vergleich Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen betrifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, das den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund einer Verordnung festgesetzten hierarchischen geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem offenen Tatbestand des Art. 13 Dublin II (1. Asylantragsstellung) liegt.
Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit von Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II VO bestanden hat. Eine solche Zuständigkeit wurde von Polen auch ausdrücklich anerkannt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der betroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist zunächst gegeben gewesen.
Nach dem hier maßgebenden Art. 20 Abs. 1 lit d Dublin II VO muss die Überstellung jedoch auf spätestens 6 Monate nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, erfolgen, andernfalls die Zuständigkeit wieder an den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht.
Konkret war die polnische Zustimmung am 10.1.2008 erfolgt, die Frist ist somit am 11. 7. 2008 abgelaufen. Daraus folgt, dass im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Asylgerichtshof über das gegenständliche Rechtsmittel der Antragsteller die 6-monatige Überstellungsfrist jedenfalls bereits abgelaufen ist. Aus dem Akteninhalt ergeben sich keine Hinweise auf eine Fristverlängerung gemäß Art. 20 Abs. 2, 2. Satz der Dublin II VO.
Aus diesen Gründen war daher vom Faktum des Fristablaufs auszugehen, der nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II VO zwingend den Zuständigkeitübergang an Österreich zur Folge hat, wodurch auch der angefochtenen Unzuständigkeitsentscheidung die Rechtsgrundlage entzogen ist. Aus den dagelegten Erwägungen können die angefochtenen Bescheide somit mangels Zuständigkeit von Polen keinen Bestand mehr haben.
Die Einhaltung der Frist des § 37 Abs. 1 AsylG war ausnahmsweise nicht möglich. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, dass trotz Einlangen der Berufung bereits am 20.6.2008, die Vorlage der Akten durch das Bundesasylamt erst am 7.7.2008, sohin so spät erfolgte, dass dem Asylgerichtshof vor Ablauf der 6-Monatsfrist weniger als die gesetzlich eingeräumten 7 Tage zur Entscheidung zur Verfügung gestanden wären.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde - außerdem den im Absatz 2 erwähnten Fall -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtig, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zur Setzung dem gemäß den angefochtenen Bescheiden nach jeder Richtung abzuändern.
Die Erstbehörde wird daher das Asylverfahren der Beschwerdeführer zuzulassen und nun in geeigneter Weise inhaltlich zu prüfen haben. Eine neuerliche Unzuständigkeitsentscheidung gemäß § 5 AsylG kommt bei der gegebenen Sachlage nicht mehr in Frage.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden
Eine öffentliche, mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG entfallen.