TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/16 S2 317890-2/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2008
beobachten
merken
Spruch

S2 317.890-2/2008/2E

 

T. M., 1964 geb.

 

StA.: Russische Föderation

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer- Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des T. M., geb. 1964, StA:

Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.06.2008, Zahl 08 00.170- BAT, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Der Beschwerdeführer, StA: der Russischen Föderation, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 04.01.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er an, er sei verheiratet und gemeinsam mit seinen beiden Söhnen, von denen einer minderjährig ist, aus Grosny über Moskau und Brest mit dem Zug nach Polen, Terespol gereist. Dort hätten er und seine beiden Söhne am 20.12.2007 Asylanträge gestellt und seien in das Flüchtlingslager Kolbiel gekommen. Von dort seien sie am 03.01.2008 mit einem LKW ausgereist und am 04.01.2008 in den Morgenstunden illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er legte einen russischen Reisepass und eine Lagerkarte vor.

 

Zum Fluchtgrund erklärte der Beschwerdeführer: "Ich wurde im Jahr 1999 bei einem Raketenangriff durch Splitter schwer verletzt. Aus diesem Grund würde mir ein Schmerzengeld zustehen. Ich habe sogar an Putin und viele andere einen Brief geschrieben, weil ich nichts bekommen habe. Es wurde mir gesagt, dass dafür keine Geldmittel bestehen. Anfang Juli 2007 wollte ich zu meiner Schwester gehen. Es kamen in meiner Abwesenheit 3 Männer in mein Haus und haben mich gesucht. Diese Männer sagten, wenn ich noch mal eine Beschwerde schreibe, werde ich festgenommen und nie mehr auftauchen".

 

Am 10.01.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 07.01.2008 Konsultationen mit Polen geführt würden (AS 53/55). Mit Schreiben vom 16.01.2008, eingelangt am 21.01.2008, erklärte sich Polen zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO bereit (AS 67).

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 01.02.2008 bestätigte der Beschwerdeführer zunächst die Angaben aus der Erstbefragung und machte ergänzend zusammengefasst folgende Angaben: Er fühle sich körperlich und geistig in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Er habe keine in Österreich aufhältigen Verwandten. Polen sei die ganze Zeit unter dem Einfluss der Kommunisten gestanden, auch seien Einheiten der RF nach wie vor in Polen tätig. Ein Verbleib in Polen könne für ihn gefährlich sein. Er sei überzeugt, dass Russland seine Argenten unter dem Deckmantel von Flüchtlingen nach Polen schicken würde. Er suche in erster Linie einen sicheren Ort für sich und erst an zweiter Stelle komme seine Gesundheit. Er könne aufgrund seiner Krankheit die Gefahr in Polen nicht rechtzeitig erkennen. Er höre nunmehr ständig ein Geräusch in seinem Kopf und auch seine Hörvermögen würde sich immer mehr verschlechtern.

 

2. Im ersten Rechtsgang hat das Bundesasylamt mit Bescheid vom 12.02.2008 den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16

(1) lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen zulässig sei.

 

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, welcher der Unabhängige Bundesasylsenat mit Berufungsbescheid vom 7.3.2008, GZ 317.890-1/4E-XII/36/08, gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgab und den bekämpften Bescheid behob. Begründet wurde diese Entscheidung iW damit, dass von der Erstbehörde zwar davon ausgegangen worden sei, dass keine schweren körperlichen Erkrankungen vorlägen, welche einer Überstellung entgegenstünden, sie es jedoch unterlassen habe, den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers dahingehend durch ein entsprechendes medizinisches Sachverständigengutachten hinreichend zu belegen.

 

Vom Beschwerdeführer wurde im Verfahren ein Befund des Diagnosezentrums M. vom 25.02.2008 vorgelegt (AS 267). Weiters wurde ein psychotherapeutischer Kurzbericht von E. K. (AS 311) und ein elektroencephalographischer Befund (AS 323) in Vorlage gebracht. Von der Erstbehörde wurde weiters ein neurochirurgisches Gutachten beauftragt, welches am 02.06.2008 einlangte (AS 371).

 

Im Zuge des fortgesetzten Verfahrens wurde dem Beschwerdeführer in einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme am 23.06.2008 die Möglichkeit gegeben, zum Gutachten des bestellten Sachverständigen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer gab bezüglich seines Gesundheitszustandes an, dass er bei nervlichem Stress zu Übelkeit neige und manchmal das Bewusstsein verliere. Er habe Kopfschmerzen und oft ein Pfeifen im Kopf. Er sei in Polen bei keinem Arzt gewesen. Medikamente nehme er von selbst keine und seien ihm auch vom Arzt keine verschrieben worden.

 

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.06.2008 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz neuerlich ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 (1) lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Der Asylwerber leide weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch an einer psychischen Erkrankung. Sowohl im Gutachten von Dr. H. als auch im neurochirurgischen Gutachten habe sich nicht ergeben, dass der seit Jahren im Kopf des Antragstellers befindliche Splitter einer Überstellung des Antragstellers hinderlich sei, bzw. wurde vom Sachverständigen ausgeführt, dass die neurochirurgische Behandlung in Polen gut möglich sei. Für die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO gebe es keinen Anlass. Seinen Angaben betreffend die russischen Spezialeinheiten wird entgegengehalten, dass es sich dabei um rein hypothetische Befürchtungen handle, welche in keinster Weise nachvollziehbar und glaubwürdig seien und dies allein nicht genüge, um das Selbsteintrittsrecht eines Staates geltend zu machen. Bezüglich der Familienverhältnisse wurde festgestellt, dass es sich um ein Familienverfahren handle, da der Antragsteller mit seinen beiden Söhnen, von welchen einer minderjährig ist, in das Bundesgebiet eingereist sei. Auch die Kinder des Antragstellers hätten eine gleichlautende Entscheidung erhalten. Andere Angehörige oder eine anderweitige Integrationsverfestigung sei vom Antragsteller nicht behauptet worden. Der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Antragstellers sei sohin zulässig. 3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 04.07.2008, eingelangt am selben Tag auf dem Faxwege Beschwerde erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 10.07.2008 beim Asylgerichtshof einlangte. Darin wird im Wesentlichen behauptet, dass die Meinung der belangten Behörde, dass es sich bei den geschilderten Verhältnissen in Polen "um wiedergegebenes stereotypes Vorbringen handelt, welches von anderen Personen den Asylwerbern eingetrichtert wird", verfehlt sei. Vielmehr müsse die Behörde aufgrund der Vielzahl ähnlich lautender Berichte davon ausgehen, dass diese Schilderungen betreffend die Zustände in Polen der Wahrheit entsprächen und hätte die belangte Behörde diese Umstände überprüfen müssen. Ein weiterer Verfahrensmangel bestünde darin, dass Dr. H. zunächst festgestellt habe, dass der Beschwerdeführer der medizinischen Behandlung bedürfe, es sei jedoch nicht ihr Auftrag gewesen darüber zu urteilen, ob diese Behandlung in Polen gut möglich sei und würde sich diese ihre Äußerung jeder Qualifikation entziehen. Sein Gesundheitszustand sei nach wie vor nicht hinreichend untersucht worden, er sei zwar von verschiedenen Ärzten untersucht worden, niemand sei jedoch auf die von ihm bereits in der ersten Einvernahme behaupteten Kopfschmerzen und das ständige Pfeifen eingegangen. Diese Symptome würden sich durch den Stress, dem er nunmehr ausgesetzt sei, zusehends verstärken. Auch sei nicht darüber abgesprochen worden, ob der Splitter in seinem Kopf operativ entfernt werden müsse oder nicht. Weiters seien die Ausführungen der belangten Behörde zum Asylverfahren in Polen schönfärberisch und die Behörde hätte von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste in Begleitung von zwei seiner Söhne aus Grosny kommend mit dem Zug über Moskau nach Brest und von dort nach Terespol und stellte am 20.12.2007 in Lublin erstmals einen Asylantrag. Er wartete das Verfahren dort jedoch nicht ab, sondern reiste mit dem LKW am 04.01.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. In Österreich stellten er und seine beiden Söhne, von denen einer minderjährig ist, am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat sonst keine Verwandten im österreichischen Bundesgebiet. Ein ihn betreffendes Asylverfahren ist in Polen anhängig.

 

Der Beschwerdeführer ist aufgrund einer im Jahr 1999 erlittenen Granatsplitterverletzung gesundheitlich beeinträchtigt. Der Allgemeinzustand des Beschwerdeführers sowie sein Ernährungszustand sind normal. Untersuchungen des Kopfes sowie der Wirbelsäule ergaben keine Abweichungen von der Norm. Es fehlt der Geruchssinn, zeitweilig bestehen leichte Lendenwirbelsäulenschmerzen. Es ist derzeit keine Behandlung erforderlich, eine solche ist aktuell auch nicht vorhersehbar. Aus medizinischer Sicht ist eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch die Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen nicht zu erwarten.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers, zu seiner Asylantragstellung in Polen und seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem von der Erstbehörde im zweiten Rechtsgang eingeholten Gutachten des Facharztes für Orthopädie, orthopädische Chirurgie und Neurochirurgie, Univ.Doz. Dr. S., der in seinem Sachverständigengutachten auch die Zusatzbefunde des Diagnosezentrums M. (CT), des neurodiagnostischen Institutes Dr. F. (EEG) sowie des FA für Neurologie und Psychiatrie, Dr. A. K. (nervenärztlicher Befund), mitberücksichtigt hat (AS 371-381). Das Sachverständigengutachten ist in sich schlüssig, der Beschwerdeführer ist den Ergebnissen auch nicht persönlich, geschweige denn auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten (Einvernahme vom 23.06.2008, AS 403f "Wenn der Arzt das so geschrieben hat, wird es schon einen Grund haben.").

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz im Jänner 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer zunächst in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt sowie sich vor Abschluss dieses Verfahrens nach Österreich begeben, das er seither nicht verlassen hat, und er auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 16 Abs. 1 lit. c (iVm Art 13) als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Polen hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers und Behandlung seines Antrages bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist im übrigen im Verfahren nicht bestritten worden.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: Es leben (mit Ausnahme der mitgereisten Söhne, deren Asylverfahren gemeinsam geführt werden) keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Eine Verletzung des Art. 8 EMRK ist daher nicht ersichtlich.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Der Beschwerdeführer behauptet in seiner Beschwerdeschrift unter dem Punkt "Asylverfahren in Polen", dass in Polen das Asylverfahren im krassen Missverhältnis zu Menschenrechtsstandards stehe und zitiert hier auszugsweise und ohne konkreten Bezug zum Beschwerdeführer Auszüge von verschiedenen Homepages (zB www.asyl.at). Wäre dies tatsächlich der Fall, wären die gemeinschaftsrechtlich zuständigen europäischen Organe verpflichtet, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einzuleiten, weil Polen so nicht Mitglied der Europäischen Union, als auch einer dem Menschenrechtsschutz verpflichteten europäischen Wertegemeinschaft, sein dürfte. Für eine derartige Sichtweise bestehen aus Sicht des Asylgerichtshofes aber keine Anhaltspunkte, gegen Polen ist im Zusammenhang mit dem Dublin II-VO auch kein Verfahren vor dem EUGH anhängig. Darüber hinausgehende konkrete Hinweise auf ein im individuellen Fall unzumutbares Vorgehen polnischer Asylbehörden sind der Beschwerde nicht zu entnehmen.

 

Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Einvernahme, dass Polen die ganze Zeit unter dem Einfluss der Kommunisten gestanden sei, auch seien Einheiten der RF nach wie vor in Polen tätig, weswegen ein Verbleib in Polen für ihn gefährlich sein könne, ist in dieser Abstraktheit nicht geeignet, ein tatsächlich für den Beschwerdeführer bestehendes Risiko in Polen als wahrscheinlich erkennen zu lassen.

 

Soweit sich der Beschwerdeführer auf seinen Gesundheitszustand aufgrund seiner Granatsplitterverletzung beruft und meint, dieser sei nicht hinreichend ermittelt worden, er würde ständig an Kopfschmerzen leiden und ein Pfeifen im Kopf hören, weiters sei nicht überprüft worden, ob der Splitter, der sich unzweifelhaft seit dem Jahr 1999 im Kopf des Beschwerdeführers befindet, operativ entfernt werden müsse, so ist ihm zu entgegnen, dass in einem - wie festgestellt - schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachten sowohl ein aktueller Behandlungsbedarf als auch ein Risiko für den Beschwerdeführer im Falle seiner Überstellung nach Polen verneint wurden. Auch wenn einzuräumen ist, dass er durch seine gesundheitliche Beeinträchtigung behindert und zumindest teilweise auf die Hilfe Dritter (hier: seiner mitgereisten Söhne) angewiesen ist und das Beschwerdevorbringen zutreffend sein sollte, dass der Beschwerdeführer im Falle von Stress Kopfschmerzen und ein Pfeifen im Kopf bekommen sollte, erreichten diese Beeinträchtigungen von ihrer Intensität her nicht die Schwelle des Art 3 EMRK (siehe dazu die im angefochtenen Bescheid zitierte Judikatur des EGMR, Seiten 30 bis 32 des angefochtenen Bescheides), sodass auch nicht erkennbar ist, dass er aus diesem Grund durch eine Überstellung nach Polen einer realen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

 

Hinsichtlich der während des Verfahrens behaupteten Beeinträchtigung des Beschwerdeführers aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung (siehe den vom Beschwerdeführer vorgelegten Psychotherapeutischen Kurzbericht des Vereins H. vom 7.3.2008, AS 311ff) ist auf die Ausführungen der Erstbehörde im angefochtenen Bescheid zu verweisen, die einerseits zutreffend die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung des Art. 3 EMRK wiedergibt (hier insb. Seite 30 Mitte des angefochtenen Bescheides zur Frage der Abschiebung psychisch kranker Menschen) und andererseits zu Recht auf die grundsätzliche Behandlungsmöglichkeit einer solchen Störung in Polen hinweist (hier insb. Seite 32 unten des angefochtenen Bescheides).

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Polen (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über - die erwähnten Familienmitglieder hinausgehende - Verwandte verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Traumatisierung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten